Ea von Allesch

Ea von Allesch (1875–1953) war eine der eigenständigsten Modeschriftstellerinnen der 1920er-Jahre. In ihren ironischen Feuilletons, die sie in Zeitschriften und Zeitungen (u.a. „Kleiderkasten“, Wiener Mittagspost“, „Moderne Welt“, „Prager Presse“, „Wiener Handelsblatt“) publizierte, beschrieb sie sehr präzise die Mode als „Stil des Alltags“, der seismografisch den gesellschaftlichen Wandel antizipiert. „Wenn man es noch nicht bemerkt hätte: der Modeberichterstatter ist der Kulturhistoriker par excellence“, heißt es in ihrem Artikel Mode-Berichterstattung in der Prager Presse, in der sie von 1921 bis November 1927 regelmäßig publizierte.
Sie las die Mode im (kultur)historischen Kontext und insbesondere im Wandel der Geschlechterrollen und bezog in ihre Artikel ökonomische Fragen ebenso ein wie die Paradoxa der Mode.

Von Christa Gürtler | April 2012

Inhaltsverzeichnis

1. Ea von Allesch: Biographische Skizze
Exkurs: Ea von Allesch und Hermann Broch
2. Die Modeschriftstellerin Ea von Allesch
3. Mode-Feuilletons aus der Zeitschrift Moderne Welt und der Zeitung Prager Presse


1. Ea von Allesch: Biographische Skizze

Ea von Allesch wurde als Freundin bedeutender Männer und „Königin des Café Central“1 in einigen Schriftstellerbiographien überliefert, als Feuilletonistin und Modeschriftstellerin ist sie erst zu entdecken. Dieses Phänomen ist wohl nicht nur der Unterschlagung weiblichen Schaffens zuzuschreiben, sondern auch dem damit zusammenhängenden Umstand, dass sie ihre Beiträge in verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen nur mit Eva signierte, bisweilen auch getrennt durch Punkte E.v.A., oder gar mit Pythia oder dem männlichen Pseudonym Petronius. Ihre Biographin Frauke Severit bekennt: „Erst mühevolle Nachforschungen offenbaren die hinter der einseitigen Überlieferung als Muse männlichen Kunstschaffens verborgen bleibende Vielseitigkeit und Produktivität dieser Frau.“2

Geboren wurde sie am 11. Mai 1875 als Emma Hermine Täubele in Wien-Ottakring als Tochter von Karl und Aloisia Täubele. Der Vater war Drehermeister, die Mutter trug wahrscheinlich durch Näharbeiten zum Haushaltseinkommen bei. Jedes der Kinder erhielt eine Grundschulausbildung, darüber hinaus wurde den Mädchen jedoch eine weitere Bildung verwehrt. Emma wurde zunächst wie ihre Schwestern Näherin und als es ihrer älteren Schwester Antonia 1889 gelang, sich mit einem Miederwarengeschäft in der Wiener Innenstadt selbständig zu machen, arbeitete sie von ihrem 16. bis zu ihrem 19. Lebensjahr im Geschäft mit. Bald avancierte sie in Künstlerkreisen und verdiente auch als beliebtes Aktmodell (zu bewundern ist sie u.a. im berühmten Bild Wasserschlangen von Gustav Klimt) ein wenig Geld.

Doch als ihre Schwester heiratete und das Geschäft aufgab, sah sich auch Emma gezwungen, ihren Lebensunterhalt anderweitig abzusichern und wählte ebenfalls die Ehe als Versorgungsmöglichkeit. Emma Täubele heiratete 1895 den Kaufmann Carl Theodor Rudolph, den sie über eine Heiratsannonce kennengelernt hatte und der in Wien ein Warenversandgeschäft führte, 1896 wurde ihre Tochter Ella geboren. Nach der finanziellen Absicherung durch die Heirat nützte sie die Zeit, um ihre Bildungslücken zu schließen, las viel, lernte Französisch und Englisch, nahm Klavier- und Gesangsstunden. Als ihr Ehemann 1899 nach Leipzig übersiedelte, blieb Emma Rudolph in Wien, die Tochter wuchs aber nicht bei ihr auf und übersiedelte nach der Scheidung 1914 zu ihrem Vater nach Leipzig, wo sie als Buchhändlerin arbeitete, aber schon mit 46 Jahren an einem Krebsleiden starb.

Emma Rudolph verkehrte in den Kaffeehäusern der Stadt und wurde von vielen Künstlern und Dichtern verehrt, darunter Peter Altenberg, Egon Friedell und Alfred Polgar. Mit ihm und Henry James Henry Skene lebte sie mehr als ein Jahr in einer Wohnung in der Armbrustergasse zusammen. Vermutlich um 1910 übersiedelte sie nach Berlin, wo sie über Robert Musil dessen Freund Johannes von Allesch, Edler von Allfest, einen Psychologen, kennenlernte. Neben dem Komponisten und Pianisten Eugen d’Albert zählte er zu ihren Berliner Verehrern, und sie verlobte sich noch in Berlin mit ihm, bevor sie bei Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 wieder nach Wien zurückkehrte. Die einundvierzigjährige Emma Rudolph trat aus der protestantischen Kirche aus, in die katholische wieder ein und heiratete im Februar 1916 den um sieben Jahre jüngeren Johannes von Allesch, der nur während seiner Fronturlaube nach Hause kam und erst 1918 von seinem Kriegseinsatz nach Wien zurückkehrte. Ea von Allesch, die inzwischen zu publizieren begonnen und aus ihrem Vornamen die beiden mm gestrichen hatte, mochte sich an ein traditionelles Eheleben nicht mehr gewöhnen. Als Johannes von Allesch aus beruflichen Gründen 1919 wieder nach Deutschland ging, blieb sie in Wien, wo sie Beziehungen zum Philosophen und Psychologen Vittorio Benussi und Hermann Broch pflegte.

