Proletarisch-revolutionäre Literatur in Österreich 1918-1934

So viel Anklang die Rote Garde in Schriftstellerkreisen im November 1918 erfuhr, so langsam entwickelte sich eine der kommunistischen Bewegung nahestehende Literaturbewegung in der Ersten Republik. Im Schatten der sozialdemokratischen Presse bot das KPÖ-Zentralorgan Die Rote Fahne einer Reihe proletarischer AutorInnen im Feuilleton Raum, sie schlossen sich 1930 im Bund der proletarisch-revolutionären Schriftsteller zusammen. Trotz Kontakte innerhalb der Kommunistischen Internationale blieben ihre Möglichkeiten beschränkt, nur vereinzelt gelang die Realisierung von Buchprojekten. Erst Anfang der 1930er Jahre gewann die Bewegung an Stärke, 1933 gelang die Veröffentlichung längerer Erzählungen und von Fortsetzungsromanen in den Parteiorganen. Doch das Parteiverbot im Mai 1933 setzte den Bestrebungen ein jähes Ende, in der Illegalität ließ die politische Agitation der Literatur keinen Raum mehr.

Von Martin Erian | November 2016

Inhaltsverzeichnis

  1. Die Literatur, der Kommunismus und das Kriegsende in Wien 1918/19
  2. Arbeiterkorrespondenten und proletarisch-revolutionäre Schriftsteller: Zur Organisation einer Bewegung
  3. Zum Problem der Reichweite und Internationalisierung
  4. Lili Körber: Literarische Überschreitungen ideologischer Grenzlinien
  5. „Euer Sänger“ – „Der rote Bäck“ als schriftstellerische Leitfigur
  6. Österreichische proletarisch-revolutionäre Prosa der letzten Monate

1. Die Literatur, der Kommunismus und das Kriegsende in Wien 1918/19

Lenins Aufsatz Parteiorganisation und Parteiliteratur aus dem Jahr 1905 erschien in deutscher Übersetzung erstmals auf Wiener Boden, nämlich 1924 in der Zeitschrift Arbeiter-Literatur. In diesem gewichtigen Zeugnis früher kommunistischer Literaturpolitik findet sich die Forderung, Literatur müsse als Teil der „allgemeinen proletarischen Sache“ vom „lebendigen Hauch der proletarischen Arbeit“ (LEN 1924, 99) gekennzeichnet sein, wie sie im Laufe der Zwanzigerjahre ideologisch einschlägige Schriftstellervereinigungen zusehends umsetzen sollten. So hielt Johannes R. Becher als maßgeblicher Literaturfunktionär der kommunistischen Bewegung im deutschsprachigen Raum und Gründer des Bundes der proletarisch-revolutionären Schriftsteller Deutschlands (BPRS) 1928 programmatisch fest:

Junge proletarische Schriftsteller brauchen wir, die sich frei halten von allen Formspielereien und Formdilletantismen, die immun sind gegen die ideologische Verschwommenheiten und gegen Exaltiertheit des Gefühls und des Gedankens. […] Gerade die Haupteigenschaft des proletarisch-revolutionären Schriftstellers ist die Bescheidenheit, das Wissen darum, daß er nichts weiter ist als ein Organisator der Erfahrungen anderer. Der proletarisch-revolutionäre Schriftsteller lebt sich nicht selbst, er steht im Dienst seiner Klasse und damit im Dienste der Menschheit. (JB 1928, 113)

In der Ersten Republik blieb die proletarisch-revolutionäre Literaturbewegung auf einen kleinen Kreis jener „Organisatoren der Erfahrungen anderer“ mit überschaubarer Strahlkraft beschränkt – auch weil jene subversiven Kräfte intellektueller Kreise, die in 1918/19 mit der kommunistischen Bewegung sympathisierten, nicht zu ihren Eckpfeilern werden sollten. Dabei hatten sich bereits vor und insbesondere während des Ersten Weltkriegs in Wien in Opposition zur Führung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei linke Gruppierungen mit Proponenten wie Max Adler, Robert Danneberg oder Therese Schlesinger gebildet, die etwa im Verein Karl Marx um Friedrich Adler oder im sogenannten Aktionskomitee der „Linksradikalen“ um Franz Koritschoner und Leo Rothziegel zusammenfanden. Letzteres war als Teil des Ende 1917 im Gefolge der russischen Oktoberrevolution geschaffenen Arbeiter- und Soldatenrats hauptverantwortlich für den Jännerstreik 1918, dem wenig später der Matrosenaufstand von Cattaro folgen sollte. Nach vier Jahren Weltkrieg ohne Aussicht auf Erfolg hatte auch die zerrissene Habsburgermonarchie sozialistisches, mitunter linksradikales Gedankengut erfasst. Dies sollte sich im stürmischen ersten Jahr der jungen Republik noch einmal verstärken: Ende Oktober 1918 wurde die Rote Garde um Rothziegel ins Leben gerufen, der unter anderem Egon Erwin Kisch und Elfriede Eisler-Friedländer angehörten – und die in den, so Julius Deutsch, 1918/19 Unterstaatssekretär im Staatsamt für Heereswesen sowie späterer Gründer des Republikanischen Schutzbundes, Tagen des „revolutionären Kleinkrieges“ (JD 1921, S. 47ff) wiederholt für Aufsehen sorgte, publizistisch wie auch im Straßenkampf. Bei der Ausrufung der Republik am 12. November 1918 zerschnitten Aktivisten die vorbereitete rot-weiß-rote Fahne und ließen einen roten Fetzen vor dem Parlament an der Ringstraße aufziehen.

Abb. 1: E. E. Kisch: Die Rote Garde. In: Die Rote Fahne, 11.11.1928, S. 7f.

