Julius Kugy: Die Berge

Julius Kugy: Die Berge. (1924)

Die Berge sollen nicht unsere Feinde sein. Ich liebte es nie, las ich irgendwo, daß man ihnen den „Fehdehandschuh“ hinwirft, daß man auszieht, sie zu „bekriegen“, daß man sie Feinde heißt, denen man seine eigene Kraft gegenüberstellt. Der Alpinismus ist kein Kampf und kein Kriegszustand. Kampf kann nur gelegentlich eine Episode, ein Bild sein. Die Grundlage des Alpinismus muß immer reine Liebe zur Natur und zu den Bergen sein, ein tiefsinniges Sichversenken in ihr Leben, ihr Wesen, in ihre Seele. Sind jene Redensarten auch nur bildlich gemeint, so klingt doch Unbescheidenheit und Anmaßung heraus. Es hört sich oft an wie das Schelten und Prahlen von Zwergen. Die beste Tugend des Bergsteigers ist die Bescheidenheit. Die Berge sind ja groß und so langmütig. Sie dulden so vieles. Gar mancher Sieg, der menschliche Energie und Geschicklichkeit ins hellste Licht zu rücken scheint, ist trotz allem ihrem Wohlwollen zu danken. Sie haben still zugesehen und wollten es nicht verwehren. Es ruhten ihre fürchterlichen Waffen. Holen sie aber einmal zum Schlag aus, so treffen sie unfehlbar und vernichtend. Welcher Wissende wird sich im Ernst stärker dünken, als sie sind? Kein kleines „Ich“ kann ihr Herr sein. Man liest so oft: „Meine Berge“ oder beispielsweise: „Meine Julischen Alpen“. Wäre es nicht richtiger, würde man den Gedanken anders fassen und sagen: „Ich gehöre ihnen“ und nicht: „Sie gehören mir“? Es scheint mir, daß kaum ein Ort weniger glücklich gewählt sein könnte, um dort die Herrennatur im Menschen hervor­zukehren, wie das Hochgebirge.

Nur der Liebe öffnen die Berge ihren ganzen Reichtum und die Tiefen ihrer Seele. Sie wollen den ganzen Mann, volle Hingabe, beherzten Mut und wahrhafte Begeisterung. Dann geben sie aber auch Liebe um Liebe, und wen sie lieben, den heben sie hoch zu sich empor und machen ihn groß und reich. Wohl ihm, diesem Liebling der Berge! Sie bauen ihm die schönsten goldenen Brücken, und selbst da, wo sie in schreckhafter Größe und unerreichbar emporgebaut scheinen, lassen sie ihm oft ein kleines, wenn auch schwankes und schwindeliges Leiterlein stehen, daran er zu ihrem Hochsitz emporklimmen kann. Wohl nicht immer, auf daß man nicht übermütig werde und auch unter­liegen lerne. Da empfangen sie ihm dann mit feierlichem Gepränge, sie schmücken ihn großmütig mit ihren Ehrenzeichen, sie reden zu ihm in der eindruck[s]vollen Sprache, die niemand vergißt, der sie je gehört und ver­standen hat. Sie haben ihm ein schönes Plätzchen im warmen Sonnenschein bereitgestellt und heißen ihn freundlich sitzen, führen ihm mit ihrem Getier in Wäldern, Felsen, und Lüften, mit Farben, Schatten und Lichtern, mit tanzenden Nebeln und majestätisch einherziehenden Wolken ihre Zauberspiele; vor, die keine menschliche Phantasie fesselnder, kurzweiliger und prunkhafter ersinnen könnte, und breiten aus ihrem unerschöpflichen Schatzkästlein Kostbarkeiten in blitzenden Reihen zu seinen Füßen hin, die nur göttliche Kraft und Kunst zu schaffen vermögen. So stehen sie dann, ist man mit einem „Komm‘ bald wieder“ gnädig ent­lassen, unvergeßlich in unseren dankbaren und beglückten Herzen und können unser ganzes Leben erfüllen.

Sie haben klare Augen und beobachten scharf. Und erkennen sie, daß nicht Herzensbedürfnis, sondern Mode, Sport, Eitelkeit (oder zufällige Laune herangeführt haben, so blicken sie mürrisch mit verblaßten Farben, halten ihre Schätze mißtrauisch verborgen, und verschließen sich stolz, kalt und stumm. Diesem Fremdling haben sie nichts zu sagen, und er geht arm von ihnen, wie er gekom­men ist. Oft kehrt er nicht wieder zu ihnen zurück. Wie viele „Bergsteiger“, die scheinbar glänzend begannen, habe ich so binnen kurzem verschwinden gesehen.

Treten wir in ihre Hallen ein, so seien wir bescheidene Gäste im Hause von Übermächtigen. Mein ganzes Leben hindurch habe ich mich an sie gelehnt wie an einen stärkeren Freund. Sie waren so gütig zu mir. Oft haben sie mich leise geführt, manchmal getröstet und aus schwerer Erdenpein wieder aufgerichtet. Das nenne ich ein Bergsteigerleben. So habe ich mich nach euch gesehnt, so bin ich vertrauensvoll zu euch gekommen, und so will ich, wenn es sein wird müssen, von euch scheiden, o, ihr schönen, ewigen Berge!

In: Ostdeutsche Rundschau, 19.9.1924, S. 10.[1]


[1] [redakt. Anm.] Wir bringen hier eine kurze Leseprobe aus dem im Hochalpenverlag im Druck befindlichen prächtigen Buche Dr. Julius Kugys „Aus dem Leben eines Bergsteigers“. Der Text erschien in der Beilag Wandern und Bergsteigen, verantwortet von Karl Sandtner.