Oskar Maurus Fontana

O.M. Fontana zählte zu den vielseitigen, literaturbetrieblich gut vernetzten Gestalten des literarischen Lebens seit seinen Anfängen als Theaterkritiker noch vor 1914, seiner Teilhabe am expressionistischen Aufbruch, seiner Mitwirkung in der Kulturpolitik des Roten Wien, am Berliner Tagebuch und später in der RAVAG. Als Verfasser von Theaterstücken sowie von Prosatexten, welche an den wichtigen ästhetischen Strömungen partizipierten und dazu bemerkenswerte, später in Vergessenheit geratene Werke vorlegten, wurde Fontana auch von seinen Zeitgenossen wie z.B. R. Müller und R. Musil, F. Th. Csokor oder F. Rosenfeld geschätzt. Diese Vielseitigkeit, einschließlich ihrer problematischen Aspekte werden im nachfolgenden Modul rekonstruiert und zur Diskussion gestellt.

Von Primus-Heinz Kucher | Oktober 2016

Inhaltsverzeichnis

  1. Herkunft, Jugend, Erster Weltkrieg
  2. Expressionismus und Engagement
  3. Fontana als Netzwerker im Literaturbetrieb der 1920er Jahre
  4. Der Roman Gefangene der Erde (1928)
  5. Im Schatten des Austrofaschismus
  6. Innere Emigration statt Exil

1. Herkunft, Jugend, Erster Weltkrieg

Fontana wurde als Oskar Rausnitz geboren; seine Mutter Sofie, Tochter eines Hausierers aus Pressburg/Bratislava und Angehörige der jüdischen Glaubensgemeinschaft, heiratete nämlich den aus Dalmatien stammenden Vater Luigi Nicolo Fontana erst 1890. Gemäß einem Erlass des Ministeriums für Kultus und Unterricht vollzog die Familie 1898 den Religionswechsel ins Katholische, womit im Zuge der Taufe am 22.11.1898 das gemeinsame Kind den Namen Oskar Maurus Fontana erhielt (AR, 19). Diese Aspekte einer Herkunft und frühen Kindheit zwischen verschiedenen Kulturen und Landschaften, die sich später fortsetzt in frenetischen Versuchen, im literarisch-publizistischen und kulturpolitischen Leben Wiens sich einen Platz zu sichern, haben Fontana nachhaltig geprägt und in eine seiner seltenen autobiographischen Zeugnisse Eingang gefunden. Anlässlich seines 70. Geburtstages äußerste er sich in einem Interview für die Zeitung Neues Österreich wie folgt:

Als man nach dem ersten Weltkrieg von der ‚jungen Generation‘ die großen Taten erwartete, gehörte ich bereits zur ‚Zwischengeneration‘, der die Alten wie die Jungen mißtrauten (zit. nach AR, 20).

Seit 1909 verfasste OMF für die von Ernst Lothar 1898 gegründete Wochenzeitschrift Die Wage Theaterkritiken, interessierte sich für die 1906 eingerichtete Freie Volksbühne (FV) und lernte in ihrem Umfeld u.a. Stefan Grossmann und Stefan Zweig kennen. 1910 veröffentlichte er sein erstes Theaterstück, Das Märchen der Stille, dem 1914 die mit einigem Erfolg in der Volkbühne aufgeführte, von Berthold Viertel inszenierte Komödie Die Milchbrüder folgte. Der bedeutende Literaturkritiker Julius Bab reihte es gar in eine Raimund-Nachfolge ein, die AZ lobte die Figur des rätselhaften Abenteurers, das Neue Wiener Tagblatt dagegen konnte ihm mangels „ursprünglichen Humors“ nur wenig abgewinnen: „es war ein verlorener Abend“ (AR, 47). Wichtiger als die Resonanz auf die frühen Bühnenstücke war allerdings die Möglichkeit, auch in der Zeitschrift der FV, Der Strom, Kritiken und Essays zu platzieren und dort Alfred Polgar, Max Mell. Albert Ehrenstein sowie Josef Luitpold Stern, der 1913 dessen Redaktion übernahm, zu begegnen.

Neben Schauspielerinnen-Porträts verfasste Fontana Aufführungskritiken und Grundsatzreflexionen wie z.B. Experimente beim Theater:

…Was gilt denn am Ende ein Repertoire, das immer hübsch brav und solide ist? Wird schließlich nicht auch da der Schläfrigste und Zahmste nach Abwechslung und Wagnissen schreien? Und war nicht alles Neue beim ersten Mal ein Experiment, Schiller so gut wie Ibsen? Und wo, auf welchem Schindanger verfaulte unser Theater, hätten sich nicht Kerle gefunden, die das Experiment gewagt hätten? […] Wenn aber einer für das Theater ein Gebet sprechen will, so möge er täglich beten: Herr gib, daß sie nicht die Lust am Experimentieren verlieren, sie – Publikum, Schauspieler, Kritiker, Theaterdirektoren! (Strom, H.10/1913, 326)

Abb. 1: Der Strom, Nr. 12/1912

Nach kurzer aktiver Teilnahme am Ersten Weltkrieg bis Ende 1914 und nachfolgender Versetzung ins Kriegspressequartier nach Wien konnte Fontana seiner Lust am Experimentieren erstmals wieder 1917 als Herausgeber einer expressionistischen Zeitschrift, Das Flugblatt, nachgehen. Diese gemeinsam mit Alfons Wallis erschienene Plattform brachte es bis zum Herbst 1918 auf fünf Nummern und versammelte thematisch wie formal ein zwar heterogenes, aber auch schon anerkanntes Spektrum an Stimmen: neben Max Brod, Walter Hasenclever, Kurt Hiller, Rudolf Leonhard und Paul Zech Stimmen, die bereits in maßgeblichen expressionistisch-aktionistischen Organen wie Die Aktion oder Der Sturm präsent waren, oder zu diesem Zeitpunkt noch eher unbekannte, die allerdings in den 1920er Jahren z.T. bedeutende Positionen einnehmen sollten wie Richard Billinger, Alfred P. Gütersloh, Max Mell oder Emil A. Rheinhardt.

