N.N.: Die Hetze gegen den Film

N.N.: Die Hetze gegen den Film. (1923)

In dem in Bregenz erscheinenden Vorarlberger Volksblatt wurde in zwei Leitartikeln zur „Kinoreform“ Stellung genommen und wir müssen uns nur aus dem Grunde mit diesen Artikeln befassen, weil dieselben aus der Feder des Landesreferenten für das Volksbildungswesen stammen und daher erhöhte Aufmerksam­keit verdienen.

Wir waren bisher der Meinung, daß die Zeiten der lex Heinze endgültig vorbei seien, der geistliche Artikelschreiber belehrt uns eines besseren, denn in diesen Artikeln wird verlangt, daß so ziemlich alles verboten werden soll, was heute im Kino zu sehen ist. Im wesentlichen beschäftigt sich der Verfasser mit dem Lichtbilde, dessen Farblosigkeit er nebst dem Fehlen des Wortes bedauert und kommt zu einem Schlusse, der heute mehr denn je als komisch empfunden werden muß, wenn er sagt, daß die ernsten Kinoreformer jede Verfilmung eines guten Romanes oder Dramas grund­sätzlich ablehnen. Daß dem nicht so ist, weiß jeder Laie im Kinofache – es braucht nicht separat auf die Verfilmung Nathan der Weise, oder Hanneles Him­melfahrt und Phantoms hingewiesen zu werden – zu genau.

Und die literarischen und ethischen Qualitäten Lessings und Hauptmanns wird dieser Landesreferent auch nicht anzutasten wagen. Und nach diesem Fehl­schlusse, der schon die Kritikberechtigung des Artikel­schreibers in Frage zu stellen geeignet erscheint, be­zeichnet er das Kinodrama in seiner bisher üblichen Form als verwerflich, kritisiert mehrere Filmtitel, wäh­rend jährlich hunderte von Films über die zappelnde Leinwand flimmern, versteckt sich aber dann sofort wieder hinter die „ernsten Kinoreformer“, mit der For­derung, daß alle Dramen kriminellen und sexuellen Inhaltes gesetzlich verboten werden sollen. Sein Filmparadies ist Pennsylvania in Nordamerika, denn da sind verboten: alle Darstellungen, die in irgendeiner Form den Mädchenhandel, die Verführung, Prostitution, geschlechtliche Dinge oder Geschlechtskrankheiten zum Gegenstand haben, alles, was sich auf Opium, Morphium und ähnliche berauschende Gifte bezieht, die Kunstgriffe, deren sich die Verbrecher gegen Leben und Eigentum bedienen, die Darstellung von Schlägereien, Hinrichtungen, Folterungen und chirurgischen Operati­onen, die Vorführung von Irrsinnigen und Fieberkran­ken, auch Darstellungen von Personen, die nicht ge­ziemend bekleidet sind oder eine unanständige Haltung einnehmen; Darstellungen, die eine Rasse, einen Beruf oder eine Religionsgemeinschaft in verletzender Weise lächerlich machen, Darstellungen von Paaren, die in außerehelichem Verhältnis leben, Darstellungen, in denen Tiere gequält werden, in denen Schwerbetrunkene auftreten, in denen ungeziemende Zärtlichkeiten erfolgen oder irgendwelche Ausgelassenheit in Bädern und auf Bällen.

Man sieht, auch der Wahnsinn der »Kinoreformer« hat Methode. Es ist selbstredend lächerlich, so weit­gehende Forderungen aufzustellen. Dieser Kinoreformer schlägt mit seinen Forderungen schon sehr gewaltig über die Schnur und seiner Weisheit letzter Schluß ist der Ruf nach der Zensur. Rotstift walte deines Am­tes, damit – die Jugend nicht verdorben werde. Wir sind überzeugt davon, daß die Jugend nicht durch das Kino verdorben wird, denn jeder Film wird in Wien unter Berücksichtigung seiner Eignung für Jugendliche zensuriert. Der Zensurbeirat ist in einer Form zusam­mengesetzt, daß es außer allem Zweifel ist, daß die in demselben befindlichen Männer die Frage der Eignung eines Films für Jugendliche nicht in allererster Linie berücksichtigen würden und jede Zensurkarte trägt den Vermerk, ob der Film für Jugendliche geeignet ist, oder nicht.

Wenn der Verfasser des Artikels eine weitergehende Zensur fordert, so ist dies ein Übergriff, der lediglich auf hyperreligiöse Gründe zurückzuführen ist und kennt der Verfasser auch nicht die Psychologie des Kinopubli­kums. ln Wien wurde zu wiederholtenmalen der Ver­such gemacht, Kinos für Jugendliche zu bestreiten; solche wurden einfach von der Jugend nicht besucht. Der Idealismus dieser Kinobesitzer kostete denselben viel Geld. Die Jugend hat für diese Films kein Interesse und will auch das Kino nicht als Fortsetzung der Schulbank gelten lassen.

Es gilt ja vom Kino dasselbe, wie von vielem anderen. Wer nicht Ins Wirtshaus oder ins Kaffeehaus gehen will, kann ebensowenig gezwungen werden, dort­ hin zu gehen, wie man einem Menschen zumuten kann, // ein Kino zu besuchen. Eines steht unbedingt fest. Die Filmzensur ist in Österreich so strenge, wie in keinem anderen Lande der Welt und entspricht selbst den puritanischesten Anforderungen. Aber eines kann sie ebenso wenig, wie die Zensur des Vormärz: das wirkliche Leben verbieten und Darstellungen des wirklichen Lebens in künstlerischer Form bringt das Kino. Die Hintertreppen- und Schundromanfilms werden sowieso nicht gekauft und nicht gespielt. Denn den Kinobesitzern bereitet die Vorführung eines gediegenen Films größere Freude als die eines Schauderfilms und sie selbst wirken durch ihre gediegene Auswahl selbst darauf hin, den Geschmack des Publikums zu verbessern und zu verfeinern.

In: Das Kino-Journal, 13.1.1923, S. 1-2.