Anfang der 1920er-Jahre wurde ihre zweite Ehe geschieden, ihre Schwester Antonia starb und vererbte ihr den Mietvertrag für eine geräumige Wohnung in der Peregringasse im dritten Bezirk. Ea von Allesch arbeitete als Modeschriftstellerin, 1923 verließ Hermann Broch seine Familie in Teesdorf und bezog ein Zimmer in Ea von Alleschs Wohnung. Die Beziehung mit Hermann Broch blieb schwierig und wurde 1927 beendet, als Hermann Broch die Spinnfabrik verkaufte, eine Liaison mit der viel jüngeren Anna Herzog begann und endlich seine Karriere als Schriftsteller und Kulturphilosoph konkret wurde. Im gleichen Jahr, Ea von Allesch ist 52 Jahre alt, wurde ihr Engagement bei der Prager Presse beendet. Dennoch blieben Allesch und Broch zeitlebens in Kontakt, 1938 emigrierte Broch über London in die USA. Während des Krieges bezog seine Mutter das Zimmer in Ea von Alleschs Wohnung, in dem nach Hermann Broch zunächst sein Sohn Quartier bezogen hatte.

In den 1930er-Jahren nutzte Ea von Allesch ihre Freundschaft mit Gräfin Mary Dobrzensky, um auf ihrem Gut Polstejn in der Nähe von Prag zu wohnen oder mit ihr ausgedehnte Reisen zu unternehmen und konnte sich durch ihre finanzielle Unterstützung zu Studien in Paris und Zürich aufhalten. In diesen Jahren wird die Graphologie zu ihrer Haupterwerbsquelle, sie hielt Vorträge und verfasste Gutachten, dazu gab sie Privatstunden und Kurse in der Mädchenschule von Eugenie Schwarzwald, mit der sie befreundet war, und beschäftigte sich mit Alfred Adlers Individualpsychologie. Die politischen Verhältnisse zerstörten ihren Freundeskreis, die Deportation von Hermann Brochs Mutter Johanna im Jahr 1942 konnte sie nicht verhindern.

Schwierigkeiten bereiteten ihr zunehmend ihre Krankheiten, seit ihrer Jugend litt sie an einer Herzkrankheit. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie unter schwierigen Bedingungen in ihrer durch die Bombardierung beschädigten Wohnung. Hermann Broch unterstützte Ea von Allesch aus dem amerikanischen Exil finanziell, eine vorbereitete und immer wieder verschobene Europareise kam nicht mehr zustande, er starb 1951. Zwei Jahre später starb die zu einem Pflegefall gewordene Ea von Allesch am 30. Juli 1953 im Lainzer Versorgungsspital.

Exkurs: Ea von Allesch und Hermann Broch

An prominenter Stelle findet sich heute Ea von Alleschs Name nur im Titel eines Buches von Hermann Broch: Das Teesdorfer Tagebuch für Ea von Allesch, einer Sammlung von Brochs Liebesbriefen aus einem halben Jahr von Mitte 1920 bis Anfang 1921, die er für sie verfasst hat. Das sogenannte Tagebuch sollte ihr einen Einblick in den Alltag ihres Freundes geben und gelangte nach dem Tod von Ea von Allesch über ihre Nichte in die Dokumentationsstelle für Neuere Österreichische Literatur in Wien. Paul Michael Lützeler hat die Briefe 1995 editiert.3

Die Tagebuchbriefe von Hermann Broch sind als exemplarisches Beispiel für die männliche Imagination von Weiblichkeit und Liebe aufschlussreich, sind sie doch ein unablässiger Versuch der Selbststilisierung als Liebender, der seine Verwandlung von der Don-Juan-Rolle in die eines treuen und ewigen Gefährten beschwört. Die Geliebte spielt dabei nur als bloße Projektion und Imagination als Kindfrau eine Rolle, die er immer wieder als „erste“ und „einzige“ Frau, die er liebt, konstruiert und sie dabei häufig als „Kindi“ anruft und Diminutive gebraucht, um sie und sein Verhältnis zu ihr sprachlich zu artikulieren, wie zwei Beispiele verdeutlichen:

Bin ganz entsetzt über Dein Herzi. Süßes, geliebtes Kindi, schone Dich doch jetzt; […] möchte Dich, Dein geliebtes, vertrautes Gesichti so gern sehen, nur einmal streicheln u. dann wieder wegfahren […] Du bist so ein gescheites Kopfi […] Kindi u. so ein Dummi bist Du: Du bist doch ein Kindi zwischen 8 u. 10 Jahren. Also? Aber allen Ernstes verstehe ich nicht, daß Du Dir darüber Gedanken machst: Dein Dasein als solches, wie es hier ist, gibt mir ja eben alles Süße u. überhaupt Alles.[ Hermann Broch (1995): Das Teesdorfer Tagebuch für Ea von Allesch. Hg.v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt: Suhrkamp, S. 110f., 1./2. Oktober 1920.]

