N.N.: Vorschläge für eine Theaterreform
N.N.: Vorschläge für eine Theaterreform (1919)
Im Rahmen einer Broschüre, die soeben unter dem Titel Richtlinien für ein Kunstamt im Verlag von Richard Lanyi erschien und als deren Herausgeber der bekannte Wiener Architekt Adolf Loos zeichnet, werden sehr beachtenswerte Anregungen über die Aufgaben des zu errichtenden Kunstamtes erteilt. In das Tätigkeitsgebiet des Kunstamtes wird ebenso die Erziehung des Volkes und jene der Künstler, wie die Denkmalpflege, und zwar die Pflege der Kunst- und Kulturdenkmale, aber auch der Schutz der Naturdenkmale und der Landschaftsbilder einbezogen. Ganz besondere Beachtung verdienen die Ausführungen über die notwendige Theaterreform, in denen eine Reihe von konkreten Vorschlägen zu finden ist, deren praktische Durchführbarkeit wenigstens teilweise Gegenstand ernsthafter Erwägungen bilden sollte. Wir geben den Plan dieser Theaterreform im Wortlaut wieder:
Im Theaterwesen hat das Staatsamt die Grundlagen für eine Entwicklung der Theaterkultur festzusetzen, um der Kunst volle Freiheit zu sichern gegen Unternehmertum und Bevormundung jeder Art. Daß die Zensur verschwindet, ist selbstverständlich. An Stelle des Theateragenten tritt als Vermittler natürlich die Schauspielerorganisation.
Bei freiwerdenden Theatern großer Städte wird dem Staat ein Vorkaufsrecht zugesichert. Die vom Staat erhaltenen Theater teilen sich in zwei Gruppen: ständige Theater in Wien und Wandertheater für die Provinz.
Ständige Theater.
Das Hofburgtheater und die Hofoper sind vom Staat zu übernehmen und nach Bedarf, wobei die Gemeinde Wien sich mit einem Drittel zu beteiligen hat, zu subventionieren. Weder Staatsamt nach Gemeinde haben irgendeinen Einfluß auf die künstlerische Leitung der Theater.
Diese Theater dienen dazu, Werke der Bühnenkunst in größter Vollendung zur Aufführung zu bringen.
Jedes Schauspiel hat mit solcher Mühe und Sorgfalt, einem solchen Kostenaufwand in der Inszenierung und Besetzung zur Darstellung zu gelangen, daß dreißig Aufführungen innerhalb einer Saison die angewendete Arbeit und Kosten rechtfertigen. Dreißig Aufführungen eines Dramas entsprechen aber auch in sozialer Hinsicht dem geistigen Bedürfnis einer Zweimillionenstadt. Denn die Staatstheater müssen aufhören, die Privattheater des immer gleichen Publikums zu sein, das immer derselben Klasse angehört.
Wenn in Linz ein Drama zweimal gegeben wird, hat in Wien dasselbe Drama sovielmal mehr aufgeführt zu werden, als die Einwohnerzahl Wiens beträgt, soll die Aufführung für beide Städte die gleiche geistige Bedeutung haben.
Auf diese Weise kämen im BurgtheaterMaterialien und Quellen: Johannes Sachslehner: Ein Mythos wird angeschlossen. Zur Machtübernahme der Nazis im Burgtheat... jährlich zehn Stücke zur Aufführung. Diese Stücke sollen teils der leichteren Aufführbarkeit wegen (Dekorationswechsel), teils der Überanstrengung des Personals wegen (Rollenwechsel) wöchentlich abwechseln.
Die Preise der besseren Sitze sind wesentlich zu erhöhen, die rückwärtigen Parterresitze, die oberen Logen- und Galeriesitze wesentlich zu verbilligen.
Die Karten gelten auf Namen, sind unübertragbar und können im Verhinderungsfalle nur an der Kasse ausgetauscht oder zurückgegeben werden. Bei Beginn der Saison können für alle zehn Theaterabende die Karten gekauft werden, wobei Wünsche bezüglich des Termins angegeben werden. Man wird brieflich verständigt, in welchem Monat und an welchem Tage man die Vorstellung besuchen kann.
