J. Kreppel: Spartacus und die Juden

N.N. [J. Kreppel]: Spartacus und die Juden. (1919)

             Unsere Feinde, denen keine Verleumdung schlecht genug ist, um sie den Juden entgegenzuschleudern, benützen auch das Auftreten der Spartakusbewegung in Deutschland, um den Juden die Schuld zuzuschreiben, weil unter den Spartakisten sich zufällig einige nominelle Juden befinden. Wie wenig der Spartakismus den Juden zusagen kann, zeigt ein Aufsatz, den Rabbiner Dr. Samuel-Essen in einem jüdischen Blatte in Deutschland veröffentlicht, dem wir folgende Stellen entnehmen:

Die vielhundertjährige Geschichte des Judentums weist keinen Spartakus auf. Es fehlte in dieser Geschichte nicht an politischen Krisen; jedermann kennt die Kampfansage der Stämme an den König Rehabeam: Erleichtere uns das Joch, oder wir sagen uns los von dir. Es gab soziale Mißstände in Zeiten, wo die Gesetze verachtet wurden – man denke an Jeremias Rede für die Sklavenentlassung im Sabbatjahr; wirtschaftliche Notstände durch Auswucherung und Überschuldung bekämpfte Nehemias  Schuldentilgung. Nur Sklavenaufstände gab es nicht, von Spartakussen berichtet die Bibel nichts. „Wohl dem Volke, dessen Blätter leer sind.“ Die jüdische Lehre von der Gleichheit aller Menschen vor Gott hat den Kampf mit der bestehenden Sklaverei aufgenommen. Das Judentum hat die Überwindung dieses vom Altertum bis in die Neuzeit reichenden, die Menschheit schändenden Verhältnisses machtvoll vorbereitet. Es hat dem Sklaven eine rechtliche, gesellschaftliche, ja religiöse Stellung gegeben, die aus ihm den Dienenden, Entlohnten, kurz den freien Arbeiter schuf. Und dies zu einer Zeit, wo die übrige Welt ihn als bloße Sache des Besitzers behandelte. Der römische Sklave trug sein Brandmal, dem jüdischen winkte winkte das gesetzliche Freiheitsjahr; der römische mußte ausgeliefert werden, das jüdische Gesetz schützte den Entronnenen; es verlangte die sofortige Freilassung bei Leibesbeschädigung, das römische erfand zu seiner Bestrafung die Kreuzigung! Wir verstehen römische Sklavenaufstände, wir begreifen auch Spartakus. Schade, daß Lessing seinen Plan einer Spartakus-Tragödie nicht ausgeführt hat. Er wollte seinen Helden zum Vorkämpfer einer weltbeglückenden Idee machen; ein Fragment aus dem Entwurf lautet: „Sollte sich der Mensch nicht einer Freiheit schämen, die es verlangt, daß er Menschen zu Sklaven habe?“ Spanien, Holland, Nordamerika haben sich ihrer recht lange nicht geschämt. Und was war die Leibeigenschaft in Deutschland und Rußland besseres? Und wie lange gehört sie der Geschichte an?

             Bedenken wir aber wohl: auch aus edelsten Motiven kann man zu falschen Schritten verleitet werden. Wir Juden hatten mit dem historischen Spartakus nichts zu schaffen, die weitaus größte Mehrzahl gehört auch nicht an die Seite derer, die seinen Namen zum Schlachtruf machen. Wie immer wir uns sonst orientieren, wir müssen uns hüten, bei dem gewaltigen Zuge nach links willenlos zur schärfsten Tonart, zum äußersten Radikalismus fortgerissen zu werden. Wenn es jüdische Bolschewiki in Rußland gibt, so hat das seine besonderen Gründe. Deutschland war und ist nicht Rußland. Russische Bolschewiki passen nicht als unsere politische Lehrmeister. Die russischen Zustände sind wahrlich nicht verlockend. Wir müssen die politische Einsicht und Mäßigung besitzen, uns zu sagen, daß wir selbst als Mitläufer der Spartakusbewegung die junge politische Freiheit des neuen Vaterlandes aufs schwerste gefährden und ihr und uns selbst zum Schaden die Geschäfte der Reaktion besorgen.