Kindi, möchte daß Du mich kennst, mich lieb hast […] Im Polgarbuch ist ein Glücksklee für Dich, den ich vor 26 Jahren für Dich gepflückt hab u. jetzt endlich in einem Kinderbuch von mir wiedergefunden hab.4

Leider gibt es keine Briefe und Tagebuchnotizen, die Aufschluss über Ea von Alleschs Reaktionen darauf vermitteln. In ihrer Modeberichterstattung polemisiert sie allerdings mit aller Schärfe gegen eine Mode, die Frauen ewig jung und kindlich aussehen lassen möchte. In zahlreichen Artikeln macht sie deutlich, dass sie die Infantilisierung des Weiblichen für eines der zentralen Emanzipationshindernisse hält. So heißt es beispielsweise in Lyrischer Osterspaziergang in der Mode:

Süß, angenehm und beruhigend ist es, vom weißen Osterlämmchen zu träumen. Es beißt und schlägt nicht, ist treuherzig, treu und herzig und kein Defekt zeigt sich in seinem […] Herzen. Es ist keine garconne und kein sporting girl, es trägt ein rosa Mascherl und erwartet, wohlbehütet und mit unschuldigem Gehopse, den kommenden Geliebten, der der einzige seines ganzen Lämmchenlebens bleiben wird. Süß und angenehm ist der Gedanke daran, obwohl oder richtiger weil es dieses Lämmchen gar nicht gibt, weil es ein Sehnsuchtsbild ist, das, wenn es schon erscheint, höchstens für zwei Osterfeiertage sichtbar wird. […] Immer wieder sucht die Mode die […] romantische Gestalt des ‚jungen Mädchens’ in allen Frauen zu verwirklichen. […] indem sie allen Frauen die ganz kurzen Kinderkleider angezogen hat.5

Ea von Allesch wehrt sich gegen das Klischee der „Kindfrau“, das Hermann Broch für sie bereit hält und das für sie symptomatisch für ein Frauenbild steht, das von der Mode propagiert wird und das sie in ihren Jugendjahren wohl auch selbst verkörpert hat, wie einige frühe Fotos von ihr nahelegen. Aber auch wenn sie selbst in ihren Texten Position gegen traditionelle Weiblichkeitsbilder bezieht, scheint sie doch u.a. in literarischen Werken von Robert Musil und Hermann Broch als Verkörperung einer Imagination porträtiert worden zu sein, z. B. in der Figur der Alpha in Robert Musils Stück Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer (1923) oder in der Figur der Hanna Wendling in Hermann Brochs Huguenau oder die Sachlichkeit (1932), dem dritten Teil der Trilogie Die Schlafwandler.

2. Die Modeschriftstellerin Ea von Allesch

Ea von Allesch publizierte seit 1915 in verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen –Kleiderkasten (Berlin), Wiener Mittagspost, Moderne Welt (Wien), Prager Presse, Wiener Handelsblatt – ihre ironischen Feuilletons, in denen sie sehr präzise die gesellschaftlichen Veränderungen im Spiegel der Mode seismographisch erfasste.

Ea von Allesch litt zwar unter der Minderbewertung ihrer Arbeit durch männliche Schriftsteller, bestand aber darauf, ihre Arbeit nicht als journalistisch zu bezeichnen. In ihrem Artikel Der Modeschriftsteller betont Ea von Allesch sie ihre Abgrenzung zum Journalismus. Sie ist sich ihrer Rolle als Vermittlerin bewusst und bekennt sich zu einer Rhetorik der Mode als Kunst, die Welt der Mode erst zu erzeugen:

Ich bin ein Modeschriftsteller. […] ich erst mache die Mode zur Welt der Frau und wäre ich nicht da, und würde ich die Mode nicht propagieren, so würde sich keine Frau um die Frühjahrsmode kümmern, keine Frau würde wissen, daß in der Mode ihre Welt und ihr Lebensziel zu liegen hat. Und eine Mode würde es überhaupt nicht geben und die Schneider, die behaupten, sie zu ‚kreieren’, würden alle Pleite machen.6

Wenn man es noch nicht bemerkt hätte: der Modeberichterstatter ist der Kulturhistoriker par excellence“, stellt Ea von Allesch in ihrem Feuilletonbeitrag über die Mode-Berichterstattung fest. „Was die Modeerscheinung von den anderen Phänomenen des täglichen Lebens unterscheidet, ist ihre Einheitlichkeit. In der Mode tritt das ‚Überindividuelle’ des sogenannten Zeitgeistes unmittelbar ans Tageslicht. […] Ja, man kann, im wahren Doppelsinn des Wortes sagen, dass die Mode der Stil des Alltags ist, der Stil umgesetzt in praktische Anweisungen.7

Als Modeschriftstellerin erweist sich Ea von Allesch als Meisterin ihres Fachs, die nicht nur den aktuellen Modediskurs, sondern auch den ‚Stil des Alltags’ auf äußerst amüsante Weise seziert und mit viel Komik die Mode- und Liebestorheiten herausarbeitet. Ihre Rolle als Muse und Projektionsfläche von Männerphantasien scheint ihren Blick für Mode als ‚Welt der Frau’ besonders geschärft zu haben.

Sie ist eine genaue Beobachterin des Alltagsstils und beschreibt den ‚sozialen Rationalismus’ in der Mode, der sich in den 1920er Jahren immer deutlicher zeigt, in der ‚scheinbaren’ Vereinfachung der Kleidung und einer zunehmenden ‚Enthüllung’ des Körpers. Diese Veränderungen der Kleidermode signalisieren den gesellschaftlichen Wandel, der mit Schlagworten wie Urbanisierung, Mobilität, Kommerzialisierung und dem Role-Model der ‚neuen Frau’ beschrieben werden kann.

