Max Ermers: Rhythmical art.

M. E.[rmers]: Rhythmical art (1924)

Die letzte Ausstellung der Cizek-Schule

In Wien gibt es eine berühmte Kunstschule, die in hohem Maße die Anerkennung des Auslands gefunden hat. Sie zeigt gerade ihre Re­sultate in einer Ausstellung, die in allen Städten Nordamerikas zirkuliert und dort unter dem Schlagwort „Rhythmical art“ den Beifall der Pädagogen und Künstler findet. In Österreich hat sich diese Schule noch nicht durchsetzen können, obwohl die gesamte Reform des Zeichen- und Werkunterrichts in den Wiener Volks- und Bürgerschulen auf sie zurückzuführen ist. Dem Abbau der staatlichen Schulreform soll nun auch sic zum Opfer fallen, jene Schule, die unter den geistigen Gütern, die Österreich aufzuweisen hat, zu den aktivsten gehört. Innerhalb weniger Wochen der zweite krasse Fall des Mißverständnisses an der Kunstgewerbeschule. Erst ekelte man Hanak, unseren größten Bildhauer hinaus, nachher löste man die Schule Cizek auf und machte ihn selbst zum Lehrer an der Taferlklasse der Anfänger.

Gewiß Cizeks Wirksamkeit ist nicht ganz leicht zu begreifen, und es gehört schon ein gewisser Scharfblick dazu, pädagogische Arbeit des Unermüdlichen in allen Konsequenzen zu werten. Dem oberflächlichen Besucher und vielleicht auch dem mißverstehenden Direktor der Kunstgewerbeschule mag dies alles als ein Sammelsurium aus Abstraktionismus und russischem Konstruktivismus, aus italienischem Futurismus, Bela Uitz, Itten, Peche und Katharina Schäffer erscheinen. Ver­mehrt um gewisse Formelemente des Weimarer Bauhauses, vielleicht auch der Negerplastik. Aber eine solche Auffassung wäre mehr als einseitig. In Wirklichkeit ist es Cizek daran gelegen, die Kräfte und Formtalente, die nun einmal in der Jugend ausnahmslos stecken, durch Versenkung in die Eigenart der Schüler eigenartig zu ent­falten. Und da Cizek nun einmal ein ganz moder­ner Mensch ist — dessen Schüler auch Kinos und Bars und Tanzräume mit Separees entwerfen dürfen—, so versagt er ihnen nicht geistige Anleihen bei den kongenialen Maschinisten, Kinetikern und

ähnlichen Völkern des europäischen Kunstbereiches. Alle diese Schulen haben eben noch ihren Beitrag zur Entwicklung unserer neuen Formsprache ge­leistet, und wer in der Gegenwart und nächsten Zukunft lebt, kann sich ihren Einwirkungen nicht entziehen. Und der Erfolg spricht ganz dafür, daß Cizek am rechten Weg ist. Was er aus den //Schülern herauszuholen versteht, ist einfach un­erhört, und wenn sich auch manchmal der Most ein wenig allzu ungebärdig gebärdet, zum Schluß wird doch daraus ein klarer Wein. Und noch eines: nichts von diesen Dingen, die die Jahres­ausstellung der Schule zeigt (1. Bez., Fichtegasse 4), ist für die Ausstellung gedacht und berechnet; alles für lebendige Räume des täglichen oder festlichen Lebens, wo sie mehr als Dekorationen und Stimmungsauslöser denn als selbständige Kunst­werke wirken. Dies übersehen die Widersacher — und dies ist vielleicht Cizcks größtes Verdienst.

My Ullmann, eine der Begabtesten der Schule, ist eigentlich eine geborene Innendekorateurin. Eine, die es versucht, tiefinnere Erlebnisse in Farben und Formen abstrakt zu komponieren. Das kühle Blau der Abgeklärtheit, das Grün der Jugend und das heiße Rot der Sinnlichkeit domi­nieren in ihrem Fries, der mit seinen Kurven und Geraden und aufgesetzten Kartonnagen und Objektreminiszenzen die meisten sprachlos machen wird. Natürlich wird das Ganze — als Wanddekoration eines Festraumes, übertragen in glasierten Ton oder anderes solides Material — eine ganz andere Wirkung ausstrahlen. Der jungen Künstlerin selbst wäre solche klärende Anpassung an die Realität nur allzu sehr zu wünschen.

Otto Erich Wagner geht in seiner New Yorker Bar als Zentralbau, der von Bühne und Tanzboden an bis zu den Salons particuliers alles enthält, was des Lebemenschen Herz ergötzt, dem Problem nach, durch Architektur Stimmungen zu erzeugen. Seine Kollegin Erika Klien hat den Hauptraum mit kinetischen Studien nach Tän­zerinnen geschmückt, deren vielfach wiederholte, vibrierende Umrisse die Sensationen des erlebten Tanzes nachzittern läßt. An und in den Wänden bringt sie Metopen, Glasgemälde und Friese an, kaleidoskopartig in starken Farben, gegenstandslos zusammengewürfelt, nicht ohne Rausch- und Taumelwirkung. Grotesk, aber packend und auf­regend ihre Plakatsäulen. Originell ihre futuri­stisch tanzenden Reklameaufschriften. Weniger ein­leuchtend ihre Kompositionen aus Holz, Stanniol, Draht, Reißnägeln usw., stark nachempfunden und den Stempel des Nicht-so-gemußt-Seins allzu deutlich an der Stirne tragend. Walter Harnisch zeigt Bühnenbilder für Stücke von Karl Kraus und sonstige Theaterdekorationen, denen man phantastische Wirkung nicht absprechen kann. Ahuwa Jellin, eine Palästinenserin, wirkt unter den berauschten Jünglingen und Mädchen dieser Schule beinahe wie eine Klassikerin. Ihr großer Gobelin ganz gegenständlich — orientalische Städtearchitektur —, wenn auch in der Zeichnung außerordentlich vereinfacht. Elisabeth Kar­linskys Plastiken sind nicht ganz so abstrakt wie die Werke der anderen. Immer blickt noch der Ausgangspunkt der Natur durch die kinetische

Transfiguration. Ihre „Heiligung des Menschen“ ist nicht ohne Schönheit und Weihe. Gerta Hammerschmid und Schachner versuchen sich im Gipsschnitt, Foges in Wanddekorationen, Hans Domenik in plastischen Experimenten kinetisch-halbabstrakter Art.

Nicht alles natürlich ist gleichwertig in dieser Ausstellung der Zwanzigjährigen, die ohne Aus­nahme mehr den Kräften, den Bewegungen, den Gefühlsgehalten der Dinge nachgehen, denn ihren äußeren Formen. Eine außerordentliche Lebendig­keit dieser Kunstwerke, in denen es von Strahlen, Kreisen, Durchdringungen, Wirbeln usw. nur so wirbelt, ist die Folge. Und man fühlt, mit welch unendlicher Lust hier die Schüler am Werke waren.

Diese Ausstellung der Cizek-Schule wird aller menschlichen Voraussicht nach die letzte sein. Nach vierjähriger Tätigkeit— eben als die ersten Er­folge zutage traten — hat die Kunstgewerbeschule des Bundes diese hoffnungsvolle Blüte geknickt. Es darf mit Fug und Recht angenommen werden, daß sich die Gemeinde Wien, respektive ihr Stadtschulrat die Gelegenheit nicht entgehen lassen wird, die bedeutende Kraft Franz Cizeks nunmehr in ihre Dienste zu nehmen.

In: Der Tag, 2.7.1924, S. 6.