Aus diesen Tagen berichtete Leo Lania in seiner Autobiographie Today We Are Brothers. Selbst das Café Central hätte die neue, alles überstrahlende politische Kultur – kurzzeitig – erfasst: „Wo Peter Altenberg einst Liebe predigte und Alfred Loos die neue Architektur, dort diskutierten Radikale nun proletarische Kunst und die Manifeste der Komintern.“ (LL 1942, 139, übersetzt) Albert Paris Gütersloh und Franz Blei gaben zwischen 1918 und 1920 die Zeitschrift Die Rettung. Blätter zur Erkenntnis der Zeit mit dem Untertitel Es lebe der Kommunismus und die katholische Kirche! (AW 1995, 63f) heraus, auch Franz Werfel und Robert Neumann bewegten sich im Umfeld der Roten Garde. Als organisatorische Leitfiguren der kommunistischen Vereinigungen – ein Zusammenschluss erfolgte erst Mitte 1919 –  gingen aber unter anderem Hilde und Johannes Wertheim für die Föderation Revolutionärer Sozialisten „Internationale“, die mit Der freie Arbeiter eine eigene Zeitschrift besaß, deren Feuilleton Egon Erwin Kisch redigierte, Karl Tomann sowie das Ehepaar Elfriede und Paul Friedländer für die KPÖ voran, auch mit der Unterstützung ehemaliger Sozialdemokraten. So trat 1919 der frühere AZ-Journalist Josef Strasser der KPÖ bei und sollte über lange Jahre das Parteiblatt Die Rote Fahne mitprägen. In den Revolutionstagen galt er Lania als „der einzige professionelle Revolutionär in einer Gruppe von Amateuren“ (LL 1942, 141, übersetzt). Doch anders als in München und Budapest blieb der kommunistische Umsturz aus, die KPÖ verlor rasch wieder ihre namhaftesten Unterstützer. Egon Erwin Kisch wechselte, finanziell unter Bedrängnis, zu der von Benno Karpeles neugründeten Zeitung Der neue Tag; Lania und Friedländer übersiedelten wie andere wenig später nach Berlin. In Wien sollten indessen die ins Exil gedrängten Gefolgsleute des in Ungarn gestürzten Béla Kun in der Folge die geistige Elite der Linke bilden, etwa Georg Lukács, Béla Illés, Andor Gábor und Aladár Komját, sodass neben ihnen die zarten Ansätze einer proletarisch-revolutionären Literatur in Österreich in den frühen Zwanzigern dem Vergessen preisgegeben scheinen.

2. Arbeiterkorrespondenten und proletarisch-revolutionäre Schriftsteller: Zur Organisation einer Bewegung

Politisch blieben die Kommunisten im Österreich der Zwanzigerjahre im Gegensatz zur Weimarer Republik, in der die KPD zur Großpartei aufsteigen konnte, eine Randnotiz. Nichtdestotrotz positionierte sich Wien als ein wesentlicher Knotenpunkt der kommunistischen Internationale (vgl. KIÖ 2009, 124ff), auch publizistischer Natur. In engem Kontakt mit dem Moskauer Lenin-Institut führte Johannes Wertheim mehrere Verlage, unter anderem den Verlag für Literatur und Politik, in dem die Werke Lenins erstmals in deutscher Sprache erschienen, ferner den Agis-Verlag (GW 1996) und fungierte zudem 1924/25 als Redakteur der Internationalen Presse-Korrespondenz (Inprekorr). Und auch der Berliner Malik-Verlag, gegründet von Wieland Herzfelde und John Heartfield, besaß in Zeiten repressiver Maßnahmen gegenüber der kommunistischen Bewegung in Deutschland 1924/25 eine Wiener Zweigstelle, die insgesamt zehn Titel veröffentlichte, darunter Lanias den Waffenschmuggel in der Weimarer Republik thematisierende Romanreportage Gewehre auf Reisen. Die Parteipresse der KPÖ hingegen kämpfte anhaltend ums Überleben. Das Parteiorgan, das seit September 1919 täglich außer montags als Die Rote Fahne erschien, kämpfte bis zum Verbot im Juli 1933 vergeblich um Breitenwirksamkeit und personelle Kontinuität, Moskau und Berlin mussten wiederholt eingreifen, um den wirtschaftlichen Fortbestand zu sichern. Dass sich das Blatt und mit ihm auch sein Feuilleton inhaltlich dem politischen Kampf verschrieben hatte, machten Programmdebatten deutlich, die jedoch vorrangig in Berlin geführt wurden. So schrieb etwa der Arbeiterschriftsteller Karl Grünberg der (Tages-)Literatur „im täglichen Stellungskampf des Klassenkrieges“ die Rolle der wirksamen, weil eingängigeren Ergänzung zur „schwere[n] Artillerie von Leitartikeln, Referaten und Aufklärungsliteratur“ (KG 1929) zu, um breitere Schichten zu erreichen. Dieser Weg wurde durchaus auch in Wien verfolgt, wenn dem schmalen Kulturteil auch Literatur- und Theaterkritik weitgehend fehlten. So speiste sich das Feuilleton der Wiener Roten Fahne aus, so ein Thesenpapier aus dem Jahre 1925, „[r]evolutionäre[n] Romane[n] und Erzählungen, sowie kleinere[n], aktuelle[n], satirische[n] Beiträge[n]“ (RF, 5.7.1925, S. 9). Während die Fortsetzungsromane vorrangig aus der Feder namhafter Autoren wie Upton Sinclair, Fedor Gladkow oder John Reed stammten, erhielten schon früh auch österreichische Arbeiter wie Hans Maier und Peter Schnur die Möglichkeit, Gedichte, Prosaskizzen und kürzere Erzählungen mit überwiegend sozialkritischen Inhalten im Feuilleton unterzubringen.

Abb. 2: N.N. Was wollen die proletarisch-revolutionären Schriftsteller.
In: Die Rote Fahne, 9.2.1930, S. 8

Dies entsprach auch dem Prinzip der aktiven Mitwirkung des Proletariats am Entstehen der Zeitung in Form von Arbeiterkorrespondenzen, das als zentrale Voraussetzung für die Herausbildung auf einer die Arbeiterliteratur aufbauenden proletarisch-revolutionären Literatur galt. Der hierfür in der Weimarer Republik als Paradebeispiel fungierende Hans Marchwitza, der 1930 die Reportage Sturm auf Essen veröffentlichte, skizzierte in der Linkskurve selbst seinen Weg vom Grubenarbeiter zum Arbeiterdichter. Unter dem „Bedürfnis, seine Qual hinauszuschreien“, hatte er begonnen, seine Erlebnisse festzuhalten und weiterzuerzählen. Erste Texte entstanden, später sollten Romane folgen. „Nicht jedem ist es gegeben, sich bis zu einem Dichter oder Feuilletonisten durchzubilden, jeder kann aber ein guter und wertvoller Betriebsreporter werden […].“ (HM 1929, 19f.) In der Wiener Roten Fahne wurden ab Mitte 1924 gezielt Aufrufe zur Mitarbeit publiziert, Erwin Zucker organisierte bis Anfang der Dreißiger die Arbeiterkorrespondenzbewegung. Dabei blieb eine Trennung zwischen proletarischen Berichterstattern und Literaten weitgehend aufrecht, während in Berlin eine Literarisch-dramatische Sektion der Arbeiterkorrespondenten entstand (GM 1988). Zwar wurde Hans Maier, der produktivste Feuilletonist der Roten Fahne, anlässlich seines 50. Geburtstags 1931 für seine Entwicklung vom Arbeiterkorrespondenten zum proletarischen Dichter gefeiert, er trat jedoch nur mit literarischen Texten in Erscheinung. Einzig der Waldviertler Franz Janiczek sollte dem Ideal entsprechen, sowohl als politischer Aktivist, wie auch als engagierter Berichterstatter und Literat zu wirken.

