Jacques Hannak: Kunst und Sport

Jacques Hannak: Kunst und Sport. (1927)

Zunächst einmal müssen Wir zwei falsche Beziehungen aus unserer Betrachtung ausschalten. Nach den im Sport heutzutage überhandnehmenden professionellen Darbietungen könnte man nämlich geneigt sein, in den berufsmäßigen Ausübern des Sports selbst etwas wie eine Künstlertruppe zu sehen. Und umgekehrt ist es ja auch schon vorgekommen, daß man den Heldentenor vor aller Öffentlichkeit als Goalkeeper, den Räuber Moor als Mittelstürmer und die heilige Johanna als Tennisgirl bewundern konnte. Dies beides trifft nicht den Kernpunkt der Frage, im Gegenteil, verwischt nur die wirklichen Zusammenhänge zwischen Kunst und Sport.

Ob man den Artisten — und das ist heute der erstklassige Professionalsportler — einen Künstler nennen soll, ist Frage der Definition‚ und Wir mischen uns in diese Wortabgrenzung gar nicht ein. Die interessiert uns auch nicht, weil wir gerade umgekehrt prüfen wollen, worin sich Sport von aller übrigen Kunstausübung unterscheidet, warum er wert ist, als eine Erweiterung des Lebensgenusses aufgefaßt zu werden, die nicht schon im Bereich der Kunst liegt, ihr immanent, sondern jenseits ihrer Grenzen gesucht werden muß. Und ebenso werden wir uns nicht aufhalten bei der Betrachtung von Theaterkünstlern, Schauspielern, Sängern, die aus oft sehr durchsichtigen Gründen ihrem Publikum anstatt von den Weltbedeutenden Brettern einmal Vom grünen Rasen des Sportplatzes her kommen wollen.

Wenn wir also wirklich ernste Beziehungen zwischen Kunst und Sport herstellen wollen, dürfen und können wir uns gar nicht daran halten, daß auch der Piccaver Fußball spielt und daß auch der Uridil schon auf der Bühne aufgetreten ist, sondern müssen in die Tiefe gehen, müssen die Wirkungen untersuchen, die Kunst und Sport auf die Massen ausüben. Da ist zunächst eine charakteristische Unterscheidung zu machen: die Kunst fordert den Zuschauer, den Betrachter, der Sport fordert den Ausübenden. Das heißt: Nicht jeder kann Theater spielen, nicht jeder kann malen, nicht jeder kann künstlerisch tanzen, aber jeder kann Sport betreiben, jedermann steht es offen, zu schwimmen, zu rudern, zu ringen, Fußball zu spielen, zu wandern, Ski zu fahren. Das Wesen der Kunst ist der Künstler, das Wesen des Sports ist der Dilettant. Gewiß gibt es auch Dilettantentheater,  Dilettantenmusikkonzerte‚ Dilettantenzeichner und -maler, aber ihr Vergnügen wird auf private Zirkel beschränkt bleiben, wird eine unter Umständen geistig sehr hoch stehende, aber doch private Betätigung sein. Und anderseits gab und gibt es gewiß auch  weltberühmte, ganz in die Öffentlichkeit gerückte Sportler, Wie: Nurmi, Suzanne Lenglen, Vierkötter, Lindbergh‚ berühmte Fußballmannschaften‚ wie: Newcastle United, Prager Sparta oder Uruguay. Aber gerade weil diese Auserwählten‚ Auserlesenen vor aller Welt‚ vor einem Parkett von Kunstgenüßlingen spielen und agieren‚ hat man instinktiv den Sport gegen diese Berühmtesten des Sports — abzugrenzen begonnen. Die tiefe Abneigung, die im Volke gegen den Sportprofessionalismus besteht, die übrigens unverdiente Geringschätzung, die die breiten Massen denselben Professionals, an deren Sportartistik sie sich begeistern, innerlich entgegenbringen‚ sie ist der sicherste Beweis dafür‚ daß man in den „großen“ Sportveranstaltungen wohl eine Schau, wohl ein erstklassiges Theater erblickt, aber nicht das wirkliche Wesen des Sports. Auf einem Krautacker‚ wo ein paar bloßfüßige Buben sich um einen Fetzenball balgen, auf einer Wiese, wo Ausflügler fröhliche Übungen im Springen und Laufen austragen, in einem Schwimmbassin, wo durcheinander alt und jung, Männlein und Weiblein, Patzer und Könner im //

In: Der Kampf, H. 7 (Okt.) 1927, S. 2-3.