Else Feldmann: Hände (1925)

Else Feldmann: Hände

Es ist Sonntag nachmittag.

Auf der Planke vor dem Gemeindepark sitzt Berta, die Heimarbeiterin.

Sie näht Pelzstreifen für eine Pelzfabrik. Sie hat Halbschuhe an; es ist Herbst und sie friert. Über ihre dunkelgraue Jacke hat sie ein Wolltuch mit Fransen sie hüllt sich ein, sitzt, schaut und wartet; manchmal hustet sie ein wenig.

Sie erwartet Franz, den Kellner aus dem Café Splendid. Pünktlich war sie da, sogar viele Minuten vorher.

Er läßt sich Zeit.

Da kann sie nachdenken.

Sie irrt sich nicht, er wird von einem Mal zum andern kälter.

Beim letzten Zusammensein hatte er ihr zum Abschied nicht einmal die Hand gereicht. Und zerstreut war er. Und als sie ihn, wie immer, ein Stück durch den Park, durch den abends niemand ging, begleitet hatte und sie sich fest an seine Brust gedrückt hatte, lange und fest, da hatte sie nicht mehr sein Herz heftiger schlagen, sie hatte auch nicht mehr seinen umfangenden Arm gefühlt. Er hatte auch nichts gesagt, kein Wort.

Und heute war es wie immer; sie erwartete ihn am gewohnten Platz. Wenn er durch den Park kam, saß sie hier aus der Planke, und dann gingen sie zusammen nach Hause, in ihr Zimmer, und blieben bis spät abends, bis Franz wieder seinen Dienst antreten mußte.

Sie wollte schon ein paarmal offen mit ihm reden, aber sie fand nicht den Mut. Sie glaubte, daß er eine andere hatte.

Das merkte man den Männern an; sie sind dann, während sie bei der einen sind, mit ihren Gedanken ganz woanders.

Sie wußte beinahe auch, wer die andere, sei. Er sprach manchesmal stockenden Atems von ihr; die Kassierin, eine blendende, blonde Person, die viele Ringe an ihren weißen, gepflegten Händen hatte.

Und sie wollte ihm doch längst sagen— sie, Berta, die Heimarbeiterin, die Pelzstreifen nähte —, daß es so weit mit ihr sei— und was nun mit ihnen beiden geschehen werde, ob sie beisammen bleiben wollten— oder was?

Wieder schreckt sie auf in ihrem Sinnen. Kleinigkeiten fallen ihr ein: Auf der Treppe war es dunkel gewesen und sie wollte nach seinem Arm greifen, da hatte er plötzlich seine kleine Taschenlampe herausgezogen und aus die Uhr geblickt, dann war er rasch ein paar Schritte vorausgegangen, so daß sie laufen mußte, um ihn einzuholen.

Und auf einmal stand es mit klarer, kalter Deutlichkeit vor ihr: Es war aus.

Vielleicht bietet ihm die andere mehr. Was hat er bei ihr? Ihr Zimmer, das nie ordentlich sein konnte, immer flogen die Fellhaare umher. Und alles war voller Pelzstreifen, und der Staub, der auf den Möbeln lag, man mochte ihn noch sooft wegfegen. Sie mußte immer erst lange seinen schwarzen Anzug bürsten, ehe er ging…

War es vielleicht schön bei ihr?

Und sie selbst?

Sie hustete und hatte manchmal in den Schultern Schmerzen, war daher schlecht gelaunt. Und jetzt war dieses geschehen. Die Arbeit begann sie mehr zu ermüden als früher.

Wieder fällt ihr etwas ein.

Sie blickt auf ihre Hände. Es sind recht häßliche Hände. Sie rnußte mit ihnen seit ihrer Kindheit schwer arbeiten. Das Pelznähen aber hatte sie erst so häßlich gemacht; sie waren breit, grau und rissig, zerstochene Finger, stumpfe, beschädigte Nägel, und sie fühlten sich hart und schwielig an, waren voll Verletzungen. Der Franz hatte ihre Hände nicht gern in seinem Gesicht. Und einmal hatte sie geweint und mit den Händen ihre Tränen fortgewischt, da hatte er sie zornig angeschrien: „Gib die Hände weg!“ Jetzt wußte sie es, er konnte sie ihrer Hände wegen nicht leiden. Ihre Hände waren schuld, daß es aus war.

O, sie waren auch wirklich zu entsetzlich häßlich. Wie eine Krankheit sahen sie aus. Da half nichts mehr.

Es war Abend geworden. Berta saß noch immer auf der Planke.

Ihre Beine waren steif vor Kälte. Franz war nicht gekommen. Ihre Augen starrten in die Dunkelheit des Parkes — starrten …

Aus: Arbeiter-Zeitung, 7. Februar 1925, S. 5.