Ludwig Meidner: An alle Künstler. Dichter. Musiker
Ludwig Meidner: An alle Künstler. Dichter. Musiker
Damit wir uns nicht mehr vor dem Firmament zu schämen haben, müssen wir uns endlich aufmachen und mithelfen, daß eine gerechte Ordnung in Staat und Gesellschaft eingesetzt werde.
Wir Künstler und Dichter müssen da in erster Reihe mittun.
Es darf keine Ausbeuter und Ausgebeuteten mehr geben!
Es darf nicht länger sein, daß eine gewaltige Mehrheit in den kümmerlichsten, unwürdigsten und entehrendsten Verhältnissen leben muß, während eine Minderheit am übervollen Tisch vertiert. Wir müssen uns zum Sozialismus entscheiden: zu einer allgemeinen und unaufhaltsamen Vergesellschaftung der Produktionsmittel, die jedem Menschen Arbeit, Muße, Brot, ein Heim und die Ahnung eines höheren Zieles gibt. Der Sozialismus muß unser neues Glaubensbekenntnis sein!
Er soll beide erretten: den Armen aus seiner Schmach der Knechtschaft, der Dumpfheit, Rohheit und Gehässigkeit – und den Reichen will er vom erbarmungslosesten Egoismus, von seiner Habgier und Härte erlösen für immerdar.
Uns Maler und Dichter verbinde mit den Armen eine heilige Solidarität! Haben nicht auch viele unter uns das Elend kennen gelernt und das Beschämende des Hungerns und materieller Abhängigkeit?! Stehen wir viel besser und gesicherter in der Gesellschaft als der Proletar?! Sind wir nicht wie Bettler abhängig von den Launen der Kunst sammelnden Bourgeoisie!
Sind wir noch jung und unbekannt, so wirft sie uns einen Almosen hin oder läßt uns lautlos verrecken.
Wenn wir einen Namen haben, dann sucht sie uns durch Geld und eitle Wünsche vom reinen Ziele abzulenken. Und wenn wir längst im Grabe, dann deckt ihr Protzertum unsere lauteren Werke mit Bergen von Goldstücken zu. – Maler, Dichter, Musiker, schämt euch eurer Abhängigkeit und Feigheit und verbrüdert euch dem ausgestoßenen, rechtlosen, gering bezahlten Knecht!
Wir sind keine Arbeiter, nein. Rausch, Wonne – Verglühen ist unser Tagewerk. Wir sind leicht und wissend und müssen wir Führer-Fahnen vor unsern schweren Brüdern wehen.
Maler, Dichter….. wer sonst sollte für die gerechte Sache kämpfen als wir?! In uns pocht noch mächtig das Weltgewissen. Die Stimme Gottes in uns facht immer von Neuem unsere Empörerfäuste an.
Seien wir auf der Hut!
Wird nicht schon morgen wieder die Bourgeoisie die Staatsgewalt in ihre Hände reißen durch Putsche, Bestechung und skrupellose Wahlpraktiken? Wird dieses neue Deutschland der herrschenden Bourgeoisie nicht noch unverschämter menschliche Arbeitskraft ausnützen, den Armen noch brutaler ducken? Wird es nicht in allen geistigen Dingen noch arroganter und frecher triumphieren wollen, als es je das kaiserliche Deutschland getan?!
Denn dieses, mit seiner aufgetakelten Macht von Kanonen, Kasernen und Eisenschiffen, ABC-Schulen, Polizisten und falschen Pfaffen, war zu plump und träg und unwissend, um ernsthaft in den Bezirken des Geistigen großen Schaden anrichten zu können. Wo aber der despotische Bourgeois aufkommt – wo der in den edlen Räumen des Geistes mit seiner wüsten Tatze hintritt – da wächst kein Gras mehr nach.
Maler, Dichter! Scharen wir uns mit unseren eingeschüchterten wehrlosen Brüdern um den Geist!
Der Arbeiter achtet den Geist. Er bemüht sich mit kräftigem Eifer um Erkenntnis und Wissenschaft.
Der Bourgeois ist ehrfurchtslos. Er liebt nur Spielerei und ästhetisch verbrämte Stupidität und haßt und fürchtet den Geist – denn er fühlt, daß er von ihm entlarvt werden könnte.
