Josefine Widmar: Preisträger des Ungeistes. Thomas Mann und sein »Bekenntnis«

J.[osefine] W.[idmar]: Preisträger des Ungeistes. Thomas Mann und sein »Bekenntnis« (1933)

                                                                                                                              Wien, am 21. Februar

In den Berliner Krollsälen gab es letzten Samstag einen großen Skandal. Dort wurde unter lebhaftem Rummel von der Polizei eine Versammlung der sozialistischen Vereinigung „Das freie Wort“ aufgelöst. Vorher hatte im Rahmen dieser Versammlung der frühere preußische Kultusminister Grimme eine Zuschrift des gegenwärtig in Paris weilenden Schriftstellers und Nobelpreisträgers von 1929 Thomas Mann verlesen. Der Inhalt dieses Manifestes ging schon vorher durch die sozialistische Presse und lautet im Eingang also:

„— —Ich will das Bekenntnis erneuern, das ich schon vor zwei Jahren in einem schwierigen und kritischen Augenblick öffentlich, und seitdem noch das eine und andere Mal abgelegt habe: das Bekenntnis zur sozialistischen Republik und zur Überzeugung, daß der geistige Mensch bürgerlicher Herkunft an die Seite des Arbeiters und der Sozialdemokratie gehört.“

Sozialismus“, so führte dann Thomas Mann in seiner Zuschrift weiter aus, „ist nichts anderes als der pflichtgemäße Entschluß, den Kopf nicht mehr vor den dringendsten Anforderungen der Materie, des gesellschaftlichen Kollektivs, in den Sand der himmlischen Dinge zu stecken, sondern sich auf die Seite derer zu schlagen, die der Erde einen Sinn geben wollen – einen Menschensinn.“

                „Die deutsche Republik“, so hieß es zum Schluß, „muß den Glauben an ihre Kraft und ihr Recht lernen. Sie soll wissen, wie stark sie im Grunde ist und welche moralischen und geistigen Kräfte ihr auch heute zur Seite stehen, wo scheinbar das ihr Feindliche triumphiert. Das ist Episode. Das demokratische und sozialistische Deutschland darf vertrauen, daß die gegenwärtige Konstellation vorübergehend ist, daß die Zukunft trotz allem ihm gehört. — —“

            Dieses Bekenntnis des Verfassers der Buddenbrooks und des Zauberberges zur sozialistischen Republik und zum sowjetrussischen Kollektivismus wird nicht verfehlen, in weitesten Kreisen Aufsehen zu erregen, auch in Schweden, wo, wie man hörte, seinerzeit viele Maßgebende mit der Preiszuerkennung der Stockholmer Akademie nicht durchaus einverstanden waren. Das Bekenntnis, an offizieller Stelle und weithin hörbar abgelegt, ist auch sonst sehr wertvoll. Es zieht zu einem Zeitpunkt, da so viele weittragende Entscheidungen vor der Türe stehen, auch eine reinliche Scheidung zwischen dem echten deutschen Geist und jener pseudodeutschen Ungeistigkeit, als deren typischen Vertreter sich Herr Mann durch seine Confessio in den Krollsälen für alle Zeiten manifestiert hat.

            Es war höchste Zeit, daß diese Scheidung nun endlich erfolgte. Wer in den letzten 10 oder 15 Jahren die Entwicklung der deutschen Literatur beobachtete – und das ist gerade bei uns in Österreich stets besonders aufmerksam und liebevoll geschehen –, der konnte nur mit tiefster Sorge das beständige Abgleiten eines Schrifttums feststellen, das durch die Namen Walters und Wolframs, Schillers und Goethes, Grillparzer und Raimunds und vieler anderer zur Unsterblichkeit erhöht worden war. Von diesem Erbe waren die Siedler auf dem deutschen Parnaß seit 1918 so weit wie nur irgend möglich abgefallen. Von den Wogen der deutschen Spießerrevolution emporgetragen, schwamm auf der Oberfläche der deutschen Kunst eine Clique von Literaten, die mit teilweise starker Begabung eine vollkommene innere Richtungs- und Hemmungslosigkeit verbanden. Wo Begabung nicht als metaphysische Begnadung empfunden und in Demut und Verantwortungsgefühl in den Dienst höherer Aufgaben gestellt wird, verwandelt sie sich leicht zum Wuchergeld in der Hand des ungetreuen Verwalters.

