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Stephan Großmann: Berliner Theaterbrief (Kokoschka-Skandal)

                                                                                                            Berlin, 14. Juni.

             Ja, ich habe ja noch nicht über den großen Kokoschka-Skandal im Deutschen Theater berichtet. Unerlaubte Pflichtvergessenheit! Das Übel sitzt noch tiefer, ich habe, von Saint Germain befangen, nicht einmal daran gedacht. Und doch war es gewiß der größte Theaterskandal, den Berlin seit Jahren erlebt hat. Seit wieviel Jahren? Ich glaube, der letzte ganz große Krach, der einzige, der mit dem Kokoschka-Skandal zu vergleichen wäre, fand bei der Erstaufführung des „Florian Geyer“ statt. In der Szene, in der dort die armen Bauern ausgepeitscht werden sollen, erhob sich das liberale Bürgertum im Parkett zum Schutze der längst verblichenen Agrarier und protestierte gegen das Auspeitschen, währen die sozialistisch gesinnte Jugend auf den Galerien unbedingt für die Auspeitschung auf der Szene eintrat. Daraus entstand der denkwürdigste Theaterradau, den Berlin bei einer Hauptmann-Premiere je gehabt hat. Das war im Winter 1895. Ich saß damals mit Gustav Landauer zusammen auf der dritten Galerie im Deutschen Theater und mühte mich im Schweiße meiner Hände das hausschlüsselpfeifende Parkett durch das Geknatter unseres Applauses zu übertönen […] Es hat in diesen vierundzwanzig Jahren, die seit jenem historisch gewordenen Radau verflossen sind, allerlei Pöbelunterhaltungen im Theater gegeben, aber einen Krach, wir den bei Kokoschka, konnten die Arrangeure trotz aufrichtiger Bemühungen nicht erreichen.  Bedenkt man, daß die Vorstellung eine geschlossene war, vom Verein „Das junge Deutschland“ veranstaltet, der dazu da ist, kühn zu experimentieren, so kann man diesen Skandalnachmittag erst richtig würdigen. Ich habe dieselbe Vorstellung vor einem Jahr schon in Dresden gesehen. Auch dort wurde der „Brennende Dornbusch“ und der „Hiob“ gegeben. Die Sachsen haben beide Werke auch nicht verstanden, aber sie haben es nicht zu erkennen gegeben, sondern sich bemüht. Es gelang ihnen, Details zu entziffern, und bescheiden wartend, ist es ihnen allmählich auch gelungen, sich in der Stimmung der Werke näherzuarbeiten. Den Schaden bei all diesen Radauszenen hat ja nicht so sehr der Künstler, sondern vielmehr der allzuschnelle Zuschauer, der sich aufnahmsunfähig macht, indem er witzelt oder dazwischenruft. Der demütig Wartende handelt zuletzt auch vorteilhafter als der anmaßende Skandalmacher! Dabei möchte ich keineswegs behaupten, daß Kokoschkas Dramen gelungene Meisterwerke sind. Sie sind doch, wie sehr sich Kokoschka zur Wehr setzt, Phantasien eines Malers, es sind Pantomimen mit dazugesprochenen Text. Das Wertvolle und Originale an diesen Werken ist die bildhafte Halluzination, nicht das dazu gesprochene Wort. Als Wortkünstler ist Kokoschka hart, eckig, arm. In seiner dramatischen Erfindung steckt aber unzweifelhaft ein dichterisches Element und im „Hiob“ noch dazu ein phantastischer Humor. „Hiob“ ist die Tragikomödie eines alten Mannes, dem ein Weib den Kopf verdreht hat. Es ist charakteristisch für Kokoschkas bildhaftes Sehen, daß es diese Wendung „mir wurde der Kopf verdreht“ sogleich in eine szenische Bemerkung umsetzt, und daß der Darsteller des Hiob eine Zeitlang mit einer Gewandung auftritt, bei der Rock, Weste und Kragen hinten zugeknöpft sind und die Krawatte über den Rücken baumelt. So sitzt der verdrehte Kopf wirklich um 180 Grad verschoben auf dem Rumpf. Dieser „Hiob“ ist als Tragikomödie gedacht, Kokoschka will den gehörnten Ehemann nicht nur seriös betrachtet haben, deshalb spielt die tragischste Szene im Badezimmer, das nicht nur mit einer Wanne, sondern auch mit einem Klosett versehen ist. Nun vertragen intellektuelle Zuschauer alles, nur Tragikomödie nicht. Jede Masse will schnurgerade, schlichte Empfindungen; komplizierte Regungen, wie sie die Tragikomödie voraussetzt, müssen der Einsamkeit des einzelnen überlassen sein. Das gehört nun einmal zu den Grunderfahrungen des Theaters. Aber wenn man bedenkt, daß in diesem Verein „Das junge Deutschland“ eine Auslese des Berliner Publikums sitzt, von Liebermann und Rathenau bis zu Kurt Hiller und Rudolf Leonhard, so begreift man doch diesen wüsten Exzeß nicht. Kokoschka selbst schien an dem schrillen Toben seine stille Freude zu haben, er erschien ein paarmal auf der Bühne mit seinem sanften, freundlichen, die Leute erst recht zum Rasen bringenden Lächeln und dankte den Enthusiasten ebenso gelassen wie den Empörten. Ich glaube, daß ihm eine solche Schlacht lieber ist als die Dresdener achtungsvolle Stille. Er hat die Stücke selbst inszeniert und sich als ein Regisseur ersten Ranges erwiesen, und zwar nicht nur als ein malerischer Regisseur, als welchem ihm viele schöne Stellungen und Veränderungen des Körpers der Darsteller gelungen sind, sondern vor allem auch als ein Kapellmeister der Stimmen. Ich möchte sagen, seine phonetische Phantasie ist so reich wie seine Augenphantasie. Aber das wird sich im nächsten Jahr noch deutlicher erweisen, denn Kokoschka wird entweder bei Reinhardt oder in den Staatstheatern einige Vorstellungen inszenieren.