Wesentliche Impulse erhoffte sich die literarische Bewegung im Umfeld der KPÖ durch die Gründung des Bundes der proletarisch-revolutionären Schriftsteller Österreichs (BPRSÖ) im Februar 1930 um Ernst Fabri. Dem war die Einrichtung des Internationalen Büros für revolutionäre Literatur 1926 und im Folgejahr die Durchführung der ersten Konferenz der Internationalen Vereinigung revolutionärer Schriftsteller (IVRS) in Moskau vorausgegangen. Im Oktober 1928 war die Gründung des BPRS in Berlin um Johannes R. Becher erfolgt, der 1929 eine Wiener Ortsgruppe mit sechzehn Mitgliedern umfasste. Anlässlich der Gründung des österreichischen Bundes veröffentlichte Die Rote Fahne eine Grundsatzerklärung, die auf die Arbeiterkorrespondenten abzielte und deutlich an die Ausführung Bechers aus dem Jahr 1928 gemahnte:

Wir sind kein Schriftstellerverein, der Schöngeisterei treibt. Wir verneinen das verlogene Schlagwort von der unpolitischen Literatur, die auch in ihrer scheinbaren Harmlosigkeit den Werktätigen den Blick verschleiert und sie von Klassenpflichten ablenkt. […] [U]nd so sehen wir [in der Arbeiterkorrespondenz, Anm.] die ersten Anfänge einer proletarischen Literatur entstehen, die ihre eigene Form schafft und die klare Sprache der Masse spricht. Der Arbeiterkorrespondent entwickelt sich allmählich zum proletarischen Journalisten und Schriftsteller. Deswegen ist eine gute Arbeiterkorrespondenz viel wichtiger als das ganze mit allen handwerkmäßigen Künsten und Finten vertraute, geschniegelte Literatentum, das die Ideenlosigkeit einer untergehenden Welt durch hohles Wortgeklingel zu verhüllen sucht. (RF, 9.2.1930, S. 8)

Während sich in Berlin u.a. Berta Lask, Erwin Piscator, Anna Seghers und F. C. Weiskopf im BPRS engagierten, kämpfte die österreichische Sektion um Fabri weitgehend vergeblich um künstlerisch etablierte Mitstreiter. Gespräche fanden mit sozialdemokratisch verankerten Intellektuellen wie David Josef Bach, Hugo Sonnenschein, dessen Gedichte 1921 auch in der Roten Fahne erschienen, und Josef Luitpold Stern ebenso wie mit dem Freidenker Anton Hölzl statt. Zur kommunistische Vereinigung wollte sich allerdings keiner der Genannten bekennen (MG 1977, S. 40). Fabri meldete dem Internationalen Büro in einem Brief daher nicht nur die bevorstehende Gründung, sondern auch die zu erwartenden Schwierigkeiten der Vereinigung: die höchst beschränkte Schlagkraft, die sich in Vortragsabenden in Wiener Lokalen sowie Bemühungen um die Spielgruppenbewegung (1931-33 Zs. Der Rote Trommler) erschöpften, und die mangelnde Perspektiven:

Die entscheidenden Verlagsanstalten befinden sich in Deutschland. Die österreichischen proletarisch-revolutionären Schriftsteller besitzen daher nur ganz geringe Möglichkeiten zur Veröffentlichung ihrer Arbeiten; für den Berufsschriftsteller fehlen die materiellen Möglichkeiten. (EF 1930)

Daran sollte der BPRSÖ, der bis zu achtzig Mitglieder zählte, nichts ändern können. Die bereits vor der Gründung angekündigte Herausgabe einer „Sammlung proletarischer-revolutionärer Erzählungen und Gedichte aus dem Leben der Arbeiter in Stadt und Land“ (RF, 29.1.1930, S. 5) scheiterte ebenso wie der Abdruck abgeschlossener Romanprojekte von Peter Schnur und Alexander Vajda (GM 1977, 85-87). Als Vereinsorgan wurde die Berliner Linkskurve in die Statuten aufgenommen, ohne dass die Wiener Vereinsmitglieder dort literarische Texte veröffentlichen konnten. Die Veröffentlichung einer eigenen Zeitschrift gelang erst im August 1932 – Der Durchbruch erlebte allerdings nur eine einzige Ausgabe. Der Schritt ins Exil führender Vertreter brachte den Bund, dem nach Fabri Maurice Oskar Acht und Johannes Wertheim vorstanden, zusehends in Bedrängnis. Das Verbot der KPÖ sowie der Roten Fahne 1933 setzte seinen Bemühungen de facto ein Ende, die formelle Auflösung erfolgte im März 1934.

3. Zu den Problemen von Reichweite und Internationalisierung

Auch die internationale Reichweite der österreichischen Literatur aus dem Umfeld der KPÖ in der Ersten Republik muss als beschränkt gelten. So überrascht es, dass der ab 1921 im Feuilleton der Roten Fahne publizierende Peter Schnur bereits 1923 im Berliner Malik-Verlag neben Oskar Maria Graf in der Reihe Unten und Oben die Erzählsammlung Die Hütte publizieren konnte. Die bedeutende Lenin- und Trotzki-Übersetzerin Frida Rubiner, 1919 Gründungsmitglied der KPD und 1922-1924 Redakteurin in Wien, steuerte das Vorwort bei. Später erinnerte sich Verlagsleiter Herzfelde durchaus schmunzelnd an diese Episode: „Er war von Beruf Seiler. [….] Halb Handwerker, halb Wanderbursche. […] Auch bei uns tauchte er auf und verschwand wieder.“ (WH 1976, 1126) Schnur kehrte nach einem Moskau-Aufenthalt, wo sein Erzählband auch in übersetzter Form veröffentlich wurde, 1928 nach Wien zurück und verfasste weitere Erzählungen. Ein Romanprojekt scheiterte allerdings ebenso wie der neuerliche Auftritt auf der internationalen Literaturbühne. Schnur gehörte auch nicht jener Delegation an, die im November 1930 für den BPRSÖ an der II. Internationalen Konferenz proletarischer und revolutionärer Schriftsteller in Charkow teilnahm. Der Abordnung, die von Fabri angeführt wurde, gehörten Maier, Janiczek und Lili Körber an. Maier verfasste nach seiner Rückkehr euphorische Russlandberichte, Körber blieb in der Sowjetunion und sollte wenig später ihre Arbeit in den Putilow-Werken beginnen.