Fontana zeichnet dabei im Heft 3 (Jahresbeginn 1918) das Bild des Dichters als „Retter des Ewigen“, dem die Aufgabe zukomme, „in dem Gemetzel der Gewalten […] Stimme der Gerechtigkeit“ zu sein (AAW,16); Paul Hatvani wiederum veröffentlichte darin den programmatischen Essay Wir haben keine Zeit. (ZsExprÖ,37)

2. Expressionismus und Engagement

Mit der Herausgabe des Flugblatt schrieb sich Fontana schlagartig in die zeitgenössischen, d.h. spätexpressionistischen, messianisch-pazifistischen Gruppenbildungen ein, was u.a. auch durch seine Mitarbeit an weiteren 1918 begründeten österreichischen Zeitschriften und Plattformen, kurzlebigen ebenso wie durchaus prominenten, zum Ausdruck kommt. Wir finden wir ihn daher auch in der Zeitschrift Der Anbruch (1917-21), ebenso in der von Benno Karpeles herausgegebenen Wochenschrift Der Friede (1918-19), beides Organe, die bereits bekannte Vertreter des literarischen Expressionismus wie z.B. Albert Ehrenstein, Theodor Däubler, Paul Kornfeld, Paul Hatvani, Alfred Wolfenstein, Paul Zech, aber auch neue Namen wie Theodor Tagger [= Ferdinand Bruckner], Walter Eidlitz, Robert Müller, E. A. Rutra, Albert P. Gütersloh, Ernst Weiß sowie Stimmen, die an sich den Expressionismus eher kritisch beobachteten wie z.B. Hermann Broch oder Robert Musil. Darüber hinaus sind Fontana-Beiträge auch im Pester Lloyd, z.B. der Manifest artige Text Wir sind Geist! oder in der Zeitschrift Der Aufschwung (1919) anzutreffen. Diese Präsenz erklärt wohl auch seine Aufnahme in die maßgebliche Anthologie zeitgenössischer österreichischer Lyrik, in Die Botschaft, die 1920 von Ernst A. Rheinhardt im Strache Verlag veröffentlicht wurde und rund dreißig, meist jüngere Lyrikerinnen (Elisabeth Janstein, Martina Wied) und Lyriker (von Ernst Angel bis Stefan Zweig) versammelte, aber auch Abdrucke von Georg Trakl und Franz Werfel brachte.

Abb. 2: Cover der Anthologie Die Botschaft

Fontanas Position innerhalb und seine Teilhabe an der expressionistischen Bewegung ist als enthusiastisch-ambivalente und zugleich zeittypische zu bezeichnen. Er teilt mit ihr das Pathos des Aufbruchs, der Verwerfung der bestehenden Verhältnisse, insbesondere im Flugblatt-Text Das Verbrechen (März 1918), doch schon kurz danach begnügt er sich mit einem (vagen) Glauben an Veränderung durch eine neue Gemeinschaft, die sich über den ›Geist‹ definieren will. Zugleich spricht bereits aus dem Geist-Manifest ein Ton der Resignation und seine in der Botschaft abgedruckten Gedichte thematisieren u.a. Erfahrungen des Fremd-Seins, der Vereinzelung, der Erinnerung an Verluste; dabei nehmen sie auch Figuren vom sozialen Rand, Mägde, Bauern und Kranke, in den Blick. Eine Sonderstellung im Spektrum der expressionistischen Prosa kommt jedenfalls seinem bei Kurt Wolff verlegten Roman Erweckung (1919) zu.

Schon vom Schauplatz her setzt er einen eigenwilligen Akzent: er ist in Serbien angesiedelt, wo infolge von Hungersnöten aus allen Landesteilen Menschen, die sich unter dem Kampfruf „Brot, Mais, Getreide für uns alle“ (E, 9) als Brüder begreifen, in Strömen „zu den Türmen Beg Begoujas im Tale der Cermenica“ (E, 7) aufbrechen, selbst jene, die über Besitz und Vermögen verfügen. Begouja dagegen, ein alter, von Wollust und archaischer Besitzgier gezeichneter egozentrischer Patriarch, hat, selbst seinem Sohn entfremdet, der nur auf dessen Tod wartet, keinen Blick für die soziale Not. Er versammelt junge Frauen um sich und lässt sich Geschichten erzählen, u.a. von Lasar, der eine Zeit lang in den Schlachthäusern von Chicago gearbeitet, deren monotonen Rhythmus, aber auch deren Konflikte miterlebt hatte, die dem Text im Kontrast zum dominanten Pathos einen vergleichsweise nüchternen Ton geben:   

„Neben der Schlächterei waren die Geleise der Eisenbahnen. Die Züge, die kamen, waren voll mit lebendigen Schweinen. Die Züge, die gingen, waren voll mit gepökelten Schweinen, schon verpackt und verkaufsbereit in den verzinnten Weißblechbüchsen der Stoneschen Compagnie. Das sah ich drei Jahre und vier Monate jeden Tag in der Frühe, wenn ich zur Arbeit, jeden Tag am Abend, wenn ich von der Arbeit ging.“ (E, 44)

Auch der Auftritt einer alten mythischen Priesterfigur, Demetrius, der dem Beg seine Verfehlungen vorhält – „ Auf Toten, auf lebendig Eingemauerten steht dein Besitz, gründet sich dein Reichtum, Begouja“ (E, 71) – und der eine Art Evangelium der Liebe durch Verzicht auf Güter bzw. Teilung der Güter mit den Hungernden predigt, kann ihn nicht umstimmen. Die Lage eskaliert unter dem Heranziehen der von Lasar angeführten Hungernden, einem, wie es sich herausstellt, zum Knecht degradierten Bruder des Beg, und dem inneren Zerfall der Familie, als sich der ältere Sohn offen gegen den Vater wendet und der jüngere ihn mit seiner letzten Geliebten betrügt, wobei die Beiden vom alten Beg überrascht werden (E, 147). Im finalen Kampf um die mit Getreide angefüllten Türme, auch ein Kampf der Massen gegen einen Tyrannen, erschießt Lasar den Beg, um postwendend aus der Erde eine „donnernde Stimme“ (E, 174) ›Kain!‹ rufen zu hören. Der Beg vermag, als Anstrich einer Versöhnungsgeste, nur noch die Hände zweier überlebender Kinder ineinander zu legen, bevor ihm die Augen brechen.