In: Neues Wiener Journal, 19.6.1919, S. 12.

Ernst Lothar: Gegenwart und Zukunft des Theaters. Kritik und Prognose.

Wir beginnen heute mit der Veröffentlichung des Vortrages, den Ernst Lothar in Deutschland und der Czechosowakei gehalten hat. (Anm. d. Red.)

             Das Wort Theaterkrise ist ein Schlagwort geworden, dessen Schlagkraft die Vernunft zu Fall zu bringen und eine Panik zu erzeugen droht, worin die Begriffe wanken und nichts als steriler Pessimismus oder Nutznießertum der Desperation aufrecht bleibe. Da ist es an der Zeit, sich klar zu machen, was an dem alarmierenden Schlagwort wahr, was übertrieben, was mißverstanden daran ist. Und ob ihm tatsächlich der ganze Schrecken innewohnt, den ihm die Krisenlustschnapper nachsagen.

             Daß es bedrohlich um die Gegenwart des deutschen Theaters steht, leugne ich nicht. Und ich will, ärztliche Gepflogenheit annehmend, die Symptome der Krankheit nennen, bevor ich mich zur Diagnose und damit zur Therapie vorwage. Eine Anamnese ist zu fordern, Geschichte des Krankheitsverlaufes, wie von jedem Patienten, der Heilung sucht; beides, das Leiden, das Geheiltwerdenmüssen, trifft ja auf das kranke Gegenwartstheater und insbesondere auf das Schauspielwesen, dem meine Ausführung gelten, zu. Welche Symptome zeigt der Patient? Gestatten Sie mir, die Dinge nicht nur beim Namen, sondern sogar bei Ziffern zu nennen und auf jede Ziffer einzeln zurückzukommen:

             Erstens: das heutige Schauspieltheater ist zum Schauspielertheater (und zum Regisseurtheater) geworden, wodurch die geistige Situation des Theaters Schaden litt; zweitens: das Schauspieler- und Regisseurtheater wurde zum Prominententheater, wodurch das Ensembletheater, aber auch (mit der geistigen Kontinuität) die wirtschaftliche Prosperität des Theaters Schaden litt; drittens: dieses Theater folgerte aus der Geschäftsstockung, daß es Geschäftstheater zu sein habe; viertens: es bekämpfte und bekämpft die ihm durch den Tonfilm erwachsenen Konkurrenz mit absolut untauglichen Mitteln.