Doch trotz dieser Kontakte muss der Befund Béla Illés‘, Sekretär der IVRS, wonach die Arbeiter in der Sowjetunion Texte Fabris, Maiers, Janiczeks und Schnurs „viel gründlicher als selbst die österreichischen Leser, die täglich die ‚Rote Fahne‘ lesen“ (RF, 15.11.1931, S. 9) kennen würden, mit einem deutlichen Fragezeichen versehen werden – Nachweise über wiederholte Nachdrucke und Übersetzungen in russischen Periodika konnte bisher nicht erbracht werden. Ähnliches gilt für die Berliner Rote Fahne. Einzig erwähnter Janiczek schaffte es 21-jährig ins Rampenlicht, als er in der Linkskurve einen Reportagenwettbewerb für sich entscheiden konnte, auch wenn der Autor es mit der Textsorte nicht besonders eng genommen hatte:

Die preisgekrönte Reportage „Der 15. Juli in der Etappe“ entspricht nicht allen Punkten dieser Anforderung, sie ist ein indirekter, kein direkter Bericht über den Sturm auf das Wiener Justizministerium. Als solcher, als Widerspiegelung der Wiener Ereignisse im Leben einer österreichischen Provinzstadt aber klar, lebendig und vielgestaltig. (LK 1930)

Abb. 4: Franz Janiczek: Der 15. Juli in der Etappe. In: Die Rote Fahne, 13.7.1930, S. 6

Janiczeks Erzählung berichtet von der Stimmung unter Fabriksarbeitern in einer namenlosen Ortschaft, von deren umliegenden Bergen aus „in weiter Ferne das Häusermeer der Hauptstadt“ zu sehen ist. Die tröpfchenweise eintreffenden Informationen vom Brand des Justizpalasts und den blutigen Straßenschlachten bringen die Proletarier in helle Aufregung, doch die Obrigkeit, verkörpert durch den Meister in der Werkstatt, drückt sie nieder. „Welch‘ unermeßlichenn Schaden die verhetzten Menschen anrichten, […] zünden Häuser an, legen den Verkehr lahm […] morden Polizisten – – Und dieses Gesindel will sich selbst regieren!“ Die Arbeiter halten still – noch. Sie versichern sich: „Es kommt der Tag – da wir uns rächen –“ (FJ 1930).

Mit Blick auf Elias Canetti, Heimito von Doderer und Karl Kraus hat bereits Gerald Stieg auf die – so sein prägnanter Titel – Frucht des Feuers aufmerksam gemacht, doch auch im Feuilleton sollten die Geschehnisse des 15. Juli 1927 zu einem vielfach bearbeiteten Thema werden, an dem sich unter anderem auch Maier, Oskar Pollak und Ernst Fischer versuchten. Janiczeks Text, eine von mehreren literarischen Reaktionen auf den Justizpalastbrand kommunistischer Provenienz, erschien in der Linkskurve, in der Wiener Roten Fahne sowie unter dem Titel Strahlen aus Wien auch in der Berliner Roten Fahne.

Es war ein publizistischer Achtungserfolg eines Autors aus dem Umfeld der KPÖ und suchte letztlich seinesgleichen. Einzig Fabri, der schon vor 1914 schriftstellerisch reüssieren konnte, brachte in der Linkskurve eine kurze Glosse über das Einreiseverbot Ludwig Renns in Österreich unter, Belege von weiteren Abdrucken seiner Texte sowie jener Maiers und Schnurs in maßgeblichen deutschen Blättern fehlen allerdings . Auch in den Reclam-Sammlungen Texte der proletarisch-revolutionären Literatur Deutschlands (Stuttgart 1974) und Wir sind die Rote Garde (Leipzig 1974, zwei Bde.), die zwar neben Janiczeks Justizpalast-Erzählung bereits zuvor in Berlin gedruckte Arbeiten von Maria Leitner, Otto Heller, Hedda Zinner und Hermynia Zur Mühlen wieder zugänglich gemacht haben, fehlen die produktiven Arbeiterdichter der österreichischen Roten Fahne. Eine breitere Öffentlichkeit innerhalb der Bewegung blieb der proletarisch-revolutionären Literatur Österreichs damit verwehrt.

4. Lili Körber: Literarische Überschreitungen ideologischer Grenzlinien

Größere Leserschichten erreichten die proletarisch-revolutionären Schriftsteller vorrangig durch Ausflüge in die Publizistik der Sozialdemokratie. Insgesamt kann bei der proletarisch-revolutionäre Literatur österreichischer Provenienz trotz des Zusammenschlusses im BPRSÖ nicht von einer geschlossenen Gruppe gesprochen werden – etwa mit Verweis auf den Waldviertler Janiczek weder von einem engen Wiener Zirkel noch von der hermetischen Abgrenzung gegenüber der Sozialdemokratie, wovon die publizistischen wie literarischen ‚Überläufer‘ Strasser, Lania oder Josef Frey zeugen.

Laßt, Genossen, euch nicht provozieren,
Nein! Verschmähet die rohe Gewalt!
O, Prolet! Wenn die Heimwehren marschieren,
Zuck‘ die Achseln und gehe spazieren,
Zieh‘ hinaus in den Wiener Wald.
[…]
Und vor allem: hör‘ nicht auf die Parolen,
Die euch Moskau verkündet hat.
Willst du Beulen und Kerker dir holen?
Kommt die Heimwehr – dann zeig‘ ihr die Sohlen,
Sei ein echter Sozialdemokrat. (RF, 17.11.1929)

Als namhaftes Beispiel für die Durchlässigkeit darf auch Lili Körber gelten, die gerade in den Jahren des „ultralinken Kurses“ der KPÖ schriftstellerisch zwischen den ideologischen Linien agierte. In Moskau aufgewachsen, gehörte sie ab 1927 als freie Mitarbeiterin der Arbeiter-Zeitung an und verfasste vorrangig literarische Feuilletons. Einzig Julitage in Oberbayern (AZ, 24.8.1927), ihre Reaktion auf den Justizpalastbrand, orientierte sich konkret an der politischen Gegenwart. Andere Texte speisten sich vorrangig aus ihren positiven Erfahrungen aus Russland, so auch die Erzählung Der rote Mitjka, die im Februar 1928 erschien (UL 1998, S. 63). Körber-Biografin Lemke übersah allerdings, dass Körber mit demselben Text unter dem Titel Liebesstreit um Mitjka am 1. Mai 1928 auch ihr Debüt in der Roten Fahne gab. Im Zentralorgan der KPÖ veröffentlichte Körber in der Folge weitere Arbeiten, neuerlich verarbeitete sie ihre Gedanken zur Entwicklung Russlands, nun deutlich prononcierter jene zu Sowjetrußland. Im Gedicht März, das den Bogen von der Revolution 1848 zum Umbruch 1918 und zur, so der Vorwurf, weiter das Bürgertum schützenden Ersten Republik spannt, schlug sie revolutionäre Töne an (RF, 24.3.1929, S. 8). Im selben Jahr grenzte sie sich auch in aller Deutlichkeit von der Sozialdemokratie ab, mit beißender Ironie veröffentlichte sie einen fingierten Aufruf, dem Militarismus der bürgerlichen Heimwehr möglichst entspannt zuzusehen. Angeprangert wird wie häufig in der Roten Fahne die als Inkonsequenz der Sozialdemokratie gedeutete mangelnde Härte im Umgang mit anderen politischen Strömungen ebenso wie die Scheu des Austromarxismus vor Moskau. Eine knappe Woche später erschien das Gedicht auch in Berlin.