Robert Müller zeigte sich begeistert – „Fontana hat eine große Kunstprobe gegeben“ – und rühmte daran die slawische Sinnlichkeit und Fontanas Geschick „mit dem Großstadtwort dem Geschehen der halbzivilisierten Wildnis, der Sieben-Türmeschaft Beg Begoujas , des Herrischen und Verzehrten […] gerecht zu werden.“ (M,KS II, 389-90) Ein Hymnus, der in der Kritik recht allein stand, obgleich Fontanas Theaterstücke zuvor sowohl von der AZ als auch von der NFP stets kurz annonciert worden waren. Sozialkritik und Resignation kennzeichnet auch die 1920 bei E.P. Tal erschienenen Empörer Novellen. Über sie schrieb der streitbare Eugen Hoeflich:

Fontana sieht in dem Menschen, in den Dingen die ihnen immanente Tragik: langsam und unaufhaltsam rollt ein Schicksal heran, Verfall, Tod und Entsagung entgegen schleppen sich die Menschen seiner Novellen, empören sich, versuchen sich zu empören; aber die Bahn ist vorgezeichnet: irgend einmal mündet sie ins Unbekannte… (Hoeflich, WMZ, 16.5.1920,5)

Wie wichtig Fontana die expressionistische Erfahrung dennoch war und stets geblieben ist, geht aus einem späteren Sammelband über Erinnerungen von Zeitgenossen an den Expressionismus hervor, den Paul Raabe 1965 verantwortet hat. Für diesen Band verfasste Fontana den Abschnitt über den Expressionismus in Wien, der auf wenigen Seiten einen aufschlussreichen Einblick in die zeitgenössische Szene bietet. Er spannt darin einen Bogen von den frühen Kokoschka-Aufführungen, etwa von Sphinx und Strohmann durch das Fledermaus-Cabaret 1907 über die der „denkwürdigen Freilichtaufführung“ von Hoffnung, Mörder der Frauen 1909, über Albert Ehrenstein, für ihn „der radikalste im Ausdruck, der schärfste im Ton“, zu Georg Trakl und Robert Müller sowie  zu den Zeitschriften, die um 1918 in Wien erschienen wie z.B. Der Ruf, Der Anbruch, Die Rettung oder Daimon. Auch die literatur- und theatergeschichtlich kaum dokumentierten Aufführungen von Stücken an verschiedenen Bühnen (Neue Wiener Volksbühne, Deutsches Volkstheater, Raimund-Bühne, Kammerspiele etc.) darunter z.B. Paul Kornfelds Die Verführung, Arnold Zweigs  Ritualmord, Ernst Weiss‘ Tanja, Hans Kaltnekers Die Schwester, Theodor Taggers Anette  oder Franz Th. Csokors Die rote Straße werden angeführt und auch mit bedeutenden schauspielerischen Leistungen und Entdeckungen, z.B. von Elisabeth Bergner oder Maria Orska, in Verbindung gebracht. (OMF, 1965, 188-190)

3. Fontana als Netzwerker im Literaturbetrieb der 1920er Jahre

Zwischen 1919 und 1922 arbeitete Fontana als Angestellter des Volkswehrbildungsrates zunächst verstärkt an sozialdemokratischen Publikationen mit, so z.B. an der Bildungsarbeit (BA), in der er neben Besprechungen (Kinderbücher, August Strindberg) sogar Beiträge mit programmatischer Ausrichtung veröffentlichte wie z.B. in der Rubrik ›Festkultur‹ eine Übersicht zu sozialistischen Lektüren unter dem Titel Programme für Vorlesungen (BA, 3/4, 1919, 10). Im Volksheim Ottakring sprach er im März 1920 über Walt Whitman, in der AZ stellte er 1922 in einem Feuilleton George Grosz vor und würdigte ihn dabei als „großen Kämpfer“, als einen der wenigen Mutigen, die gegen den deutschen Militarismus offen auftreten. (Link zum Feuilleton/Text). Im selben Jahr widmete ihm die Urania einen von der „Vortragskünstlerin“ Elisa Karau gestalteten Abend, den die AZ ebenfalls ankündigte (AZ, 21.12.1922).

Etwa zur selben Zeit hat Fontana die Bekanntschaft mit Robert Musil im Zuge regelmäßiger Treffen der sogenannten ›Mokka-Symposium‹-Runde im Café Central, der u.a. auch Bela Bálazs, Franz Blei, kurzzeitig Georg Lukàcs und Robert Müller angehörten, erneuert und über die Gründungsvorbereitungen des Schutzverband deutscher Schriftsteller in Österreich (1922-23) wichtige weitere Kontakte knüpfen bzw. vertiefen können, die sich alsbald in seiner Wahl zu einem der Vorstandmitglieder auf der ersten Generalversammlung am 26.11.1923 niederschlug. 1923 erschien Fontanas Anthologie Der Garten Immergrün bei E.P. Tal, die Otto Koenig in der AZ lobend besprach; 1924 folgte der Ägypten-Roman Insel Elephantine, den Musil in sein Verzeichnis [Bemerkenswerte Bücher] Almanach auf das Jahr 1925 aufnahm und wie folgt charakterisierte:

Sie behandelt bildhaft, in einem Hotel am Nil, einen Niederbruch der Zivilisation im Zusammenstoß mit Naturkräften. Sie ist eine Parabel und das Entscheidende an ihr ist ‚der unendlich ferne Punkt‘, zu dem hin jede Parabel deutet und sich wendet, was wir in der Geometrie gelernt, aber im Leben vergessen haben. Pessimismus und Erlösung, Zivilisation und Natur, unheilbare Widersprüche mögen sich dort schließen, das Buch selbst hat keinen Schluß. (RM,W,9,1715)  

