Ernst Křenek: Blick auf österreichische Lyrik der Gegenwart
Ernst Křenek: Blick auf österreichische Lyrik der Gegenwart (1935)
Erklärende Worte zum Abend „Österreichische Lyrik von heute“, „Podium im Hagenbund1899 auf Initiative des Architekten Joseph Urban und des Malers Heinrich Lefler von Mitgliedern der sog. „Haagengesell...“, Wien 6. Dezember 1935
Klinget Saiten, schwinget Saiten,
Unsichtbare Götter gleiten
Über eure Silberbrücken.
Sehnen und Entzücken
Rauscht auf eurem Stege.
Klinget Saiten, schwinget Saiten,
Über eure lichten Wege
Schauern Ewigkeiten.
Den Vorklang zur heutigen Auswahl aus der österreichischen Lyrik der Gegenwart gibt das Zitherliedchen von Otto Stoesslgeb. am 2.5.1875 in Wien – gest. am 15.9.1936 in Wien; Schriftsteller, Kritiker, Beamter Der älteste Sohn eines .... Die erklärenden Worte, die nun folgen, können nicht dem Zweck dienen, die „unsichtbaren Götter“, die über die Silberbrücken gleiten, sichtbar zu machen oder die schauernden Ewigkeiten ins Endliche, Meßbare zu verkleinern. Nur allzuoft verliert sich der Versuch, Lyrik gedanklich zu interpretieren, in leeren Tautologien, indem man aus dem Vorurteil, daß Analyse und Deutung dem Gedicht unangemessen sei, dessen Gefühlsgehalt aus der gehärteten Form, die er im Gedicht erhalten hat (oder wenigstens erhalten haben soll), herauslöst und prosaisch erweicht. Aber nicht nur darum sind die Betrachtungen gerade über österreichische Lyrik nicht selten überschwenglicher als diese selbst […] Da man sich nun zurechtgelegt hat, daß der österreichische Genius hauptsächlich in einer affektiven Sphäre heiterer Sinnlichkeit beheimatet sei, ist der Österreicher nur zu leicht geneigt, zu glauben, daß das wahr ist, und so wie er seine Musikalität gerne in einem Schaffen bekundet sieht, das ihm wie ein unbeschwertes Trällern vorzukommen scheint, so stellt er sich auch gelegentlich den Dichter als eine Art von seligem Stammler vor. Und darum glaubt man besonders heute, einen Lyriker nicht höher loben zu können, als wenn man ihm alle mögliche „Verbundenheiten“, Verwachsungen und Verwurzelungen attestieren und sich seine Produktionsweise als ein ständig leicht berauschtes Sinnieren über die Urtatsachen der Natur vorstellen kann.
Es scheint jedoch, daß diese Betrachtungsart weder ihrem allgemeinen Objekt, noch besonders der österreichischen Lyrik gerecht wird. Denn der Grundcharakter des lyrischen Verhaltens ist doch wohl eher Spannung und Distanz, als Versunkenheit und Einklang. Die sentimentalische oder kritische Beziehung, die der Dichter zwischen sich und der umgebenden Welt vorwalten sieht, ruft jene gesteigerte Form des Denkens hervor, die der besonderen sprachlichen Prägung bedarf und die wir Lyrik nennen. Diese Grunddisposition des Lyrischen muß in dem Wirkungsbereich christlich-dualistischer Denkweisen zu ganz besonderer Bedeutung gelangen. Wie gewaltig die Gefühlskräfte auch sein mögen, die jener Spannungszustand in Bewegung setzt, so müssen sie sich notwendig in Gedanken transformieren, sollen sie sprachliche Gestalt gewinnen. Darum soll Lyrik hier mit dem Anspruch betrachtet werden, daß sie die Gestaltwerdung eines gesteigerten Denkens ist und nicht eine dumpfe Vorstufe unterhalb oder ein nur in unbestimmt antiintellektualistischen Ressentiments geträumtes Jenseits des Gedankens.
