Sophie Lazarsfeld: Erziehung zur Ehe
Sophie Lazarsfeld: Erziehung zur Ehe. (1926)
„Vater werden ist nicht schwer, Vater sein hingegen sehr“, sagt Wilhelm Busch in seiner knappen und lebensklugen Art. Man braucht nur statt Vater „Gatte“ setzen (oder natürlich auch „Gattin“) und das ganze Eheproblem ist darin zusammengefaßt, denn wie leicht tun sich zwei zusammen und wie selten wird eine wirkliche, dauernde Ehegemeinschaft daraus! Woher kommt das, wo liegen die Gründe und wo finden wir eine Besserungsmöglichkeit?
Die immer höher emporschnellende Zahl der Ehescheidungen rechtfertigt wohl eine solche Fragestellung, auch wenn man von den unbedenklich geschlossenen und ebenso wieder gelösten Kriegsehen absieht. Wenn die erleichterte Möglichkeit der Ehetrennung als Grund angegeben wird, so ist das ein falscher Schluß, denn die ist ja nur der Niederschlag einer allgemeinen seelischen Einstellung, der sie Rechnung trägt. Daß anderseits Trennungsverbote Ehen nicht verbessern, ist eine solche Selbstverständlichkeit, daß es genau dazu kaum des Hinweises auf die unglücklichen katholischen Ehen bedürfte, deren Prozentsatz sich nicht von denen der andern Konfessionen oder der Konfessionslosen unterscheidet. Nicht Zwang, nur Wille zur Dauer also kann hier helfen.
Woran aber liegt es, daß wir diesen Willen so selten und so mangelhaft ausgebildet finden? Wir wissen heute durch unsere moderne Seelenforschung, daß der Mensch nur diejenigen Eigenschaften entwickelt, die er zur Hebung seines Selbstgefühls braucht. Sucht er zum Beispiel lauten rauschenden Erfolg, dann wird er die zu diesem Zweck geeigneten Mittel anwenden, er wird darauf „trainieren“ und so auch wirklich die Eigenschaften erwerben, die ihm den gewünschten Erfolg sichern. Verzichtet er hingegen auf äußere Anerkennung, so wird sich das auch im Training seiner Eigenschaften ausdrücken. Die Eigenschaften selbst sind nur Folge des gesteckten Zieles und können nicht an sich geändert oder beeinflußt werden. Nur die geänderte Zielrichtung bringt – dann aber zwangsläufig und unvermeidlich – eine Änderung der dazu erforderlichen Eigenschaften mit sich. Nun ist erotische Machtstellung zweifellos ein sehr gesuchtes Ziel, an dessen Erreichung viel, manchmal sogar alles gesetzt wird, und zu dem zwei Wege führen. Der eine Weg führt zu vielfachen Erfolgen, der andre verzichtet auf die Mannigfaltigkeit und sucht dauernden Erfolg. Wer sich für die Mannigfaltigkeit, den immer und neu wiederholten Erfolg entschließt, wird die dazu gehörigen Eigenschaften erwerben auf Kosten andrer, die ihm dabei hinderlich wären, er wird zum Beispiel keine Geduld, kein Vertrauen, wenig Gedächtnis haben, weil das durch unerwünschtes Mahnen und Vergleichen unbequem und störend würde. Wer hingegen die Dauer will, der braucht wieder diese Eigenschaften, besonders Gedächtnis, denn dieses wird ihm zum Stützpunkt für die Erinnerung und gibt ihm dadurch die gewünschte Bindung an das einmal erlebte, die Ausdauer, die Fähigkeit der Treue. Mit diesem Zielstreben stellen sich auch die andern für eine dauernde Gemeinschaft nötigen Eigenschaften ein. Alfred Adler bezeichnet sehr richtig die Ehe als eine „Aufgabe“ die im wesentlichen mit den gleichen Mitteln gelöst werden muß, wie alle andern Aufgaben des Lebens. Und wer hier schlechter Partner ist, wer sich in seinem Beruf, in seiner täglichen Tätigkeit nicht verläßlich, nicht rücksichtsvoll, nicht ausdauernd erweist, der wird es auch in der Ehe nicht sein, der wird hier wie dort Gründe finden, sich zu drücken, sich durch Finten und Kniffe seinen Aufgaben zu entziehen. Zu den beliebtesten gehört es, Angewohnheiten des Partners plötzlich nicht mehr ertragen zu können oder selbst störende Gewohnheiten an den Tag zu legen, beides sichere Zeichen einer schlechten Vorbereitung für die Ehe, Zeichen des Willens zu Unterbrechung, zum Wechsel.
Wenn wir die Einehe wollen, auf deren Seite zweifellos die großen seelischen Werte liegen, wenn wir die Neigung zur Unbeständigkeit steuern wollen, dann müssen wir schon beim kleinen Kind mit dem Training der dazu erforderlichen Eigenschaften beginnen, indem wir seine Zielsetzung entsprechend beeinflussen. Ein Kind, das nicht mehr mit dem Wunsch aufgewachsen ist, die schönste Puppe, das meiste Spielzeug besitzen zu wollen, das wird auch als Erwachsener nicht mehr Erfolge auf erotischem Gebiet sammeln wollen, das Don-Juan-Ideal wird in Vergessenheit geraten.
