Heinrich Mann: Auf einem Scheiterhaufen.

Heinrich Mann: Auf einem Scheiterhaufen (1927)

Diesen Artikel, den insbesondere die Richter lesen sollten,
veröffentlicht der berühmte Schriftsteller im Berliner Tage-Buch.

Was sagen zu dem Brand des Wiener Justiz­palastes die Juristen? Einige Rechtsgelehrte Wiens sind vielleicht stutzig geworden, aber ihre Fachgenossen in andern Städten und Ländern, auch deutschen? Welche Schlüsse ziehen sie? Daß man in Wien hätte ausgiebiger schießen sollen? Dann wäre es zu dem Tatbestand der Brandlegung nicht erst gekommen? … Gewiß nicht. Nirgends kann es dazu kommen, nur gerade in Wien. Aber was beweist dies, wenn die Hindernisse ausschließlich technischer, also überwindbarer Art sind? Anderswo hat der Staat mehr Macht­mittel, das Volk muß mehr hinnehmen, es ist ge­bändigt. Fragt sich nur, wie viele andre JustizpaIäste in der Einbildung und in den Wünschen von MilIionen mitgebrannt haben, als in Wien einer brannte — und wie viele, wenn es zu machen wäre, wirklich brennen würden.

Warum das? Warum überhaupt der Justiz­palast? Den Juristen, nicht nur Österreichs, muß doch auffallen, daß von allen öffentlichen Gebäuden, die zur Wahl standen, gerade das ihre getroffen wurde. Augenscheinlich war es das verhaßteste. Früher hätte es so heftige Gefühle nie erregt. Hier äußert sich mit höchster Sichtbarkeit jene „Vertrauenskrise“, ein offenbar zu mattes Wort für Dinge, die sich so äußern.

Haben die Juristen — nicht die Richter nur, die Mehrzahl aller ihrer Fachgenossen, haben sie eigentlich nötig gehabt, es so weit kommen zu lassen?  Von ganzen Volksklassen, so großen, daß niemand weiß, wo sie enden, gehaßt zu werden, ist doch kein Spaß. Es gibt kaum Beispiele, daß es gut geendet hätte. Wer stellt sich leichtfertig hinaus für Interessen- die eigent­lich gar nicht die seinen sind? Die bei weitem meisten Juristen sind arm, sie leben außerhalb der Gesellschaft der Reichen oder sind an ihrem Tisch nur geduldet. Trotzdem begegnen sie nicht allein der Auflehnung der Armen, die schon längst keine Hand mehr erheben, nein, ihren Ansprüchen und selbst ihrer Sehnsucht mit einer Schroffheit, daß wahrscheinlich sogar die Reichen sich wundern.

Alles, was es an Opposition in dieser demütig gewordenen Welt noch gibt, soll gleich „Kommunis­mus“ sein, wenn die Organe der Reichen es be­haupten, ein Richter, ein Beamter oder Professor braucht es deshalb noch nicht glauben. Die Wiener Arbeiter, die den Justizpalast anzündeten, dachten dabei nicht an Kommunismus. Sie waren einfach schon zu lange gepeinigt und erbittert worden durch die ewige grundsätzliche Parteinahme des gesamten Justizbetriebes gegen sie, sogar, wenn ihre Gegner sie umbringen. Diese Gegner, ob sie sich völkisch oder anders nennen, mögen dabei die helden­haftesten Vorstellungen haben; im Reich der Tatsachen sind sie natürlich nichts weiter als Wachtposten vor allzu reich gedeckten Tischen. Wenn sie etwas ent­schuldigt, ist es ihre Unwissenheit. Aber die Juristen?

Die Juristen. Müssen doch sehen, daß in der Gesellschaft, wie sie jetzt abläuft, etwas nicht stimmt. Für soviel Armut tat sich der Reichtum etwas zu großartig; für soviel Arbeitslosigkeit handeln die herrschenden Parteien etwas zu arbeiterfeindlich; für so große besitzlose Volksmassen wirkt alles, was geschieht, zu wenig volkstümlich. Zweifellos läßt sich

jeder Zustand aufrechterhalten, wenn man immer den einen Teil der Besitzlosen gegen den andern ausspielt — aber doch nur eine Zeitlang. Juristen sollten immerhin wissen, daß auch die soziale Reaktion wie jede andre ihre Zeit hat. Eines Tages ist sie verbraucht.

Dann kommt nicht der Kommunismus, der könnte höchstens zu einer Stunde geworden und da sein, wenn schon niemand mehr von ihm spräche. Für Westeuropa ist er nur ein vorläufiges Kennwort gründlicher Unzufriedenheit. Aber dann beginnt ein Zeitalter der Umkehr und der Reformen. Das erwartet uns so sicher, wie heute der Mißbrauch ungerechter Vorteile herrscht. Haben die Juristen ein begründetes Interesse, den Anschein zu erwecken, als seien sie die zuverlässigsten Freunde sämtlicher Mißbräuche? Wenn sie wenigstens auch selbst die Vorteile hätten! Aber nur den Haß einzukassieren bei sonst leeren Kassen? Sie machen wirklich den Eindruck Hineingefallener. Gehen durch dick und dünn mit Nutznießern, zu denen sie selbst nicht gehören. Aber zuletzt werden sie bezahlen müssen, hauptsächlich sie.

Die noch rauchenden Trümmer eines Hauses, das ihres war, warnen sie.

In: Arbeiter-Zeitung, 26.7.1927, S. 3.