Hans Tietze: Richtlinien für ein Kunstamt (1919)
Hans Tietze : Richtlinien für ein Kunstamt (1919)
Die „Richtlinien für ein Kunstamt“, die Adolf Loos in der letzten Nummer des Frieden veröffentlicht hat, sind weniger Gesetze als Gebote; sie erstreben keine erschöpfende Behandlung des großen Themas, aus dem nur einzelne Punkte zu aphoristischer Stellungnahme herausgerissen werden; sie kümmern sich nicht um die verwaltungstechnische, finanzielle oder politische Durchführbarkeit der aufgestellten Forderungen, sondern wollen dem verantwortlichen Leiter eines einstigen Kunstamtes, in welchem Rahmen immer dieses gebildet und von wem immer es verwaltet werde, den richtigen Weg weisen und noch mehr ihn hindern, von diesem Wege abzuweichen. Diese Richtlinien sollen ein Stacheldraht sein; eine erbitterte Kenntnis der uns umstrickenden kulturfeindlichen Kräfte spricht aus ihnen und verrät den mahngebenden Einfluß des Mannes, der ihnen die Fassung gab; das beste von ihnen ist mehr die Summe seiner Lebenserfahrungen als das Ergebnis der wochenlangen Erörterungen, zu denen er Gleichstrebende um sich versammelt hatte. Adolf Loos stellt sein Programm auf, das weniger als Grundlage einer Kunstreform denn als der in ästhetische Thesen formulierte Ausdruck einer Weltanschauung zu verstehen ist; auch der paradox oder scheinbar beiläufig hingesetzte Satz hat tieferreichende Wurzeln und dichte Verbindungsfäden zu allem Übrigen.
Darin liegt die Schwierigkeit, sich mit den die bildende Kunst allein betreffenden Teilen gesondert auseinanderzusetzen; immer ist es der ganze Loos, der einem gegenübersteht; sein Programm spiegelt alle Einseitigkeit und allen Widerspruch wieder, der das Merkmal einer menschlichen Persönlichkeit ist; es enthält aber auch Sätze, die man in der Tat im Amtszimmer des künftigen Kunstverwesers eingerahmt hängen sehen möchte. Vor allem müßte der Leitsatz: „Der Staat hat sich zu entscheiden, ob er den Künstlern helfen will oder der Kunst“ sein Morgen- und Abendgebet sein. Alles was bisher auf dem Gebiete der öffentlichen Kunstpflege getastet und geleistet worden ist, alles was zu ihrer Schlimmbesserung für die Zukunft gefordert und geplant wind, krankt an der unreinlichen Scheidung zweier möglichen Prinzipien; wie sehr auch mir gerade hier der Kern der ganzen Frage gelegen zu sein scheint, habe ich erst vorgestern an dieser Stelle — „Die Demokratie und die Künstler“ — darzulegen versucht. Aber ich glaubte auch andeuten zu sollen, wie eine Überleitung aus den jetzigen widersinnigen Verhältnissen zu einem gedeihlicheren Zustand angestrebt werden könnte; Loos‘ Richtlinien, die ja eine bewußte Zukunftskonstruktion sind, verzichten aus diesen Kompromiß.
Eine allgemeine Volkserziehung zur Empfänglichkeit für Kunst oder wenigstens gegen das Widerstreben gegen sie muß in der Schule beginnen; sie darf nicht darin bestehen, daß das Kind zur Kunstübung oder zum Kunstgenuß angeleitet wird, wodurch es nur einem neuen heuchlerischen Tyrannen ausgeliefert würde, sondern beschränkt sich auf eine Gewöhnung des jugendlichen Organismus an physische und psychische Natürlichkeit. Ob aber aus diesem vom wüsten Gestrüpp unserer jetzigen Schulerziehung gereinigten Boden eine gesunde Saat aufgehen wird, ist eine Frage in erster Linie sozialer Lebensreform; in den Paragraphen „Speisesäle“ will Loos wohl in dieser Richtung deuten, denn die sonst von ihm empfohlene Ausstattung der Schulräume mit Reproduktionen alter Kunst — was im Prinzip ja auch heute vielfach geübt wird — ist eine wertlose Maßregel, wenn sich die sonstige Existenz des Kindes in greulicher Kunstwidrigkeit abspielt.