Seit November 1923 engagierte sich Fontana auch im Vorstand des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller in Österreich, dem zuvor Franz K. Ginzkey vorgestanden war und der bis Ende 1922 im literarischen Leben kaum präsent war. 1923 wurde H.v. Hofmannsthal zum neuen (ersten) Vorsitzenden gewählt, Robert Musil zu dessen zweiten Vorsitzenden, nachdem Robert Müller zuvor eine als oppositionell sich deklarierende Gruppe, der u.a. auch Fontana angehörte, gegen Ginzkey in Stellung gebracht hatte. (Hall, 1977, 202ff., online verfügbar). Bei der Generalversammlung 1928 gab Musil seine Position auf; Fontana rückte in seine Funktion nach und wurde nach dem Tod Hofmannsthal als erster Vorsitzender bestätigt. Diese Funktion, die bei Musil eine ironische Tagebucheintragung auslöste – „sein sozialer Auftrieb ist stärker als der seines Talents“ (RM, TB, 1,692) –, behielt er bis zur behördlichen Auflösung des Schutzverbandes im Jahr 1939.

1925-26 eröffneten sich Fontana weitere publizistische Plattformen für seine Literatur- und Theaterkritik: das renommierte von Stefan Großmann und Leopold Schwarzschild geleitete Tage-Buch (Berlin), das Ullstein-Magazin Uhu, in dem er 1928 die Amerika-Erzählung  320 Dollar veröffentlichen konnte, sowie die Wiener sozialdemokratische Programmzeitschrift Kunst und Volk, welche seine Position im Literaturbetrieb entschieden stärkten. Darüber hinaus gab Robert Musil, der bereits 1921 im Briefwechsel mit Arne Laurin, dem Chefredakteur der Prager Presse, Fontana als unter den Wiener Kritikern „der geeignetste empfehlen“ konnte (RM, B, 1, 271) diesem 1926 ein Interview unter dem Titel Was arbeiten Sie? (RM, W, 7, 939-942). Im Berliner Tageblatt erschien im  Februar 1925 eine kritische Würdigung, die Fontana als Exponenten der jungen „Generation der Sentimentalischen“ zuordnet, dessen einfache Fabeln und „banale Romantypen“ (mit Bezug auf Erweckung und Insel Elephantine) zwar nicht mit den weitaus originelleren Stücken und Texten der Zeit – genannt werden „Unruh, Toller vielleicht, Brecht – und seltsamer Weise – Bronnen“ – Schritt halten könnten, aber doch „ein anderes Bedeutsames“ aufzeigten:

[…] eine objektivierte Breitensicht. Fontana löst nicht ein Problem von dem oder jenem Standpunkte, er sieht ein Problem und zwar von allen Seiten. Dichtung ist ihm nicht ein Stück Welt durch ein Temperament gesehen, sondern ein Stück Welt vom geschulten Denkpsychologen beobachtet.1

Im ersten Halbjahr 1926 des Tage-Buch finden sich schon neun kürzere Buchbesprechungen, darunter zu Albert Ehrenstein, Felix Braun, Paul Zech und zu Arthur Schnitzlers Traumnovelle; im zweiten Halbjahr 1926 schließlich nicht weniger als 34 (!) in der Rubrik ›Tisch mit Büchern‹, die Neuerscheinungen wie Vicki Baums Feme, Johannes R. Bechers Maschinenrhythmen, Jakob Haringers Kind im grauen Haar ebenso in den Blick nahmen wie James Joyces Jugendbildnis, Marcel Prousts Tage der Freuden oder Miguel de Unamunos Nebel und damit Fontanas breitgefächerte Interessenslagen und seine kritische Kompetenz eindrucksvoll unter Beweis stellen.

In der AZ erscheint im Mai 1926 auch eine Besprechung von Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin. Fontana, der sich darin vorwiegend auf eine prägnante Zusammenfassung einer Schlüsselszene, der der Umzingelung des Panzerkreuzers durch die zaristische Schwarzmeerflotte und der überraschenden kampflosen Auflösung dieser Situation konzentriert, spricht, wenn auch nur sehr knapp, das filmästhetische  als zugleich gesellschaftliche Verdienst dieses Filmes an, wenn er schreibt:

„…Kein größeres Epos hat unsere Zeit geschaffen als diesen Film der Masse und des Massenwillens.“  (AZ, 22.5.1926). Im Dezember desselben Jahres zeigt ein Bericht an, dass Fontana auch im Arbeiterkalender 1927 vertreten sein wird (AZ, 19.12.1926, 21)

Die wichtige und freundschaftliche Beziehung zu Musil, die freilich um 1928-29 spürbar eingetrübt war, kam Anfang der 1930er Jahre wieder in Gang. Im Besonderen spiegelt sie sich darin, dass Musil im Dezember 1932 Fontana als einen der ersten vom Erscheinen des MOE in Kenntnis setzte und dieser den Roman prompt Ende Jänner 1933 im Wiener Tag (WT) besprach (RM,B,1,560). Dem WT gehörte Fontana inzwischen seit Ende der 1920er Jahre als Mitarbeiter an; 1933 rückte er nach dem Ausscheiden von Alfred Polgar in die erste Riege der WT-Kritiker, wobei er durchaus brisante Feuilletons über das Verhalten deutscher Intellektueller sowie der Presse anlässlich der erzwungenen Entfernung von Heinrich Mann als Präsident der Preußischen Akademie der Künste positionieren, den Nationalsozialismus und den ihn begleitenden Opportunismus darin als ‚heranflutende Seuchenwelle‘ denunzieren  konnte:

Stillgestanden! Das verbreitet sich wie die Grippe. Einer hustet und schon husten sie alle. Einer steht stramm und schon stehen alle stramm […] wie rasch, wie verhängnisvoll verbreiten sich auch die Gedanken-Infektionen Wir haben sie ein paar Mal in den letzten Jahren erlebt […] Aber was waren das für harmlose Kinderkrankheiten des Intellekts gegen die Seuchenwelle, die sich jetzt anschickt, uns zu überfluten und auf Jahre hinaus bei uns zu hausen. Schon breitet sich die Infektion aus. Unheimlich. […] Die Krankheit schleicht nicht mehr, sie galoppiert. (T,19.3.1933/ AR, 74f.)