Ea von Allesch bezieht sich in ihren Feuilletons immer wieder auf modetheoretische Überlegungen von Kollegen (Georg Simmel, Adolf Loos u.a.) und distanziert sich von solchen Positionen, die essentialistisch die Geschlechterdifferenzen festschreiben möchten. Denn für sie ist klar, dass Kleidung weder Geschlecht noch Charakter ausdrückt, sondern „immer neue Inkarnationen und Varianten von Weiblichkeit und Männlichkeit“8 schafft.

Ea von Allesch erweist sich in ihren Modeberichten als kulturkritische Chronistin dieser Veränderungen und bezieht dabei eigenständige bürgerlich liberale Positionen und scheut sich nicht davor, auf Paradoxa der Mode9 ebenso zu verweisen wie auf Unentbehrlich Überflüssiges.10

3. Mode-Feuilletons aus der Zeitschrift Moderne Welt und der Zeitung Prager Presse

Zeitschrift Moderne Welt, Wien

  1. E.v.A: Modespaziergang durch den Herbst. H 1–2, 1918
  2. Eva: Allerlei Modesorgen. H 6, 1919
  3. Eva: Die Mode und ihre Mannequins. H 10, 1920

2. Prager Presse, Wochenendbeilage Dichtung und Welt

  1. Eva: Die Mode und der Sport, 8. Mai 1921
  2. Eva: Paradoxa der Mode, 12. Juni 1921
  3. Eva: Der Flirt, 19. Juni 1921
  4. Eva: In den Bergen, 26. Juni 1921
  5. Eva: Unentbehrlich Überflüssiges, 23. Oktober 1921 (nur Transkription)
  6. Eva: Der Modeschriftsteller, 7. Mai 1922
  7. Petronius: Kleines Vademecum des Automobilismus, 28. Mai 1922
  8. Eva: Um die Kleider herum und unter ihnen, 6. Mai 1923
  9. Eva: Mode-Berichterstattung, 13. März 1927
  10. Eva: Die sozialisierte Mode, 1. Mai 1927

Kommentar zu den Beiträgen

1. Moderne Welt

’Enger wird die Welt mit jedem Schritt.’ Da wir leider in keiner Hinsicht große Sprünge machen können, ist es wohl nur in der Ordnung, daß uns die Mode 1918 den engen Rock wieder schenkt. Von behördlicher Stelle wurde, wie in alten Zeiten, da die Obrigkeit noch zu entscheiden hatte, wie der Bürger und vor allem die Bürgerin sich anzuziehen habe, den Schneidern erlaubt, 4 ¼ m für ein Kostüm und 4 m für ein Kleid zu verwenden.11

Mit diesen Sätzen beginnt Ea von Allesch ihren Modespaziergang durch den Herbst in der Doppelnummer der Zeitschrift Moderne Welt, die erstmals im Herbst 1918 erschien und in der Ea von Allesch für das Ressort Mode und ab 1919 für die Damenwelt (daneben gab es noch die Herrenwelt) verantwortliche Redakteurin war. Sie signierte ihre Texte zunächst mit ihren Initialen E.v.A., aus denen ab 1919 Eva wurde.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs und der Habsburgermonarchie konnten die Staatsbürger der Republik Österreich tatsächlich keine großen Sprünge machen, die Inflation war galoppierend, Nahrungsmittel ebenso Mangelware wie Kleiderstoffe. So erscheint die Mode des „engen Rocks“ beinahe zynisch als passende Bekleidung für Menschen, für die der Hunger zum Alltag gehörte. Die behördliche Verordnung weckt in Ea von Allesch Assoziationen zu vergangenen Zeiten, als es noch gesetzlich geregelte Kleiderordnungen in Österreich gab (Maria Theresia hob sie 1766 auf). Der Mangel und die hohen Preise für Bekleidung sind Themen, die Alleschs Modeberichterstattung in den ersten Nachkriegsjahren wie ein roter Faden durchziehen, um einen textilen Vergleich zu bemühen. Dazu kommen immer wieder Verweise auf die fehlenden Farben der Stoffe, die allein den Siegermächten zustehen, während in Österreich und Deutschland entsprechend der Kriegsniederlage die Farben grau, dunkelblau und schwarz dominieren.

Lakonisch und ironisch schreibt Ea von Allesch von Allerlei Modesorgen12, häufig verwendet sie den Plural „wir“ und stellt sich damit auf die Seite der potentiellen Leserinnen, indem sie vorgibt die Probleme zu teilen, die sie aber immer distanziert betrachtet und sich häufig über allerlei Modetorheiten lustig macht, die sie mit Komik seziert und analysiert. Bewusst ist Ea von Allesch, dass ihre Berichterstattung über die Mode aus Frankreich, England und Amerika – also der Siegermächte des Ersten Weltkriegs und der Länder, aus denen der Diskurs der Mode kommt – für die Frauen nur imaginären Wert hat, dass die in ihren Kolumnen vorgestellten Kleider vorerst noch Phantasie und Wunsch für die Frauen bleiben.

In ihrem Feuilleton Die Mode und ihre Mannequins13 beschäftigt sich Ea von Allesch mit der Erfindung der Modeschau und der Vorführung der Mode durch Künstlerinnen, die die Mannequins ablösten, die man vorher kaum bemerkt hatte, so wie man die „Vorgängerin, die Puppe“ nicht bemerkt hatte. Der revolutionäre Pariser Modeschöpfer Paul Poiret war der erste Grand Couturier, der mit seinen Mannequins auf Auslandstourneen ging, jedoch nach dem Ersten Weltkrieg an seine Erfolge nicht mehr anknüpfen konnte. Ea von Allesch fragt sich, warum die Frauen unbedingt gesehen werden wollen und beschreibt dieses Phänomen als weibliche „Exhibitionswut“: „Die ganze Damenwelt will sich ‚sehen’ lassen und ist sehr freigebig damit.“ Sie ist davon ebenso wenig begeistert wie von der aktuellen Abendmode, in der sie eine von ihr abgelehnte Verbindung von Prunk und Pathos sieht.