            Dafür bieten die Brüder Mann und ihre Schule ein typisches Beispiel. Was so viele dieser „Meister“ hervorbrachten, war nicht schöpferischer Dienst am Volksgeist und an der Volkskultur, sondern ein literarisches Dezernententum im Dunstkreis der Parteiklüngel. Die revolutionäre Geste lohnte sich reichlich, denn hinter den Papierbarrikaden, auf denen diese Stürmer und Dränger für eine längst schon verwirklichte und übertrumpfte Freiheit fochten, brachten sie ein bürgerlich recht wohlgenährtes und vollgestopftes Schäfchen ins Trockene. Die deutsche Dichtkunst aber, die diese Leute zu verwalten und zu vertreten sich anmaßten, zeigte der erschrockenen Welt ein wahres Medusenantlitz. Was die deutschen Verlage und Bühnen bis in die allerletzte Zeit beherrschte, was Massenauflagen und Massenaufführungen erzielte, ist mit wenigen Ausnahmen eine Kaschemmen- und Spelunkenliteratur. Das klingt hart und beleidigend, ist aber an den literarischen Tatsachen gemessen, eine traurige Wahrheit. Der erhabene Bau der deutschen Dichtung, den der Romantiker Novalis mit einem gotischen Dom verglich würde, wenn es so weiter ginge, zu einem Wirtshaus dritten Ranges herabsinken, einem internationalen „Alexanderplatz“, auf dem Volksverräter, Sprachverhunzer und Kaffeehausschmocks der Welt verkünden, daß es im „Westen nichts Neues gibt“.

            Daß es soweit kommen konnte, daran trägt auch ein Teil der deutschen Presse von Hamburg bis Wien leider ihr vollgerüttetes Maß an Schuld. In ihren radikalen Abschattierungen, nach Maßgabe größeren oder geringeren Intimität mit den revolutionären Parteizellen, hat sie dieses Literatentum genährt, großgezogen und seine abwegigsten Produkte mit allen Mitteln ihres Reklameapparates als „repräsentative Leistungen“ des neuen deutschen demokratischen Geistes dem Ausland vorgezeigt. Diese neue deutsche demokratische Geistigkeit hatte nun in Wahrheit mit echtem deutschen Geist und freiem deutschen Volkstum so wenig gemeinsam, wie etwa Fritz Reuters seinen berühmten „Swinsigel“ mit seiner „Nachtigall“ verwechselt wissen wollte. Immerhin hat diese Irreführung dem Ansehen der deutschen Kunst und der deutschen Literatur in der Welt unermeßlich geschadet. Gelegentliche internationale Anbiederungsversuche, die von diesen Kreisen versucht wurden, blieben für die Sache der Völkerversöhnung völlig wirkungslos und wurden von der anderen Seite gewöhnlich nur mit einem – Fußtritt quittiert. Ging einer von diesen literarischen Übermenschen auf Reisen, so wurde seine Domiziländerung von einem Stab publizistischer Trabanten begleitet, jede noch so belanglose Äußerung des Gefeierten in ungeheuren Interviews aufgemacht. Und so lange hämmerte die Reklametrommel auf das deutsche Publikum los, bis es, verwirrt und betäubt, seine sauer verdienten Groschen für Machwerke hinlegte, in denen es selbst, deutsche Art und deutsches Wesen, verhonigelt und lächerlich gemacht wurde, bis es seiner wirklichen Meister und damit seiner guten Geister vergaß und auch auf geistigem Gebiet zum Hiob unter den Völkern wurde.

