N.N.: Studentenschaftsordnung und Antisemitismus

N.N. [Red. Beitr.]: Studentenschaftsordnung und Antisemitismus. (1932)

Die Stellungnahme der Christlichsozialen. – Hochbedeutsame grundsätzliche Erklärungen des Abg. Schmitz

Im Nationalrat wurde heute die erste Lesung der Regierungsvorlage über eine Studentenschaftsordnung an den Hochschulen durchgeführt, die von allen vier nicht sozialdemokratischen Parteien grundsätzlich begrüßt, von den Sozialdemokraten jedoch in heftigster Form bekämpft wurde. Weit über das Niveau der übrigen Debatte ragte die Rede des Abg. Schmitz hinaus, der in seinen Ausführungen voll Tiefe und Schwung den christlichsozialen Anschauungen einen prächtigen Grundsatzrahmen gab.

Unterrichtsminister Dr. Czermak skizzierte in seiner Rede einleitend die Vorgeschichte der Frage der Studentenschaftsordnung und legte dann dar, daß die Notwendigkeiten der Einrichtung von Studentenschaften allgemein anerkannt werde und der Streit nur um ihre Gestaltung gehe, darum in welcher Weise das spontan Gewordene in geordnete Rechtsformen gegossen, dem gesetzlichen Aufbau der Hochschulen rechtlich eingegliedert und so dauernd legalisiert und so gesichert werden soll. Absichten und Ziele der Regierungsvorlage erläuternd, sagte der Minister:

Die Regierung hat sich für die Schaffung nationalhomogener Selbstverwaltungskörper entschieden, die auf dem gemeinsamen Boden der Hochschule mit voller Gleichberechtigung nebeneinander zu wirken berufen sind, für welche Gleichberechtigung alle Sicherungen geboten

wurden. Wir brauchen sachlicher Aufbauarbeit zugewendete nüchterne Selbstverwaltungskörper und wir wissen, daß solche nur auf unserem Wege der Auseinanderlegung des Unerträglichen zu erzielen sind. Wie soll über die Zugehörigkeit des einzelnen zu einem der organisierten Selbstverwaltungskörper entschieden werden? Ich habe mich gegen die Schaffung von Zwangsverbänden kraft Gesetzes entschieden.

Dieses Gesetz enthält

keine Zwangsverbände.

Vielfach glaubt man allerdings in der Öffentlichkeit, daß sie im Gesetze vorgesehen seien. Freie studentische Kräfte haben bisher die Arbeit geleistet, mögen sie sich in national einheitlicher

Gruppierung zu freiem, vereinsmäßigem Wirken zusammenfinden. Tun sie dies in einer Form, die dem Gesetze gemäß ist, so können ihnen die akademischen Behörden die Rechte eines Selbstverwaltungs­körpers übertragen. Tun sie es nicht, dann können ihnen diese Rechte wieder entzogen werden. Auf diesem Wege findet auch die Zugehörigkeitsfrage eine organische Lösung. Ich

bemerke dazu, daß im Falle einer Abänderung des Vereinsgesetzes sehr unschwer auch eine Abänderung dieser Basis der Studentenschaftsordnung möglich wäre.

[…]

Abg. Leuthner vertrat die Stellungnahme der Sozialdemokraten gegen die Vorlage, die er als „die unterwürfigste Verbeugung der Christlichsozialen vor den Nationalsozialisten“ und als „die unerhörte Proskynese des katholischen Prinzips vor dem Blut- und Hakenkreuzmythos“ bezeichnete, gefiel sich in wenig geschmackvollen Witzeleien Über den Namen des Unterrichtsministers und ließ sich dann endlich im Sorgenstuhl der Sozialdemokraten nieder, von dem aus sie den Antisemitismus zu beseufzen und zu bekritteln pflegen: die Vorlage beruhe auf dem Rassenprinzip, sei antisemitisch und daher mit aller Kraft von den Sozialdemokraten zu bekämpfen.