Die Beilage der Modernen Welt hieß zunächst Die Kunst der Mode, dann Unsere Pariser Modebeilage und wurde im Frühjahr 1921 zu Unsere Modebeilage. Diese Änderung signalisiert eine Veränderung, die nicht mehr Ea von Alleschs Auffassung der Modeberichterstattung entsprach. Immer stärker orientierte sich die Modebeilage an praktischen Nähanleitungen und wurde zum Medium der österreichischen Modeindustrie nach dem Ersten Weltkrieg. Nach ihrer zweijährigen Tätigkeit kam ihr ein Angebot von Arne Laurin sehr gelegen. Er bot Ea von Allesch an, in der Sonntagsbeilage der neu gegründeten deutschsprachigen Zeitung Prager Presse die Moderubrik zu übernehmen.

2. Prager Presse, Wochenendbeilage Dichtung und Welt

Die deutschsprachige Tageszeitung wurde 1921 in Prag gegründet und der Chefredakteur Arne Laurin berief Ea von Allesch als Feuilletonistin für den Bereich Damenmode, illustriert wurden sie vom Modezeichner Emil Weiß. Signiert wurden die mit wenigen Ausnahmen allwöchentlich erschienenen Beiträge mit Eva, Eva Phythia, Phythia und Petronius, die sich die Seite mit den Nachrichten aus der Schachwelt und bisweilen auch der Bücherwelt teilten. Ihr letzter Artikel in der Zeitung erschien am 13. November 1927. Zu ihren Kollegen zählten u.a. Hermann Bahr, Franz Blei, Hermann Broch, Egon Friedell, Franz Kafka, Anton Kuh, Robert Musil und Franz Werfel.

Formal nützt Ea von Allesch die vielfältigen Möglichkeiten des Feuilletons, ihre Beiträge enthalten zwar mit wenigen Ausnahmen Mode-Zeichnungen und konkrete Modellbeschreibungen, aber oft sind sie eingebettet in Geschichten, Erzählungen oder beispielsweise als Treatments für Filmdrehbücher verfasst, die auf die Wechselwirkungen von Mode und Film verweisen. Sie entwirft Gespräche und Dialoge, Dramen im Hauskleid, schreibt eine Hymne für die Mode, Mode-Sonette, referiert knapp die Geschichte des Reitkleids oder erzählt ein ironisches Märchen Vom Mann, der sich in die Modezeichnungen verliebte. Wahre Geschichte. Und sie greift zeitgenössische intermediale Diskurse auf und verknüpft sie mit der Modeberichterstattung. Oft bietet die Frauen-Mode dabei nur mehr den Anlass zu kulturkritischen und gesellschaftskritischen Reflexionen und Beobachtungen über Wohnen, Reisen, Tanz, Sport und andere Alltagskulturphänomene.

1. Eva: Die Mode und der Sport, 8. Mai 1921

Es gibt zahlreiche Feuilletons von Ea von Alleschs über die Sportmode, sie sah die parteipolitisch organisierte Sportbegeisterung in den 1920er-Jahren nicht unkritisch, war sich aber bewusst, dass der Sport das Frauenbild auch positiv beeinflusste: „Unsere Generation hat das Wesentliche ihres Äußeren dem Sport zu verdanken. Beobachtet man den jetzt repräsentativen Typ Frau, so merkt man, daß sie ihre ‚Linie’, ihre Bewegungen, ihre Kleider irgendwie – auch wenn sie selbst keinerlei Sport ausübte – und welche mondaine junge Dame stünde so abseits vom heutigen Leben? – aus sportlichen Gegenden her bezogen hat. […] die lose Taille, die Kürze des Kleides, der Mangel jeglichen Korsetts, das alles gehört zum Sport.“

Ea von Allesch warnt in ihrem Artikel davor, dass die neue Kleidung aus Trikotstoff nur für schlanke Frauen geeignet sei, „überfütterte Kriegsgewinnlerinnen haben sich sehr vor den Tücken dieser Kleidung zu hüten“, denn diese Kleider sind nachgiebig „gegen zu ausgeprägte Formen“.

Zu den Sportarten für die bürgerlichen Frauen zählten u.a. Golf, Klettern und Touristik, Tennis, Reiten, Automobilismus („Autlerin“), Skisport.

5. Eva: Paradoxa der Mode, 12. Juni 1921

6. Eva: Der Flirt, 19. Juni 1921

In ihrem Feuilleton Paradoxa der Mode versammelt Ea von Allesch einzelne Aphorismen zum Thema und grenzt u.a. „Mode“ und „Tracht“ voneinander ab. Sie ergreift Partei für die Mode als positiven Ausdruck einer erotischen Maskerade und Verkleidung und eines sich stets verändernden Zeitgeistes und positioniert sich damit als Vertreterin der Moderne, die für eine „Lügenhaftigkeit“ der Mode und der Kunst plädiert, sich also von einer sogenannten „Natürlichkeit“ abgrenzt, die es für sie nicht gibt. Denn die Ambivalenz der Mode besteht darin, zwischen Individualität und Anpassung, Angleichung und Distinktion zu balancieren.
Für gesellschaftlich gefährlich und konservativ hält sie die Tracht, die bei ihr unter Kitschverdacht gerät und die sie für verlogen und bösartig hält. Dabei plädiert „Eva“ für den Individualismus in der Kleidung und bezieht Partei gegen die Uniformierung, die sie mit der sogenannten Tracht verbindet und differenziert sprachlich zwischen ‚Lügenhaftigkeit’ und ‚Verlogenheit’, die sie als positiv versus negativ bewertet.