Sprechen wir vom Spannungszustand als Urgrund und vom gesteigerten Denken als Element des lyrischen Verhaltens, so werden wir sogleich an den Namen eines Dichters gemahnt, der dem heutigen Programm fehlen muß, weil er den Vortrag seines Werkes sich selbst vorbehält, dessen aber nichtsdestotrotz hier mit Ehrfurcht gedacht sein soll; es ist der Name Karl Kraus. Spannung und Distanz zur Umwelt, äußerster Anspruch an Gedanke und Sprachgestalt hat ihn zum Pathos der Satire und in jene konzessionslose Lebensposition geführt, die man kennt und aus der manche oberflächlich zu schließen geneigt waren, daß sein lyrisches Werk eine belanglose Spielerei sei, die die Mußestunden des Kämpfers ausfülle. Aber gerade an dem Schaffen von Kraus zeigt sich die Identität von Denken und Dichten, die er auch in theoretischen Überlegungen unermüdlich darzutun sucht […]
Aus der geistigen Sphäre von Karl Kraus sprechen Georg Trakl und Franz Janowitz, beide nicht mehr unter den Lebenden, beide noch nicht dreißigjährig vom letzten Krieg hinweggerafft. In Georg Trakl pflegt man vielfach bloß einen bizarren Poeten der Dekadenz des Fin de siècle zu sehen, eine Figur des Expressionismus der Vorkriegszeit. Nur eine summarische Beurteilung seiner sprachlichen Substanz in der so viel vom Verfall, von braunen Nachmittagen, vom Herbst und der Dämmerung die Rede ist, kann zu solchem Ergebnis führen. Die wahre Bedeutung Trakls, anfangs nur wenigen erleuchteten Freunden klar, tritt erst in unseren Tagen deutlicher hervor, wo man der religiösen Würde und der symbolhaften Gehalte seiner Dichtung inne wird und ihnen nachzuforschen sucht. Mit Recht hat Wener Meyknecht im letzten Heft des Brenner auf die barocken Züge im Werk Trakls hingewiesen. All die stehenden Bilder, die bei Trakl wiederkehren: der Einsame, Jäger und Hirt, Brot und Wein, das Kreuz, der Grabstein, Augenlider, schwarze Zweige – sind nicht Requisiten zur Erzeugung seltsamer Stimmungen, sondern echte Allegorien in einem barocken Sinn, erstarrte, aus dem planen Lebenszusammenhang gebrochene Bilder, die erst in der Perspektive auf die Erlösung der Welt durch Christus ihren geheimen Sinn empfangen. Fast als hätte er Trakl gemeint, lesen sich folgende Sätze aus Walter Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels über das Wesen der Allegorie: „Das ist der Kern der allegorischen Betrachtung, der barocken, weltlichen Exposition der Geschichte als Leidensgeschichte der Welt; bedeutend ist sie nur in den Stationen ihres Verfalles. Soviel Bedeutung, soviel Todesverfallenheit, weil am tiefsten der Tod, die zackige Demarkationslinie zwischen Physis und Bedeutung eingräbt. […]
Direkt benachbart der Vorstellungswelt von Karl Kraus ist das Gedicht Komödianten von Franz Janowitz, in welchem die in dürftigem Flitterkram unscheinbar präsentierte Scheinwelt des Theaters als Abbild der erlösten Überwelt, des erträumten Zieles der irdischen Sehnsucht gedeutet wird. Die Wirkung des Gedichtes Wer? beruht auf dem Kontrast zwischen dem Gewicht des Gedankens, der Inhalt, Sinn und Ende eines Menschenlebens dicht zusammendrängt, und der leichtfüßig huschenden Gestalt, die dieser Gedanke gefunden hat.