Die Anregungen zur Ausgestaltung der Museen bewegen sich im wesentlichen auf den Bahnen, die auch die Fachleute seit Jahren zu schreiten begonnen haben; die Schwierigkeiten, auf die sie dabei stießen, sind durch die allgemeine Umwälzung zum Teil behoben, aber die wichtigste bleibt bestehen: das mangelnde Interesse eines breiteren Publikums, das nur sehr allmählich und vorsichtig gewonnen werden kann. Zu gleicher Skepsis verpflichtet die Erfahrung auch gegenüber der zur Kunstpflege und Kunstberatung gemachten Vorschläge; sie enthalten die Gefahr einer ästhetisierenden Bevormundung, für die weder eine Aufnahmsfähigkeit noch auch die richtigen Persönlichkeiten zur Vermittlung vorhanden sind. Auch für die Kunsthistoriker will ja der Staat nicht sorgen, sondern für die Kunst.
Die Erziehung zum Künstler zu regeln, ist eine der wenigen Formen, in denen der Staat dieses Ziel fördern kann. Hier begegnet sich Loos mit so vielen anderen, die ähnliche Reformen fordern, daß diese in künstlerischen Fragen so seltene Einmütigkeit vielleicht gerade in diesem Punkt eine baldige praktische Lösung erhoffen läßt; mit der vorgeschlagenen Rückkehr zur handwerklichen Schulung allein ist aber nicht gedient, sondern hier muß man den Mut haben, was Loos auf dem ihm genauer bekannten Felde des Bauwesens fordert, auch auf die bildenden Künste zu übertragen. Wie der Anwärter auf die Ausbildung zum Architekten das Maurer-, Zimmermanns- oder Steinmetzgewerbe erlernt haben muß, so ist dem angehenden Maler oder Bildhauer eine solche Erziehung zu geben, die ihn befähigt, zu einem seiner künstlerischen Betätigung verwandten Handwerk — Zimmermaler oder Lithograph, Restaurator, Steinmetz, Drechsler, Ziseleur ecc. — übe[r]zugehen. Nicht daß die künstlerische Ausbildung ein bißchen gebessert wird — was für das Genie ganz ohne Belang ist — ist wesentlich, sondern daß der Durchschnitt der Kunstbegabten den Ausweg aus einer verbitternden Proletarisierung finden könne.
Konsequenter sind die Vorschläge über die Erziehung zum Handwerker und die Anmerkungen zur Denkmalpflege; auch hier wurde manches — und viel weitergehendes — in Fachkreisen längst gefordert, ist manches erst jetzt ins Bereich der Möglichkeit getreten. Anderes könnte ansehbar erscheinen; z. B. daß bei Industrialisierung der Wasserfälle dafür zu sorgen sei, daß zeitweilig der Wasserfall durch die Ausschaltung des Betriebes seine natürliche Gestalt erhält. Hier hat Loos den richtigen Standpunkt verlassen, den er in einem früheren Paragraphen gegen die künstliche Erhaltung alter Trachten und ähnliche Bestrebungen eingenommen hat; gewiß, der Bauer ist kein Spielzeug, aber auch die moderne Arbeit ist es nicht. Wenn ihre Stätten mit Ernst und Sachlichkeit — ohne Schielen nach künstlerischen Nebenwirkungen — geschaffen werden, werden sie sich der Landschaft schmerzlos einfügen Als Schaffender würde gerade Adolf Loos hier seinen Weg sicherer gehen denn als reformierender Theoretiker.