             Erstens: Die geistige Situation des heutigen Theaters hat sich grundlegend geändert. Als Max Reinhardt, zu dessen überzeugten Anhängern ich zähle, soweit es sich um die schauspielerische Regenerierung des Theaters und seiner Erlösung vom Pathos der Verstellung handelt, im Vorjahr jubilierte, sagte er öffentlich: „Das Theater von heute gehört dem Schauspieler.“ Dieser verlesene, also keineswegs einer Bankettimprovisation überlassene Trinkspruch klang wie ein Urteilsspruch. Er war einer. Er sprach der geistigen Bedeutung des heutigen Theaters das Urteil und – verurteilte sie, ohne es zu wollen. Denn vom Standpunkt des Jubilars Max Reinhardt angeschaut, erschien dieser Zustand nicht beklagenswert. Er, Schauspieler von Geblüt, Schauspielerführer von Genie, konnte nicht anders als, indem er der Wahrheit die Ehre gab, den Schauspielern die Ehre geben. Sie, die Schauspieler, waren es, die in ihm gefeiert wurden; sie, die Schauspieler, an die der Erinnerungsglanz sich knüpfte, mit dem der Name Reinhardt zum Theaterhimmel steigt. Sonderbar, daß fast niemand aus diesen Bankettworten heraushörte, was sie waren: die solenne öffentliche Erklärung der Diktatur, der die private längst vorangegangen war. Mit den Worten: „Das Theater von heute gehört dem Schauspieler“, hatte der größte Schauspielerdirektor der Gegenwart die Abdankungserklärung des Bühnenautors und die Herrschaftsübernahme durch die Schauspieler verkündet. Nicht zufällig – in jener geheimnishaften Vorahnung, die ihm eignete und ihn die spirituellen Zusammenhänge so seherisch durchschauen ließ – hatte der zu früh abgerufene Hofmannsthal für Reinhardts neues Wiener Theater 1924 schon den Namen gewählt: „Die Schauspieler im Theater in der Josefstadt, unter der Führung von Max Reinhardt“, ein scheinbar preziöses Firmenschild, das trotzdem jene Entwicklung vorausnahm und in Worte faßte: in diesem Aushängeschild sind die Schauspieler Firmeninhaber und der Dichter zeichnet für das Unternehmen nicht einmal mehr per Prokura.

             Meine Damen und Herren, diese Entwicklung war der Keim des Uebels. Sie stellte zu einer Zeit, als das Wort Tonfilm ungekannt und die wirtschaftliche Stagnation noch nicht von solchem Weltumfang wie heute war, das Theater auf eine Grundlage, die es nicht tragen konnte und daher nicht ertrug. Nichts gegen die Magie des Schauspielerischen! Faszinierter Freund und Beurteiler jeder mimischen Bedeutung, überzeugt davon, daß das Glück des Theaters Verwandlung des Zuschauers durch Illusion ist, fände ich mich in der lächerlichsten Rolle, wollte ich diese Bedeutung auch nur mit einem Worte schmälern. Mit allen Worten dagegen will ich sagen, daß die Ueberbedeutung die man dem Schauspieler und die der Schauspieler sich gegenwärtig zuerkennt, ihm nicht zukommt. Deshalb nicht, weil sie zu der falschen Rechnung führt, welche das Dargestellte zur Null, den Darsteller zur Unendlichkeit macht und uns hinbringt, wo wir halten: zur Schauspielerdiktatur über den Autor.