Es ist sehr bezeichnend, daß wir in Geschichte und Literatur kein weibliches Gegenstück zum Don Juan besitzen. Messalina, die man dafür ansehen könnte, ist es nicht, auch nicht Wedekinds Lulu. Diesen haftet etwas Gefrässiges an, sie sind nicht wählerisch, sie nehmen, was sie bekommen können, was der echte Don Juan nie tut. Das kommt daher, weil der Mann auf Grund seiner wirtschaftlichen Überlegenheit das sexuelle Wahlrecht ausschließlich für sich bewahrt und dadurch die Frau gezwungen hat, das Wahlresultat untätig abzuwarten. Bekommt nun solch eine schlecht vorbereitete Frau die Wahlmöglichkeit, dann schlägt sie ganz ins Gegenteil um und überbietet die beneidete Freizügigkeit des Mannes durch vollkommene Zügellosigkeit. Damit halten wir bei einem Punkt in unserer Mädchenerziehung, der sein reichliches Teil zum Prozentsatz der unglücklichen Ehen beigetragen hat. Die kapitalistische Gesellschaftsmoral hat es zuwege gebracht, dem jungen Mädchen beizubringen, daß sie möglichst viel erotischen Erfolg haben müsse, denn die Stellung der Frau wurde ausschließlich danach bewertet, welchen Mann sie sich zu erobern imstande war. Die Gesellschaft hat es also verstanden, die Frauen zu einer ausschließlichen Vervollkommnung derjenigen Eigenschaften zu veranlassen, die zur Erreichung dieses Zweckes nützlich sein konnten, und hat sie dadurch völlig aus ihrer natürlichen Entwicklung gedrängt.
Anderseits mußte das letzte Ziel des erotischen Erfolges dem jungen Mädchen sorgfältig verborgen werden, es sollte möglichst ohne Ahnung dieses Zieles an das Ziel selbst herangeführt werden. Es wäre Irrtum, zu glauben, daß die unbehüteten Proletariermädchen in diesem seelischen Sinne besser daran seien. Auch diese erfahren – und meistens in viel zu frühem Alter – zuerst an sich selbst die praktische Auswirkung dessen, was man ihnen bis dahin durch Geheimniskrämerei oder Zoten als etwas zu Verheimlichendes, also Böses, hingestellt hat. Der ungeheure Prozentsatz empfindungsarmer Frauen, die Statistik nennt 60 Prozent, in manchen „kalten“ Ländern 80 Prozent, geht darauf zurück, denn wo findet sich – außer in geringen Ausnahmen – der Mann, der genug Gemeinschaftsgefühl und die daraus entspringende Zartheit besitzt, um die Frau ohne ihren seelischen Schaden über diese ihr Selbstgefühl gefährdende Klippe hinwegzuführen?
Solche Frauen sind es dann auch, die sich im Falle einer vom Manne gewünschten Trennung am zähesten weigern, weil sie, durch den Mißerfolg entmutigt, weder die Kraft zu einem neuen Versuch noch das Vertrauen zu einem auf sich selbst gestellten Leben aufbringen. Die Hölle einer schlechten Ehe aber, in der der eine Teil den andern gegen dessen Willen festhält, braucht nicht erst ausgemalt zu werden. Wobei es nicht nötig ist, daß die Frau die Scheidung in Worten verweigert, manche erreichen den gewünschten Zweck viel sicherer durch ein scheinbares Verlangen nach der Trennung. Auch hier, wie überall, ergreift der Mensch ganz unfehlbar die zur Erreichung seines Zieles nötigen Mittel.
Aber auch die Umgebung müßte dazu erzogen werden, die Dauer einer Ehe zu fördern, besonders die Eltern, von deren Einfluß viel abhängt. Adler nennt sie „kriegsgeübte Gegner“, die es nicht verwinden können, daß ihr Sprößling zum erstenmal selbständig handelt, und die ihre Herrschaft etwa in Form von bösen Voraussagungen fortzusetzen trachten. Wenn dann die jungen Ehegatten ängstlich und gegeneinander mißtrauisch geworden sind, dann darf man sich nicht wundern, die bösen Prophezeihungen in Erfüllung gehen zu sehen.
Vieles ließe sich dazu noch sagen, aber schon dieses wenige zeigt, wieviel Entscheidendes auf diesem Gebiet wir noch zu lernen haben. Für unsere Generation kann ja leider nicht mehr viel geschehen, hier kann wohl manches gemildert, aber kaum noch Grundlegendes gebessert werden. Wir werden uns wohl damit begnügen müssen, wenigstens die Formen, in denen jetzt die nicht glücklichen Ehen verlaufen, etwas menschlicher zu gestalten, zum Beispiel das Täuschen und Lügen möglichst daraus zu verbannen, das seinen Grund auch nur darin hat, daß bei Eingeständnis einer Gefühlsabirrung das Selbstgefühl des Gestehenden und noch mehr des Teiles, der das Geständnis empfängt, schwer betroffen werden. Ehrlich zu sein, aber die Ehrlichkeit des andern auch zu ertragen, ist eine schwere Kunst, die nur durch Hintansetzung des eigenen Machtgefühls zugunsten eines gemeinsamen zu Erhaltenden erlernt werden kann. Aber diese Mühe lohnt, und es straft sich selbst, wer anders handelt. Hoffmannsthal hat das wunderschön ausgedrückt in seinem „Rosenkavalier“:
Nicht quälen will ich dich, mein Schatz.
Ich sag‘, was wahr ist, sag’s zu mir so gut wie zu dir.
Leicht will ich’s machen dir und mir,
Mit leichtem Herzen und leichten Händen
Halten und nehmen, halten und lassen,
Die nicht so sind, die straft das Leben
Und Gott erbarmt sich ihrer nicht.

