Eugen M. Kogon: Theater- und Buchzensur – eine kulturreaktionäre Einrichtung? 

Eugen M. Kogon: Theater- und Buchzensur – eine kulturreaktionäre Einrichtung? 

Ohne Kampf gegen das Schlechte geht es nicht ab in unserer Welt, also auch nicht ohne Zensur. Alle sind wir wahrscheinlich eins in der Überzeugung, daß es besser wäre, wenn zensurwürdige „Kunst“objekte nicht entstünden oder unmöglich bestehen könnten. Von diesem Ideal, welches anzustreben bleibt, auch wenn es nie völlig erreicht wird, sind wir weiter entfernt denn je. Es muß einer schon Walter von Molo heißen und Präsident der Preußischen Dichterakademie, gleichzeitig auch Leitartikler des Berliner Tageblatts sein, um das nicht zu sehen.

Worum geht der Streit, hervorgerufen durch den Antrag im Preußischen Parlament, die Regierung Preußens möge die Reichsregierung veranlassen, gegen Auswüchse im Theaterwesen einzuschreiten? Um die Frage, ob vieles von dem, was man heute Kultur oder Zivilisation nennt, den Namen Kultur verdient; wenn nein, ob es dann, damit Kultur wieder entstehen, der Errichtung eines Dammes gegen die zerstörerischen Kräfte bedarf. Daß der Damm seine Nachteile hat, z.B. die Aussicht versperrt, verkennt niemand. 

Eine Schar bürgerlich-freisinniger Herren (das gibt es immer noch!) hat sich in Berlin zusammengetan und ein Manifest „an das Volk“ erlassen. „Der Kampfausschuß von 17 Verbänden lehnt jede kulturwidrige Absicht ab, die freie Entwicklung der Kunst, des Schrifttums und der Wissenschaft durch Wiedereinführung eines auch nur verschleierten Zensursystems zu hemmen.  – Er wird über den heutigen Abend hinaus eine dauernde Schädigung intellektueller Interessen zu verhindern wissen. – Der Kampfausschuß gegen die Zensur bleibt in Permanenz.“ Preußische Heeresbefehle sind ein Schmarren gegen die Entschließungen preußischer Literaten. Erinnerte der Name des Vorlesers, Ludwig Fulda, nicht an Schilda und der eines Mitredners, des Filmregisseurs Lupu Pick, nicht an den Jammer dieser Republik, man könne den Zwang verspüren, die Hände an die Hosennaht zu legen und in ehrfürchtigem Gehorsam zu ersterben. Die Zensur, jede Zensur wird also von unseren Dichter-Vorgesetzten abgelehnt. Warum? Erstens, weil es keinen sicheren Maßstab zur Unterscheidung von Kunst und „Kunst“ gebe; zweitens, weil die Zensoren nicht objektiv seien (also müßte man auch auf jede Regierung verzichten? Man gewöhne sich doch einmal an, aus seinen Behauptungen die Folgerungen zu ziehen!); drittens, weil die Zensur nichts ausrichten werde (woher wissen die Herren das? Zensuren haben im Lauf der Geschichte sehr viel Gutes und sehr viel Böses bewirkt!); viertens, weil die Öffentlichkeit selbst entscheiden könne und keine Bevormundung nötig habe; fünftens, weil die Freiheit des Künstlers nicht eingeschränkt werden dürfe; sechstens überhaupt, denn „die ganze Richtung paßt uns nicht!“  

Der letztgenannte Grund ist der tiefste. Herr von Molo hat das in einer Rede vor der Preußischen Akademie der Künste ausgiebig abgewandelt, hoffentlich in besserem Deutsch als dem der Presseberichterstatter, die, zugunsten des Dichterpräsidenten sei’s angenommen, von seinen Halb und Viertelgedanken benebelt, offenkundig die Herrschaft über ihren Bleistift verloren. „Wir wollen offen sein,“ meinte er sympathischerweise, „es geht den Freunden für Einführung einer neuen Zensur gar nicht darum, ob ein Werk ein Kunstwerk ist oder nicht. Es handelt sich heute, von niemandem zugegeben, aber jedem Einsichtigen klar, darum, daß eine Gruppe die Werke als Nichtkunst bezeichnet haben will, die ihr nicht in den Kram passen! Das ist die größte Gefahr für den Staat, und darum stehen wir gegen dieses Verlangen… Kein Staat kanndie volle Freiheit der schöpferischen Menschen entbehren.“  […]