             Daß Spartakus schon ein wohldurchdachtes Programm besäße, wird er wohl selbst nicht behaupten. Nur gefühlsmäßig und nach Schlagworten weiß er vielleicht, was er will, sicher aber noch besser, was er nicht will, nämlich keinen Andersdenkenden neben sich dulden. Seine Parole lautet: Gleichmachung um jeden Preis. Wie zur Gleichheit und Freiheit bekennt der Bolschewik sich natürlich auch zur Brüderlichkeit; sie bedeutet für ihn, daß es fortan nationale oder religiöse Schranken auf Erden überhaupt nicht mehr geben darf. Der Gleichheit widerstrebt aber am meisten das tief in der Natur und Menschheit gelegte Gesetz; sie soll für den Menschen vor Gott bestehen, da Gott nur nach inneren, sittlichen Werten abschätzt; für Menschen gilt sie // nicht, weder nach Gaben noch nach Gütern. Wieder kann uns hier das Judentum Wegweiser sein. Es hat den Mammon nie so hoch erhoben, wie das Vorurteil behauptet; zum Beispiel gab es in ihm bei Vergehen gegen das Eigentum nicht die entehrenden Strafen, bei christlichen Völkern bis in die Neuzeit hinein Leibes-, ja Todesstrafen. Aber es hat die Arbeit geadelt, die Menschen zur Tätigkeit angespornt, Kulturwerke begünstigt, darum hat es ihre Güter auch geschützt […] Es hat auch im Judentum Anflüge von Kommunismus gegeben; wir denken an die Sekte der Essäer; sie war politisch belanglos, weil sie ganz und gar religiös orientiert war.

             Ganz anders Spartakus. Zwar behauptet er, alle seine Forderungen auf streng gesetzmäßigem Wege durchsetzen zu wollen, vor allem auch die ersten, großen Enteignungen; er will auch nicht plündern und rauben, und so erscheint er vielleicht manchem jüdischen Gemüte harmlos. Aber wie will er zur Macht gelangen, die solche Gesetze erlassen und durchführen könnte? Nur auf dem Wege der Gewalt, kurz durch den Terror. In seinem weltbeglückendem Wahn schreckt er nicht davor zurück, die Diktatur seiner Gruppe über ein Millionenvolk anzustreben. Hat ja auch im alten deutschen Reiche eine winzige, aber mächtige Gruppe über die Massen geherrscht; jetzt soll eine viel edlere, ja geradezu ideale ans Ruder kommen.

             Für diesen Tausch sind wir nicht zu haben. Wir sträuben uns nicht als Besitzende, sondern als Juden. Nur eine dünne Oberschicht von Juden gehört zum Großbesitz, die allergrößte Zahl zum Mittelstande […] Nach dem Dogma des Spartakus muß jedes Streben, aus der Armut wieder emporzukommen, Wohlstand oder gar Reichtum zu erwerben, niedergehalten werden. Der Feind ist nach ihm der sogenannte Kapitalismus. Wir fühlen uns wahrlich nicht zum Anwalt des Kapitalismus berufen; wir kennen die Schäden durch Anhäufung allzu großer Vermögen ganz genau, auch die Gefahren des uneingeschränkten Spiels der Kräfte im Wirtschaftsleben. Und dennoch haben wir den Mut, zu behaupten, daß Freude am Besitz Kapital, und Kapital Arbeit schafft; daß Reichtum durch Adel der Gesinnung und unterstützt von einer sozialen Gesetzgebung den größten Segen schafft und für den Fortschritt der Kultur unentbehrlich ist. Spartakus aber möchte gerade diesen Wettstreit, wie unter den Einzelnen, sogar unter den Völkern beseitigen! Sein letzter Ehrgeiz ist ja, sich über alle Völker diesseits und jenseits des Ozeans auszudehnen, dem verruchten Gelde auch seine internationale Bedeutung zu rauben. Hier verlieren wohl auch die Mitläufer den Atem; sollen wir kurzlebigen Menschen doch auf den Nimmerleinstag vertröstet werden!

             Von der Warte des Judentums weigern wir Spartakus die Anerkennung und Gefolgschaft.

In: Jüdische Korrespondenz, 23.1.1919, S. 1-2.