4. Der Roman Gefangene der Erde
Inserat in der Oesterreichischen Buchhändler-Korrespondenz, 6.4.1928, S. 3

1928 erschien im Berliner Knaur Verlag nicht nur das wichtigste Prosawerk Fontanas, sondern auch einer der stärksten, literaturgeschichtlich freilich verkannten und kaum wahrgenommenen Romantexte jener Zeit: Gefangene der Erde. Der in fünf Abschnitte gegliederte und mit Zwischentiteln versehene Roman (Winzerin/Der Kampf/Acker ohne Frucht/ Mala Vita/ Pietà) erstreckt sich zeitlich gesehen aus einer nicht näher definierten Vorkriegszeit, den Ersten Weltkrieg hindurch bis in die unmittelbaren Nachkriegsjahre einschließlich ihrer Wirren in Wien, Ungarn und in Bayern. Die Hauptfigur Stana, eine in Süddalmatien herangewachsene junge Frau, zeichnet sich von Anbeginn durch eine ungewöhnliche Selbstbewusstheit– „ich brauche keine Männer“ (GE, 10) – aber auch durch überbordende Sinnlichkeit aus sowie durch strategisches Geschick, ihr Schicksal und ihre soziale Karriere in die Hand zu nehmen und weitgehend selbst zu bestimmen. Und doch laufen ihr zunächst einige Männer über den Weg, die ihre frühe Laufbahn, ihre Haltungen wesentlich mitformen: Josef, ein Sänger, der sie am Winzerfest verführt und diesen Akt als Beginn seiner eigenen Karriere – „Ich gehe jetzt in die Stadt und werde ein großer Sänger“ (GE,22) feiert, ein junger österreichischer Leutnant, zu dem Stana zieht und der „ihr den Ton der Welt [gab], [] sie zur Dame [machte]“ (GE, 31), bevor diese Beziehung in Misstrauen, Eifersucht und eine Flucht Stanas aus ihr kippt; schließlich Imer Bej, Doktor und weltgewandter Spekulant, der Stana nach Wien bringt und in die ‚große‘ Gesellschaft einführt (GE,51f.). Es ist dies die mondäne Gesellschaft der letzten Vorkriegsjahre, in der die verschiedensten „Kanäle des Lasters“ (GE, 62) experimentiert werden: geschlechterübergreifende Beziehungen wie jene zwischen der gefeierten Schauspielerin Bettina Kantz und Stana, aber auch der Hochbetrieb der Prostitution auf allen gesellschaftlichen Ebenen, einschließlich der Hocharistokratie. Alle werben um Stana, Artisten, Geistliche, Hypnotiseure, Prinzen und Spekulanten:

Als ein urweltlicher Berg ragte Stana in die Wüste des Jahrhunderts. Un es kamen die Feuer und Wasser und Stürme und Fröste der Zivilisation und trafen sie, zerrissen, zernagten die obersten Zinken. Sand rieselte nieder. Millionen freigeborener Menschen wandeln sich jährlich so zu Morast. (GE, 85)

In diese schwüle, aufgeladene Atmosphäre, die Fontana mit knappen geopolitischen und ökonomischen Signalen unterfüttert, z.B. über den „Appetit“, den die Balkankriege beim Industriekapital entfacht hätten (GW, 130) tritt der Krieg:

Wie einer, der lange gehungert, begann der Krieg zu fressen, alles, was er vorfand, Menschen und Länder. Nichts blieb, wie es gewesen war. Zuerst geschah die Veränderung langsam, dann in ungeheuerlicher Schnelligkeit. Wenige waren, die gleich am Anfang merkten, daß die Menschen nie wieder so leben würden wie vor dem August 1914. (GE, 127)

Abb. 5: Cover Gefangene der Erde

Fritz Rosenfeld zeigte sich beeindruckt, wie Fontana den „moralischen Verfall der bürgerlichen Gesellschaft“ zu zeichnen imstande sei: „…die Gegensätze und Reibungen der Klassen werden hier mit unheimlicher Kraft lebendig gemacht.“ (AZ, 7.4.1928)

Fontana führt dieses Hineinfressen des Krieges an verschiedenen Figuren vor, z.B. am feinfühligen und selbstbezüglichen Intellektuellen Albert Einäugler, an Josef, dem Verführer und Vater des gleich nach der Geburt weggegebenen Kindes, und natürlich an Stana. Letztere erblickt darin auch eine Fluchtmöglichkeit aus ihrem bisherigen Leben. Nun wollte „sie den Krieg erleben, ganz nahe […] Sie wollte Kampffliegerin sein“, (GE, 149) – ein ungewöhnlicher Wunsch, den Imer jedoch zu erfüllen weiß. Dekoriert und zum Major befördert bewährt sie sich in Luftkämpfen am Kriegsschauplatz der Dardanellen. Josef hingegen verschlägt es an die Dolomitenfront, wo er im Zuge eines Sprengeinsatzes schwer verletzt wird und traumatisiert aufwacht:

…Als sie später die Binden von ihm taten und er ermattet ins Bett zurücksank, griff er, die Wunde zu suchen, und fand nicht mehr sein Geschlecht. Er schlug rücklings in die Polster in schwarze Ohnmacht. (GE, 156)

