Ernst Fischer: Das Dritte Reich braucht Lakaien. Die Parade der Überläufer

e.f.[ischer]: Das Dritte Reich braucht Lakaien. Die Parade der Überläufer. (1933)

Der deutsche Nationalfascismus ist bisher mit dem Blutmythos ausgekommen. Messer, Revolver, Uniform, Fememord waren die Elemente, aus denen er sich zusammensetzte; alles Geistige galt als undeutsch und hassenswert. Es gab zwar eine Naziliteratur; aber diese Literatur begnügte sich mit Knüttelversen, die ebenso programmatisch wie leichtverständlich waren: mit den schönen Totschlagzeilen: „Schlagt tot den Walter Rathenau, die gottverfluchte Judensau!“ oder „Wir schlagen alle Polen tot und schmieren sie aufs Butterbrot!“ oder „Wenn das Judenblut vom Messer spritzt, marschiert sichs doppelt gut!“ war der künstlerische Bedarf gedeckt Alles andre war vaterlandslose Asphaltliteratur, Luxus für Untermenschen, die Thomas und Heinrich Mann den Männern der braunen Spelunken vorzogen und Gerhart Hauptmann für ein größeres deutsches Ereignis hielten als Herrn Adolf Hitler. Trotzdem rochen einige Literaten die kommende Konjunktur: der Jude Arnold Bronner und der halbvergessene Modeschriftsteller Hans Heinz Ewers machten sich an die neue Partei heran und offerierten ihr erstklassigen Blutmythos, garniert mit Kolportage und Leichengift. Arnold Bronner lieferte einige Romane, in denen en gros gemordet und gefoltert, geschossen und geschändet wurde, Hans Heinz Ewers schaltete seine Phantasie von koketten Kadavern, im Liebesrausch verwesenden Mumien, widerwärtig mondänen Vampyren und „schleimig weichen bläulich bleichen Wasserleichen“ auf die Helden des Dritten Reiches um und die Wiedergeburt des wurzelechten, herzerhebenden deutschen Schrifttums hatte begonnen. Aber bis zur Machtergreifung blieben die beiden allein; der einzige wahrhaft begabte, seine Kollegen gewaltig überragende Schriftsteller des Nationalsozialismus, Ernst v. Salomon, trat aus der Doppelreihe und bekannte sich zum Kommunismus.

Es kam die Machtergreifung. Es kam der Abscheu aller Kulturvölker gegen die deutsche Barbarei. Es kam das Bedürfnis der Diktatoren nach geistigen Ornamenten. Auf Leichenhügeln sollte ein Dichterfrühling grünen, das Horst-Wessel-Lied sollte in Symphonien eingebettet, Deutschlands Totenmaske mit bunten Farben bemalt werden. Der Reichspropagandaleiter Göbbels unternahm es, das Blut, das von den Messern spritzte, mit ästhetischem Tee zu verdünnen, den Blutmythos nicht nur stubenrein, sondern auch salonfähig zu machen, die Kommißstiefel der SA. mit Smoking und Abendkleid zu kombinieren. Göbbels lud zum Tee – die Schriftsteller, die Musiker, die Maler und die Mimen hatten zu wählen: Geist oder Macht, Charakter oder Konjunktur, tapfere Isolierung oder feige Gleichschaltung.

Sie haben gewählt. Die Männer sind ins Exil, die Kreaturen zum Tee gegangen. Die Scheidung der Geister hat sich vollzogen: nicht nur für heute, sondern für alle Zukunft Vielleicht war diese Reinigung notwendig; vielleicht ist es gut, daß alles Verschwommene nun verschwindet alles Halbe zu ganzem Bekenntnis oder zu ganzer Erbärmlichkeit gezwungen wird. Alle, die vor der Macht erschauern, vor dem Erfolg niederknien, mögen zu Hitler und Göbbels überlaufen; man wird sie nach Gebühr belohnen und nach Gebühr verachten. Man wird ihre Bücher drucken, ihre Stücke aufführen, ihre Dienste bezahlen; man wird ihnen Futter geben und wird sie als Prachtexemplare geistiger Haustiere prämiieren. Die andern aber wird man verfolgen, verfemen, ausstoßen; sie werden den Geist wie ein Schicksal und nicht wie einen Smoking tragen. Wer vor solchem Schicksal erschrickt, wer nicht in stolzer und bitterer Freiheit bestehen, sondern in die warmen Löcher der Macht hineinkriechen will, möge sich beeilen; das Dritte Reich braucht Lakaien. Die Zukunft braucht Rebellen.