             Hier meldet sich vielleicht unter Ihnen und bestimmt in mir der Einwand, den jeder Theaterkenner pflichthaft zu erheben hat: Welche Autoren sind gemeint? Ist jene schädliche Entwicklung nicht dadurch erzwungen, daß die Gegenwart an Autoren, welche Werte für das Theater schaffen (und nur um solche kann sich’s handeln) bettelarm, ja, daß sie daran ärmer ist als je eine Epoche? Ja und nein. Ja: Denn wollte ich die deutschen Autoren der jüngeren Generation, von denen das Gegenwartstheater Werte oder zumindest Impulse empfängt, aufzählen, die Finger einer einzigen Hand genügten mir dazu, und noch da bliebe der Daumen unbeschäftigt. Sollen wir’s versuchen? Der Mittelfinger für Bruckner (und erst seit „Elisabeth von England“); der Zeigefinger für Georg Kaiser (aber er hat die Richtung verloren); der Ringfinger für Werfel; der kleine Finger für Zuckmayer. Und sonst – ? Brecht, der steil begann, ist abgestürzt; Unruhs edle Leidenschaft hat „Phäa“ nicht vermeiden können. Leonhard Frank: „Hufnägel“ waren die Sargnägel einer Theaterhoffnung; Hasenclever, Bronnen: konjunkturisiert, politisiert. Von den anderen jüngeren Deutschen nicht zu reden. Sie haben das Schreidrama des Expressionismus mitbegründet oder mitgemacht und sind nun drauf und dran, die neueste Dramenmode mitzumachen: das Agitationsdrama. Hier muß ich zur Klarstellung der Kategorien innehalten und die Begriffe „expressionistisches Drama“ und „Agitationsdrama“ abgrenzen. Niemand kann bestreiten, daß der Expressionismus abgewirtschaftet hat. Das aber beweist nichts gegen die organische Bedingtheit seiner (Nachkriegs-) Erscheinung; nichts gegen die Konsequenz seiner Idee, nichts gegen seine künstlerische Berechtigung. Ich bin weit davon entfernt, im Expressionismus wie andere „ein Kostüm bluffwilliger Schwindler“ zu erblicken und sehe vielmehr in ihm den Ausdruck seiner amusischen Epoche: er war das dramatische Sekundenecho der Kunst auf das Toben der Sekunde; er war und blieb wörtlich wie inhaltlich: Zeitausdruck. Dem Weltmaschinensaal, dem Weltkrampf, dem Weltumsturz einen Theatersaal in Stuck und Gold entgegenzustellen, dessen Bühne dieselben Konflikte, Worte, Kulissen ungeändert hätte beibehalten sollen wie zu Zeiten Wildenbruchs, schien unerträglich. So weit richtig. Trotzdem litt das Richtige Schiffbruch. Der Grund war simpel: es fehlte an Genie. Der Dichter fehlte, der das unwidersprechlich Richtige mit neuen Mitteln zur neuen Gestallt gebildet hätte. „Das Drama schreiben heißt, einen Gedanken zu Ende denken“, notierte Georg Kaiser damals pro domo. Der Gedanke war gedacht, doch nicht gestaltet. So blieb er, ohne eine Tat zu werden, ein Programm. Vom Kino und der Telegraphie entlehnten die Expressionisten die Form. Sie bilderten, statt zu bilden, sparten am Wort und leider geizig an der Seele. Im Formalen lag ihnen der Weg, in der Sprengung der Form. Doch mit dem Sturz der Form läßt sich das Drama nicht erneuern. Nur aus seiner Natur. Aus seiner Natur aber wäre das Drama dann erneuert, wenn es das zu Gestaltende (schematisch gesprochen) nicht wie bisher im Zufall, sondern im Schicksal sähe. Das Drama ist Konflikt. Der Sinn des Dramas die Optik und die Ueberwindung des Konflikts. Der Konflikt des Mißglückten Expressionistendramas entstand aus einem individuellen oder kollektiven Zufall: er war schicksallos. Der Konflikt des wahren künftigen Dramas dagegen müßte aus dem Zusammenstoß zwischen Bestimmung und Willen erfolgen: schicksalhaft. Ziel des neuen Dramas: statt Zufall Schicksal. Statt Realität Vision.

             Dies hatte ich zu sagen, um zu kennzeichnen, welchen Abstieg das sogenannte Agitationsdrama, das in vielen Spielarten hergestellt und gepriesen worden war, dem beschimpften expressionistischen Drama gegenüber (gesehen vom hier maßgebenden Standpunkt des dramatischen Kunstwertes) bedeutet: Dieses, das expressionistische, war zumindest als Kunstform und ideell geboten; jenes, das agitatorische, bloß als Plattform und konjunkturell. Dieses war das Schrei-, jenes ist das Letzte-Schreidrama: Abstieg von der Idee zur Propaganda-Mode. Allerdings hat man auch hier Idee hineinzutragen und -zugeheimnissen versucht, hat mit dem nebulosen Begriffe „Zeitdrama“ Wesens getrieben. Was ist ein Zeitdrama? „Die Dinge auf der Bühne“, formulierte erst kürzlich ein deutscher Beurteiler von Rang, „müssen mich angehen, und sie gehen mich nur an, wenn das Zeitsubjekt weltanschauungshaft in mir getroffen wird“. Da möchte ich mir aber, so verführerisch die Formulierung klingen mag, energisch zu widersprechen erlauben! Hier will man, und tut es ja auch, dem Drama den Reportage- samt dem Kolporteur- und Propagandist seiner Tage anweisen und es zur poltisch-parteiischen Zeitung der Ereignisse, statt im Drama die bedingten Ereignisse zu unbedingten Erscheinungen machen. Kunst als Waffe? Warum nicht. Aber durch das Massewerden darf sie nicht an Kunst verlieren! Der Irrtum, der den Propagandisten hier unterläuft, hat zwei Grundlagen: es ist irrig, daß Dauer und Vergänglichkeit eines Dramas sich auf seine Weltanschauung gründen; und es ist irrig, daß der Besucher des heutigen Theaters in weltanschaulichem Sinn anspruchsverschieden von dem irgendeiner theatralischen Epoche sei. Trotz anderer oder anders gewordener Weltanschauung – und das letztere gilt für den Gegenwartswert der Klassiker – kann ein Drama heute und immer wirken, weil die Wirksamkeit nicht von der im Drama ausgedrückten oder ihm zugrundeliegenden Weltanschauung, sondern bestimmend von der darin gebildeten Gestalt abhängt. Ist diese Gestalt gültig, das heißt: für eine ganze Menschengruppe repräsentativ, dann wirkt sie in der Zeit und überwirkt die Zeit. Daß der Prinz von Homburg den Krieg als geboten voraussetzt, wird pazifistischen Zuschauern gleichgültig vor der gültigen Gestalt des Menschen, der zwischen sich und seiner Pflicht schwankt. Daß der König Lear das Gottesgnadentum der Könige zur selbstverständlichen Bedingung hat, wird dem demokratischen und republikanischen Zuschauer gleichgültig vor der gültigen Gestalt eines Vaters, der sein Kind beweint. Genau so irrig aber, wie die Wirkung von der Weltanschauung abhängig machen zu wollen, ist es, daß der Theaterzuschauer Weltanschauungen oder programmatische Vorgänge (Vorgänge seiner Weltanschauung) auf der Bühne verlangt, um das „tua res“ zu spüren. Wahr ist, daß er sich sozial geändert hat, nach wie vor aber auf der Bühne Menschen sehen will, die ihn angehen. Diese Menschen gehen ihn nicht nur dann an, wenn sie seine Gesinnungsgenossen, sondern entscheidender und allgemeiner dann, wenn sie gültige Gestalten sind, die keinen Privatfall, sondern einen Menschenfall, also auch den seinen inkarnieren. Das sind, sie mögen in der Steinzeit spielen, Zeitdramen. Das sind aktuelle Dramen, weil ihre Aktualität nicht im Januar 1931, sondern im Menschenhaften liegt, und das Menschliche bekanntlich dauernd aktuell, das Aktuelle dagegen desto seltener menschlich ist. Um es meinerseits zu formulieren: das echte Drama ist immer Zeitlosigkeits- und dadurch Zeitdrama, weil es die Zuschauer aller Zeiten zu Menschheitsgenossen macht; das sogenannte Zeitdrama ist bloß Augenblicksdrama, weil es die Zuschauer bestenfalls zu Parteigenossen macht. Es waltet (auch hier) derselbe Tiefen- und Größenunterschied wie zwischen Menschheit und Partei.