Kram! Da von einer Gruppe die Rede ist und wir zu ihr gehören, müssen Sie auch uns meinen Herr von Molo. Unser Kram nun ist die christliche Auffassung von Welt, Leben und Menschen. Eine kaum übersehbare Schar von Heilen, Heiligen und Künstlern ist uns im Lauf von 2000 Jahren mit diesem Kram vorangegangen. Wir werden ihn also nicht aufgeben, weil ein Molo behauptet, „Weltanschauungen sind Anschauungen, sie gegen nicht den Besitz des Steins aller Weisheit, sie sind Einseitigkeit; Einseitigkeit kann nicht über Kunstwerke zu Gericht gesetzt werden. Ein Kunstwerk ist ein Ganzes, das nicht von dem begriffen werden kann, dessen Finger nur zu einem Stückchen heranreichen.“ Haben Sie schon einmal einige kunstkritische Briefe von Claudel oder etwas über die Freiheit des Künstlers von Chesterton gelesen? Verengung, Einseitigkeit…, so schwatzen Sie doch nicht so ausgelaugtes Zeug! Die ganze Welt steht dem Künstler zur Gestaltung offen, alles Gute und alles Schlechte, wir verlangen nur, daß das Gute gut, das Schlechte schlecht erscheine, nicht umgekehrt; und daß der Künstler sich nicht darauf kapriziere, sich im Dreck zu suhlen. Wahrhaft grenzenlos ist die Freiheit des katholischen Künstlers, sie reicht von Unendlichkeit zu Unendlichkeit Gottes, der alles Geschaffene erhält, selbst das Schlechte in seinem Sein. Ist Dante von seiner katholischen Weltanschauung behindert worden? Der Herr von Molo weiß es freilich besser, Er spielt zwar darauf an, daß er ein Christ sei oder wenigstens eine Ethik habe, die doch, wenn sie wirklich eine ist, im Grunde christlich sein muß, weil der Logos spermatikos auch in den Heiden wirkt, aber er nennt den Kampf gegen das Böse doch Rückschrittlichkeit, denn der Hasenclever hat es partout auf die Gotteslästerung abgesehen (Motto: Das woll’n wir doch sehen, ob ich den Tempel nicht bedrecken darf, vonwejen Freiheit des Künstlers!), und den Berliner Literaten möchte ich kennen, der ich nicht lieber Arm in Arm mit Hasenclever sehen ließe, als an der Seite eines Dante! Das Maß dieses Riesens würde nämlich selbst dem Romanischen Café plötzlich klar machen, daß es doch Maßstäbe zur Beurteilung von Kunst und „Kunst“ gibt. 

