Hanns Margulies: „Auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege“
Hanns Marguliesoft auch Hanns, geb. am 3.5.1889 (in anderen Dok. auch: 19.9. bzw. 27.9.1889) in Sosnowitz/Sosnowiec bei Kattowitz (Dt. ...: „Auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege“ (1927)
Täglich erscheinen in den Zeitungen Inserate, in denen Menschen einander suchen. Da es die behördliche Sittlichkeit so will, suchen sie alle „ehrbar“, auch wenn ihnen gar nicht danach zumute ist. Aber es läßt sich ja durch dieses „ehrbar“ auch niemand abschrecken, wenn ihm der sonstige Inhalt des Inserats zusagt. Wer aber sind die Mädchen und Frauen, die jungen und älteren Damen, die „auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege“ Bekanntschaften suchen und Beziehungen anknüpfen? Nach der Fülle der Rufenden zu schließen, muß die Zahl der Antwortenden nicht gering sein.
Ein Wiener Journalist, Dr. Leo Perry, ist nun auf den glänzenden Einfall gekommen, Lockinserate in verschiedenen Wiener Tageszeitungen erscheinen zu lassen, um so einen Einblick in dieses Gebiet zu gewinnen. Seine Inserate waren geschickt und berechnet abgefaßt, so daß sie das ganz große Gebiet vom noch harmlosen Flirt über die ernsten Heiratsabsichten bis zur perversen Lustbefriedigung einfingen. Auf dreiundzwanzig Inserate liefen rund zweihundert Zuschriften ein, die er wortgetreu, mit allen orthographischen und grammatikalischen Fehlern – an denen es auch dann selten mangelt, wenn der Briefschreiber behauptet, akademische Bildung zu besitzen – und nur mit Eliminierung ausgesprochen pornographischer Stellen in einem Buch vereinigt hat, das jetzt im „Verlag für Kulturforschung“ (Wien-Leipzig) erschienen ist.
Ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, der Schamlosigkeit und der Berechnung! Auch wenn man auf vieles gefaßt ist, man wird immer noch überrascht von dein, was hier zusammengekommen ist. Wie jeder sich anpreist, sich in den schillerndsten Farben malt, wie jeder ein Ausnahmemensch sein will, sich bemüht, originell zu wirken! Wie ehrlich jeder zu sein vorgibt! Vorgibt, denn einige von ihnen antworten mit fast den gleichen Worten auf verschiedene, ja, sogar gegensätzliche Inserate.
Da ist zum Beispiel ein „Trovatore“:
Herr in den besten Jahren,
in dessen Erziehung manches versäumt wurde, sucht Anschluß an Weltdame von stolzer Erscheinung.
Er bekam von einer Dame, die den Sinn des Inserats richtig begriff, diese Antwort:
„Wenn ich Ihre Annonce richtig aufgefaßt habe, brauchen Sie eine ernste, elegante first Class Dame, die Ihnen die fehlende Kinderstube nach und nach, selbst durch strenge, radikale Unterweisung und Erziehung beibringt …— Ist es nicht so? An mir werden Sie, geehrter Herr, die qualificierte entsprechende Dame der besten Gesellschaft, sprachenkundig, musikalisch, vielseitig gebildet, imposante, elegante Figur, romanischer Typus, befähigt Ihnen die besten Manieren, feinste Lebensart beizubringen finden. – Ich ersuche Sie höfl. mir Postlagernd zu schreiben, wann und wo wir uns zwischen 5–7 abends treffen könnten, um Näheres zu besprechen und zu sehen, ob wir uns verstehen und konvenieren und ob Sie in der Lage sind, derartige Stunden entsprechend zu honorieren, dieser Punkt ist sehr wichtig: eine Conditio sine qua non. – – –“
Das ist deutlich, nicht wahr?
Die gleiche, verständnisvolle Dame aber ist auch „Juno“, denn sie antwortet auch auf dieses Inserat:
Ernster Herr,
in den besten Jahren, sehr zurück-
gezogen lebend, finanziell erstklassig,
sucht die ehrbare Bekanntschaft einer
Dame von imposanter Figur. Bubikopf
und Modepuppe verbeten.
Ihm schrieb sie:
„Euer Hoch wohlgeboren! Ihre gesch. Annonce, die mir ein Zufall heute in die Hände spielt, erregt meine Aufmerksamkeit, weil wir anscheinend passen. Auch ich bin ernst, lebe sehr zurückgezogen seit langer Zeit, möchte aber jetzt, bevor es zuspät wird, einen passenden Anschluß finden. – Ich bin kath. geschieden, habe eine lebenslängliche Rente, mein Mann zahlt mir Alimente, ich bin vollkommen unabhängig, lebe im Hotel das ganze Jahr; spreche mehrere Sprachen, perfect französisch, spiele sehr gut Klavier, kenne fast ganz Europa, bin sehr belesen. Ich bin groß, ziemlich stark, habe eine regelmäßige, schöne Figur, brünett, schönes glänzendes Haar, romanischer Typus. Mein Mann ist hochgestellter Officier, ich stamme aus einer vornehmen Familie. Si Ie coeur vous en dit, schreiben Sie mir nicht anonym, wie Sie sich diese Bekanntschaft vorstellen und Näheres über Ihre Verhältnisse, vor Indiskretionen sind Sie sicher…“
Ehrbar, nicht wahr? Möchte man glauben, daß diese Dame Honorare für sadistische Behandlung beansprucht?