Dies veranlaßte den gewesenen Vizekanzler Abge­ordneten Schmitz, der namens der Christlichsozialen sprach, sich grundsätzlich mit der

Frage des Antisemitismus

zu beschäftigen. Abg. Schmitz bezog sich nach einer kräftigen Polemik gegen die Angriffe Leuthners gegen die christlichsoziale Partei auf die Versuche, die Regierungsvorlage über die  Studentenschaftsordnung im Ausland als einen Exzeß des Rassenantisemitismus zu denunzieren und damit Widerstände wachzurufen, die das Inkrafttreten dieses Gesetzes verhindern sollen, und fuhr fort:

Ich halte es daher für notwendig, daß man über den Antisemitismus als Problem in aller Ruhe und Objektivität von dieser Stelle aus etwas sagt, bevor man auf den Gesetz­entwurf selbst eingeht. Ich halte diese Auseinandersetzung auch deshalb noch für notwendig,

weil es eine Tatsache ist, daß die antisemitischen Stimmungen in der jungen Generation mit neuer und vergrößerter Kraft aufsteigen als es in den Jahren vorher der Fall gewesen ist.

Es wäre töricht, sich vor dieser Tatsache zu verschießen. Drei Schichten vor allem sind es, die von ihr be­sonders erfaßt sind. Es sind die jungen Akademiker, die jungen Privatangestellten und die jungen

Geschäftsleute und Gewerbetreibenden. Es ist natürlich nicht so, als ob eine solche Stimmung lediglich durch eine Agitation von außen her hineingetragen werden könnte.

Gründe für das Ansteigen der antimarxistischen Stimmungen.

Für diese Erscheinung gibt es zunächst einige all­gemeine Gründe. Diese gelten nicht nur für das

Interesse an der Judenfrage, das sich in den antisemitischen Kreisen kundgibt, sondern auch für das Judentum selbst. Man erinnere sich doch nur an die Gründung des jüdischen Nationalstaates in Palästina, an die Vergrößerung der zionistischen Bewegung in der ganzen Welt, man erinnere sich

an die ostjüdischen Wanderungen, die nach Österreich und Deutschland während und nach dem Kriege sich voll­zogen haben. Diese objektiven Tatsachen allein haben mit dazu beigetragen, die Judenfrage, die vor dem Kriege eine Zeitlang schon zurückgetreten war, wieder mehr in den Vordergrund des öffentlichen Interesses zu schieben, nicht nur in Österreich und Deutschland, sondern auch in den westlichen Staaten, in Staaten, die einen sehr geringen Prozentsatz jüdischer Bevölkerung haben, wie z. B. in Frankreich. Allerdings ist auch dort ihr Einfluß viel größer als der ziffernmäßige Anteil dar­stellt. In Frankreich konnte man in den letzten Jahren im steigenden Maße ernsthaften wissenschaftlichen und politischen Er­örterungen der jüdischen Frage begegnen. Ja

sogar in Amerika ist dies der Fall.

Es handelt sich also hier nicht um eine Erscheinung, die lediglich auf eine böswillige Agitation zurückzuführen ist, sondern um eine Erscheinung, die aus allgemeinen Ursachen hervorgegangen ist.

Aber es gibt weitere Ursachen, die nicht in allen Staaten gleichmäßig sich geltend machen, bei uns vielleicht etwas mehr.

Das ist das Hervortreten jüdischer Führung bei fast allen Umsturzbewegungen der Nachkriegszeit.

Zuletzt in Spanien. In Österreich fällt uns bei den jüngsten Wahlen auf, wie sehr die jüdische Wählerschaft in die revolutionäre Partei, in die Sozialdemokratie, abwandert. Man muß heute leider schon sagen, daß die große Mehrzahl der jüdischen Wähler in der Sozialdemokratie zu finden ist. Selbstverständlich hat das auch Reaktionen zur Folge. Die führende Rolle, die das Judentum weithin in der Welt, auch bei uns in der Wirtschaft seit jeher hat, mußte selbst­verständlich bei den Wirtschaftskrisen in der Nachkriegszeit, ins­besondere auch bei Finanz- und Bankenkrisen, angefangen von der Kriegsgewinnerzeit über die Inflationsperiode bis in die Gegenwart, die Aufmerksamkeit der Völker erwecken. Auf alle diese Erscheinungen ist es zurückzuführen, daß nach dem Kriege die Judenfrage und damit der Antisemitismus wieder in den Vordergrund getreten ist. Dazu kommen //

gewisse besondere Ursachen in Österreich.