Sie haben sich beeilt. Sie haben nur bis zum Tag der Machtergreifung gewartet, bis zu dem Tag, an dem sie durch den Übertritt alles zu gewinnen und nichts zu verlieren hatten. Vorher haben sie sich neutral verhalten, die Dichter und die Denker jeder Konjunktur haben sie sich ein wenig abseits gestellt, zuerst schüchtern das Volkstum oder die Ordnung oder den lieben Gott entdeckt, je nachdem, noch unverbindlich, zu nichts verpflichtend, sich weder bei den Hakenkreuzlern etwas verderbend noch bei den Katholiken etwas verschüttend noch bei den Demokraten alles verscherzend. Dann aber waren sie da, dann haben sie beteuert: „Wir wollten ja schon längst… Wir konnten nur nicht, wie wir wollten… Jetzt wollen wir, wie wir können…“ Es muß für den Zyniker Göbbels eine göttliche Komödie sein, diese Parade der Überläufer!

In der »Literarischen Welt«, einer Zeitschrift, die einen guten Namen zu verlieren hatte, werden die Herrschaften feilgeboten. Jahrelang war der jüdische Kritiker Willy Haas der Herausgeber der »Literarischen Welt«. Er war, nehmt alles nur in allem, ein linker Demokrat – bis die Sache brenzlich wurde; dann wollte er seine Zeitschrift gleichschalten. Aber was den Herren bei Mosse und bei Ullstein gelang, von links und rechts verachtet, national erhaben zu sein, ist dem Herausgeber der »Literarischen Welt« mißlungen. Die Nazi haben seine plötzliche Bekehrung seine überraschende Bejahung der fascistischen »Revolution« mit einem Fußtritt beantwortet und einen nordischen Edelmenschen namens Eberhard Meckel an seine Stelle gesetzt Dieser Meckel hat sich an Schriftsteller, die offenbar darauf warteten, herangemacht und sie um Geleitsprüche gebeten. Die Überläufer stellen sich vor.

Voran schreitet Herr Max Barthel mit einem Gedicht in dem es heißt: „Wurzeln will ich, wachsen will ich, Raum will ich haben…“ Sie haben ihm Raum gegeben in der »Literarischen Welt«, sie werden ihn wurzeln und wachsen lassen – und hinter seinem Rücken ausspucken. Dieser Max Barthel, kaum ein Talent, gewiß kein Charakter, war einer der Mitbegründer der Kommunistischen Jugendinternationale; damals war auch manch andrer Kommunist. Später ist Herr Barthel Sozialdemokrat geworden – bis der Fascismus die Republik zertrümmerte. Abermals zog der Parteidichter seine Konsequenzen, fest entschlossen, Parteidichter zu bleiben, Literat mit Pensionsberechtigung; er blieb Parteidichter, er hat nicht seinen Beruf, er hat nur seine Partei gewechselt. Hunderte, die ihn „Genosse“ nannten, werden gemartert und ermordet, werden gefangen und gefoltert, Herr Barthel aber dichtet in der »Literarischen Welt«: „Und ich bin ein seliger Stamm, der seinen Wipfel entfaltet.“ Aus dem Blut der« Genossen, aus den Leichen der Erschlagenen saugt das Barthel-Bäumchen wipfelentfaltende Seligkeit. Keiner der andern, die zum Fascismus übergelaufen sind, kann sich mit Herrn Barthel vergleichen, denn keiner ist unmittelbar aus der Arbeiterbewegung ausgesprungen, um sich von der Konterrevolution aushalten zu lassen; allen andern möge psychologische Verteidigung zugebilligt werden, für den Barthel gibt es keine Verteidigung Für ihn gibt es nur Ekel.