Evident war für Ea von Allesch, dass die konservativen politischen Kräfte und Parteien in Österreich und Deutschland den Kitsch-Menschen, der Tracht, also Loden und Dirndlkleid trägt, propagierten, während die Mode der 1920er-Jahre als dekadent abqualifiziert wurde und sich somit ‚Mode’ und ‚Tracht’, ‚Bubikopf’ und ‚Gretchenzopf’ in die Gegensatzpaare von ‚Großstadt’ und ‚Provinz’, ‚Asphalt’ und ‚Scholle’ einreihen.

Alleschs Abneigung gegen die Tracht schließt das Pathos mit ein. Ihre Parteinahme für die Rationalität und Sachlichkeit in allen Lebensbereichen bezieht sich folglich auch auf die Beziehung zwischen den Geschlechtern, wobei sie Erotik und Sexualität nicht ausspart. In ihrem Artikel Flirt plädiert sie für den Flirt und gegen das Pathos der Liebe und verknüpft die Tracht mit dem Pathos, Flirt und Sport mit moderner Kleidung. Als utopische und ideale Vorstellung bekennt sie sich zur unpathetischen Liebe.

7. Eva: In den Bergen, 26. Juni 1921

Das Thema von Tracht und Mode, Bergwelt und amerikanischer Tourismus, Heimat und Fremde wird in ihrem Feuilleton In den Bergen mit dem Untertitel Ein schlichter Modefilm mit für die Touristik maßgebenden Kostümzeichnungen in einem Treatment in 14 Bildern satirisch überspitzt. Die handelnden Personen sind eine amerikanische Kleinfamilie (Vater, Mutter und die Tochter Dorothy) und eine einheimische Kleinfamilie (Wirt, Wirtin und der Sohn Hermann), dazu Einheimische und Zugereiste.
Darin heißt es: „3. Bild. Fashionables Hotel mitten in den Bergen. Einheimische und Zugereiste. Die ersteren in städtische, letztere in älplerischer Tracht.“ Während die einheimischen Bauern zunächst die reichen Amerikaner vertreiben möchten und ihr Auto mit Sensen und Mistgabeln „nach dem Bilde Defreggers“ unter dem Motto „Derschlagts die Schieber“ angreifen, rettet Hermann die Touristen und vor allem Dorothy, der er dann noch einmal bei einer Kletterpartie das Leben retten wird. Vor dieser Attacke betrachten Einheimische, Zugereiste und Bergführer einen Kurszettel, der im Hoteleingang aufgehängt wird. Ea von Allesch bezieht sich kritisch auf die wirtschaftliche Situation in der Alpenregion und analysiert die Verteidigung der Heimat und die Abgrenzung von den Ausländern als politisch ideologische Konstruktion.

Musikalisch wird der Modefilm mit diversen Musikstücken, Arien und Liedern von „Manon“ bis zu den „Meistersingern“, „Rheingold“ und der „Alpensymphonie von Strauß“ untermalt, daneben finden sich noch literarische Spitzen gegenüber Schriftstellern, so ist von „Werfelschen Problemen“ die Rede oder davon, dass Schönherr „etwas nicht besser sagen könnte“.

Auf die Spitze getrieben wird Ea von Alleschs Abrechnung mit dem Literatur- und Film-Kitsch der Heimatliebe, wenn zum glücklichen Happy End der verlorene Sohn mit seiner amerikanischen Frau im Dirndlkleid zurückkehrt: „Und Dorothy hat ein Dirndlkostüm an, aus geblümten merzerisierten Cotton, mit einem Pongishemd und offenen Ärmeln, altväterlich und doch modern, sodaß die alte Wirtin vor Freude die Hände zusammenschlägt.“

8. Eva: Unentbehrlich Überflüssiges, 23. Oktober 1921

In ihrem Feuilleton Unentbehrlich Überflüssiges polemisiert Ea von Allesch gegen Adolf Loos und bezieht sich dabei u.a. auch auf seinen Vortrag Ornament und Verbrechen (1908), in dem er das Bedürfnis, Wände, Haut und Gegenstände zu verzieren, auf der untersten Stufe der Kulturentwicklung ansiedelt, die allenfalls für den Höhlenmenschen zulässig sei. Funktionalität und die Abwesenheit von Ornamenten sind nicht nur eine Kraft- und Arbeitsersparnis, sondern auch ein Zeichen von hoher Kulturentwicklung.14

Unter dem Stichwort „Der Rationalist“ schreibt Ea von Allesch: „Der Rationalist kann das Unzweckmäßige nicht leiden. […] Und er fragt: warum nicht gleich tätowieren? Er ist – Adolf Loos – gegen alle Ornamente.“ Loos, der für die englische Mode plädiert, unterscheidet zwischen Männer- und Frauenmode und stellt für den Mann fest, dass gut angezogen bedeutet, korrekt angezogen zu sein: „Es handelt sich darum, so angezogen zu sein, dass man am wenigsten auffällt. Ein roter Frack fällt im Ballsaale auf. Folglich ist der rote Frack im Ballsaal unmodern. Ein Zylinder fällt auf dem Eise auf. Folglich ist er auf dem Eise unmodern. Alles Auffallen aber gilt in der guten Gesellschaft für unfein.“15