Trotz dieser harschen Kritik und der in der SDAP beargwöhnten Sympathie Körbers für die Sowjetunion kehrte sie 1932 ins Feuilleton der AZ zurück: Ein Auszug ihres Romans aus den Putilow-Werken Eine Frau erlebt den roten Alltag gelangte ebenso zum Abdruck (vgl. LK 1932a) wie das Gedicht Proletarisches Wiegenlied, das vom Elend einer Bergarbeiterfamilie erzählt – und von der Revolution träumt. „Vater steht in Kampfesreih’n/Derer, die sich selbst befrei’n./Schon ertönt’s von Schacht zu Schacht:/Komm mit uns! Zum Licht! Zur Macht! Daß die Kohle, die dich beizt,/Nicht dem Herren die Tasche heizt!“ (LK 1932b) 1933/34 sollte Körber der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller um Josef Luitpold Stern, Fritz Brügel, Theodor Kramer, Rudolf Brunngraber und andere angehören.

5. „Euer Sänger“ – „Der rote Bäck“ als schriftstellerische Leitfigur

Mit über 350 namentlich gekennzeichneten Beiträgen zwischen 1921 und 1933 avancierte letztlich Hans Maier, überwiegend als Hamay publizierend, zu der herausragenden Figur der österreichischen proletarisch-revolutionären Literatur zwischen den Kriegen. 1881 in Ottensheim nahe Linz als Johann Mair geboren und um 1900 nach einer Bäckerlehre auf der Walz durch Europa, arbeitete der von einem Sehleiden gezeichnete Maier nach dem Weltkrieg im Busch-Kino, als er sich 1920 als sozialdemokratischer Bezirksarbeiterrat der KPÖ anschloss. Im September 1921 trat er erstmals mit einem namentlich gezeichneten Beitrag im Feuilleton der Roten Fahne in Erscheinung – eine Prosaskizze, die die Not eines proletarischen Ehepaares zeigt, das mit einer ungewollten Schwangerschaft konfrontiert und trotz der finanziellen und nur als zweitrangig erachteten gesundheitlichen Bedrohungen zur Abtreibung gezwungen ist. „Siebenmal hat sie es schon glücklich überstanden, warum nicht auch diesesmal? Zwar wird sie auch bei diesem Anlaß die Entwertung der Krone schrecklich zu spüren bekommen. Aber schließlich kann man ja doch auch rechnen.“ (RF, 15.9.1921) Die frühen Texte, die er mitunter als „Hans Maier, Arbeiter, Wien II.“ veröffentlichte, zeugen häufig von den Lebensrealitäten des Proletariats sowie den Klassenunterschieden im Alltag des urbanen Lebens, aufgezeigt durch die direkte Kontrastierung, von der mitunter bereits die Titel zeugen: Essenszeit. Im Grandhotel. In der Volksküche (RF, 22.1.1922, S. 7), Der liebe, schöne Schnee. Am Semmering. Im Arbeiterbezirk (RF, 18.2.1922, S. 4). Auch die Klassenfeinde erfuhren wiederholt gehässig Charakterisierungen, etwa in der Reihe Ausbeutertypen: Der Konservative, Der Freiheitliche und Der Jähzornige (RF 10., 18. und 19.1.1923) Rasch veröffentlichte Maier nicht mehr bloß Prosaskizzen, sondern verstärkt auch Gedichte, die zunehmend Kommentare zum (tages-)politischen Geschehen darstellten. 1924 schmähte ihn die Arbeiter-Zeitung für ein (missinterpretiertes) Gedicht – es wurde als Schmähung des 1923 verstorbenen Michael Hanusch gedeutet – als Lump, 1926 gelang es ihm, unter dem Titel Proletarier, was sind wir? eine 48-seitige Sammlung von Prosaskizzen und Gedichten im Münster-Verlag zu veröffentlichen. In einem Interview, mit dem sich die Rote Fahne erstmals um das Entwerfen eines Autorimages bemühte, beschrieb er sein Schaffen wie folgt. „Das ist keine Dichtung, das ist Wahrheit, Wahrheit aus dem Leben eines Bäckergesellen, Wahrheit aus meinem Leben.“ (RF, 15.11.1925, S. 2). In der Roten Fahne publizierte er anlässlich der Veröffentlichung des Bandes das autobiographische Gedicht Der rote Bäck, in dem er sich selbst erstmals als Sprachrohr der Bewegung charakterisierte:

[…]
Hört, Brüder! Ihr könnt das Brot nicht mehr zahlen –
wir müssen mit russischen Mühlen – mahlen;
selbst säen und ernten unsere Aecker;
dies sagt euch der Bruder, der rote – Bäcker.
[…]
Ich marschiere mit euch, ihr Freiheitsvollstrecker!
Als euer Sänger – der rote Bäcker. (RF, 14.3.1926, S. 3)

1927 wurde Maiers Stück Weg mit dem § 144 durch Theaterformationen des Proletkult aufgeführt, im November 1930 nahm er als Gründungsmitglied des BPRSÖ wie erwähnt am Schriftstellerkongress von Charkow teil. Er publizierte auch in den Zeitschriften Die Arbeiterin, Illustrierte Rote Woche und Der Durchbruch. Im März 1931 wurde sein 50. Geburtstag nicht nur mit einem Fest begangen, sondern auch mit einer umfassenden Huldigung, der ein zweites autobiographisches Gedicht beigefügt war. Darin positionierte sich Maier nicht mehr bloß als schreibender Proletarier, sondern entwarf auch eine deutliche Gegenposition zum bürgerlichen Schriftsteller:

Von Liebe plärrt ihr, Dichterlinge,
Ihr Kunstpoeten, ganz entzückt
Und denkt nur an die Silberlinge –
Wenn euch ein guter Schmus geglückt!
[…]
Vom Frieden schwärmt ihr Pazifisten,
Und schreibt euch drum die Finger wund;
Derweil sie munter weiter rüsten –
Rings um den braven Völkerbund;
[…]
Hört, wie sie heulen, winseln, schwätzen,
Der Geldsackpresse feile Schar;
Von Würde, Ordnung und Gesetzen –
Für gutes Zeilenhonorar. […] (RF, 27.3.1931, S. 6)

Abb. 5: Vom Arbeiterkorrespondenten zum proletarischen
Dichter. In: Die Rote Fahne, 27.3.1931, S. 6

[M]an warf auch sie hinein in die lodernde Glut;
doch trotzte ihr Geist den teutonischen Horden
viel leichter gelang’s deren Leiber zu modern –,
vor Jahren der viehischen Mörderbrut …
Vergeblich die Flammen züngeln und lecken:
Karl und Rosas Geist, er lebt –
er leuchtet hinein in die finsteren Ecken –,
wo Elend und Hunger ihr Dasein webt.
Ihr Geist ist längst in den Hirnen der Massen,
drohend er über Palästen schwebt –,
bis er zum letzten Kampf der Klassen –
mächtiger denn je sein Haupt erhebt … (RF, 27.5.1933, S. 5)

Augenscheinlich wird die Politisierung im Schaffen des Arbeiterdichters. So widmete sich Maier umfassend den politischen Entwicklungen im In- und auch Ausland und zeigte Wachsamkeit gegenüber dem aufkommenden Faschismus. Als am 16. Oktober 1932 bewaffnete Nationalsozialisten das durch den Republikanischen Schutzbund bewachte Arbeiterheim Simmering angriffen, reagierte er mit dem Gedicht Reiht euch ein!, in dem er den Schulterschluss über die politischen Fraktionsgrenzen hinaus forderte. „Faschismus, Staatsgewalt in eins zerflossen./Wer hier noch trennt, sät Illusionen:/Drum fester noch die Einheitsfront geschlossen –/Und eingereiht als Kampfgenossen/In die Antifa-Aktion!“ (RF, 23.10.1932, S. 9). Attackierte er nach der Machtübernahme Hitlers auch die Sozialdemokratie der Weimarer Republik („Es hielten ihm die blutbefleckte Leiter/Die wack’ren Führer von den SPD-Genossen.“ – RF, 19.2.1933, S. 12), so ließ er Ende Mai 1933 den Bücherverbrennungen am Berliner Opernplatz eine lyrische Polemik gegen das Dritte Reich, das die Schriften kommunistischer Eliten vernichten ließ, folgen.

Zu diesem Zeitpunkt war die KPD knapp drei Monate durch die Reichstagsbrandverordnung verboten, seit 26. Mai 1933 auch die KPÖ. Die Rote Fahne konnte formal als Privatblatt noch zwei Monate erscheinen, ehe am 22. Juli das Verbot folgte (vgl. MM 2013). Maiers Äußerungen über den Fortbestand der kommunistischen Idee sollten seinen letzten öffentlichen literarischen Auftritt darstellen.

6. Österreichische proletarisch-revolutionäre Prosa der letzten Monate

Zeichnete sich Maier auch für umfänglichere, mitunter in Fortsetzung gedruckte Erzählungen verantwortlich, so schuf auch er nicht den sehnlich herbeigewünschten proletarischen Roman österreichischer Herkunft. Als 1932 die von Wieland Herzfelde herausgegebene Anthologie Dreißig neue Erzähler aus dem neuen Deutschland erschien, fanden sich darin wohl auch zwei Arbeiten österreichischer Provenienz, jedoch aus den Reihen der Anhänger der Sozialdemokratie: Ernst Fischers Rund um den blutigen 15. Juli 1927 und Veza Magds (d.i. Veza Canetti) Geduld bringt Rosen. Stammten die Beiträger also allesamt aus einem „Kreis geübter Literaten“, so klaffte, wie auch der Rezensent der Wiener Roten Fahne eingestand, für den österreichischen Boden eine Lücke, für die Peripherie wie für das Zentrum. „Die revolutionär-proletarische Literatur muß erst erweckt werden. Noch gibt es keinen einzigen revolutionären österreichischen Gegenwartsroman.“ (RF, 9.12.1932, S. 7)

Abb. 6: Frimin: Billige Bonbons. In: Die Rote Fahne, 1.1.1933, S. 6

Erst 1933 erschienen gleich mehrere größere Erzählungen in Fortsetzung in der Roten Fahne. Das Jahr begann mit der als „österreichische Betriebsnovelle“ angekündigten Erzählung Billige Bonbons des Zuckerfabrikarbeiters und Arbeiterkorrespondenten Friedrich F. Minich, der 1932/33 der Bundesleitung des BPRSÖ angehörte. Sie erschien in vier Teilen (RF, 1.-5.1.1933) und bot dem Leser eine Figurenkonstellation und Handlungsschemata, die als kennzeichnend für proletarisch-revolutionäres Schreiben gelten dürfen. Gezeigt wird die Arbeit in einer Zuckerfabrik – gekennzeichnet ebenso durch enormen Leistungsdruck wie durch unmenschliche Arbeitsbedingungen. Gleich zu Beginn tritt Direktor Witzmann mit seinem Betriebsleiter auf, geschockt von den Umständen. „Pfui Teufel […] ist das eine Atmosphäre. […] Und dieser Krawall […], schauderhaft.“ Infolge der Weltwirtschaftskrise ist auch diese Fabrik  mit den Perspektiven des Abbaus konfrontiert, die sich mithilfe des Betriebsrats realisieren ließen. „Aber unter den Leuten sind einige Schreihälse, so ganz radikale“, wirft der Vorsitzende Schneider ein. Witzmann und die Leser sehen Arbeiterinnen, die körperlich überfordert und versehrt ihrem Dienst nachgehen. Der Zuckersieder Gustl gerät in den Fokus. Gestrichenes Personal sorgt dafür, dass an seiner Position der Betrieb nun lahmt. Als der Direktor dem Arbeiter unrealistische Vorschläge für eine effizientere Arbeit macht, kommt es beinahe zum Konflikt. Doch es gelingt Gustl, personelle Unterstützung in Form einer Helferin auszuverhandeln. „Richten Sie sich’s ein, wie Sie können […], wenn man will, geht alles. […] Ich wäre sonst gezwungen, Ihre Stelle neu zu besetzen“.

