Ernst Fischer: Der Neger Jonny und das freiheitliche Wien
Seit Silvester hat Wien sein großes Ereignis. Eine neue Oper „Jonny spielt auf“ von Ernst K r e n e k hat die Gemüter erhitzt und das träge, vom Beharrungsvermögen niedergehaltene, gegen alles Neue voreingenommene Wiener Publikum aufgerüttelt. Umso erfreulicher, daß dies einem bescheidenen, blonden, kaum 28jährigen jungen Mann gelang, der ohne große Phrasen, ohne leeren Schwulst, ohne blutleeres Pathos frisch und frei drauflos komponiert. Er will keine Ewigkeitswerte schaffen und schon gar nicht mit Ewigkeitswerken in Wettbewerb treten. Er hat einfach gedichtet und gesungen, wie es ihm ums Herz war, ja wie es in unserer von Benzingestank geschwängerten Luft liegt. Er umgibt sich mit keinem falschen Heiligenschein, er gestaltet die Tonwelt als Abbild einer entgötterten äußeren Welt und er hat den Mut, den Jazz opernfähig zu machen, wie vormals Mozart das Menuett oder Richard Strauß den Walzer. Da er genau weiß, was er will, fürchtet er weder Tod noch Teufel und sein Jazz wird förmlich zu einer Apotheose jener rhythmischen Urkraft, die unserem Maschinenzeitalter die Welt beherrscht.
Sein „Jonny“ hat, wie vorher schon an Dutzenden anderen Bühnen, nun auch an der Wiener Staatsoper aufgespielt und der Neger hat es auch den Wienern angetan. Das Geheimnis seines Erfolges ist die Einfachheit, die Wahrhaftigkeit des Ausdrucks, die moderne schlanke Linie im Orchester, die Selbstverständlichkeit, mit welcher Kreneks Tonsprache in der unmittelbaren Gegenwart lebt und sich an die breitesten Schichten des Publikums wendet. In seinem leichtbeschwingten Spiel mischen sich ernste mit heiteren Episoden, es will nach dem Rezept des alten Theaterdichters Goethe vielerlei und jedem etwas bringen. Ohne jede Dogmatik, ohne alle Moralpauken vollzieht sich hier die Annäherung des alten, in der Ideologie seiner Kunst erstickenden Europa an das von künstlerischer Vergangenheit unbeschwerte, im raschesten Jazztempo dahinstürmende Amerika. Der schwarze, skrupellose Jonny, der Geiger und Banjospieler, Posaunist und Saxophonbläser, gewinnt mit allen Mitteln der List und Gewalt die kostbare alte Geige des künstlerisch entarteten {sic!} Danielo, der von den Rädern der Lokomotive zermalmt wird. Siegreich schwingt sich Jonny auf die Bahnhofsuhr, welche sich zur Weltkugel weitet, auf der Jonny auf der alten Geige der ganzen Welt im Jazzrhythmus aufspielt. Er ist stärker als der lüsterne Danielo, stärker als der schwerfällige romantische Tondichter Max, der hochanständige, dem Leben nicht gewachsene Schwächling, der die geräuschvolle Wirklichkeit fürchtet und sich in die Einsamkeit des Gletschers verbirgt. Aber das rasche Leben stürmt vor unseren Augen und Ohren unerbittlich weiter, jenseits von Pathos, Empfindsamkeit und Moral, mit allen seinen Lastern und Leidenschaften, mit Eisenbahn und Auto, Film, Lautsprechern, Detektiv, falschem Chauffeur und boxenden Polizisten, mit dem täglichen und nächtlichen unromantischen Treiben auf dem Hotelkorridor, mit Tötung und Einbruch, mit Blues, Saxophon und Charleston.
In all diesen bunten Bildern, die filmartig rasch vorüberziehen, vermag uns Krenek mit dem Urinstinkt des Theatermenschen im D-Zugstempo unserer Zeit auf der Opernbühne aufzuspielen, ein gegenwartsfroher Wirklichkeitsmensch, der, ohne nach rechts oder links zu schielen, ohne in Symbolen und Problemen dick aufzutragen, der Oper von heute etwas gibt, was sie längst suchte und nicht fand. Sein ungekünstelter „Jonny“ ist für die Opernbühne unserer problemfeindlichen Zeit förmlich ein Ei des Kolumbus!