Ea von Allesch kritisiert die Ansichten von Adolf Loos, plädiert allerdings für eine Veränderung der weiblichen Mode, die ihrem Bewegungsradius entspricht. Weibliche Berufstätigkeit und sportliche Betätigung, die Mobilität des Reisens benötigen eine Kleidung, die praktisch und rational ist, dazu zählen kürzere Rocksäume, Hosen, die Frisur des Bubikopfs, die in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre noch vom Etonkopf (einer kurzen schmalen Silhouette) getoppt wurde, schmale und kleinere Hüte und Kappen, das Trotteurkostüm, der Jumper, der später als Pullover bezeichnet wird. Ea von Allesch bekennt sich zu einer Ästhetik der Schönheit in der Mode: „Die Mode ist – zum Unterschied von der Kleidung – das erotische Kunstwerk.“

Ironisch entlarvt Allesch die vorherrschenden Geschlechterdifferenzen in der Mode, plädiert modisch für die „Bauhausfrau“, will aber nicht auf jegliches Ornament und Frou Frou verzichten und verweist damit tendenziell auf Aspekte des postmodernen Modediskurses.

9. Eva: Der Modeschriftsteller, 7. Mai 1922

Roland Barthes interessierte sich in seiner Untersuchung von Modezeitschriften der 1950er und 1960er Jahre für die strukturale Analyse der Modeberichterstattung, also für Die Sprache der Mode16. Bis heute muss sich die Mode und damit auch die Beschäftigung mit ihr gegen den Vorwurf der Oberflächlichkeit und Trivialität verteidigen. Sehr selbstbewusst vertritt Ea von Allesch in modetheoretischen Reflexionen ihre Position gegen die Diskriminierung ihrer Profession, die nicht nur im zeitgenössischen kulturhistorischen Diskurs, sondern auch in ihrer persönlichen Umgebung (Robert Musil, Hermann Broch) en vogue war. Sie stellt ihre Arbeit in die Tradition eines Charles Baudelaire, eines Stephane Mallarmé, der selbst eine Modezeitschrift herausgab. In Der Modeschriftsteller betont Ea von Allesch ihre Abgrenzung zum Journalismus. Sie ist sich ihrer Rolle als Vermittlerin bewusst und bekennt sich zu einer Rhetorik der Mode als Kunst, die Welt der Mode erst zu erzeugen.

Roland Barthes hat als die stereotypen Fragen der modischen Frau mit ‚Was? Wann? Wo?’ beschrieben, die in der Modeberichterstattung beantwortet werden. Auch Ea von Alleschs Berichte folgen im Jahresverlauf einem minutiösen Kalender von Saison und Vorsaison, Jahreszeiten – und im Tagesverlauf einem bis ins Letzte ausgefüllten Stundenplan bedeutsamer Momente (9 Uhr, Mittag, 16 Uhr, 18 Uhr, 20 Uhr, Mitternacht), vor allem am Wochenende.17 Diesen sich jährlich wiederholenden Zyklus, der auch den Festkalender (Fasching, Ostern, Pfingsten, Advent, Weihnachten, Silvester) und die jeweiligen Sportarten (Golf, Tennis, Schwimmen, Reiten, Jagd, Schilauf) einschließt, findet Ea von Allesch bisweilen langweilig, gleichzeitig fordern die Wiederholungen besonders ihre Kreativität heraus.

10. Petronius: Kleines Vademecum des Automobilismus, 28. Mai 1922

Unter ihrem männlichen Pseudonym Petronius versucht sich Ea von Allesch unter dem ironischen Titel Kleines Vademecum des Automobilismus. Das Automobil in der Westentasche für Damen als Autor eines Ratgebers und Leitfadens, in den auch vier Kleidermodelle samt unbedingt notwendiger Kopfbedeckung für Autofahrerinnen („Autlerinnen“) eingestreut sind. Stichworte des Handbuchartikels sind: Wahl des Automobils, Der Kauf des Wagens, Wie lerne ich fahren, Die Panne und Der Verkauf des Wagens.

Allesch spielt in ihrem Feuilleton mit den geschlechtsspezifischen Unterschieden – Frauen kennen sich mit der Technik nicht aus, können nicht Autofahren, ruinieren Autos, brauchen Männer, die ihnen Autos kaufen und suchen die Farbe des Autors nach ihrem Teint aus etc., Schließlich erweisen sich die Frauen aber als die besseren „Autoschieberinnen“, wovon sich die Ehemänner überzeugen lassen. Wie so oft dekonstruiert Allesch herrschende Vorurteile, wozu in diesem Fall noch das Spiel mit dem männlichen Pseudonym zählt.

11. Eva: Um die Kleider herum und unter ihnen, 6. Mai 1923

In diesem Beitrag verknüpft Ea von Allesch die Beschreibung von vier Sommerkleidern mit einer spitzen Einordnung der Bedeutung der Kleider für zwischenmenschliche Beziehungen unter den Stichworten: Die Liebe (Tragödie der Mode), Die Ehe, Die Galanterie und Die Tugend. Die Beschreibung der Kleider ist dabei nur Beiwerk zu ironischen Statements über Beziehungsmuster.