Ist das Romanische Café überzeugt, daß unsere Weltanschauung ein Kram ist, so weiß das Café des Westens genau, daß wir „den schöpferischen Geist knebeln“ wollen. Fürs Knebeln sind wir aber nicht, nur für einen eisernen Besen, der ersetzt, was die väterliche Zuchtrute bei den Literaturschwengeln unserer Zeit, den jungen und den alten, versäumt hat. Für die Aufführung von Anja und Esther z.B. hätte ich den noch nicht stubenreinen Kleckser auf ein paar Jahre in eine Besserungsanstalt, statt nach Amerika geschickt, von wo er nur noch frecher und eingebildeter zurückgekommen ist. Wenn Gerhart Hauptmann eine Dorothea Angermann schreibt, so wünschen wir, auch wenn wir sie ablehnen, nicht ihr Verbot, weil wir wissen, daß das Stück nicht die Kunst eines Großen erschöpft, der auch Hanneles Himmelfahrt gedichtet hat. Wenn aber Klaus Mann oder Hasenclever oder sonst einer von dem Gewimmel –, da verwandelt sich unser einheitliches Maß sofort in ein doppeltes, und beide werden zur Peitsche, die wir am liebsten in der Hand eines weisen Zensors sähen. Aber wer macht denn diese Öffentlichkeit aus? Die Marktschreier, die Händler, die Verantwortungslosen. Und das Volk läßt sich immer wieder beschwatzen, in deren Theater zu gehen, statt ihnen endlich einmal die Hosen zu stäuben. Woher denn das ganze Theater- und Literaturelend, über das die Brüder vom Freisinn selbst immer wieder ihre Feuilletontränen vergießen? Generalintendant Jessner lehnte Probeaufführungen vor einem Zensorenparkett (die wir übrigens gar nicht verlangen, weil die Zensur viel früher einzusetzen hat) ab, denn ein solches Zensorenkollegium könne nicht über die öffentliche Meinung entscheiden. Als ob der Koofmich vom Kurfürstendamm, der für Jessner schwärmt („Sin Se jewesen bei de letzte Prämiär bei Jessner? Was? Ham Se nich jesehn? Müßn Se anschaun gehen, das Stück, kolossal sar’ch Ihnen!“), als ob sowas öffentliche Meinung wäre, jene aber, die es tatsächlich ist, nicht längst entschieden hätte! Sind die Theaterpleiten kein Beweis? Der Herr Regisseur Emil Lind indes hob bei der Kundgebung im Preußischen Herrenhaus, ohne daß ihm schallendes Gelächter zum Verstummen ge-//bracht hätte, hervor, alle Bühnenkünstler seien die ersten im Kampf um die Lebensinteressen des Geistes und der Kunst. Das sagt er, anno 1929, gegen die Zensur, nicht für sie! Welch groteske Situation: In Berlin, wo nach dem Urteil aller dortigen und dortgewesenen Kulturmenschen die Musen nicht etwa bloß auf den Hund gekommen, sondern in manchen Theatern geradezu unter die Säue geraten sind, soll ein Regisseur von diesen seinen Bedrängern befreit werden. Was tut er? Atmet er beglückt auf über die nahende Hilfe? Feuert er die Helfer zu rascherer Arbeit an? Nein, er macht den Versuch, die Säue und die Perlen, die andere mit ihnen verdient haben, zu schützen! Man höre gut und mißverstehe nicht: zu schützen! 

Der Präsident der Dichtersektion, Herr von Molo, geht noch weiter, wenn es auch nicht möglich zu sein scheint. Er leugnet die Existenz des ganzen Schweinestalls. Man soll erst die Wohnungsnot beseitigen, rät er, die Arbeitslosigkeit, meint er, den politischen Kuhhandel, schreit er, dann könne man erst feststellen, ob schädliche Literatur überhaupt Schaden stifte. […]

Man sollte von unserer Seite die Frage: „Für oder wider eine Zensur?“ nicht auf den Schutz der Jugendlichen einschränken. Nicht nur meine Kinder will ich beschützt wissen, mich will ich bewahrt und geschont sehen vor dem Geblödel, das mir blasphemischen Schleim entgegenhustet und die Frechheit besitzt, den Auswurf seiner geistigen Unzucht auf dem literarischen Jahrmarkt auch nur feilzubieten! Daß ich den Brüdern vom dunklen Gewerbe des Freisinns weder für Pofel noch Dreck etwas zahle, versteht sich von selbst. Aber sie sollen auch nicht hausieren dürfen, weil sie die Kultur verpesten. Wenn die Abzugskanäle als Volksküchen aufgetan werden, appelliere ich heute und allezeit an die Ordnungsgewalt. Wir opfern unsere Steuergelder schließlich nicht nur zum Schutz der „Errungenschaften“ liberaler Literaturkaufleute, welche die Probleme der Zeit so lange schinden, bis diese notgedrungen die erpreßten Prozente herausgeben. Und Leute, die Dichter, Leute, die Künstler sein wollen, versichern uns zeternd, daß es kein Merkmal gebe, sie unter Schwindlern als Gottgezeichnete zu erkennen! 

Es gibt die Merkmale schon, Herr von Molo! Wenn einer z.B. den Mut aufbringt, vom hohen Pult der Preußischen Akademie der Künste, als Präsident den Dichtersektion überdies, so erbarmungswürdiges Geschwätz über Religion und Kirche […]vorzutragen, dann brauche ich seinen Luther-Roman gar nicht gelesen haben, um zu wissen, daß der einstmalige Augustinermönch, lebte er heute, die Zensur nicht nur gefordert, sondern so streng gehandhabt hätte, daß es zu Resolutionen sog. Kampfausschüsse von Literaten, G’schaftlhubern und G’schäftlemachern gar nicht gekommen wäre. Denn er eher von ihnen auch nur ein Wort hätte vorbringen können, wäre ihm der Junker von Wittenberg übers Maul gefahren. Und wie, Herr von Molo!

In: Schönere Zukunft, 7.4. 1929, S. 565-566.