Durch diesen Modus soll nicht nur der Agiotage gesteuert werden, sondern auch die Festlichkeit des Staatstheaterbesuches erhöht, die Zusammengehörigkeit des Bürgers mit seinem Staatstheater gehoben und die geistige soziale Sorge des Staates für alle zum Bewußtsein gebracht werden.
Eine Eitelkeitssteuer für die, die immer dabei sein müssen, soll eine wesentliche Einnahmsquelle für die Staatstheater bilden. Für die Erstaufführungen der zehn Stücke möge jeder so viel zahlen als er will, so viel es ihm wert ist, dabei gewesen zu sein. Daher sind sämtliche Logen und Plätze zu verauktionieren, wobei der dreifache Preis als Aufrufpreis zu gelten hat. Für diese Aufführungen sei meinetwegen Ballkleidunq vorgeschrieben.
Das Repertoire einer Saison, die Auswahl dieser zehn Stücke ist Jahre vorher auszuarbeiten, damit sowohl die technischen Vorbereitungen mit aller Gründlichkeit durchgeführt werden können als auch Gastspielengagements für Rollen, die aus eigenen Mitteln nicht in der besten Besetzung erfolgen könnten, für eine Saison abgeschlossen werden können.
Als Beispiel für ein solches Jahresrepertoire diene folgende Erwägung: Ein Goethe, ein Schiller, ein Shakespeare, ein Franzose oder Spanier, ein Grillparzer, Hebbel. Kleist oder Lessing, ein Ibsen, ein Strindberg, ein Volksstück, zwei Lustspiele. Summe zehn Stücke.
Diese Stücke verschwinden nach Ablauf des Jahres für eine geraume Zeit vom Spielplan, um neuen Aufführungen Platz zu machen.
Auf diese Weise entfallen für die Staatstheater alle literarischen Experimente (Uraufführungen). Die Pflege des literarischen Nachwuchses sei den Privattheatern überlassen.
Hat ein Wiener Privattheater ein Stück erworben, es aufgeführt und eine Saison verstreichen lassen, ohne dieses Drama mindestens dreimal aufzuführen, so kann es vom Staatstheater zur Aufführung gebracht werden.
In Wien wird eine Versuchsbühne geschaffen, in der ohne jeden Zwang von Zeit zu Zeit Experimente der Dramatik und der Besetzung gewagt werden.
Wandertheater.
Es sind so viele Wandertheater zu errichten als notwendig ist. Der Zweck ist, in der Provinz solche Theaterabende zu veranstalten. wie sie sonst nur die Großstadt bieten kann. Bei jeder Provinztheaterverpachtung sind die erforderlichen Wandertheateraufführungen
vorzusehen. Der Direktor hat das Theater für diese Vorstellung kostenlos zu überlassen. Die Wandertheater haben nicht nur die Schauspieler, Komparserie und Mimiker, sondern auch alle Kostüme und Dekorationen m eigenen Wandertheaterzügen mitzuführen.
Die Wandertheater teilen sich in solche, die das große Ausstattungsdrama und in solche, die das intime Stück zu spielen haben. Eine weitere Teilung erfolgt durch den Stil des dramatischen Werkes, so daß Wandertheater für das klassische, das moderne Drama, das Volksstück, das Lustspiel aufzustellen sind.
Dilettantenvorstellungen.
Sie können, richtig unternommen, eines der wirksamsten Mittel einer wahren Volksbildung werden. Wie derjenige, der bei einer Orchesteraufführung mitwirkt, das Werk durch die vielen Proben gründlich kennenlernt und eine dauernde Erinnerung daran bewahrt, so geht es auch jedem, der bei einer Schauspielaufführung mitwirkt, statt sie nur zu sehen. Von Staats wegen muß einem geeigneten Schauspieler oder Regisseur der Auftrag erteilt werden, einen praktischen Kurs für Dilettantenregisseure zu eröffnen. der in erster
Linie für Universitätshörige gedacht ist, die dafür Interesse haben und sich an ihrem späteren Berufsort auch in dieser Weise bestätigen wollen.

