Kläger, Emil

geb. am 10.10.1880 in Vyžnycja/Wiznitz (Bukowina) – gest. am 2.6.1936 in Wien; Schriftsteller, Journalist

Ps.: Milo, Milo Boy

Der Sohn des Oberkantors Philipp (gest. 1920) und der Gesellschaftsdame Karoline Kläger (gest. 1929) beteiligte sich bereits als Gymnasiast am Lyrikwettbewerb der Münchner Literaturzeitschrift Jugend und studierte Jus an der Universität Wien. Im Sommer 1904 besuchte er mit dem Leopoldstädter Gerichtsvorsteher und Amateurfotografen Hermann Drawe (1867-1925) die Wiener Asyle und Kanäle, von denen er in Lichtbildvorträgen in der Wiener Urania unter dem Titel Durch die Wiener Quartiere des Elends und Verbrechens berichtete. Der zwischen Mai 1905 und 1908 über dreihundert Mal wiederholte Vortrag, bei dem Leopold Kramer vom Deutschen Volkstheater die Texte vortrug, lockte rund 60.000 Menschen an. Die 1908 veröffentlichte Buchform mit 79 Fotografien wurde ins Russische und Französische übersetzt, im Lehrbuch des deutschen Strafrechts von Franz von Liszt als „bahnbrechendes Werk der Kriminologie“ hervorgehoben und beeinflusste die Wiener Strafrechtsreform 1912. Kritisch wandten sich dagegen einige Wiener Gemeinderäte gegen die Zurschaustellung des Elends und versuchten die Vorträge zu verhindern, die Arbeiter-Zeitung erhob darüber hinaus angesichts der schon seit 1898 veröffentlichten Reportagen Max Winters den Vorwurf des Plagiats. 1919 wurde das Buch mit Mitgliedern des Burgtheaters um Alfred Gerasch unter der Regie Robert Lands verfilmt und stellte eine maßgebliche Produktion des frühen österreichischen neusachlichen Films dar.

Im Krieg arbeitete Kläger im Kriegsarchiv, veröffentlichte einen Novellenband und gab die Sammlung Legenden und Märchen unserer Zeit (1917) mit Texten u.a. von Raoul Auernheimer, Franz Theodor Csokor, Alfons Petzold, Felix Salten, Arthur Schnitzler und Stefan Zweig heraus. Selbst publizierte er als Gerichtsaalreferent und Feuilletonist u.a. in Die Zeit, Neues Wiener Journal, Österreichische Rundschau und Die Muskete, fungierte aber auch als Korrespondent des schwedischen Aftonbladet. In den Zwanzigern war K. vorrangig als Literatur- und Theaterkritiker für die Neue Freie Presse tätig, traf dabei Gerhart Hauptmann bei den G.-H.-Festspielen in Breslau im August 1922 und veröffentlichte 1923 die Hauptmann-Nachdichtung Pippas Tanz. Ab 1926 konnte er sich neben Ernst Lothar, Hans Brecka und Otto Stoessl als maßgeblicher Theaterkritiker der RAVAG etablieren und leitete Radiorubriken wie Wiener Premieren, Menschen, die die Welt veränderten und Feuilleton der Woche. 1929 setzte er sich neben Albert Einstein, Thomas Mann, Jakob Wassermann, Sigmund Freud, Heinrich Eduard Jacob und Rudolf Olden öffentlich für den wegen Mordes verurteilten Fotographen Philipp Halsmann ein, der 1930 von Bundespräsident Wilhelm Miklas begnadigt und des Landes verwiesen wurde. Neben seiner publizistischen Tätigkeit war K. weiterhin als sozialkritischer Referent aktiv, etwa im Dezember 1930 im Großen Musikvereinssaal mit dem Vortrag Die Mädchen von 1930. Sex appeal oder Typus Madelon?. 1932-36 war K. Dozent an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien, publizierte aber auch zu juristischen Fragen. Nachdem der 1930 angekündigte Jahrhundertwenderoman Musik in Wien nicht veröffentlicht wurde, erschien 1933 die Komödie Zwischenfall im Warenhaus.


