Stephanie Endres: Die Frau und der Sport.

Stephanie Endres: Die Frau und der Sport (1925)

So denkt der Mann über die Frau und ihre Stellung im Staate? Wir Frauen haben nur den einen Trost, daß der Mann, der so denkt, nur Anton Schneider ist, und nicht alle Männer seine Ansichten teilen.

Sollten an uns Frauen alle neuen Geistesströmungen so spurlos vorübergehen und wir so hinter­listig sein, daß wir, kaum dem Gefängnis entronnen, daran denken, wie wir unseren Befreier ins Gefängnis bringen? Woher weiß denn Anton Schneider, daß die Idee des Sozialismus bei uns Frauen nicht tiefer ein­gedrungen ist? Wir wissen, was Sozialismus heißt: Er will, daß alle Menschen gleich sind, daß sie einander helfen, daß sie gütig sind zueinander. Sozialismus ist nicht Mißgunst, Strenge Herrschsucht.

Wir Frauen verdanken auch nicht gerade dem Kriege die Errungenschaft unserer Gleichberechtigung, sondern unserer langen, mühevollen Kampfesarbeit.

Wer etwas tiefer in die Geschichte und in den Geist der einzelnen Zeitperioden eingedrungen ist, der weiß, daß es immer Frauenbewegungen gegeben hat.

Wer etwas mehr Kenntnisse von der Frauenseele hat, der weiß auch, daß nicht alle Frauen fürs Heim ge­schaffen sind und die Frauen nicht „der Not gehorchend“, sondern aus innerem Schaffenstrieb heraus, aus dem Wunsche, in der Gesellschaft und für sie etwas zu leisten, einem Beruf nachgehen.

Wir sind nur bisher an unserem Aufstieg, an unserer Entwicklung durch jene un- und widernatürliche Einrichtung, die katholische Kirche, gehindert worden. Als Aschenbrödel des Männerstaates, als Magd und Dienerin des Mannes, dem wir zu gehorchen hatten, mußten wir unsere eigenen Gedanken zurückhalten und konnten uns nicht frei entfalten. Die katholische Kirche hat uns Jahrhunderte hindurch geistige Entwicklung und körperliche Durchbildung vorenthalten.

Aber einmal frei, wollen wir jetzt nachholen, was Wir bisher versäumt hatten. Aber nicht die Kultur des Mannes wollen wir uns aneignen, nein, unsere eigene, eine unserem Wesen entsprechende Kultur uns schaffen, nicht „um zu herrschen und über die Männer herrschen zu können“, sondern um als gleichwertige Menschen neben, nicht über, aber auch nicht mehr unter den Männern zu stehen. Wir wollen dem Manne Helferinnen, Kameradinnen sein. Und um diese Kultur ins Leben zu rufen, werden wir mit unserer Körper­bildung beginnen.

Unseren Körper bilden müssen wir Frauen, und nicht Sport betreiben. Hat Anton Schneider schon ein­mal darüber nachgedacht, wann und wo Sport möglich ist und was Sport bedeutet?

Unsere Gegner müssen doch immer hell auf­ lachen, sich herzlich freuen und sich die Hände reiben, wenn wir Proletarier, wir Sozialisten für eine Sache, die überhaupt nur im kapitalistischen Staate existieren kann, immer mit vollster Energie eintreten und sie propagieren.

Wirklich Sport betreiben kann doch nur der, der selbst Kapitalist ist oder einen Kapitalisten zum Freund hat. Nun sind wir aber weder Kapitalisten, noch haben wir Kapitalisten zu Freunden. Welch edler Kapitalist würde uns die Reise nach Davos zahlen, damit wir dort Wintersport betreiben können?

Und erreichen wir durch Sport wirklich völlige Harmonie des Körpers und des Geistes, das Ziel des Arbeiterturnvereines? Wir brauchen uns nur die Sportler anzusehen. Die geübten Muskeln sind über­mäßig entwickelt, während eine Reihe anderer Muskeln verkümmert. Wir alle kennen den knolligen Bizeps eines Athleten, die übermäßig, entwickelten Wadenmuskel eines Fußballers, den schwachen Oberkörper eines Läufers ec.

Auch für den Geist schafft der Sport keine Ausgeglichenheit. Geradezu geisttötend wirkt einseitig betriebener Sport. Was wir Proletarier brauchen, was vor allem wir Frauen brauchen und was auch für die Masse erreichbar ist, ist das richtige Gefühl für unseren Körper; wir müssen den Trieb, unseren Körper zu achten, zu schätzen, zu schonen, zu bilden, entwickeln. Wir müssen wissen, daß unser Körper immer da ist, und nicht nur an ihn denken, wenn er sich durch Schmerzen unangenehm bemerkbar macht.

Wir werden ordentlich gehen lernen, daß wir unsere dreißig Kilometer im Tag ohne Mühe zurück­legen können: wir werden springen lernen, damit wir über eine Hecke oder einen Zaun springen können: wir werden schwimmen lernen, damit wir uns auch im Wasser bewegen können: wir werden eislaufen, damit wir uns auf glatter Fläche bewegen lernen; wir werden klettern lernen, damit wir den Gipfel eines Berges erklimmen können: wir werden tanzen lernen, damit wir die Musik wirklich erleben und was wir erleben, durch und in Bewegungen ausdrücken lernen. Wir werden auch lernen, wie wir uns gesund kleiden und aufs beste ernähren, Aber all das werden wir mit Maß betreiben und immer zu passender Zeit. Wir werden und wollen alle Muskeln üben, keinen zu viel, keinen zu wenig. „Harmonie in allem!“ soll unsere Losung sein.

In: Arbeiter-Zeitung, 8.2.1925, S. 11.