Mit dem nahenden Ende des Krieges staut sich der Hass in Josef, die Qual in Albert, der von Stana trotz heftigen Werbens nicht erhört wird und die Unzufriedenheit in Stana selbst, die unerwartet mir ihrer einstigen Mutterschaft konfrontiert wird und sich auf die Suche nach ihren verlorenen Sohn – „…und plötzlich ist es da, das Kind, an das sie Jahre nicht gedacht, das sie vergessen…“ (GE, 189) – aufmacht. Erste Informationen erhält sie vom alten Tierarzt aus ihrer dalmatinischen Kindheit, den es zu Kriegsende auch nach Wien verschlagen hat, – keine beruhigenden, sei doch an diesem Sohn „etwas Störrisches […] etwas maßlos Begehrendes“ (GE, 211) gewesen, das ihn oft in Schwierigkeiten gebracht hätte. Ihre Suche führt sie in jene Seiten Wiens, die sie bisher gemieden, nicht gekannt hatte, in dunkle Straßen, Wirtshäuser und zu den Bahnhöfen, „unter all die Schlachtopfer der Großstadt“ (GE, 230), die sich in den ersten Jahren nach 1918 mit irritierend neuen und zugleich auch menschlich berührenden Seiten präsentiert. Und diese Suche verändert Stana völlig: sie riskiert eine Verhaftung, lässt sich auf vage Versprechungen zwielichtiger Gestalten ein, von denen eine unerkannt und unter falschem Namen sogar ihr Sohn selbst ist, weist die Aufforderung ihres Gatten Imer zurück, der sie bittet, nach Paris zu kommen, wo er sich Geschäfte halber eingerichtet hat, – sie wird, so Imers Reaktion, „ein Muttertier“ (GE, 258).

Rund um sie brechen Beziehungen und Existenzen zusammen, auch Josef, der Vergewaltiger, Vater ihres Kindes, nachmaliger Zuhälter und Kriegskrüppel findet nach einem Einbruchsversuch ein gewaltsames Ende in einer Dachkammer eines ebenfalls überflüssig gewordenen alternden Jockeys:

Nach vierzehn Tagen mußte man sie aufsprengen, so arg war der Geruch, der aus ihr drang. Nebeneinander an der kahlen Wand hingen Josef und der Jockey und wiesen den Eindringenden die blauen Zungen. Nicht sicher war es mehr festzustellen, ob sie beide zur selben Zeit oder der eine früher, der andere später sich aufgeknüpft. (GE, 264)

Nicht viel besser ergeht es Albert, der nach mehreren Abweisungen durch Stana beschließt, dem „Ruf der Räteregierung“ (wohl in Bayern) zu folgen und in der Volksaufklärung tätig zu werden, diese aber gründlich miss zu verstehen und klammheimlich jesuitische Exerzitien zu betreiben, woraufhin er denunziert und des Amtes enthoben wird und wieder „stand er als Flüchtling auf der Straße“ (GE,270), um bald darauf auf seinem ziellosen Umherirren verhaftet und brutal exekutiert zu werden.

Auch Stana reiht sich am Ende unter die Irrenden, findet ihren Sohn (Gallen/Willy), doch dieser, völlig verwahrlost durch Alkoholexzesse, scheint ihr just im Moment des Sich Wiederfindens zu entgleiten, dahinzusterben, eine Pietà – „Den Sohn hielt sie im Arm, den ewig gemarterten Menschensohn, sie die ewig irrende Menschenmutter“ (GE, 315) – um dieses wiedergefundene Glück mit ihrem eigenen Leben abzutauschen.

5. Im Schatten des Austrofaschismus

Auf dem XI. Internationalen Kongress des P.E.N. in Ragusa/Dubrovnik zählte Fontana zu den Unterzeichnern der Protestnote „gegen die geistige Unterdrückung des Individuums“ im sog. ‚neuen‘ Deutschland und zwar gerade auch „im Namen der deutschen Freiheit“, was zum Verlassen mehrerer deutschnational gesinnter Kollegen wie Hans Heinz Ortner oder Grete v. Urbanitzky führte . (Amann, 34) Im Verein mit seinen engagierten Beiträgen gegen die NS-Gleichschaltungen im Literatur- und Kulturbetrieb bei gleichzeitigem Rückzug aus der sozialdemokratischen publizistischen Landschaft seit Beginn der 1930er Jahre sowie seiner Stellung in der Zeitung Der Tag wurde er somit auch für die ständestaatliche, vaterländische Kulturpolitik interessant, zumal er, insbesondere 1933-34 Österreich als Gegenpol zu NS-Deutschland zu positionieren suchte. In einem Rückblick auf das abgelaufene Theaterjahr tritt er im Juli 1934 u.a. dezidiert für Autoren ein, die in Deutschland nicht mehr gespielt werden dürfen und rühmt deren Aufführung im Burgtheater: R. Beer-Hofmann mit seinem David-Drama und Carl Zuckmayer mit Der Schelm von Bergen (AM, 77). Seine Berührungen mit dem Austrofaschismus und seiner Literaturpolitik hielten sich allerdings in Grenzen: er war weder einer der Staatspreisträger noch arbeitete er in den Flaggschiffen der Ständestaatspublizistik wie z.B. im Christlichen Ständestaat oder in Die Schönere Zukunft mit. Neben dem Tag lassen sich einige wenige Beiträge in der RAVAG-Zeitschrift Radio Wien finden wie z.B. 1935 einer anlässlich des 50. Geburtstages von Franz Th. Csokor oder Einleitungen zu Lesungen u.a. zu Max Brod oder Friedrich Torberg sowie die regelmäßige Präsenz in der Radiorubrik Die Bücherstunde. Vorwiegend verbrachte er die erste Phase des Ständestaates, d.h. 1934-36 damit, einen neuen Roman, bezeichnenderweise einen Berg-Roman, zu verfassen, nämlich Weg durch den Berg. Dieser handelt vom St. Gotthard-Tunnel und stieß trotz der ungebrochenen Prominenz des Autors nur auf schwache Resonanz, z.B. in der Wochenzeitung Das interessante Blatt. Nichtsdestotrotz hat Fontana in diesen Jahren zu den vielen bestehenden weitere Beziehungen geknüpft, wie z.B. zu Rudolf Henz, die nach 1945, im Zuge der Neubesetzung und Neuaufteilung der kulturell-künstlerisch-medialen Institutionen von Bedeutung werden sollten. Seit 1935 standen seine Werke auf der ersten ›Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums der Reichsschrifttumskammer‹ (AR, 80).

