Oskar Rosenfeld: Uriel Birnbaum. (1924)

Oskar Rosenfeld: Uriel Birnbaum. (1924)

             Uriel Birnbaums geistig-bildnerisches Schaffen ruht auf einer religiösen, jüdisch-religiösen Grundlage. Sein Schaffen entströmt einem gläubigen Kern: das Erlebnis des Glaubens gibt der Idee auch die Maße für die Form. Es erfüllt ihn ganz, auf allen Stufen seiner Entwicklung hat es ihn begleitet, die Streifungen in die abseits gelegenen Gebiete, denen kein Künstler sich versagen darf, ergaben nur Begleitakkorde zu einer einzigen Melodie. Sein gläubiges Herz bestätigt erst seine Produktion, die Monumentalität seiner Darstellung in der phantasiereichsten Formulierung.

Wenn wir Uriel Birnbaum als religiös durchpulsten, in jüdischer Wesensart schöpferischen Menschen erkannt haben, erfühlen wir auch die Grenzlinie, die ihn von den anderen, von ,jenen“ trennt, denen das „Jüdische Künstlertum“ nur Zeiterscheinung, Maske, Pose, Gedankenarmut sein kann; von den anderen, den Palästina-Reisenden und Mogen Dovid-Kullissenschiebern, die Embleme, Symbole, Allegorien brauchen, um sich als jüdische Künstler affichieren zu können. Denn Uriel Birnbaums Darstellungsart— abgesehen von seiner Darstellungswelt — ist kräftig, eindeutig in sich, bedingt durch seinen Charakter,

sein künstlerisch-religiöses Gewissen, das keinem Kompromiß zugänglich ist. Und sie ist aufbauend, Formen erst schaffend, mit ihnen ringend: ihr Umfang läßt sich nicht hineinpressen in ein einziges Bild. Das große Epos des menschlichen Lebens — es gibt ja eine Bibel— verlangt den großen Atem, verlangt selbst, will man es bildnerisch erfassen, ein Bildespos: nur die zyklische Reihe kann es wiedergeben, kann die dramatisch gespannte oder lyrisch beschwingte Linie der Geschehnisse und der Träume ausklingen lassen. Uriel Birnbaum hat als Künstler nie geirrt. Er ging keinen Schemen nach, schielte nie nach Erfolg, begnügte sich nie mit den Früchten der Alltagsarbeit. Denn er schuf stets unter dem Zwang einer Grundveranlagung. An diese ist die Veranlagung des Einsamen, des Edelmenschen. Seine Zeichnungen (Visionen!) entsprechen nicht der gesellschaftlichen Haltung der Kunst unserer Zeit, sie find bei aller bewußt unmystischen, wirklichkeitsfreundlichen Verklärung innerer Offenbarungen privat bis zur Gefahr, nicht verstanden zu werden — von denjenigen, die sich ein System zur Beurteilung von Kunstwerken zurechtgelegt haben. Innerhalb dieser Bewußtheit regiert ein kompositorischer Geist, der sich zu keinen Extravaganzen, Verschnörkelungen hinreißen läßt: das Malerische ist niemals zugunsten der „Idee“ vernachlässigt. Er malt Bilder, die als solche zu bestehen haben.

„Moses!“ Welcher Abstand beispielsweise vom berühmten Bibelillustrator Gustave Doree, der die biblische Legende nachzeichnet, wie er etwa Zeichnungen zum Ro­binson Crusoe verfertigt hatte, ohne jede innere Verantwortung, ohne jenes Muß, das den Beschauer niederzwingt. Birnbaums zyklische Darstellungen sind Monologe und gleichzeitig Zwiegespräche mit Gott, keinem illustrativen Gebrauchszweck dienend, letzten Endes Tagebuchaufzeichnungen seiner Träume und Erschütterungen. Von ihnen geht daher eine Wirkung aus, die es möglich macht, daß das göttliche Wort wiedererlebt werde aus dem Geist der ewigen jüdischen Allheilsidee.

Im Stofflichen gibt es kein Anklammern an das Mythologische. Die göttliche Idee des Judentums ist kein Mythos, sie ist täglich neu zu erlebende Wirklichkeit. Das Licht, das die Legende umwebt, die Farbe, die in den Landschaften aufblüht, ist irdischen Glanzes, die Form ist aus dem Geheimnis der seelischen Entladungen des Künstlers geboren.

Ein solches Dasein muß zum Erwecker der Sittlichkeit in der Kunst werden, die nur aus dem Bestrahlen durch den göttlichen Funken erklärbar gemacht werden kann. Und diese Sittlichkeit redet zu keiner Klasse und zu keinem Zeitalter, sie erschließt sich jedem, der in sich selber etwas von diesem göttlichen Schauen und Erschauen besitzt, als Mittlerin zwischen dem einsamen Schöpfer und der Welt.

In: Wiener Morgenzeitung, 8.6.1924, S. 4.