             Entschuldigen Sie diesen Exkurs, er war unumgänglich, um zu erkennen, warum die jüngere deutsche Dramenproduktion so mißgeleitet ist: im Expressionismus gestrandet, hat sie im Agitationsdrama den gestalterischen Boden unter den Füßen verloren, weil sie die Gestalt als agitatorischen Vorwand statt als das dramatische Ziel betrachtet, das sie ist. So steht es um die jüngeren deutschen Dramatiker. Die älteren, soweit sie nicht enttäuscht oder verdrossen dem Theater fernbleiben oder sich dem Roman zugewendet haben, sind die kräftigsten nicht mehr und, wenn sie es sind, nicht imstande, die klaffenden Lücken allein zu füllen –: dem deutschen Dichterdrama geht es schlimm. Und dem ausländischen? In England: Shaw, Galsworthy (im Roman unvergleichlich fähiger), Sherriff (mit der „Anderen Seite“), Maugham mit einigen hintergründigen Gesellschaftsstücken. In Frankreich: Romains, Geraldy, Lenormand, Bernard, Bourdet, Savoir. In Italien: Pirandellos längst verblasener Ruhm. In Ungarn: das Theatergenie Molnar und schwache Nachahmer. In der Czechoslowakei: Frantisek Langer, Karel Capek. Davon nähren wir Deutschen uns in der Hauptsache. Wer also sagt: es werden zurzeit nicht genug wertvolle Stücke geschrieben, um das Schauspiel ausschließlich mit ihnen zu beleben, hat recht. Insoweit gilt mein: Ja. Aber das Nein, das ich vorhin zur Antwort gab, gilt insoweit, als diese unanzweifelbare Tatsache zur fragwürdigen Konsequenz verführt, das deutsche Theater sei dem Autor nicht mehr und nur noch dem Schauspieler verpflichtet! Wenngleich es in der Tat wenige neue Dramen und Dramatiker gibt, die der Mühe verlohnen: zunächst müßten einmal diese wenigen aufgeführt werden, was nicht immer geschieht. Und dann, meine Damen und Herren: sollte es außerdem nicht ein paar ältere geben, vor denen die Schlußfolgerung: Weil nicht genug Dichter wirken, muß Konjunkturschmarrn und Konfektionskitsch das Theater überschwemmen, haltlos wird? Unter anderen gibt es einen Dichter, dem die wildesten Zeitgeistschwärmer Mangel an Aktualität nicht werden nachsagen können. Er heißt Shakespeare. Man zähle die deutschen Bühnen, die den Timon von Athen, Coriolan, Caesar, Antonius und Cleopatra: lauter brennende Aktualitäten, im Spielplan haben. Es gibt aber auch einen Dichter namens Schiller: seine Aktualität (in jenem Frühjahr angezogenen Sinne) ist rasant. Ich wenigstens wüßte Weniges, was heutigen Menschen ihre eigene Sache spürbarer machte als der Carlos, der weltanschauungshaft eineinhalb Jahrhunderte vorwegnahm. Kann man sich eine dem Augenblick nähere und wesentlichere Auseinandersetzung denken, als die zwischen Posa und Philipp? (Herr Theodor Tagger, der auf den Namen Ferdinand Bruckner hört, entschuldige, daß sein Philipp diesen Vergleich nicht aushält!) Findet sich jenes erlösend und sozial betonte Wort „Mensch“, das zum eisernen Inventar der letzten Literaturepoche gehört, irgendwo überwältigender ausgesprochen als hier? Und Grillparzer, gänzlich unentdeckt für Deutschland, ja verkannt in Deutschland, beschämend unterschätzt: Sein „Bruderzwist“ vor allem, politisch-geistig zur letzten Gegenwart gewendet! Und Hebbel: für das Zeitalter der Individualpsychologie von einer phantastischen Modernität! Und Grabbe! Und Kleist! Aber, mag man sagen: das alles sind Stücke, sind Dichter, die jedes Kind kennt! Ich weiß nicht, meine Damen und Herren, ich habe nicht den Eindruck, daß jedes Kind die Ehre dieser Bekanntschaften hat. Jedes Großstadtkind wird Ihnen heute die bestakkreditierten Automobilmarken nennen, ja Ihnen aus entferntem Motorengeräusch prompt Bescheid sagen können, welche Automarke da vorüberfuhr. Ob es den Kindern mit Shakespeare, Schiller und anderen bestakkreditierten Marken eben so ergeht? Bei einer Carlos-Aufführung, die ich in Wien zu sehen bekam, lachte die Galeriejugend stürmisch, als Carlos sich ins Zimmer der Eboli verirrte: Die Sache war der Galeriejugend ganz neu, sie fand sie daher komisch. Man darf den Bekanntenkreis der jungen Generation nicht überschätzen. Manches fehlt darin. Hie und dar sogar die Bekanntschaft mit dem Geist. Aber diese Bekanntschaft ihr zu vermitteln, ja sie ihr lockend, so herrlich erlebnishaft zu gestalten, wie sie ist: dazu sind unter anderem die deutschen Theater da. Bildungstheater? Das Wort hat einen fatalen Präzeptorgeschmack und klingt nach Nachmittagsvorstellung zu ermäßigten Schülerpreisen. Trotzdem sind die Begriffe „Bildung“ und „Theater“ nicht so himmelweit verschieden, wie man heute glauben machen möchte, die Meinung, das Theater sei verpflichtet, nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu lehren, nicht so hirnrissig und antiquiert, wie man sich heute in Direktionskanzleien anzustellen pflegt: Wenn man, wie ich, jenes Galerielachen über Don Carlos‘ Fehltritt noch im Ohre hat, kommt einem die Sache gar nicht so lustig vor.