6. Innere Emigration statt Exil

Vor dem Hintergrund seiner NS-kritischen Einstellung, seiner Qualifikation als „Mischling zweiten Grades“ gemäß der NS-Rassengesetzgebung und dem Verbot seiner Werke im Deutschen Reich verwundert es, dass Fontana 1938-39 nicht den Gang ins Exil angetreten hat, wie zahlreiche Weggefährten es sich auch erwartet haben. Hingegen hat er noch 1938 um Aufnahme in den ›Reichsverband der deutschen Presse‹, zuständig für journalistische Tätigkeiten, angesucht. Dieses Ansuchen dürfte zunächst abschlägig beschieden worden sein, doch gelang es Fontana, vermutlich mit Deckung durch Milan Dubrovic, unter einem Pseudonym einige Beiträge für das Neue Wiener Tagblatt zu verfassen und 1939 eine Ausnahmegenehmigung zu erlangen, wofür sich vermutlich Gerhard Aichinger, Leiter des ›Deutschen Nachrichtenbüros‹ in Wien, eingesetzt hatte (AR, 83). Seine Mitarbeit als Theaterkritiker der Kölnischen Zeitung 1940-1944 stützt diese Annahme. Der Preis, den Fontana zu entrichten hatte, war freilich hoch und von nachhaltigem Schatten: Kollaboration, insbesondere in Form von Mitarbeit an der Erzeugung von Propagandaliteratur der ›Organisation Todt‹, der zwar quantitativ sporadischen, aber in der Diktion durchaus angepassten Mitarbeit an der Propagandazeitschrift Das Reich, sowie im Umfeld der ›kulturellen‹ Projekte Baldur v. Schirachs, insbesondere der Grillparzer-Woche vom Jänner 1941 sowie der Hebbel-Woche im Juni 1942, wenngleich es ihm dabei auch darum gegangen sei, das Wienerische als relativ eigenständigen und besonderen Beitrag zur (gesamt)deutschen Kultur zu markieren (KU-EB, 41/AR,94f.).2 Zugleich hat Fontana bis 1939-40 mit mehreren ins Exil geflüchteten Freunden und Kollegen Kontakt zu halten versucht, z.B. mit Felix Braun, Clara K. Pollaczek, Friedrich Adler u.a. und diese 1945-46, unmittelbar nach Aufnahme des Postverkehrs mit den USA, Großbritannien oder südamerikanischen Staaten erneuert. Aufgrund seiner rasch wiedererlangten Stellung im Wiener Kulturbetrieb verkörperte er für manche dabei die Hoffnung auf mögliche Remigration, eine Erwartungshaltung, die er allerdings nicht einzulösen im Stande war oder schlicht nicht einlösen wollte, wie z.B. der Briefwechsel mit Paul Engel/Diego Viga dokumentiert. Im Oktober bzw. November 1944 endete Fontanas Mitwirkungen an der Kölnischen Zeitung bzw. am Neuen Wiener Tagblatt; Fontana wartete die letzten Kriegsmonate ohne sich weiter zu exponieren ab, um bereits im April 1945 wieder in der ersten Reihe des publizistisch-kulturellen Wiederaufbaus zu stehen: als Leiter des Kulturressorts der anfangs maßgeblich von dem aus dem Moskauer Exil zurückgekehrten Ernst Fischer als erstem Chefredakteur mitbegründeten Zeitschrift Neues Österreich sowie als Chefredakteur der von der US-Presseabteilung geförderten und gut bezahlten neuen Tageszeitung Wiener Kurier ab Ende August 1945. Gerade diese Stelle musste er aber schon nach wenigen Monaten aufgeben, als im Zuge seiner Besprechung der Nathan-Aufführung im Burgtheater im Dezember 1945 die dabei getätigte Kritik an dessen Regisseur Lothar Müthel, der 1943 für eine rassistisch grundierte Kaufmann von Venedig-Aufführung verantwortlich war, die wiederum Fontana in der Kölnischen Zeitung gelobt hatte (AR,130). Diese, auch in anderen Beiträgen Fontanas an den Tag gelegte antifaschistische Haltung stieß bei mehreren Mitarbeitern des Wiener Büros des US ›Office of War Information‹ auf Skepsis und eine Untersuchung sowie Differenzen über die Blatt-Ausrichtung führten dazu, dass Fontana im Februar 1946 abgelöst wurde. Zwar gelang es ihm bald danach die Chefredaktion der von der französischen Militärverwaltung eingerichteten Welt am Abend zu erhalten, wo er neben Leitartikel und Kolumnen wieder vorwiegend kulturpolitische Beiträge verfasste, doch auch diese Anstellung endete mit März 1948. Von diesem Zeitpunkt an war Fontana auf freie Mitarbeiterschaften bei verschiedenen Zeitungen und kulturellen Einrichtungen, z.B. der Büchergilde Gutenberg, angewiesen. Dabei konnte bzw. musste er, der sich in der Zwischenkriegszeit bis 1933-34 dezidiert links positioniert hatte, den David J. Bach anlässlich der Buchveröffentlichung von Triumph der Freude 1919 als einen „unserer besten Schriftsteller“ gerühmt hatte (AZ, 11.9.1919,S.6) , paradoxerweise ab Ende der 1940er Jahre stärker auf seine Kontakte zum katholisch-konservativen Lager zurückgreifen, auf jene im Umfeld von Rudolf Henz z.B., dessen Erzählung Der Büßer (1950) er in der Stiasny-Ausgabe von 1957 mit einem breit angelegten Porträt einleitete. Immerhin sprach er sich, auch in der Zeitschrift FORUM, gegen die von Friedrich Torberg und Hans Weigel betriebene Anti-Brecht-Kampagne Mitte-Ende der 1950er Jahre aus, öffnete sich der aufstrebenden jungen Generation von Autorinnen und Autoren und wurde von Ernst Molden und Milan Dubrovic seit 1951 als ständiger Theaterkritiker der Tageszeitung Die Presse bis 1959 beschäftigt. Die literarische Arbeit, die in den 1920er Jahren die kritische stets begleitet hatte, trat freilich in den Hintergrund: Fontana konnte nicht mehr an seine durchaus eigenständig-eigenwillige Prosa anknüpfen und konzentrierte sich immer mehr darauf, das eigene Frühwerk durch z.T. kaum geglückte, geringfügige Bearbeitungen unter neuen Titeln nochmals aufzulegen und zu vermarkten.