So wie Georg Trakl gehören Anton Santer und Josef Leitgeb dem Kreis der von Ludwig Ficker seit über zwanzig Jahren geleiteten Zeitschrift Der Brenner in Innsbruck an, diesem in charakteristischer Isolierung befindlichen, aber höchst bedeutenden Kristallisationskern österreichischer Geistigkeit. Die tiefsinnigen Jamben, mit denen Santer „einen stummen Freund apostrophiert, in weiser Ökonomie einem kargen Wortmaterial den Gedanken abringend, führen an die Grenzen der Poesie, indem sie das nach innen horchende Schweigen des Alters, das das Unbenannte ohne Wort versteht, einer Jugend vorhalten, die mit Worten für und wider Namen streitet. Ist dieser Dichter, gebürtiger Tiroler, so ist, wie Trakl aus Salzburg, Josef Leitgeb aus dem salzburgischen Bischofshofen frühzeitig nach Innsbruck gekommen, wo er als Lehrer tätig ist. Seine Arbeiten bieten das hocherfreuliche Bild eines starken, frischen Temperaments, das sich in wohltätige sprachliche Zucht genommen hat. Das Pathos der heroischen Landschaft des Karwendelgebirges wird in kräftigen Bildern anschaulich (Morgen), während das in überirdischer Feierlichkeit herrlich schreitende Gedicht Heilige Nacht der Ausdruckswelt Trakls sehr benachbart ist. Sprachlich bemerkenswert ist, wie in der letzten Strophe eine Steigerung des Ausdrucks erreicht ist durch Aufhebung des bis dahin durchgehaltenen Reims, also auf dem umgekehrten Weg als es sonst zu geschehen pflegt.
Die Reflexionen von Santer berühren schon ein Gebiet, das fast immer und heute besonders in der Lyrik eine große Rolle spielt, nämlich die Bedeutung der Kunst selbst in ihrer Beziehung zum Menschen. Nur bei Dichtern, die wie Georg Trakl, so vollkommen in der religiösen Sphäre aufgehoben sind, daß au sie die Opitzsche Definition „Die Poeterey ist anfangs nichts anderes gewesen als eine verborgene Theologie“ angewendet werden kann, hat der Kunst ihren Sinn so sehr in sich selbst, daß sie eigentlich aufhört, Kunst zu sein, eben weil sie verborgene Theologie ist. In den Versen vom „Gemmenschneider“ umschreibt Ernst Waldinger Aufgabe und Würde der Kunst, die auch inmitten von Verfall und Untergang nicht verloren geht. Sehr schön ist das Bild von dem zarten Damm, den die reine Linie des Kunstwerkes gegen die Überflutung durch trübe Wirrnis aufrichtet. Sprachlich von besonderem Reiz sind die leichten Verse, die Waldinger „auf ein junges Mädchen“ dichtet. Das kunstvolle Spielen mit den Worten „verloren“, „befangen“, „unbefangen“ erinnert an manche Rondeauformen der älteren Dichtung, die sich hier glücklich erneuert zeigen.
In den engeren Bereich von Karl Kraus führen die Gedichte von Berthold Viertel zurück, der, nachdem er manches Jahr die hochgeschraubten Ansprüche seiner geistigen Sphäre auf der deutschen Bühne durchzusetzen gesucht hat, nunmehr einen ebens unermüdlichen wie vermutlich aussichtslosen Kampf gegen die Wind- und Tretmühlen amerikanischer Filmproduktion kämpft. Der Ort –:
Einst – Kindheit, Fieber oder Traum,
Ich wachte kaum, ich dachte kaum –
Lag eine Wiese da.
– – – – – – –
Man muß nicht Wege suchen, sie
Verführen und sie führen nie
Zu dem entzückten Ort.
– – – – – –
ist der auch von Kraus so oft geträumte Ort der himmlischen Landschaft, wo die Schuld aufgehoben ist im doppelten Sinn des Wortes: aufbewahrt und getilgt, wo der Schein, wieder im doppelten Sinn: das Unwirkliche und der Glanz, Wahrheit wird, so wie es in der Kindheit war. Es ist ein wahrhaft christlicher Himmel, von dem diese österreichischen Dichter träumen – das zeigt das Gloria, in welchem Viertel mit einer volksliedhaften Schlichtheit des Ausdrucks das irdische, von Gott geschaffene Leben um jenes ewigen willen bejaht.