             Aber doch Don Carlos! Habe ich mir da nicht selbst widersprochen? Also doch aufgeführt, was aufgeführt sein soll? Allerdings. Aber –: warum aufgeführt? Die Frage ist nicht unwichtig. Denn der Don Carlos war nicht aufgeführt worden, weil es der Don Carlos war … bewahre! Er war aufgeführt worden, um Bassermann Gelegenheit zum Philipp zu geben, zu einem prachtvollen Philipp, wie man weiß. Immerhin, dies war der Anlaß. Und dies und dergleichen ist der Anlaß, um heute Werke des dichterischen Welttheaters auf die Bühne zu bringen: nicht um der Werke willen tut man’s, sondern weil der Clavigo eine Moissi-Rolle, weil die Julia eine Bergner-Attraktion sein soll. Nicht, weil das Theater seine Verpflichtung zum Wert erkennt, durchbricht es die Unwertserien: es erniedrigt vielmehr den Wert zur schauspielerischen Gelegenheitsmacherei. Ob hiebei gute oder schlechte Vorstellungen zustandekommen, entscheidet nicht so sehr; entscheidend bleibt zunächst unser Punkt Eins: Die Unterwerfung des Theaters unter die Schauspielerherrschaft sogar dort, wo es sich um Ewigkeitswerte handelt. Jene grundlegende Aenderung der geistigen Theaterstruktur wird dadurch unverkennbar. Sie besteht in der ungeheuren und ungeheuerlichen Bagatellisierung des Inhalts des Aufgeführten. Was ist Bagatelle. Wichtig ist nur, daß „Was“ da ist, um schauspielerische Gelegenheit zu machen.