Werke

Durch die Wiener Quartiere des Elends und Verbrechens. Wanderbuch aus dem Jenseits (1908) [Digitalisat], Von Kleidern und Liebe. Gespräche, Briefe und Geschichten (1915), Pippas Tanz (1923), Zwischenfall im Warenhaus. Komödie (1933), Das Menschenschutzgesetz: Aufruf und Entwurf (1935)

Quellen und Dokumente

Beiträge E. K.s: Entwicklung und Ziele des Südslawentums. Gespräch mit dem Abgeordneten Dr. Stephan Radic. In: Neue Freie Presse, 7.9.1918, S. 2f., Hans Heinz Ewers: „Vampir“. In: Neue Freie Presse, 29.5.1921, S. 33, Bücher Egon Friedells. In: Neue Freie Presse, 3.9.1922, S. 22f., Begegnung mit Gerhart Hauptmann. In: Neue Freie Presse, 20.9.1922, S. 1-3, Die Krise des deutschen Theaters und die neuen Wege des Dramas. In: Neue Freie Presse, 24.12.1922, S. 33, Brief am Wege. In: Neue Freie Presse, 10.1.1925, S. 10, Der Marktfahrer der Liebe. Bleistiftnotizen im Schwurgerichtssaal. In: Neue Freie Presse, 17.2.1926, S. 10, Die Komödie unserer eigenen Seele. Vorbemerkungen zum Vortrag „Die Welt des modernen Theaters“. In: Radio Wien, 8.2.1926, S. 34, Wiedersehen mit dem kleinen Leutnant. Der Film: „Hotel Stadt Lemberg“. In: Neue Freie Presse, 19.10.1927, S. 1f., Die Baker tanzt. („Schwarz auf Weiß“ im Johann-Strauß-Theater.). In: Neue Freie Presse, 2.3.1928, S. 1-3, Granowskys Theater aus Moskau. (Zweiter Premierenabend.). In: Neue Freie Presse, 9.9.1928, S. 16f., Der Wiener in Berlin. Eine Begegnung. In: Neue Freie Presse, 2.2.1929, S. 1-3, Puppenaufruhr in meinem Kasten. Zum Abschluß der diesjährigen Vortragsserie „Wiener Premièren“. In: Radio Wien, 19.7.1929, S. 2-4, Erlebte Bücher von Frauen [u.a. zu Lili Körber: Eine Frau erlebt den roten Alltag. In: Neue Freie Presse, 31.7.1932, S. 28, Erfolg des jungen Theaters [Rez. zu Ödön von Horváth: Kasimir und Karoline]. In: Neue Freie Presse, 6.2.1935, S. 7, Sommerbücher [Rez. zu Werken von Edwin Arnet, Vicki Baum und Joachim Ringelnatz]. In: Neue Freie Presse, 21.7.1935, S. 33.

Hugo Schulz: „Durch die Quartiere des Elends und Verbrechens“. In: Arbeiter-Zeitung, 12.1.1908, S. 8f., O. F.: Ein neues Modebuch [Rez. zu Von Kleinern und Liebe]. In: Kikeriki, 16.9.1917, S. 6, Erwin Weill: Legenden und Märchen aus unseren Tagen. Ein Buch innerer Erlebnisse. In: Mittagsblatt des Neuen Wiener Journals, 8.2.1918, S. 3f., Das unterirdische Wien. In: Arbeiter-Zeitung, 24.6.1920, S. 7, Paul Wiegler: Neue Bücher. In: Prager Tagblatt, 8.4.1923, S. 18, Hermann Bahr: Spiegelung. In: Neue Freie Presse, 3.5.1923, S. 1f., Erich Kornigen (?): E. K. im Berliner Rundfunk. In: Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, 13.6.1927, S. 6f., Halsmannprozeß und kein Ende. In: Reichspost, 29.10.1929, S. 7, Hans Chlumberg: E. K. Zur Eigenvorlesung am Samstag, 26. April. In: Radio Wien, 18.4.1930, S. 12, N.N.: E. K. gestorben. In: Neue Freie Presse, 2.6.1936, S. 3.

Literatur

Margarethe Szeless: Die Sozialreporter E. K. und Hermann Drawe. In: Hubert Christian Ehalt (Hg.): Wien. Die Stadt lesen (2006), S. 61-68, M. S.: E. K. & Hermann Drawe. „Durch die Quartiere des Elends und Verbrechens“ sowie Siegfried Mattl: Das wirkliche Leben. Elend als Stimulationskraft der Sicherheitsgesellschaft. Überlegungen zu den Werken Max Winters und E. K. Beide in: Werner Michael Schwarz, M. S., Lisa Wögenstein (Hg.): Ganz unten. Die Entdeckung des Elends (2007), 99-109 bzw. 111-117, Eintrag in ÖBL online.

(ME)