Es ist nun einmal nicht zu leugnen, daß hier ein kultureller Gegensatz zwischen dem christlichen Volk und den in der Mehrzahl des Judentums vorherrschenden Anschauungen besteht. Ich brauche nur an den gewissen Hang zum Antiklerikalismus, zur Vertretung freisinniger Anschauungen zu erinnern, an die Beobachtung, die wir bei dem Kampfe gegen den Schmutz und Schund machen mußten, wo sofort gewisse Blätter, siehe Neue Freie Presse, über uns hergefallen sind und uns der Reaktion und aller möglichen Dinge beschuldigten. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, es wäre töricht und ungerecht, das zu verschweigen. Ich anerkenne diese Ausnahmen sehr gerne. Es ist durchaus möglich, daß mit jenem Teil des jüdischen Volkes, der sich an die eigene Religions- und Sittenordnung hält, auch gläubige Christen in weitem Umfange auf kulturellem Gebiete zusammenstimmen können. Wo dieser Geist lebendig bleibt, wird Christen und Juden vieles trennen, aber es wird doch die Gemeinsamkeit dieser göttlichen Gesetzgebung aufrecht bleiben. Wir wissen daher schon, Juden und Juden zu unterscheiden. Man kann aber nicht verheimlichen, da die Mehrzahl der österreichischen Juden leider den Boden dieser Gemeinschaft verlassen hat, einem zersetzenden Freisinn, ob bürgerlicher oder sozialistischer Färbung, verfallen ist und den Bestrebungen der Kirche feindlich gegenübertritt. (Zustimmung bei den Christlichsozialen.) Der Einfluß des anderen, religiös und sittlich positiv eingestellten Teiles des österreichischen Judentums scheint dagegen leider nicht aufzukommen. Der Gegen­satz ist also ein tiefer und beständiger, der auf kulturellem Gebiete das christliche Volk und die Mehrzahl der jüdischen Bevölkerung trennt, und es ist verständlich, wenn er in manchen Zeiten stärker ins Bewußtsein tritt als in anderen.

Aber dieser Gegensatz allein würde noch nicht erklären, daß der Antisemitismus in der jungen Generation die Radikalisierung erfahren hat. die wir in der Gegenwart beobachten. Die wirtschaftliche Not ist immer, zu allen Zeiten die Haupttriebkraft für die Radikalisierung des Antisemitismus gewesen. Sie war es in den siebziger und achtziger Jahren, als nach den großen Krisen der ersten Hälfte der siebziger Jahre in Deutschland wie in Österreich die antisemitische Welle hochstieg. Sie ist es heute genau so. Im Kampfe um die nackte Existenz kommt der  Selbsterhaltungstrieb, der mächtigste, der im Menschen wirksam ist, natürlich ungehemmter und stärker zur Geltung als in anderen Zeiten, in denen solche Existenz­kämpfe nicht mit der gleichen Schärfe und unbarmherzigen Härte sich abspielen.

Unsere Kinder finden heute fast keine Berufsmöglichkeit mehr. Der akademische Nachwuchs, der aus unseren Hoch­schulen hervorgeht, unsere Ärzte, Juristen, Philosophen usw. können nicht mehr unterkommen. Da sehen sie z. B. wie die sozialdemokratisch geleiteten Krankenkassen überwiegend jüdische Ärzte anstellen (Zustimmung bei den Christlichsozialen), wie die Zahl der jüdischen Rechts­anwälte und Mittelschullehrer in Wien

zunimmt.