             Zu der Gelegenheitsmacherei für den Schauspieler tritt die für den Regisseur, die bei klassischen Reprisen am vernichtendsten bemerkbar wurde. Reinhardt, von den fehlgeratenen Großen-Schauspielhaus-Experimenten belehrt, hat für seine Person die Tollheit vermieden und seine geniale Regiekraft wieder ganz dem Schauspieler gewidmet. Er ist kein „Auffassungsregisseur“, kein Zeitgeisteinbläser, deshalb auch kein Werkvergewaltiger. Aber wie viele solche liefen herum! Ihr Stern ist im Verblassen, gottlob. Sie haben trotzdem Unheil genug gestiftet, nicht zuletzt dadurch, daß sie einer Generation, der man das Theater der Größe vorenthielt und die es daher kaum vom Hörensagen kannte, durch tolle Verstümmelungen und Verzerrungen die Meinung beibrachten, es sei so klein wie seine ungebetenen Erneuerer. Jene „Krise der klassischen Darstellungsform“, die Herbert Ihering in seiner Schrift „Reinhardt, Jeßner, Piscator oder Klassikertod?“ hervorhebt, ist nicht zuletzt dem Regisseurgrößenwahn zur Last zu schreiben. Unter dem Vorgeben, es sei in dem falschen Sinne zeitgemäß zu machen, von dem die Rede war, fühlte man sich befugt, dem klassischen Drama eine Form zu geben, welche die überkommene zertrümmerte, ohne die neue gefunden zu haben. Befugt aber fühlte sich die Unbefugten, und unbefugt sind da fast alle, die Ausnahmen bestätigten die Regel. Wenn etwa der Dichter Beer-Hofmann die „Iphigenie“ dramatisch kürzte und zusammenfaßte, wie er’s getan hat, dann war er dazu befugt, als Dichter trat er zu der Dichtung, fühlte sie nach, verehrte sie so sehr, daß er um der Dichtung willen sie neu belebten wollte und belebte. Wenn aber ein zünftiger Auffassungsregisseur, er sei der fixeste, desgleichen tut, dann tut er’s nicht um der Dichtung, sondern eben um der „Auffassung“ willen, die er angeblich hat und die er zeigen wollte: aus selbst Zweck also. Solche Selbstzweckregisseure, die ein Werk inszenieren, um sich dadurch in Szene zu setzen und nach Tragödienschluß im Namen Shakespeares zu danken, haben das epochale Theaterübel verbittert und verschärft. Von der Insolvenz abgesehen, die dazu gehört, daß jemand, der keine andere Legitimation als die der Eisenbahn hat, vor Shakespeare, vor Schiller als eingebildeter Retter mit dem Gedanken tritt: „Das Kind will ich schon schaukeln“, sind solche Schaukler weit davon entfernt, zu retten, und näher daran, zu morden! Lernt die Generation, wie es ihr zu Berlin in der Aera Jeßner erging, das klassische Drama (man erinnere sich an Wilhelm Tell !) aus Auffassungsregien kennen, dann enthält sie eine Vorstellung, deren geistige noch quälender als die szenische ist; von den Abendkassenschränkern der klassischen Hinterlassenschaft ganz zu schweigen, die den Hamlet in den Frack steckten und die Situation unhaltbar, weil sie sie lächerlich machten. Es war daher nicht unverschuldet, daß Jeßner auf seiner Treppe wirtschaftlich zu Falle, der ungleich stärkere Piscator auf dem laufenden Band um keinen Kunstschritt weiterkam. „Vom Ibsen zu Piscator“ betitelte Bernhard Diebold diese Entwicklung, der man kaum anders als durch den Untertitel „Weit gebracht!“ gerecht werden kann.

(Fortsetzung folgt.)

In: Neue Freie Presse, 22. Februar 1931, S. 1-4.

Lutz Weltmann: Alexander Tairoffs theatralische Sendung

Zum bevorstehenden Wiener Gastspiel des Moskauer Kammertheaters.