Der Bourgeois kennt nur eine Freiheit, seine eigene – d.h. die Anderen ausbeuten zu können. Das ist der bleiche Terror, der geht schweigend und Millionen sinken hin und verwelken früh.
Der Bourgeois kennt keine Liebe – nur Ausnutzung und Übervorteilung.
Auf, auf zum Kampfe gegen das häßliche Raubtier, den beutelüsternen, tausendköpfigen Kaiser von morgen, den Gottesleugner und Anti-Christ!
Maler, Baukünstler, Skulptoren, denen der Bourgeois hohe Löhne für eure Werke zahlt – aus Eitelkeit, Snobtum und Langeweile – höret: an diesem Gelde klebet Schweiß und Blut und Nervensaft von tausend armen, abgejagten Menschen – höret: das ist ein unreinlicher Gewinn.
- Ach, wir wollen ja nur leben können und unsere Werke tun zum Preise Gottes!
Maler, Dichter und alle Künstler, alle aufrichtigen Freunde der Künstler, Kameraden
alle; wir müssen uns stark machen: es geht um den Sozialismus. Wir wollen keinen blutbefleckten Lohn mehr. Wollen frei sein, zu unserer und der Menschheit Lust uns hinströmen.
Kameraden, höret weiter: wir müssen Ernst machen mit unserer Gesinnung. Wir müssen uns der Arbeiterpartei anschließen, der entschieden unzweideutigen Partei. Wir müssen wahrhaft sozialistische Kämpfer werden, den Brüdern helfen, den Bürger stellen und brandmarken, wo wir ihn treffen. Wir müssen uns unter die Armen mischen, belehrend wirken, unterrichten, aufklären, anfeuern, eifern, hetzen, schüren und wenn die Stunde kommt – mit angetreten in Reih und Glied gestellt – mit der Flinte gegen den Feind – O, einen blutheißen Leiberwall der Herzen und Geister gegen den Feind!
Ich bin organisierter Sozialdemokrat gewesen seit fünfzehn Jahren, aber ich habe die Jahre nutzlos vertan, die Zeit vertrödelt, verträumt. Nun muß ich mich in Gewühle stürzen, meine Liebe, meinen Haß zu verströmen, wie mein Blut! – O, entfachte einen nimmersatten Haß – um der Gerechtigkeit willen schüret diesen Haß in euch.
Was nützt uns Reichtum und üppiges, parasitäres Schwelgen?! Ist’s nicht der Ruin eines jeden Talentes gewesen? Wie habt ihr Maler vor dem Kriege gepraßt und gesoffen und hirnlos eure Kraft verpufft!! Machet euch frei, so weit es geht, vom gleißnerischen Bourgeois. Und nicht mehr scharwenzelt in der Salons und die reichen Schmarotzer umwedelt. Arm sein mit den Armen! Die Hauptsache, es reicht auf den Suppen- und Farbentopf.
Jetzt heißt es: Emanzipation der Arbeiterklasse. Aber auch: Emanzipation der Künstler und Dichter. Wir wollen keine Spaßmacher mehr sein für die gute Verdauung der reichen Narren, Snobs und Fanfarons!
Hinan, hinan! auf die Tribünen – auf die Bastionen der kommenden Menschheit: für Menschenwürde, Menschenliebe, Gleichheit und Gerechtigkeit. Ja, wir sind alle gleich. Vom einen Ursprung sind wir ausgeschickt. Wer will sich über seinen Bruder erhöhen?!
Entschließen wir uns zum Menschheitskampfe, wir Maler! Wir werden einen herrlichen Gewinn davontragen –: unser Werk wird tiefer werden, die Linien edler, das Pathos sublimer. Denn die Werke sind immer aufs Haar Ausdruck unseres Denkens und Tuns. Wir müssen unsere Trägheit meistern, uns anschließen den kämpfenden sozialistischen Reihen. O, uns leite an diesem dunklen Tag die göttliche Stimme: Gerechtigkeit und Liebe.
Mit Leib und Seele, mit unseren Händen müssen wir mittun. Denn es geht um den Sozialismus – das heißt: um Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und Menschenliebe – um Gottes Ordnung in der Welt.
In: Der Anbruch1919-1937, Wien; ab 1929 Titeländerung zu Anbruch. Untertitel: Halbmonatsschrift für moderne Musik (bis 1923), Monatss..., H.1/1919, o. S. [1]