„Jonnys“ naiver Realismus, seine Ehrlichkeit und Unbefangenheit haben in Wien wie anderwärts Publikum und Kritik im Sturm erobert. Jede Aufführung ist trotz phantastisch hoher Preise ausverkauft und vor dem Wunder dieses Publikumserfolgs verblassen alle „Wunder der Heliane“.1
Ein Blatt freilich schrie Zeter und Mordio über die Unsittlichkeit und über den Dilettantismus der Negeroper: Die „Neue Freie Presse“, unfehlbar wie stets tat dem „Jonny“ die Ehre an, ihn mit den gleichen überheblichen Phrasen in Acht und Bann zu tun, mit dem sie vormals Wagner und Brunner, Richard Strauß und Neger belegt hatte. So wenig es jenen geschadet hat, so sehr mag es Krenek ehren, wenn die „Neue Freie Presse“ jede schwache Operette und jede schwächere Revue höher stellt und reinlicher, // kurzweiliger und zeitgemäßer findet als den „Jonny“. Mit der einmaligen Abschlachtung des „Jonny“ gab sich aber die Sittenrichterin nicht zufrieden; das „Weltblatt“ verlor den letzten Rest von Haltung und ließ wenige Tage nachher einen von Sittlichkeit und Kulturidealen triefenden Leitartikel los2, der förmlich zur Absetzung des „Jonny“, der „Ouvertüre zur Entweihung des Hauses“ aufforderte. Das Weltblatt, einst der Vorkämpfer für Freiheit und Fortschritt, kämpft da in schimmernder Wehr für das Deutschtum und der Menschheit Würde – welche durch Kreneks Oper bedroht werden! – Schulter an Schulter mit dem Wiener Hakenkreuzlerblatt, welches von einer „Entweihung des ältesten deutschen Opernbühne“ durch den „Jonny“ sprach. „Schluß machen mit der unerhörten Schande!“ rief empört das deutsche Bruderblatt aus. Schon munkelte man von einer lauten Demonstration der sittlich unentwegt Entrüsteten gegen die weiteren Aufführungen des „Jonny“ und die Polizei im Opernhause wurde vervierfacht. Aber das angesagte Revolutiönchen blieb aus und die Aufführung verlief friedlich unter dem einmütigen Beifall des ausverkauften Hauses.
Der Musikkritiker Julius Korngold wird dem Rad der Zeit nicht in die Speichen greifen, es dreht sich weiter, unbekümmert um Korngolds wichtige, oberstrichterliche Meinung. Ernst Krenek ist übrigens dem unfehlbaren Kritiker die Antwort nicht schuldig geblieben. Er bezeichnete ihn – gelegentlich eines Vortrages über seinen „Jonny“ – unter lebhaftem Beifall seiner Zuhörer als einen älteren, gereizten Herrn, dessen Einstellung ja ohnedies zur Genüge bekannt ist.3 Ebenso bekannt ist längst die Einstellung der „Neuen Freien Presse“, ihr Geist, der stets verneint und sich gegen alles Neue und Freie wendet. Gleichwohl soll es festgenagelt werden, dass sie es nicht verschmähte, ihr schwerstes Geschütz, ihren Leitartikel, gegen eine harmlose Oper in Bewegung zu setzen. Die geöltesten Phrasen von Sittlichkeit und Kunstschönheit werden da aufgetischt, der arme „Jonny“ wird ein {recte: in} einem Zerrspiegel gezeigt, in dem er sich selbst nicht mehr erkennen mag. Alle Bonzen der hohen, strengen Kunst von Lessing und Herder bis zu dem vormals in den gleichen Feuilletonspalten verunglimpften Richard Strauß werden heraufbeschworen, ja sogar das Schubertjahr muß herhalten und der tote Schubert wird gegen den lebenden Krenek ausgespielt. Dies alles, um ein das Antlitz seiner Zeit tragendes, zugkräftiges, aber dem „Weltbaltt“ und seinen Hintermännern unbequemes Theaterstück aus dem Opernspielplan herauszubeißen. Alles vergebens! Das „Weltblatt“ hat seinen wohlvorbereiteten Feldzug gegen Krenek verloren. Er war die beste Reklame für dessen „Jonny“, welcher der „Neuen Freien Presse“ wohl noch lange in der Staatsoper aufspielen wird.
Wien im Jänner. e. f.
In: Arbeiterwille, Graz, 14.1.1928, S. 3-4.
- Oper von Erich Wolfgang Korngold, die 1927 am Stadttheater Hamburg uraufgeführt wurde und 1928 im Operntheater Wien am Programm stand. Das Libretto stammt von Hans Müller-Einigen nach dem Drama Die Heilige von Hans Kaltnecker. Die Aufführungen, auch in neuerer Zeit, wurden eher reserviert bzw. kontrovers aufgenommen und diskutiert. Vgl. z.B. die ablehnende Kritik zur britischen UA 2007 in der Royal Festival Hall: http://www.telegraph.co.uk/culture/music/opera/3669482/Das-Wunder-der-Heliane-Operas-biggest-load-of-codswallop-rises-from-the-grave.html während jene zur Brünner 2012 Aufführung deutlich positiver ausfiel: http://www.der-neue-merker.eu/brunn-das-wunder-der-heliane-von-korngold-derniere. (Aufgerufen am 22.8. 2014) ↩
- Bezieht sich auf den Leitartikel Das Ende des Opernrummels in der NFP vom 6.1.1928; siehe: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nfp&datum=19280106&seite=1&zoom=33 ↩
- Gemeint ist der Vortrag Kreneks im Kulturbund ↩