Rudolf Jeremias Kreutz: Robert Hohlbaum: Die deutsche Passion.

Rudolf Jeremias Kreutz: Robert Hohlbaum: Die deutsche Passion. (1926)

Der Epiker Robert Hohlbaum ist eine stete Hoffnung, die unaufhaltsam nach Erfüllung drängt. In jedem seiner Bücher spürt man gleichsam ein tiefes, leidenschaftliches Atemholen: fleißig trainierte, geschmeidige, wenn auch nicht athletische Kraft strafft sich zum Sprung nach dem Erfolg. In jedem seiner Romane sind Ansätze zum Erzähler großen Stils, in jedem aber auch drohen Grenzen, türmen sich Schranken. Die deutsche Welt, Von ihm in heißer Seele umschlungen engt ihn, gerade weil sie ihn allzu innig beglückt. Die Objektivität im Goetheschen Sinne, jene kühle, scharfäugige Liebe zum Objekt – in Hohlbaum lodert sie allemal in Verliebtheit auf. Dies mag vom Standpunkt des tendenzdeutschen Schriftstellers ein Vorzug sein, dem Werke des Dichters geschieht naturnotwendig Abbruch. Wohl gehört Hohlbaum keineswegs zum Kreise jener germanischen Infallibilitätsherolde, deren lehrhaftes Pathos nur noch von ihrer abgründigen Langweiligkeit übertroffen wird, doch zeigt eine Einstellung zur Problematik deutschen Wesens öfter das begeisterungsdurchglühte Gesicht eines Couleurstudenten, als das Antlitz eines Mannes, der sein Volk auch dort kennt, wo es weniger liebenswürdig ist. Aus solcher Einseitigkeit erwachsen Vorzüge und Mängel seiner Werke. Immer steht ein junger Fant im Mittelpunkte der Handlung, ein frischer, herzfroher Geselle, dessen anmutiger Entwicklung wir mit aufrichtiger Anteilnahme folgen. Stets rankt sich um das Schicksal der Hauptperson episodistisches Beiwerk, das Folie bleibt für den ewigen Lenzkampf des Helden, den er gegen feindliche Gewalten erfolgreich ausficht. Liebe, Leid, welsche Tücke, zuweilen ein schwarz gemalter Widersacher aus eigenem Stamm – aus solchem Quellgebiet ergießt sich eine Fülle Jugend über uns: helläugig, rein, köstlich wohlgemut, aber auch befremdlich voraussetzungslos. Dieses gefühlsmächtige Strömen aus eigener Jugend zu ähnlicher Jugend hin, dieses unbedenklich innige sich Verstreuen ist Hohlbaums stärkste Kraft. Sie bezeugt den geborenen Erzähler. Mühelos, spielerisch – das fühlt man – fügt sich ihm Bild zu Bild. Der Lust zum Fabulieren gesellt sich eine beträchtliche Plastik der Formgebung, insbesondere dort, wo ein Milieu geschildert, der Hintergrund eines Schicksals gezeigt wird.

Nicht auf gleicher Höhe steht die Schicksalsgestaltung selbst. Selten nur springt eine Individualität scharfen Profils aus dem Rahmen. Die Menschen gleiten farbig, aber wenig körperhaft an uns vorbei. Hohlbaum erfaßt deutsche Vergangenheit kulturhistorisch ungemein geschickt, der Ausdruck der Zeitepoche ist sprachlich verblüffend echt getroffen. Diese virtuose Fähigkeit museale Garnituren zu beleben, gab dem Dichter wohl auch Ansporn und Mut zu einer Trilogie deutschen Leidens, Kämpfens und Werdens. Ein Stoff von bedrückender Größe, gemessen nicht nur an der Kühnheit des Vorwurfes, deutsches Schicksal vom Ausgang des Dreißigjährigen Krieges bis in das achtzehnte Jahrhundert episch zu gestalten, sondern vornehmlich durch die Schwierigkeit, Menschen glaubhaft lebendig in das historisch Gegebene zu stellen. Den Milieuteil der Aufgabe, ihren dekorativen Prospekt gleichsam, löst1 Hohlbaum in der Deutschen Passion auf das glücklichste. Und das will nicht wenig sagen angesichts des Umstandes, daß jenes von allen guten Geistern verlassene Deutschland der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts bisher überhaupt kaum einen Schilderer gefunden hat. Der törichte und unfruchtbare Kampf zwischen Luthertum und Katholizismus, die Rohheit entlassener Kriegsknechte, der Seelenpferch des Ghettos, die öde Lebensgier der besseren Stände, die »Affenschande der à la Moderei“ – das alles zieht in farbenglühenden Wandelbildern an uns vorüber. Die Menschen freilich erscheinen der Mehrzahl nach als Statisten im gewaltigen Panorama. Sie agieren in ihrem Charakterellen schemenhaft wenngleich sie in Sprache und Gehaben vortrefflich dem Bilde eingefügt sind. Sie stellen weit mehr Figurinen dar als Individuen, sie fesseln durch die Echtheit ihrer Kostüme, ohne menschlich sonderlich zu interessieren. Zwei nur treten schärfer konturiert aus der Menge: Michel Moschewin, der Vorbilddeutsche, in die chaotische Tragik seines auf blutigen Irrwegen taumelnden Volkes als ein „Held Unverzagt“ gestellt, und Schmul Kurtzhandel, der Jude. In diesen beiden – Pol und Gegenpol – stecken, von der mitunter allzu grellen Weiß- und Schwarztechnik und seiner wohl unbewußten Verbeugung vor gewissen völkischen Instinkten abgesehen, kräftige Ansätze zur Charakterformung. Moschewin = Baldur und Kurtzhandel = Loki leben, haben Fleisch und Blut. In ihnen glimmt etwas von dem „dreimal glühenden Licht“, das dem Künstler leuchten muß, auf daß er den aus dem Handgelenk spukendem papierenen Geist des Schreibtisches überwinde. Insbesondere in einzelnen Ghettoszenen gewittern Spannungen geheimnist ein Grauen, das stilistische Findigkeit nie vermitteln kann. Hier tritt ein ander[e]s hinzu, unwägbar, kostbar und selten im Reiche des Schaffens: Sparkunst am leeren Wort — Wirkung des Dichters. Robert Hohlbaum, der Dichter, ist des fruchtbaren Schriftstellers wesentlicherer Teil. Auch Die deutsche Passion erweist dies wieder, seinen vielen Freunden zum Wohlgefallen

 In: Neue Freie Presse, 13.6.1926, S. 32.