Temperamentvolle Dame,
sehr elegant, entre deux ages, würde
sich gern an netten, jüngeren Herrn
attachieren. Guter Tänzer bevorzugt.
Gefl. Anträge unter „Rosenkavalier“.
Eine Antwort:
„Meine Hochverehrte Dame! In Ihrem Inserat suchen Sie einen Rosenkavalier als Freund. Ich möchte es gerne sein, ich weiß aber nicht, ob Sie mich dafür gelten lassen. Kavalier bin ich vom Scheitel bis zur Sohle, ein guter Tänzer bin ich auch. Sonst elegantes und angenehmes Äußeres. Jung bin ich auch noch, wenn nicht gerade sehr jung, 32 Jahre, sehe aber viel jünger aus. Dafür bin ich erfahren und rasenierter in der Liebe und äußerst temperamentvoll. Wenn ich in angenehmer Gesellschaft bin, kann ich sehr lustig sein. Es kann sein, daß ich noch mehr Vorzüge besitze, diese zu suchen überlasse ich gerne meiner Partnerin. Ich bin Reichsdeutscher, erst kurze Zeit in Wien…“
Aber dieser Reichsdeutsche hat noch eine andere Seite, die er unter dem Stichwort „Gesicherte Existenz“ bekanntgibt, denn er antwortet auch auf dieses Inserat:
Fräulein aus gutem Haus,
mit eigenem gutgehenden Geschäft,
27 Jahre alt, hübsche, sympathische
Erscheinung, mit dreijährigem herzigen
Mäderl, wünscht seriösen Herrn
zwecks Ehe kennenzulernen.
Ihr schreibt er:
„Sehr geehrtes gnädiges Fräulein!
Mich interessierte Ihr wertes Inserat, worin Sie einen Herrn zwecks Ehe suchen. Ich glaube, es wird Ihnen schwer fallen, den richtigen Herrn, der ja gleichzeitig auch ein richtiger Vater sein muß, zu finden. Und da Sie ja bereits Enttäuschungen und Schicksalsschläge ertragen mußten, wollen Sie sich für weitere hüten. Auch ich habe ein besonderes Schicksal. Fast heimatlos irre ich nun schon cca. 14 Jahre in der Welt herum und suche irgendwo eine Heimat und konnte sie noch nirgend finden…
Als ich nun heute durch Zufall Ihr Inserat entdeckte, da ich sonst nie diesen Teil der Blätter beachte, kam mir gleich der Gedanke, das ist vielleicht etwas für dich. Sie werden darüber natürlichen lachen, aber wissen Sie, ich bin mit Menschen, die auf irgend einer Weise ein Schicksalsschlag erlitten haben, mit meinem Schicksal verbunden. Mein Prinzip ist auch nur, eine solche Frau zu heiraten. Da ich aber sehr kinderlieb bin, ja man sagt mir sogar ich sei ein Kindernarr, würde ich Ihr kleines Mädchen ans Händen tragen. Wie oft habe ich es schon bedauert, wenn Eltern mit ihren Kindern recht glücklich sind, daß ich es nicht sein kann…“
Also nicht nur „raseniert“ in der Liebe, sondern auch bei dem Versuch, die „gesicherte“ Existenz zu erheiraten.
Sehr interessant ist, daß ein Japaner nur drei Zuschriften erhielt und ein Mulatte, ein Jazzbandspieler, bloß einen einzigen Brief bekam.
Den Rekord konnte aber nachstehendes Inserat erzielen:
Fratz,
aus sehr gutem Haus, der sich
grenzenlos langweilt, sucht anregende
Korrespondenz. Wer Lust hat, schreibt
mir unter „Naschkatzerl“.
Das Naschkatzerl hat es den jungen und alten Männern angetan. Jeder möchte mitnaschen. Von zarter Anzüglichkeit bis zur eindeutigen Ferkelei ist in den vielen Zuschriften alles vertreten.
Sehr bezeichnend ist auch, daß auf Dreieckverhältnis zielende Wünsche prompt erfüllt werden und daß sich auch genügend Ehepaare finden, die unter der Chiffre „Vierblättriger Klee“ antworten.
Das Buch von Dr. Leo Perry ist wirklich ein Beitrag zur Sittengeschichte von heute. Es ist amüsant, es ist aufschlußreich und es ist unsäglich traurig. Denn: Das ist der Mitmensch, der Nebenmensch. Unverhüllt, aber verlogen, egoistisch, heuchlerisch. Gerade in dieser Verlogenheit aber enthüllt er sich.
Dem Buch zu wünschen, daß es von vielen gelesen werde, ist überflüssig, denn die Neugierde, dem Nebenmenschen einmal ins unaufgeräumte, ungelüftete Schlafzimmer gucken zu können, ist bei allen groß.