            Es ist ein glückverheißendes Zeichen, daß heute ein Großteil des deutschen Volkes, vor allem die deutsche Jugend, gegen die literarische Verknechtung des deutschen Volksgeistes aufsteht. Wenn sie dabei mit ungeistigen Mitteln zu Werke geht, so ist dies in letzter Linie Schuld derjenigen, die ihren eigenen Ungeist dem Volke aufzuzwingen versuchten. Die deutsche Jugend will nicht länger dulden, daß ihre und ihrer Väter Blutopfer für das Vaterland als Mord verunglimpft werden, während die Greuel der bolschewikischen Henkersknechte unangefochten bleiben, sie will nicht länger deutsche Liebe, deutsche Treue, deutsche Frauenwürde zugunsten eines internationalen Prostituierten- und Gangstertums ausgespottet sehen. Sie will in dem Dichter, dem Künstler überhaupt, wieder den geistigen Führer der Nation erkennen, der ihr in Not und Wirrnis den Fahnenspruch göttlicher Berufung prägt, nicht den kühlschnauzigen Tantiemenverdiener oder gar den Beauftragten einer Parteifraktion. Echtes Weltbürgertum wächst auch in der Kunst stets nur aus der Liebe und Verbundenheit mit der eigenen Scholle und die Achtung fremder Nationen erwirbt in Wahrheit nur der Künstler, der sein eigenes Volkstum achtet und seine Würde hochhält. Solche Achtung und Würde hat natürlich mit der Unduldsamkeit gegen die geistigen Leistungen anderer Rassen nichts gemein. Sie ist gerade uns Österreichern und Katholiken immer ferne gelegen und mit der Idee der geistigen Gotteskindschaft unvereinbar. Wer innerhalb unseres Volkstums ehrliche Arbeit leistet, wer sich, wenn auch fremdrassig, aus innerer Überzeugung zu deutschem Geist und zu deutscher Seele bekennt, dessen Mitarbeit soll willkommen sein, weil auch von ihr, wie die Beispiele bedeutender Männer zeigen, wertvolle Impulse für das ganze Volkstum ausgehen können. Wer aber dieses Volkstum, seine großen geschichtlichen und heldischen Traditionen und die zartesten und reinsten Äußerungen seiner Seele als „Untertanentum“, als „Butzenscheibenlyrik“ und „Unrat“ verleugnet, der möge von allen Ehren und Würden dieses Volkes ausgeschlossen sein. Eine katholische Dichterin, die österreichische Meisterin Enrica v. Handel-Mazzetti, der der Deutsche Reichspräsident mit einem ehrenden Handschreiben die Medaille des Goethefahres zusandte, hat in einer Zeit der tiefsten Erniedrigung von der Donau her dem deutschen Volke ihren Weckruf zugesandt: „— — Laß das Morsche ruhen in Grüften, singe Deutschlands Morgenrot, sing die Kraft aus Hermanns Hüften —!“

            Und so mögen denn der Preisträger des deutschen Ungeistes, Herr Thomas Mann und sein Gefolge, die schon längst an der äußersten Peripherie des deutschen Wesens hausten, ihren Umzug auch völlig zur Tatsache machen. Mögen sie in letzter Konsequenz ihrer verschiedenen Bekenntnisse, sich gänzlich in jenen Gebieten ansiedeln, wo das „gesellschaftliche Kollektiv der Erde einen Sinn gibt“, nämlich den Sinn der Massenvernichtung, den Sinn der Tscheka. Mögen sie dort mit Gorki und Henri Barbusse die Zahl der Moskauer Hofdichter komplettieren. Das deutsche Volk in seiner überwiegenden Mehrheit wird ihnen gerne die Reisepässe ausstellen.

In: Reichspost, 22.2.1933, S. 4.