Anton Hanak: Ein Kunstbeirat für Wien

Anton Hanak: Ein Kunstbeirat für Wien (1923)

Der Stadt Wien kann wohl niemand den Vorwurf machen, daß sie nicht in allen künstlerischen Fragen den hohen Rat der Künstler angerufen und befolgt hat.

             Es ist in den letzten, sagen wir fünfundzwanzig Jahren sicherlich kein öffentliches Bauwerk oder Denkmal errichtet worden, das nicht von den Künstlern entworfen oder zur Ausführung empfohlen wurde.

             Es gibt in Wien auch sicherlich kein Denkmal dieser Zeit, das nicht bei seiner Übergabe an die Öffentlichkeit als eine Zierde der Stadt besungen und gepriesen wurde.

              So ist diese Stadt zu ihrem heutigen Bilde ausgebaut worden. Alle haben das beste zusammen getan und somit ein Wahrzeichen ihres Lebens und ihrer sittlichen Stufe geschaffen.

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             Nun ist eine neue Zeit herangebrochen und der Menschheit bemächtigen sich andere Ziele, andere Ideale.

             Und gerade so wie unsere Vorfahren der Stadt, in der sie wohnten, ihr persönliches Gepräge gegeben haben, so werden es sicherlich die tun wollen, die nun kommen müssen.

             Niemand kann verlangen, daß alles, was geschaffen wurde, von den Nachkommenden restlos übernommen werde, als unverrückbar fortbestehen muß.

             Die Kommenden nahen und werden bauen. Bauen im Sinn ihrer Gefühle – ihres Strebens.

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Unerwartet erschallt uns ihr erster Ruf; die Stadt Wien fordert ihre Künstler auf zu einem Leben, zu einer erhebenden Tat.

Sie will ihrer Tradition folgen, auf ihren Fundamenten weiterbauen.

Und wie bei jedem Bauwerk, das vorübergehend eingestellt wurde, vorerst notwendig ist, daß das Vorhandene gründlich gesäubert wird ehe weiter gebaut werden kann, so gilt dieses Gesetz auch für die Stadt Wien.

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Den Künstlern, die nun berufen werden, der Stadt mit Rat und Tat zu dienen, möge die Zeit ihr höchstes Ziel vor Augen stellen.

Mögen die irdischen Grenzen noch so eng sein – nach oben ist es grenzenlos.

In: Arbeiter-Zeitung, 27.1.1923, S. 5.