So heißt es etwa über „Die Galanterie“: „Und es ist recht bemerkenswert, daß alles ‚Hof machen’ immer noch mit einem Lob der Toilette der umworbenen Dame beginnt. Die psychoanalytische Schule dürfte darin eine Wunschmetapher und gleichzeitige Inversion sehen: das Kleid wird gelobt, der Körper gemeint, das Angezogensein betont, um das Entkleiden zu phantasieren.“

12. Eva: Mode-Berichterstattung, 13. März 1927

Seit der Moderne existiert der Warencharakter nicht nur in der Mode, sondern auch in der Kunst und so kann man / muss man der Mode wie der Kunst ein Antizipationsvermögen zuschreiben, wie es Walter Benjamin formuliert: „Das brennendste Interesse der Mode liegt für den Philosophen in ihren außerordentlichen Antizipationen. […] Jede Saison bringt in ihren neuesten Kreationen irgendwelche geheimen Flaggensignale der kommenden Dinge. Wer sie zu lesen verstünde, der wüßte im voraus nicht nur um neue Strömungen der Kunst, sondern um neue Gesetzbücher, Kriege und Revolutionen. – Zweifellos liegt darin der größte Reiz der Mode, aber auch die Schwierigkeit, ihn fruchtbar zu machen.“18

Die Modeschöpfer sind unter Bedachtnahme auf die Formgesetze der Mode tatsächlich Antizipatoren, die Impulse aus fast allen Bereichen aufnehmen müssen, um erfolgreich zu sein und auch diejenigen, die darüber berichten, müssen dieses Antizipationsvermögen haben. Allesch begreift sich in der Vertextung von Mode und Lebensstil als Revolutionärin und verlässt dabei den traditionellen Rahmen der medialen Modeberichterstattung ihrer Zeit. So wehrt sie sich auch in diesem Beitrag gegen das Vorurteil, dass eine rationale und praktische Mode gleichzusetzen sei mit einem „männlichen oder vermännlichenden, antiweiblichen Stil“.

13. Eva: Die sozialisierte Mode, 1. Mai 1927

Nicht zufällig in der Ausgabe vom 1. Mai 1927 beschreibt Ea von Allesch unter dem Titel Die sozialisierte Mode die „Revolutionierungstendenzen der letzten zehn Jahre“ auf dem Gebiet der Mode, die „von der schmalen Bühne des Luxus auf die breite Wiese des allgemeinen Bedürfnisses herabgestiegen“ ist. Allzu optimistisch angesichts der instabilen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen formuliert sie selbstironisch ihre Freude darüber, dass die Mode nicht mehr nur Thema für bürgerliche und wohlhabende Frauen ist: „Eine Kuhmagd, das Fabriksmädel, die große Dame, die brave Bürgersfrau, sie alle haben den Seidenstrumpf. Sie haben alle den kurzen Rock. Sie haben alle das Crepe de Chinekleid, den Jumper, den Kashamantel, und im Winter den Pelzmantel.“ Kunstseide und Seide sind nicht mehr zu unterscheiden, neue Materialien wie das Trikot sind nicht teuer und „das ärmste Mädel kann genau so schick und modisch angezogen sein wie die Dollarlady“.

Nicht die Kleidermode ist es, die soziale Klassen unterscheidet, sondern der Geschmack, der Stil. Wenn die Parole heißt „Einfachheit ist Trumpf der Mode“, wird der „gut gewachsene Körper“ zum entscheidenden Distinktionsmerkmal, weil Kleidung den Körper nicht mehr verhüllt und markiert damit den Übergang von der Moderne zur Postmoderne.

Für Ea von Allesch war im Mai 1927 wahrscheinlich noch nicht so deutlich absehbar, dass die politischen Veränderungen, die sie mit dem Begriff ‚Tracht’ erfasste, für Jahrzehnte dominieren würden. Dass sie so genau aber bereits in den 1920er-Jahren eine gesellschaftliche Entwicklung voraussah, in der nicht mehr die Mode, sondern der Körper zum entscheidenden Feld des symbolischen Kapitals wird, spricht für die Antizipationsfähigkeit der Mode.


  1. Helga Malmberg (1961): Widerhall des Herzens. Ein Peter Altenberg-Buch. München: Langen-Müller Verlag, S. 139.
  2. Frauke Severit (1998): Ea von Allesch. Ein Spiegelbild der Welt kannst Du nicht sein! In: Dies (Hg.): Das alles war ich. Politikerinnen, Künstlerinnen, Exzentrikerinnen der Wiener Moderne. Wien-Köln-Weimar, S. 249–285.
  3. Hermann Broch (1995): Das Teesdorfer Tagebuch für Ea von Allesch. Hg.v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt: Suhrkamp.
  4. Hermann Broch (1995): Das Teesdorfer Tagebuch für Ea von Allesch. Hg.v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt: Suhrkamp, S. 125, 25. Oktober 1920.
  5. Prager Presse, 1. April 1923.
  6. Prager Presse, 7. Mai 1922.
  7. Prager Presse, 13. März 1927.
  8. Gertrud Lehnert (1997): Wenn Frauen Männerkleider tragen. Geschlecht und Maskerade in Literatur und Geschichte. München: Deutscher Taschenbuchverlag.
  9. Prager Presse, 12. Juni 1921.
  10. Prager Presse, 23. Oktober 1921.
  11. Moderne Welt, H 1–2, 1918.
  12. Moderne Welt, 6, 1919.
  13. Moderne Welt 10, 1920.
  14. Ingrid Loschek (2007): Wann ist Mode? Strukturen, Strategien und Innovationen. Berlin: Reimer Verlag, S. 219.
  15. Adolf Loos (2007): Warum ein Mann gut angezogen sein soll. Enthüllendes über offenbar Verhüllendes. Wien: metroverlag, S. 25.
  16.   Roland Barthes (1985): Die Sprache der Mode. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
  17. Roland Barthes (1985): Die Sprache der Mode. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 255f.
  18. Walter Benjamin (1983): Das Passagen-Werk, hg. v. R. Tiedemann, Erster Band, Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 112.