Werden Sie es dann den jungen Ärzten, Philosophen und Juristen verargen, wenn sie nun sagen: Warum ist es bei denen möglich und warum bei uns nicht? Es ist doch wirklich verständlich, daß in der jungen Generation, die von der Angst heimgesucht ist, überhaupt nicht den Weg in einen Beruf zu finden, nicht nur die besten Jahre der jungen Manneszeit, sondern auch dann den Übergang für alle Zukunft zu ver­lieren, um im erlernten Beruf die eigenen Anlagen entfalten zu können, radikale Gefühle Platz greifen. Gilt nicht ähnliches für unsere Handelsangestellten und für den Nachwuchs bei unseren Gewerbe­treibenden? Gehen Sie durch die Straßen von Wien und Sie werden sehen, wie sehr sich das Bild zuungunsten der Kinder unseres christlichen Volkes verändert. Der eine Teil wird proletarisiert, auch der andere Teil hat mit der Not zu kämpfen. Es wäre natürlich eine Übertreibung, zu sagen, daß die jüdische Jugend nicht auch unter der Wirtschaftskrise und unter den Erschwerungen, einen Beruf zu finden und auszuüben, leiden würde. Aber

die Verhältnisse scheinen zuungunsten der Kinder des christlichen Volkes verschoben. Das erklärt vor allem den radikalen Ton. den die antisemitische Ge­sinnung in der jungen Generation angenommen hat.

Daraus müssen sich nun Schlußfolgerungen ergeben, wir müssen wissen, was wir zu tun haben.

Für uns Christlichsoziale

sind in dieser wie in allen Fragen die katholischen Grundsätze maßgebend. Als Katholiken kennen wir keinen Haß gegen das Judentum als religiöse Gemeinschaft oder als Volksgemeinschaft und auch nicht gegen das Judentum als eine „Rassengemeinschaft“. Wir dürfen nicht hassen, denn das Gebot der Nächstenliebe gilt für alle Menschen ohne Unterschied, welcher Rasse oder Nation sie angehören. Infolgedessen ist es töricht, uns zu unterschieben, als ob wir uns einem Rassenantisemitismus hingegeben hatten. Seit Luegers Zeit haben die Christlichsozialen immer den Rassenantisemitismus abgelehnt. Lueger ist deswegen mit Schönerer und mit allen kleineren Nachfahren Schönerers in Konflikt geraten. Dasselbe gilt selbstverständlich auch heute für uns. Wir Christlichsozialen sind auch keine Freunde von Ausnahmsgesetzen. Schon die Erfahrungen der Vergangen­heit warnen uns davor, etwa zweierlei Kategorien von Staatsbürgern zu schaffen. Aber wir werden auf die junge Generation acht haben müssen und wir werden vielleicht in Zukunft mehr als bisher überall dort, wo ein gegnerischer Einfluß in unchrist­lichem und antichristlichem Sinne geltend wird, nicht nur in der Abwehr, sondern auch, soweit es notwendig ist, in der Offensive auftreten, um unserer eigenen Gesinnung und unseren eigenen Überzeugungen Raum und Bewegungsfreiheit zu schaffen.

Es ist nicht unsere Schuld, wenn aus dem kul­turellen Gegensatze heraus der Antisemitismus neu belebt worden ist; es liegt beim Judentum selbst, diese Ursache zu beheben. Von dieser Stelle aus möchte ich an das Judentum appel­lieren. daß es nicht nur den Antisemiten das Studium der Judenfrage überläßt. sondern auch seinerseits mithilft dazu beizutragen, um zu einer Lösung dieser Frage zu kommen.

Das Vorbeigehen an diesem Problem hilft niemand. Wenn wir nicht rechtzeitig zu einer Lösung kommen, die wir vor unserem Gewissen verantworten können, dann werden sich Lösungen durchsetzen, die einen bedauer­lichen Inhalt miteinschließen werden. Wir müssen, praktisch gesprochen, vor allem unserer jungen Generation helfen, in Berufe zu kommen. Man muß hier Mittel und Wege finden. Es ist ja, wenn auch der Vergleich nicht allzu wörtlich genommen werden darf, eine Analogie in unserem Inlandarbeiterschutzgesetz vorhanden.