In der Reihe der andern findet man manche Begabung: den kultivierten Aestheten Rudolf G. Binding, den katholischen Hofmannsthal-Schüler Max Mell, den wahrhaften Heimatdichter Hermann Stehr. Zu ihnen gesellen sich neben vielen Nullen Billinger, Weinheber, Bruno Brehm, Talente, die von der Sozialdemokratie gefördert wurden, als noch niemand von ihnen wußte, um sich nun den neuen Machthabern anzuvertrauen. Mancher von ihnen mag sich gutgläubig zur fascistischen Barbarei bekennen –, obwohl ihr Bekenntnis fatal mit der Machtergreifung der Hakenkreuzler zusammentrifft; die psychologische Untersuchung ihrer Motive mag lehrreich und nützlich sein, in Zeiten der Entscheidung muß man auf Psychologie verzichten. Die Gleichschaltung der Billinger und der Mell mag nicht so grauslich wirken wie etwa die Kapitulation des Zeichners Gulbransson, der seit Jahrzehnten im »Simplizissimus« einen erquickenden Krieg gegen all das führte, was heute durch Hitler verkörpert wird, um nun plötzlich die Front zu wechseln »und nicht mehr den Ungeist, sondern sich selbst zu zeichnen, aber für solche Nuancen ist heute nicht die Zeit. Wer sich heute zu jener Macht bekennt, die eine beispiellose Hetzjagd auf Wehrlose veranstaltet, die hunderte abschlachtet und zehntausende zu langsamem Tod verurteilt, die den Geist nur duldet, wenn er kuscht, und ihn austreibt, wenn er sich seine Freiheit nicht rauben läßt, wer sich heute zu jener Macht bekennt, die gegen die deutsche Nation den Haß der Welt und den Abscheu aller Völker heraufbeschwört, wird zum intellektuellen Henkersknecht und weder Unwissenheit noch Schwäche, weder Gutgläubigkeit noch Suggestion können ihn entschuldigen. Begabung ist nicht mildernd sondern erschwerend; Talent ist heute nicht Privatangelegenheit, sondern eine Verpflichtung, Geist nicht ein Spielzeug, sondern eine furchtbare Verantwortung.

Das ist keine Predigt an die Intellektuellen. Sie mögen den Geist an die Macht verraten. Aber sie mögen auch wissen, was das bedeutet. Das Ehrenzeichen der Henker wird sie für alle Zukunft zeichnen. Der Erfolg des Tages wird zum Brandmal der Weltgeschichte. Ihr Name wird in aller Munde sein – und ihre Leistung in allen Wunden der Erniedrigten und Beleidigten. Sie werden Geld verdienen – und werden nur verlieren, was keinen Marktpreis hat: die Achtung der Menschen, die das Deutschland von übermorgen sind.

Das wird sie nicht stören, die Überläufer: wir aber wissen, woran wir sind. An die erfolgreiche Arbeiterbewegung haben sich viele herangemacht, die sich nun an die erfolgreiche Konterrevolution heranmachen; es ist gut, daß sie abfallen. Es hat sich zu viel Halbes, Schwaches, Bedingtes an uns geheftet: wir brauchen die Ganzen, die Starken, die Unbedingten. Wir brauchen die Menschen, die jetzt, da wir nichts zu bieten haben als den Stolz der Verfolgten und den Trotz der Geächteten, unsere Freunde, unsere Gefährten, unsere Genossen sind; es war zuviel Rauch um unsere Flamme, zuviel Flugsand um unsere Felsen – jetzt brennt die Flamme kein, jetzt ragen die Felsen steil. Die jetzt mit uns sind, sind die Zukunft.

Unser Haß mag heute nicht schrecklich, unsere Liebe nicht nützlich sein – aber unser Haß und unsere Liebe wird alles überdauern, was heute die Stirn der Überläufer mit blutbeflecktem Lorbeer krönt.

In: Arbeiter-Zeitung, 30.4.1933, S. 4.