N.N.: Das Stadion

N.N.: Das Stadion. (1931)

             Gestern wurde das große Stadion der Gemeinde Wien feierlich eröffnet. Der

Bundespräsident Miklas, Bürgermeister Seitz und Stadtrat Tandler haben in dem Riesengebäude des Massensports über die hohe Bedeutung der Körperkultur ge­sprochen, Arbeitersportler haben vor fünfundzwanzigtausend Zuschauern gezeigt, was sie können.

Der einzigartige Aufstieg des Sports, der noch vor gar nicht langer Zeit offiziell kaum zur Kenntnis genommen wurde, der als Eindringling in das Gehege der Bürgerwelt galt, wird an solcher Feier, undenkbar in der Vorkriegswelt, auch den Abseitsstehenden offenbar; daß der Sport ein gewaltiger Kulturfaktor ist, daß er einen neuen Menschentypus formt, wird heute kaum noch geleugnet. Aber so sehr auch die Bürgerwelt geneigt ist, das zuzugeben, so wenig ist sie in Österreich geneigt, allzuviel für die Sportbewegung zu tun; meistens ist es bei schönen Worten und unverbindlichen Redens­ arten geblieben. Erst die sozialdemokratisch verwaltete Gemeinde Wien hat in der Förderung des Sports eine soziale Aufgabe und Verpflichtung erkannt und diese Erkenntnis produktiv gemacht; das Stadion ist ein großartiges Monument dieser Erkenntnis. Dienst an der Jugend des Volkes, an der Generation der Zukunft, das ist das große Prinzip. Säuglingsfürsorge, Kindergärten, Kinderbäder, Ferienkolonien, Sportplätze, Badeanlagen, menschenwürdige Wohnungen – all das ist Verwirklichung dieses Grundprinzips, dem nun auch das Stadion dient. Der Kampf um die Volksgesundheit – ein Kampf, der nicht nur gegen hundert objektive Schwierigkeiten, sondern auch gegen das Unverständnis, gegen die dumpfe Gehässigkeit der bürgerlichen Parteien geführt werden mußte und weiterhin geführt werden, muß – das ist der Kampf, den die Wiener Sozialdemokratie um das Stadion zu führen hatte, wie um jeden Wohnbau, um jede neue Für­sorgeaktion. Die Jugend, die da in der kapitalistischen Welt heranwächst, ihren Maschinen, ihrer Ausbeutung, ihren Todes­giften preisgegeben, muß verzweifelt und mit allen Mitteln um ihre Gesundheit ringen – sie braucht den Sport, um nicht zugrunde zu gehen, sie hat mit dem Sport einen Schimmer von Freiheit und Schönheit, in diese nicht sehr freie und nicht sehr schöne Welt gebracht. Sie darin zu unterstützen, gegen alle Spießer und alle Dunkelmänner, halten wir Sozialisten für eine hohe Notwendigkeit; bis an die Grenzen des Mög­lichen ist die Gemeinde Wien dieser Notwendigkeit gerecht geworden.

Zum zehnjährigen Bestand der Republik hat die Gemeinde Wien den Beschluß gefaßt, der Jugend der Republik ein Geschenk zu machen und zugleich der Republik ein Denkmal zu stiften, das nicht Er­innerung in Marmor, sondern Wirkung in die Zukunft ist. Dieses Geschenk an die Jugend, dieses Denkmal der Republik ist das Stadion; hier soll sich die Freude am Körper, von den Muckern verpönt und von den Hütern des Ewig-Gestrigen mit Beunruhi­gung wahrgenommen, ungestüm entfalten, hier sollen die Kraft und Bewegtheit, die freie Haltung und die formgebändigte Energie der jungen Generationen; die Leistung des einzelnen und der Sieg der Gemeinschaft den Menschen ein Wohlgefallen sein. Die Republik braucht keine Traditionen, keine Kostüme der Vergangenheit, sie braucht ein junges Geschlecht, geformt nach dem Bilde der Freiheit, zu lachen, zu weinen, zu genießen und zu freuen sich und nicht zu achten der Götzen von gestern. Im Sport soll dieses Geschlecht sich stärken und stählen für seine größte Aufgabe: völlige Befreiung des Körpers und des Geistes, der Arbeit und des Lebens aus allen Fesseln der Vergangenheit.

