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Paul Hatvani: Wir haben keine Zeit!

Paul Hatvani: Wir haben keine Zeit! (1918)

            Wir haben keine Zeit. Wir sind Jugend. Jugend dauert nur zehn oder bestenfalls zwanzig Jahre. Diese kurze, schmerzlich-vergängliche Zeit ist da: Wir dürfen sie nicht unnütz vergeuden!

            … Jugend ist Geist: Nachher bleibt allenfalls ein soziologisch-orientiertes Bewußtsein als Erinnerung. Jetzt aber sind wir im Stande, die beglückende Gleichung „Jugend = Zeit“ mit dem entscheidenden Gleichnis „Geist-Tat“ zu ergänzen. Dieses Ganze ist uns Welt und Weltanschauung, Sendung und Beruf.

                Wir haben keine Zeit. Daher ist jedes Ornament überflüssig. Nicht mehr vor Metaphern beugen wir uns, sondern vor den Erscheinungen und Ereignissen dieser Welt. Zwischen dem „Ich bin“ des wachen Bewußtseins und dem Echo „Nihil“ der Welterkenntnis suchen wir unsern Sinn in menschlicher Hast. Die Schuld, müde zu werden, bedrückt uns. Der Geist darf nicht ermüden; sein erstes Gebot heißt Pflichtbewußtsein!

            Das Pflichtbewußtsein des Geistes nimmt uns alle Zeit weg. Es erzwingt die eiserne Ökonomie der Form. Unsere Form ist die Forderung, die Formulierung, das Manifest! Der Inhalt sind wir selbst. Wir, die Jugend des Geistes; wir, der Geist in dieser Zeit unendlicher Bedrängnis.

            Wir sind die Besinnung. Wir fühlen, was wir denken. Wir denken, was wir fühlen. Das Gleichgewicht zwischen Gedanken und Gefühlen hält uns schwebend aufrecht über den Leichenfeldern dieser Zeit – – –, die wir nicht haben!

            Wir haben keine Zeit. Wir versuchen nur, uns eine neue zu verschaffen. Aus den Ruinen der Gegenwart den Geist zu erretten, ist unsere Aufgabe. – Wir wollen ihn in eine neue Zeit, in eine bessere Zeit hinüberretten!

In: Das Flugblatt. Wien, März 1918, S. 11