Das Aufheulen der Sirene kündet von der Mittagspause. Während der Direktor im „eleganten Wagen […] [b]ehaglich und selbstzufrieden“ ausfährt, versammeln sich die Arbeiter in einem schäbigen Aufenthaltsraum, das mitgebrachte Essen ist durch die Hitze in der Fabrikshalle bereits  verdorben. Gesprächsthema ist der Konflikt, die Arbeiter solidarisieren sich – auch gegen Betriebsrat und Gewerkschaft. „Ach die – […], die mit ihrem Verhandeln und Konferieren. – Wir selber müssen uns helfen! […] Jagt die Ausbeuterbrut zum Teufel und schickt die Schmarotzer hinterher. Wir müssen die Herrschenden sein, wenn wir von unserer Arbeit etwas haben wollen.“ Der nun auftretende Betriebsrat stellt sich gegen die Aufwiegler, nicht zuletzt mit Verweis auf die Wirtschaftslage. „Glaubt ihr denn, die Unternehmer spüren das Elend nicht? […] Mit Redensarten die Leute aufzuwiegeln ist natürlich leichter, als die Verantwortung für eventuelle Folgen zu übernehmen.“ Am Nachmittag bleibt die Produktion trotz der Unterstützung für Gustl hinter den Vorgaben, fehlen doch nun an anderer Stelle die helfenden Hände. Es kommt zum Arbeitsunfall: Gustl rutscht auf verschütteter Marmelade aus und übergießt sich mit siedend heißem Zucker. Er wird, so die zusammenlaufenden Arbeiter, ein Opfer der Antreiberei und stirbt auf dem Weg ins Krankenhaus. Der hinzutretende Direktor erachtet die Situation als tragisches Schicksal, sorgt sich aber bereits um den vom Arbeitsamt längst angeforderten Ersatz, will man doch, so ein vor der Veröffentlichung stehendes Inserat „trotz der Wirtschaftskrise unsere Qualitätserzeugnisse zu den unten angeführten konkurrenzlosen Preisen liefern“.

Das Ende der Geschichte fehlt an dieser Stelle. Die Wortführer haben sich noch in der Mittagspause auf ein abendliches Treffen verständigt. Folgt nun die Reaktion der revolutionären Arbeiter? Schon in der Vorankündigung der Erzählung heißt es, der Texte sei „ein erfolgsversprechender Anfang der proletarisch-revolutionären Literatur in Oesterreich“ (RF, 31.12.1932, S. 6) – und zwar nicht nur durch die gesteigerte Anzahl gesinnungstreuer österreichischer Prosa, sondern auch durch die Aufforderung zur Mitarbeit. „Was nach dem Tode des Arbeiters geschehen ist, hat der Verfasser verschwiegen. Unsere Leser sollen den revolutionären befreienden Schluß selbst ziehen und die Schlüsselnovelle beenden.“ In Form eines Preisausschreibens bat die Redaktion bis Ende Februar um Beiträge, die von einer Kommission aus Redakteuren, Betriebs-und Parteifunktionären sowie Mitglieder der Arbeiterkorrespondenz sowie des BPRSÖ beurteilt werden sollten. Zu einer Veröffentlichung kam es in der Situation des verschärften politischen Kampfes allerdings nicht mehr.

Die zweite umfängliche Erzählung – 24 Stunden vorher. Eine Geschichte aus dem Wiener Alltag, geschrieben von Karl Fink – erschien im Juni 1933 in fünfzehn Teilen (RF, 4.-22.6.1933). Sie ist in der Schulzgasse angesiedelt, ihre Bewohner sind allesamt Opfer der Weltwirtschaftskrise, die ihr Dasein fernab des Finanzzentrums in der Inneren Stadt und des vermeintlichen Wohlfühlambientes der Gemeindebauten des Roten Wiens in baufälligen Häusern, „einigen Dutzend Erdhöhlen und wackligen Bretterbuden“ fristen. Nun ist auch Peter Kröll, als großzügiger Greißler die gute Seele der Gasse, von der Androhung auf Delogierung betroffen. Ihm versagt der Autor ein Heldenschicksal, gibt sich Kröll in seiner Verzweiflung doch stattdessen exzessiv dem Alkohol hin. Dafür werden in fünf Kapiteln vier Figuren präsentiert, wie sie in der proletarisch-revolutionären Literatur zum Stamminventar zählen: Ferdinand Wupperl, ein kleiner Eisenbahnbeamter, der für die bessere Haushaltsführung eine pragmatische Ehe anstrebt. Die zugespitzte politische Lage zwischen Notverordnungspolitik und illegalen Naziaufmärschen lassen ihn ebenso kalt wie das Schicksal des Greißlers Kröll oder tödliche Unfälle an unbeschrankten Bahnübergängen. Er hadert damit, dass seine Definitivstellung in der Krise auf sich warten lässt: „Was ist das auch schon, ein Vertragsangestellter ohne fixe Dienstpragmatik? Es ist dasselbe, wie ein Haus, dem das Dach fehlt, oder ein Hungernder, der mit geknebeltem Munde an einem reichgedeckten Tisch sitzt.“ Das fehlende Einfühlungsgefühl für die Probleme der Unterschicht und das Verkennen der eigenen Lage münden in den Hass gegen die Gesellschaft und die vermeintlich dafür verantwortlichen Eliten. „Warum tut man das nicht? Ja, warum nicht? Weil die Welt (einschließlich ‚höheren Orts‘) aus lauter Dummköpfen besteht, die sich mit nichts anderem als der blöden Politik befassen. Darüber vergessen sie alles andere und unsereiner kriegt dann immer ganz plötzlich eins auf den Schädel.“ So auch er, als er seine Stellung verliert. Sein Plan, die Proletarierin Gretl zu heiraten platzt ebenso wie seine Anstrengung, aus der Rolle des Kleinbürgers in eine Machtposition zu wechseln.

Gretl ist die Heldin der Erzählung. Sie arbeitet unter schwierigsten Bedingungen in einer Fabrik für Marmeladedosen, in der Unruhen unter den Arbeiterinnen bereits im Keim erstickt werden sollen. Gretl, die zunächst Ärger fürchtet, wird von einer Kollegin angestachelt. Doch sie schreckt zurück, kennt sie doch ein mahnendes Beispiel. Sie war auf dem Land aufgewachsen, wo die Eltern sich eine eigene kleine Landwirtschaft erarbeitet hatten, ehe die Krise ihnen diese genommen hatte und die Tochter dazu gezwungen war, in die Stadt zu gehen. Doch just als es gilt, Wupperl auf Distanz zu halten, wirken die Worte ihrer Kollegin. Nicht nur, dass sie die Unabhängigkeit einer Vernunftehe vorzieht, auch sieht sie Perspektiven für ihren Stand. „Einmal werden die Arbeiter auch als freie Menschen leben! Es wird sich alles ändern!“ Wupperl verlässt das als Ort der Verlobung vorgesehene Lokal und wird durch den Revolutionär Franz Lechner ersetzt. Er ist ein Jugendfreund Gretls, der stets für die Interessen der Arbeiter eingetreten ist und, als Aufwiegler in mehreren Fabriken seine Stellung verloren hatte, ehe er für drei Jahre auf die Walz gegangen war. Zufällig treffen sie sich wieder. Franz, Held Nummer zwei, besticht durch betont proletarische Männlichkeit. Er, der flammende kommunistische Agitator, und die nun treue und tatkräftige Genossin werden ein Paar, durch die von Franz vorbereitete Mobilisierung der Bewohner der Schulzgasse gelingt schließlich auch die Rettung notleidenden Greißlers.

