Emil Szittya: (Die Reinigungsarbeit)

Emil Szittya: (Die Reinigungsarbeit) [hs]. Mein Erlaß an die kunstpolitischen Bewegungen[1]. (1919)

I. (Die Reinigungsarbeit.)

Es ist Trudbefreiung, daß die Kunst aufhört, ein abstraktes Problem zu sein. Problematisieren war auf dem Gebiet der Kunst schon vom Dilettantismus diskreditiert. Das Zergrübeln über die Kunst (die Lebensatmen sein sollte) wurde immer zweck- und geschmackloser und konnte sich (dort, wo es noch etwas war) nur zu einem unsagbaren Sichauflehnen jammern.

(Weil zuviele Larven von gestern den Sucher vermummen, konnte alle Erfahrung und jedes Praktischwerden sich nur in Hinfälligkeiten häufen.)

II. (Über das Schnüffeln)

Kunstforschung, wenn sie sogar zur Litteratur wird, ist eigentlich ein verkappter Kunstsnobismus, in dem sich die von der Kunsttat Abseitigen in Ästhetenentfliehungen verketten. Kusntsnoberei ist abscheulich, weil sie sich nur von Kunstscharlatanerie nähren kann.

III. (Fort mit der Kunstkritik)

Kunstkritik baut sogar in ihrer raffiniertesten Form auf die Geringschätzung der Gegenwart. Es ist ein vom ewigen Zurückgreifen-Afgezehrtsein. Kunstkritik erdreist sich, die Kunsttat immer in die Vergangenheit zurückschrauben zu wollen.

IV. (Die Unverständlichkeit)

Es fehlt die Freude an der Gegenwart. Man freut sich nicht über jene, die ein Übermaß der Hingabe von bisher (mit Unrecht) Unbeachteten zu vergeben haben. Man freut sich nicht darüber, daß es in der Kunst Wunderahner gibt, deren Lebensnerv sich im Giftlefzenfluidum zerwühlt. //

(Die fiebernden Formbildner müssen durch das Unverständnis, das man ihnen als Dank gibt in Unräumlichkeiten erstarren.)

V. (Kunstliebe.)           

Kunstkritik ist von vornherein von Mißtrauen geschweißt. Statt Kunstkritik muß Kunstregistrieren kommen, denn dort, wo Kunstregistrieren zur wirklichen Kunst sich entfaltet, ist es Kunstliebe. Kunstliebe ist ein Sichhineinbetten in die Vielheiten eines organisch sich aufbauenden Weltkomplexes.

VI. (Fort mit den Kunstschulen, wenn sie auch expressionistisch sind.)

Man darf nicht das trotzig wilde Streben nach dem Zentrum der schwindenden Höhen, die einen von den Kunstrevieren aus erfüllen, von dem Standpunkt einer Schule betrachten. Sogar die revolutionärste Kunstschule muß auf einer Grammatik des Schauens basieren und will verhindern, daß man die Grenzenlosigkeit des Zuständlichen anschaulich bewegliche. Die Schule war immer daran schuld, daß viele große Künstler sich von dem Effekt des Zufalles beeinflussen ließen, um wenigstens auf Augenblicke das Wunder zu besitzen.

VII. (Kunst und Sozialismus)                                                                                                                                                  

Die wirkliche Kunst ist Lebenkneten und nicht Vomlebengeknetetsein.

VIII. (Die traurige Einsamkeit des Künstlers.)

Es ist ein zum Verzweifeln bringendes Schicksal, daß der Künstler, der sich mit seinem Leben und Weltgeschehniskneten an die Menschheit anheimeln will, durch deren Unverständnis das Anheimeln (wenn er nicht sozialistischer Agitator ist) fortwährend in sich tilgen muß.

IX. (Die Kunsttat.)

Psychologische Zergliederungen sind nicht mehr nötig. Nicht auf kritische Spitzfindigkeiten kommt es noch an. Nötig ist: Eine wirkliche Entlarvung! Künstler! Gebt einmal Bewußtseinsdokumente über Euch! Es war genug von dem Gleichnissumpf! Kunst muß aufhören, eine verschleierte Gottheit zu sein. Rücksichtslosigkeit!, aber auch gegen sich selbst.

Nicht von Zeitereignissen gelähmt sein! Nicht das Wirren treibender Kräfte sein. Es war viel zu viel von der kleinbürgerlich-optischen Kunstpose! Bewegungsfähige hatten zu lange Ethosruhepunkte, aus dem Zagen die Gegebenheit verschwenden // ließ. Man muß sich aufraffen zur Selbsteinheit und jede Persönlichkeitsphilosophie wird sich  in Einheitsbewußtsein erformen.

Aktivität beginnt, an nichts vorüberzugehen.Tiefschürfendes erhellend auswirken und das Anschauliche, das durch den wirklichen Künstler bewußt geschieht, in ein Kulturganzes ausbreiten und mit eigenem Blutmitschwingen zum Wahrheitsgenießen verinnerlichen.

In: Horizont-Hefte Nr. 5/1919, S. 1-3.


[1] Die Streichungen sind in dem im Literaturarchiv Marbach erhaltenen Horizont-Hefte-Exemplar von Szittya handschriftlich offenbar nach dem Druck des Heftes Nr. 5 angebracht worden.