Wir müssen Methoden finden, die, von jeder individuellen Willkür frei, objektive Merkmale auf­stellen, um zu sichern, daß die vorhandenen Erwerbsmöglichkeiten den Söhnen und Töchtern des christlichen Volkes unseres Landes in entsprechendem Ausmaße zur Verfügung stehen. Wir wollen niemandem das Recht zu leben und zu ar­beiten verweigern. In Notzeit, in Arbeits- und Er­werbslosigkeit müssen aber auch die anderen ver­stehen, wenn das christliche Volk für seine leiblichen Kinder gesorgt wissen will. Geschieht hier rechtzeitig Hilfe und sieht die junge Generation den guten Willen, aus dieser Schwierig­keit Brücken in eine bessere Zukunft zu bauen, die doch einmal kommen muß und kommen wird, dann

find auch die Gefahren beschworen, die aus einem gewalttätigen Durchbruch dieses Zustandes für das allgemeine Wohl unseres Landes zu befürchten wären.

Ganz verfehlt ist jedoch der Versuch, das Gesetz über die Studentenschaftsordnung an den Hochschulen ausschließlich als den Ausfluss rassenantisemitischer Gesinnung zu betrachten. Gewiß besteht ein Zusammenhang zwischen der Judenfrage einerseits und der Studentenschaftsordnung anderseits, inso­fern die jüdische Frage in letzter Zeit in viel höherem Maße als früher eine nationale Frage geworden ist, als das nationale Bewußtsein im Judentum erwacht ist und in größerem Umfang als früher innerhalb des Judentums nach Geltung ringt, übrigens von der großen Welt durch die Balfour-Konvention ausdrücklich anerkannt worden ist.

Abg. Schmitz besprach nun eingehend die Grundsätze, von denen sich die Vorlage leiten läßt. Der Entwurf nehme als entscheidendes Merkmal

die Volkszugehörigkeit

an und gebe dabei von Abstammung und Sprache aus. Wenn Leuthner gemeint habe, dies widerspreche dem katholischen Prinzip, so möge auf das Buch des Weihbischofs Dr. Frint über Das sprachliche und sprachlich-nationale Recht, vom sittlichen Standpunkt aus beleuchtet und auf die noch vor dem Zusammenbruch des alten Österreich erschienene Schrift des Theologieprofessors Dr. Ignaz Seipel über Nation und Staat hinge­wiesen werden, auf die Lehrmeinungen maßgebender Geistesmänner der deutschen Katholiken zu dieser Frage, die uns Katholiken zweifellos bestimmender sind als die Meinungen der  Sozialdemokraten. Abg. Schmitz fuhr fort:

Der Begriff Volkszugehörigkeit wird im Entwurf an die Abstammung und Sprache gebunden. Mit Recht, denn die Sprache allein genügt nicht. Es genügt nicht einmal das Bekenntnis zu der durch eine Sprache repräsentierten Kulturgemeinschaft. um zu sagen, man gehöre der betreffenden Nation an. Es genügt auch nicht die Abstammung allein. Das Wort Abstammung bedeutet nicht Rasse, und wenn in der Begründung zum Entwurf das Wort Rasse vermieden worden ist, so ist das gut. Die Rassentheorien von heute sind allzusehr noch dem Wandel der Lehrmeinungen unterworfen, als daß man sich darauf verlassen könnte.

Ich fürchte sehr, auch wenn nach Neuwahlen eine Anzahl Vertreter radialer Rassentheorien hier einziehen würde, müßte man doch bei einer Anzahl von ihnen die Aufnordung vornehmen (lebhafter Beifall bei den Christlichsozialen), weil sie vielleicht einen ostischen oder einen dinarischen Charakter in ihrem äußeren Habitus haben.