Abbildungsverzeichnis
  • Abb. 1: Cover Der Strom, Nr. 12/1912; mit freundlicher Genehmigung durch das LH Wien
  • Abb. 2: Cover der Anthologie Die Botschaft; Privatbesitz Kucher
  • Abb. 3: Cover Erweckung
  • Abb. 4: Buchanzeige Marc/Milchbrüder
  • Abb. 5: Cover Gefangene der Erde
  • Abb. 6: Inserat in der Oesterreichischen Buchhändler-Korrespondenz, 6.4.1928, S. 3.
Ergänzende Bibliographie O.M. Fontana

Das Märchen der Stille. (Dr., Berlin 1910); Triumph der Freude. Ein Freiheitsspiel. (Schsp. Wien 1920); Der Tribun auf der Flucht. (Nov. Hamburg 1921); Der Garten Immergrün. Deutsche Volkslieder (Hg. Wien 1922); Hiob, der Verschwender (Komödie, Leipzig 1925); Beton am Atlantik (Erz., Potsdam 1941; Sie suchten den Hafen. Drei Erzählungen (Wien 1946); Wiener Schauspieler von Mitterwurzer bis Maria Eis (Wien 1948); Der Atem des Feuers. Roman der Gas-Energie (Wien 1954); Albin Skoda. Genius zwischen Licht und Schatten (Wien-Basel 1962)

Siglenverzeichnis
  • A.R.: Alexandra Reininghaus: Oskar Maurus Fontana. Wiener Feuilleton im Wechsel der österreichischen Geschichte. Wien: Passagen Verlag 2008.
  • AAW: Armin A. Wallas: Zeitschriften des Expressionismus und Aktivismus in Österreich. In: Ders.: Österreichische Literatur-, Kultur- und Theaterzeitschriften im Umfeld von Expressionismus, Aktivismus und Zionismus. Hg. von A. M. Lauritsch. Wuppertal: Arco 2008, S. 9-59.
  • E: O.M. Fontana: Erweckung. Roman. Leipzig: K. Wolff 1919
  • GE: O.M. Fontana: Gefangene der Erde. Berlin: Knaur 1928
  • Hall, 1997: Murray Hall: Robert Musil und der Schutzverband deutscher Schriftsteller in Österreich. (= http://www.murrayhall.com/content/articles/SDS1.pdf)
  • KU-EB: Primus-Heinz Kucher: Zur Vielfalt und Spezifik Erster Briefe des österreichischen Exils. Kontaktaufnahmen von Exilanten (Angel, Bernfeld, Engel, Kramer, Polak, Zur Mühlen) zu literarischen Netzwerkern und Freunden (Basil, Dubrovic, Fontana, Matejka). In: Ders., Johannes F. Evelein, Helga Schreckenberger (Hgg.): Erste Briefe/First Letters aus dem Exil 1945-1950. (Un)mögliche Gespräche. Fallbeispiele des literarischen und künstlerischen Exils. München ed. text+kritik 2011, S. 32-62.
  • MKS II: Robert Müller. Kritische Schriften. II Mit einem Anhang hg. von Ernst Fischer. Paderborn: Igel Verlag 1995.
  • OMF 1965: Oskar Maurus Fontana: Expressionismus in Wien. Erinnerungen. In: Paul Raabe (Hg.): Expressionismus. Aufzeichnung und Erinnerungen der Zeitgenossen. Olten-Freiburg: Walter-Verlag 1965, S. 186-191.
  • RM, B: Robert Musil: Briefe. Hg. von Adolf Frisé. Reinbek: Rowohlt 1981.
  • RM,TB: Robert Musil: Tagebücher. Hg. von Adolf Frisé. Reinbek: Rowohlt 1976.
  • RM,W: Robert Musil: Gesammelte Werke in neun Bänden. Hg. von Adolf Frisé. Reinbek: Rowohl 21981.
  • WMZ: Wiener Montagszeitung
  • ZsExpr.: Zeitschriften und Anthologien des Expressionismus in Österreich. Analytische Biographie und Register. Hg. von Armin A. Wallas, Bd.1, 2; München-New Providence u.a.: K.G. Saur 1995.
Weitere Forschungsliteratur
  • Klaus Amann: P.E.N. Politik. Emigration. Nationalsozialismus. Ein österreichischer Schriftstellerclub. Graz-Wien-Köln: Böhlau 1984.
  • Evelyne Polt-Heinzl: Österreichische Literatur zwischen den Kriegen. Plädoyer für eine Kanonrevision. Wien: Sonderzahl 2012.
  • Wolfgang Greisenegger: Das Theaterleben nach 1945. In: Friedbert Aspetsberger, Norbert Frei, Hubert Lengauer (Hgg.): Literatur der Nachkriegszeit und der fünfziger Jahre in Österreich. Wien: ÖBV 1984, S. 223-240.

  1. F.O. Hallener: Oskar Maurus Fontana. In: Berliner Tageblatt, 22.2. 1925, 5. Beiblatt.
  2. Vgl. dazu auch die diesen Ansatz relativierenden Untersuchungen von Evelyne Schreiner: Nationalsozialistische Kulturpolitik in Wien 1938-1945 unter spezieller Berücksichtigung der Theaterszene. Diss. Wien 1980 (maschinsschr.) und Gerhard Renner: Österreichische Schriftsteller und der Nationalsozialismus (1933-1940). Der Bund deutscher Schriftsteller Österreichs und der Aufbau der Reichsschrifttumskammer in der ‚Ostmark‘. = Archiv Geschichte des Buchwesens, Bd. 27, 195-303; beides zustimmend zit. bei Klaus Amann: Die Dichter und die Politik. Essays zur österreichischen Literatur nach 1918. Wien: Falter 1992, S. 27.