Walter Angel: Ein Roman aus Oesterreichs Frühzeit.
Walter Angel: Ein Roman aus Oesterreichs Frühzeit (1923)
(Emil Scholl: Der letzte Herzog)
Der historische Roman, durch die gegenwärtigen konjunkturellen Rücksichten, die ein von jeder Bedachtnahme auf Publikumswünsche und Verlegervorsicht völlig unbeschwertes, nur dem Gestaltungswillen dienendes Schaffen fast nicht mehr dulden, noch vernachlässigt, hat in dem Wiener Emil Scholl, der sich bereits in seinen früheren Romanen, im Roßtäuscher vor allem, als ein Abseitiger erwiesen hat, einen gediegenen und ernst zu wertenden heimatlichen Erneuerer gefunden. Sein jüngst erschienener Babenberger-Roman Der letzte Herzog, obwohl etwas breit geraten und des stärksten Schwunges, der mächtigen und einheitlichen Bewegung, wie sie der Stoff darbot, entbehrend, obwohl in den Einzelheiten gelungener als, in der Gesamtkomposition, hat Vorzüge, die ihn weit über eine Durchschnittsleistung erheben und das Werk eingehenderer Betrachtung würdig erscheinen
lassen: Stärke des Einfühlungsvermögens, unterstützt von vertrauter Kenntnis des historischen und kulturgeschichtlichen Materials, eindringliche Modellierung der Hauptfigur, seelischen Tiefblick, sprachliche Sorgfalt.
Schon die Wahl des Sujets zeigt, daß sich Emil Scholl die Arbeit nicht leicht macht. Friedrich den Streitbaren, gewiß eine der fesselndsten Persönlichkeiten der altösterreichischen Geschichte, eine ihrer kompliziertesten jedoch auch, eine Gestalt
von absonderlichstem und verwirrendstem Zuschnitt, schwer zu erfassen und noch schwerer künstlerisch zu fassen in ihrer begabten und geistreichen Unberechenbarkeit, der Zwiespältigkeit der Neigungen, dem Wechsel der Haltung, der Gesinnung und der Interessen, gerade diesen Babenberger, den letzten und degenerierten Sproß uralten Blutes, hat Scholl zum Helden seines Buches erwählt. Mit modern-psychologischem Apparat trachtet er dem Wesen des Babenbergers beizukommen, in mancher Deutung von Friedrichs Art vielleicht von der historischen Linie abirrend oder diese absichtsvoll verlassend, doch eben dadurch, daß er das Licht neuester Seelenanalyse auf den Herzog fallen läßt, ihn unserem Verständnis und- damit unserer Teilnahme näher rückend.
Friedrich, von der Geschichte der Streitbare geheißen, lag während einer nicht allzu langen Regierung (von 1230 bis 1246) ständig im Felde, mit den Nachbarn, den Böhmen und Ungarn, mit dem Hohenstaufen Kaiser Friedrich II., mit aufständischen Dienstmannen, mit den Tataren. Auch den Bürgern von Wien war er übrigens, zumal in den ersten Jahren seiner Regentschaft, keineswegs wohlgesinnt… Als händelsüchtig typischer Raufbold seiner Zeit, lebt er in der Historie fort, gleichzeitig als brutaler Schürzenjäger, als Lüstling arger Sorte. Emil Scholl unternimmt es nun, Charakterzüge und Geistigkeit dieses Babenbergers, der
gleichzeitig ein Mann von Schärfe des Verstandes, von Großmut, von hoher Bildung und ein Freund der Künste war, aus einem harten und ungewöhnlichen Schicksal zu erklären. An Friedrich, als dritten Sohn Leopold des Glorreichen, ist nämlich die Herrschaft gleichsam unrechtmäßig, durch eine Verkettung unglückseliger Zufälle, gekommen, weil die beiden älteren Brüder frühzeitig, noch in den Knabenjahren, starben. Für das Kloster mag der Drittgeborne ursprünglich bestimmt gewesen sein, nie hat der Vater, den Verlust des eigentlichen Erben nicht verschmerzend, den Jüngsten als Nachfolger innerlich anerkannt, nie ihn zum Mitwisser seiner Pläne, zum Genossen seiner Taten gemacht. Einen verbitterten, beiseite geschobenen und zur Untätigkeit verurteilten Prinzen stellt der Autor anfangs vor, uns hin, einen Unglücklichen, der sich aus Trotz in das Leben eines Schlemmers und Wüstlings flüchtet, dabei aber wohl wissend, daß er für töricht, verspielt, regierungsunfähig
gehalten wird. Da ruft den Neunzehnjährigen der unerwartete Tod des Vaters auf den Thron. Die Zufälligkeit einer solchen Herrschaft bedrückt Friedrich und stachelt ihn an, mit dem Schwert sich sein Erbe erst zu erwerben. An Widersachern innerhalb und außerhalb der Grenzen // fehlt es nicht; glaubt Ritterschaft doch wie mancher Nachbar, mit dem verweichlichten Knaben leichtes Spiel zu haben. Ein anderer jedoch, als der, den man zu kennen vermeint, setzt der junge Babenberger sich den Herzogshut aufs Haupt, und nachdem er zuerst Verblüffung und spöttisches Staunen erregt hat, verbreitet er bald Schrecken und erzwingt sich, in Konsequenz seines Entschlusses Gelegenheiten ausschlagend, durch Unterhandeln seine Macht zu befestigen, mit Waffengewalt die Sicherung seines Besitzes.