Wenn man nun einwendet, wie man Abstammung und Sprache erkenne, so will ich gerne zugeben, daß dieses Gesetz in gewissem Sinne noch ein Experiment ist. Dem Prinzip der Freiwilligkeit des Beitrittes, des Be­kenntnisses zu einer nationalen Gemeinschaft entspricht aber selbstverständlich die Möglichkeit der Ablehnung durch die nationale Gemeinschaft, die sich gebildet hat. Es steckt darin eine Gefahrquelle, wir werden vielleicht, wenn vernünf­tige Vorschläge gemacht werden, um hier der Will­kür vorzubeugen, dazu kommen, diese Gefahren zu beschwören. Auf dem begrenzten Gebiet dieser Vorlage ist es am leichtesten zu verantworten, wenn man einen solchen Versuch unternimmt. Deshalb soll man ihn unternehmen. Warum man dies tun soll, darüber kann man

in Seipels Buch „Staat und Nation“

ein sehr ernstes Wort nachlesen, wo Seipel nicht nur Staat und Kirche nebeneinandersetzt. sondern sogar Staat, Kirche und Nation. Seipel ist damals von den gemischtnationalen Verhältnissen im alten Österreich beeinflusst gewesen, wo die Nichtidentität von Nation und Staat sinnfällig war. Er hat eine Genugtuung erlebt. Auf den Nachkriegskongressen der Minderheitenvertreter wird diese Seipelsche Lehre als Hauptargument ver­wendet und als Auskunftsmittel, um dem MinderheitenprobIem näher zu kommen.

Wir Deutsche sind berufen, hier einen Schritt vorwärts zu tun. Das ist keine bloße Angelegenheit der Studentenschaft, das ist wirklich eine Angelegenheit der gesamten deutschen Na­tion, weil keine Nation so wie die deutsche durch die Friedensverträge zersplittert worden ist, weil keine Nation so wie die deutsche vom Schicksal zum Schützer und Helfer von Minderheiten ausersehen worden ist, daher auch vom Schicksal berufen ist, sich // um diese Minderheiten zu kümmern, die unter fremdnationaler Herrschaft stehen.

Man komme uns nicht mit dem Einwand, daß wir Katholiken, wenn wir grundsätzlich entschlossen sind, für dieses Gesetz einzutreten und alles aufzubieten, damit es auch Gesetzeskraft erlange, durch eine solche Haltung uns

gegenüber den jüdischen Konvertiten

versündigen würden.

[…]

Ich habe als christlichsozialer Sprecher ein Bekenntnis zum geläuterten Nationalbegriff abgelegt. Wir sind und bleiben Deutsche und haben es nicht notwendig, uns etwa von Internationalen über die Pflichten des Deutschtums belehren zu lassen. Wir österreichische Deutsche und unsere Vorfahren haben in Jahrhunderten härtester Kämpfe auf uns allein gestellt, bewiesen, daß sie nicht nur Kolonisten waren, die neues Land der deutschen Nation erobert haben, sondern daß sie dieses deutsch­ gewordene Land trotz aller Schicksalsschläge von Jahrhunderten

deutsch erhalten haben. (Lebhafter Beifall bei den Christlichsozialen.)

Wir österreichischen Deutschen haben nur ein mitleidiges Lächeln für die Leute, die

etwa jetzt aus nicht verdauten Rassentheorien heraus uns als minderwertige Deutsche hinstellen wollen. Vielleicht laden wir die Herren ein, unsere Stammbäume zu vergleichen (lebhafter Beifall bei den Christlichsozialen) um festzustellen, ob nicht das österreichische Deutschtum einen reineren Stammbaum auszuweisen hat, als manche von denen, die uns von draußen her jetzt belehren wollen, daß wir erst lernen müssen, Deutsche zu werden.

Wir sind und bleiben Katholiken, denen die katholischen Grundsätze maßgebend sind und die alle neuen Ideen zunächst vom weltanschaulichen Gesichtspunkte aus prüfen. Wir sind und bleiben auch stolze und selbstbewußte Österreicher. Wir fühlen uns als Teil der gesamten deutschen Nation. Die christlichsoziale Partei wird, geleitet von ihrer Überzeugung, unbeugsam an ihren Grundsätzen  festhaltend, das ihrige tun, um dieses Gesetz in Kraft treten zu lassen. (Stürmischer, anhaltender Beifall bei den Christlichsozialen.)

In: Reichspost, 30. 4. 1932, S. 2-4.