Daß der Sport nicht zum Selbstzweck erstarre, sondern Element einer allgemeinen, einer durchaus neuen Kultur sei, dafür bürgt die Arbeiterbewegung, die aus der Sport­bewegung neue Formen gewinnt und der Sportbewegung neuen Inhalt verleiht. Der Arbeitersport, der in das Stadion seinen Einzug gehalten hat, das wahre Kind dieser Zeit; die aufsteigende Arbeiterklasse und der aufsteigende Sport haben sich vereinigt, um eine neue Kultur des Körpers und des Geistes zu zeugen Daß der Arbeiter, der einst ausgeschlossen war von allen Festen und allen kulturellen Gütern der Bürger­welt, heute Sport betreibt wie der Bürger­liche, bedeutet an sich schon viel, trotzdem ist es nicht das Entscheidende; entscheidend ist vielmehr, daß der Arbeiter heute anders Sport betreibt als der Bürgerliche, daß er in ihm die Harmonie sucht, die der kapitalistische Betrieb zerstört, die Gemeinschaft- die der bürgerliche Sport durch Einzelrekorde sprengt, die Befreiung von den Konventionen der alten Unkultur. Daß die Gemeinde Wien das Stadion nicht nur sportlichen, sondern auch künstlerischen Veranstaltungen widmen will, entspringt völlig der Tendenz, die der Arbeitersport verfolgt; der proletarische Kampfeswille und der sozialistische Kulturwille sind die Adlerflügel, die den Arbeiter­sport über den bürgerlichen Sportbetrieb hinaustragen.

All das wird bald im Stadion weithin sichtbar werden; wenige Tage nur trennen uns von der ArbeiteroIympiade, von dem internationalen Massenfest in Wien. Aus allen Ländern kommen junge Sportler, junge Sozialisten nach Wien, um hier mit der Kraft ihrer gestählten Körper für den Sport, mit der Leidenschaft ihrer Gesinnung und der Schwungkraft ihrer Solidarität für den Sozialismus zu demonstrieren. Diese Stadt wird ein wundervolles Schauspiel er­leben: über den drückenden Alltag und die lähmende Sorge hinaus wird uns die sozia­listische Jugend den Schimmer einer schöneren Zukunft zeigen, die Ahnung einer helleren Welt verleihen. Und diesem Schau­spiel sozialistischen Kulturwillens wird der

Kongreß der Internationale folgen, sozialistischer Kampfeswille wird die Waffen prüfen und die Richtung weisen. Bekenntnis zu einer neuen Kul­tur, die den Körper heiligen und den Geist nicht zum hochmütigen Tyrannen, sondern zum treuen Diener der Gemeinschaft machen soll, Lebensform der jungen Generation und Fahnenweihe der Zukunft – das wird die

Arbeiterolympiade sein. Bekenntnis zum Klassenkampf des Proletariats gegen den Kapitalismus, Abschätzung aller Möglichkeiten und Wahl der richtigen Methoden, Vorbereitung einer Welt, in der solche Olympiaden nicht Flammensignale in der Finsternis, sondern taghelle Siegesfeste sind – das wird der Kongreß der Internationale sein.

Die jungen Sportgenossen werden in Wien das Stadion finden, den idealen Schauplatz für ihre Veranstaltungen. Die Internationale aber wird in Wien eine Stätte finden, wie kaum in einer Stadt: eine Partei, die das ganze, das einige Proletariat verkörpert, wird ungezählte Arbeiter­ herzen, in denen der Sozialismus nicht ein kaltes Denkmal, sondern lodernde Flamme ist.

In: Arbeiter-Zeitung, 12.7.1931, S. 3.