So hätte also der Autor für die eine Seite von Friedrichs Charakter eine psychologisch durchaus glaubwürdige Motivierung gefunden. Es obliegt ihm nun, auch die Lasterhaftigkeit des Babenbergers oder was für eine solche nach äußeren Merkmalen gemeinhin gehalten werden muß, aus höher zu qualifizierenden Triebmomenten abzuleiten, um für Friedrich jenes Maß menschlichen Begreifens zu gewinnen, das auch verabscheuungswürdiger Untugend noch Verzeihung gewährt. Hier wartete des Autors die schwierigere Aufgabe — aber er hat auch diese gelöst. Sein Babenberger, ein Mann, der mit neunzehn Jahren die dritte Gattin hatte — die beiden ersten Ehen waren vom Papst gelöst worden — der in Bürgerhäuser einbrach, um sich die Tochter zu holen, der die Hand nach eines Halbbruders
Frau ausstreckte und nach einer blutjungen Nichte, wirkt nicht abstoßend. Denn allmählich wird uns Einsicht in Friedrichs Herz gestattet: in das zerrissene, ewig ruhelose Herz des Kinderlosen, dem jeder Machtgewinn den Kummer, des Erben seines Besitzes zu entbehren, nur vermehrt, der immer gieriger das Weib sucht, das ihm den Sohn schenkt, und der endlich in düsterste Verzweiflung sich verkriecht, weil er sein Leben zwecklos verrinnen sieht, sich fluchbeladen glaubt….
Weit im Vordergrund, in monumentaler Einsamkeit, steht Friedrich von Babenberg. Eine Gestalt, die ein Dichter über die Jahrhunderte hinweg blutlebendig gemacht hat. Der Abstand, in dem die übrigen Figuren sich gruppieren, schwächt bereits ihre Deutlichkeit. Und der verschwenderische Reichtum an Farbe, mit dem die eine Gestalt bedacht, läßt die Farben der anderen erst recht matt erscheinen. Einzig der Diplomat des Hofes, Adalbert v. Justingen, ein beweglicher, geistreicher, verschlagener Kopf, und die hingebungsvolle Dietmut, das Bürgerskind, das dem Herzog zur linken Hand angetraut wird, sind mit schärferen Konturen und lebhafterer Schattierung gepinselt. Es sei indes die Vernachlässigung der Nebenfiguren nicht geradezu als störender Mangel bezeichnet, weil ihnen der Anlage des Werkes nach kaum mehr als Episodenrollen zugedacht sind. Dem Hintergrund hingegen, dem Bild der Stadt Wien, ist liebevollste Kleinmalerei gewidmet, Gassen und Plätze und Märkte des mittelalterlichen Wiens Mit ihrem Gewimmel von Handwerkern und Bürgern, Bauern und Soldaten sind zu buntestem und bewegtestem Dasein erweckt.
Zusammenfassend kann gesagt werden: ein von reicher Begabung erfülltes, vielerlei Anregung bietendes und zumal für den Österreicher, dem es ein Stück ziemlich dunkler, heimatlicher Geschichte erhellt, interessantes Buch.