A.W.: Kurt Sonnenfeld: Eros und der Wahnsinnige. Ein Großstadtroman

A.W.: Kurt Sonnenfeld: Eros und der Wahnsinnige. Ein Großstadtroman. Mit einem Geleitwort von Felix Salten.

Bruckners Verbrecher finden hier ihr episches Gegenstück. Nicht nur das Stoffliche, auch das Formale berechtigt den Vergleich. Wie in jenem Drama mehrere Themen parallel geführt werden, so bilden gleichsam drei Novellen den Roman. Die erste klagt den Paragraphen 144 an, die zweite erzählt von dem vom Strafgesetz fast er­zwungenen Bund von Anomalie und Erpressung. Die letzte der drei Novellen aber ergänzt die beiden vorhergehenden. Der gespenstische Unmensch, der in diesen im Hintergrund lauert, schattenhaft, unfaßbar, steht in der dritten Erzählung im Mittelpunkt, hell beleuchtet durch eine an Freud geschulte Psychologie. Diese Geschichte eines Klingsor oder Alberich, bei dem Eros sich darin erfüllt, daß er nachspürt fremdem Eros als ein Denunziant, ihm nachspürt, um ihn zu vernichten, diese Geschichte ist wohl die psychologisch interessanteste des gewiß nie langweiligen Buches. Ungemein geschickt ist das Ganze gestaltet, stets auf Spannung bedacht. In manchem mag Thomas Mann erlauchtes Vorbild gewesen sein. Etwa in gewissen distanzierenden Skeptizismen und Ironien von Redewendungen oder in der Art, den oder jenen Satz ge­wissermaßen als Leitmotiv oder Refrain zu verwenden. Schon diese behutsame und kultivierte Darstellungsweise wehrt die Gefahr ab, daß die Kraßheit des Stoffes übermächtig werde. Und vollends bewirkt dies der geistige Unterbau. Soziologie und Philosophie fundieren. Über die eigentlichen Themen hinaus versucht Sonnenfeld Wien zu zeichnen, das Wesen dieser Stadt von den letzten Vorkriegsjahren an bis in unsre Zeit. Ein Bild entsteht, inhaltlich interessierend, markant und scharf. Und was die Philosophie betrifft, ist Schopen­hauer vermutlich nicht nur der Lehrer einer der Personen des Buches, sondern auch der des Autors selbst. Düsterster Pessimismus beherrscht den Roman. Er rennt sich wund den verschiedenen sozialen Systemen und den Erkenntnissen der Psychoanalyse entlang. Dieser bittere Ernst erhebt das Buch weit über eine Sensation, wie sie wohlfeil und ohne viel Mühe krasse Themen erzeugen. Felix Salten schrieb dem Roman ein warmherziges Vorwort und bezeugte mit seinem angesehenen Namen den Wert dieses Buches.

In: Neues Wiener Tagblatt, 7.6.1929, S. 27.