Erich Barluds als Roman angekündigter Text Der Weg in die Zukunft weist dazu deutliche Parallelen auf. Wieder bildet der Mikrokosmos einer Gasse das Zentrum, sie umfasst nun bloß vier Häuser, die in 120 Wohnungen mehr als sechshundert Menschen, Krankheit und Elend beheimaten und damit von einer Wohnungsnot zeugen, wie sie vor allem in den Jahren nach 1918 etwa von Else Feldmann, Bruno Frei oder Klara Mautner thematisiert worden ist. Zum Hoffnungsschimmer für die Geschlagenen – eine in einem Erdloch lebende alte Waschfrau, einen wegen moralischer Integrität in die Arbeitslosigkeit schlitternder Metallarbeiter, einen alten Bettler, der nach Jahren auf der Walz im Roten Wien auf Hilfe hofft, und neuerlich einen gewissenlosen Kleinbürger, der seine Stellung in einer Bank verliert – wird der soziale Wohnbau, der auch diese Gasse erreicht. Hier sind nicht mehr empathielose Kapitalisten der Klassenfeind, sondern die Spitze richtet sich gegen das Rote Wien. Das Ansuchen des Bettlers auf Unterstützung wird ebenso abgelehnt wie der Antrag der Waschfrau auf eine Gemeindebauwohnung nach der Besichtigung ihrer menschenunwürdigen Lebensbedingungen. Der Reaktion fehlte der Raum, mit dem Verbot der Roten Fahne mit 22. Juli 1933 endete der Abdruck des Romans.

Die Texte verbinden nicht nur vergleichbare Figurenkonstellationen und Handlungsschemata, sondern auch ihr Schicksal. Sie erlebten keine Veröffentlichung in Buchform, ebenso Franz Janiczeks Der Besitz. Roman aus einem böhmischen Dorf, dessen Abdruck in der Illustrierten Roten Woche durch die Zensur zum Abbruch gebracht wurde. Die veränderten politischen Gegebenheiten im Österreich der frühen Dreißigerjahre wie auch in der Weimarer Republik nach Hitlers Machtübernahme – als organisatorische Unterstützung blieb die KPD bis zuletzt von großer Bedeutung auch für Wien – zerstörten das Aufkeimen einer sich seit 1930 klarer entwickelnden proletarisch-revolutionären Literatur, ehe es zur ersten großen Blüte kommen konnte.


Literaturverzeichnis

SIGLEN

  • AW 1995 = Armin A. Wallas: Zeitschriften und Anthologien des Expressionismus in Österreich. Analytische Bibliographie und Register. Bd. 1. München [u.a.]: Saur 1995.
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  • GM 1988 = Gerald Moser: Zwischen Autonomie und Organisation: Die Arbeiterkorrespondentenbewegung der „Roten Fahne“ in den Jahren 1924 bis 1933. Eine Studie zur Kommunikationspolitik der KPÖ in der 1. Republik. Wien, Diss. Phil. 1988.
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  • HM 1929 = Hans Marchwitza: Von der ersten Arbeiterkorrespondenz zur ersten Kurzgeschichte. In: Die Linkskurve 1 (1929), H. 2, S. 18-20.
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  • LEN 1924 = Lenin: Parteiorganisation und Parteiliteratur. In: Arbeiter-Literatur 1 (1924), H. 3/4, S. 97-103.
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  • LK 1928 = Lili Körber: Der rote Mitjka. In: Arbeiter-Zeitung, 12.2.1928, S. 18f.
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  • LK 1932a = Lili Körber: Begegnung mit Wera Figner. In: Arbeiter-Zeitung, 29.2.1932, S. 3.
  • LK 1932b = Lili Körber: Proletarisches Wiegenlied. In: Arbeiter-Zeitung, 4.4.1932, S. 3.
  • LL 1942 = Leo Lania: Today We Are Brothers. The Biography Of A Generation. Boston: Riverside Press Cambridge 1942.
  • MG 1977 = Gerald Musger: Der “Bund der proletarisch-revolutionären Schriftsteller Österreichs” (1930 – 1934). Eine Dokumentation. Phil. Diss. (1977).
  • MM 2013 = Manfred Mugrauer: „Staatsgefährliche und umstürzlerische Wühlarbeit“. Zum Verbot der Kommunistischen Partei Österreichs am 26. Mai 1933. In: Mitteilungen der Alfred-Klahr-Gesellschaft (2013), H. 1, S. 6-11 [Online verfügbar].
  • UL 1998 = Ute Lemke: Lili Körber: Von Moskau nach Wien. Eine österreichische Autorin in den Wirren der Zeit (1915-1938). Siegen: Böschen 1998 (= Kasseler Studien – Literatur, Kultur, Medien, Bd. 2).
  • AV 1970 = Alexander Vajda: Proletarisch-revolutionäre Schriftsteller Österreichs. In: Weg und Ziel 30 (1970), H. 7/8, 46-48.
  • WH 1976 = Und zwar gern. Wieland Herzfelde im Gespräch mit Wilhelm Girnus. In: Sinn und Form 28 (1976), H 6, S. 1113-1138.

ZITIERTE ARTIKEL AUS DIE ROTE FAHNE (WIEN)

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

  • Abb. 1: E. E. Kisch: Die Rote Garde. In: Die Rote Fahne, 11.11.1928, S. 7f.
  • Abb. 2: N.N. Was wollen die proletarisch-revolutionären Schriftsteller. In: Die Rote Fahne, 9.2.1930, S. 8.
  • Abb. 3: Der Durchbruch, Organ des BPRSÖ, August 1932 (Cover).
  • Abb. 4: Franz Janiczek: Der 15. Juli in der Etappe. In: Die Rote Fahne, 13.7.1930, S. 6.
  • Abb. 5: Vom Arbeiterkorrespondenten zum proletarischen Dichter. In: Die Rote Fahne, 27.3.1931, S. 6.
  • Abb. 6: Frimin: Billige Bonbons. In: Die Rote Fahne, 1.1.1933, S. 6.