Alexander Tairoff, der Direktor und Regisseur des Moskauer Kammertheaters, ist der Max Reinhardt Rußlands. Das klingt paradox. Auf den ersten Blick erscheint er eher als ein Gleichstrebender Jeßners, der Mary Wigman, Charlie Chaplins. Aber schon diese Zusammenstellung zeigt, daß diese Verwandtschaft nichts unbedingt Persönliches, vielmehr Ausdruck eines gemeinsamen Zeitstiles ist. Gliederung des Bühnenbildes, organische Anpassung der Kostüme und der Bewegung der Darsteller dazu – das schlägt alles in die gleiche Kerbe wie eine Jeßnersche Inszenierung. Seiner Mentalität nach und als theatergeschichtliche Erscheinung ist Tairoff der Erbe Reinhardts. (Tairoff verhält sich zu Stanislawsky wie Reinhardt zu Otto Brahm.)

            Reinhardt wie Tairoff lösten das Theater aus den Fesseln der Literatur, proklamierten das théâtre pour le théâtre. Beide zu einer Zeit, als die dramatische Produktion zu stagnieren begann. Shakespeare, Lenz, Büchner, Tolstoj, Beer-Hofmann dienten Reinhardt als Vorwand zur Entfaltung zauberischer Theaterkünste. Aber Ballett, Pantomime und Operette taten es auch. Und programmatisch genug eröffnete er seine beiden letzten Theatergründungen, das Josefstädter Theater in Wien und die Komödie in Berlin, mit Goldonis comedia dell’ arte „Der Diener zweier Herren“. Und was der Berührungspunkte mehr sind. Tairoff verficht im Grunde genommen die gleichen Ideen. (Und scheint im Begriffe, Max Reinhardts europäische Geltung zu erwerben.) Tairoffs Stoßkraft ist stärker. Er ist Programmatiker. Begründet seine Ideen theoretisch und historisch. Und seine Situation ist geklärter, umrissener, als zu den Zeiten von Reinhardts Hervortreten. Zwischen Stanislawsky und Tairoff liegt die russische Revolution. Deren Umwälzung auf literarischem Gebiete nicht minder groß war als auf politischem. Mit der bolschewistischen Idee riß die Verbindung mit der bürgerlichen Tradition ab. Die Gestalten des russischen Dramas hatten ihre Symbolkraft für die Mitglieder der Sowjetrepublik verloren. Den Russen fehlte das Reservoir der Klassiker, aus dem (wie lange noch?) die deutschen Bühnenleiter schöpfen. Der dramatische Nachwuchs ist noch spärlicher als bei uns: Jevreinoff mit seiner pirandellesken „Quintessenz“, Leo Lunz mit seiner – wohl eigens für Tairoffs Bühne erdachten – Regiepartitur „Vogelfrei“ marschieren an der Spitze.

            Nun macht der Theoretiker Tairoff aus der Not eine Tugend. Er entsinnt sich, daß es Zeiten gab, in denen das Theater sehr gut ohne Literatur auskam. Denkt an den Mimus der römischen Kaiserzeit, den Vorläufer der Oper und Operette und – in der äußeren Struktur: den Wechsel von Vers und Prosa, Lied und Tanz – Shakespeares. Tairoff arbeitet am konsequentesten an der Wiedergeburt des Mimus mit, die sich seit den letzten Jahren überall ankündigt: beim Drama im Zug zum Volksstück und zur comedia dell’ arte, beim Theater wenn Barnowsky „Wie es euch gefällt“ ganz auf das Schäferspiel stellt, Jürgen Fehling „Viel Lärm um Nichts“, Ludwig Berger „Der Widerspenstigen Zähmung“ ganz auf das Fastnachtspiel, Reinhardts Offenbachiade „Orpheus in der Unterwelt“ und Jeßners Wedekind-Inszenierungen nicht zu vergessen. (Dramaturgische Bearbeitungen wie sie Kalidasa durch Paul Kornfeld, Goldoni durch Otto Zoff, Calderon durch Hugo von Hofmannsthal erfuhren weisen in die gleiche Richtung.

            Aber Alexander Tairoffs theatralische Sendung ist keine theoretische, sondern eine praktische. Sie ist die Disziplin seines Ensembles. Das sind trainierte Körper, zu jeder Akrobatik und Exzentrik fähig, schmissige Tänzer mit federnden Gelenken und beherrschter Mimik – bis zum Chor voll Musikalität in den Fingerspitzen. Man hat das Gefühl, daß jeder Chorist, jedes Chormädel im nächsten Stück eine Hauptrolle übernehmen kann.

            Vorbildlich ist Tairoff durch die Suggestivkraft seiner Persönlichkeit, die sich bis zum kleinsten Statisten mitteilt und die gleichmäßige Durchdringung von Bühnenraum, Kostüm und Geste mit seiner Phantasie. Wenn Giroflé auf dem Oberschenkel des knienden Liebhabers sitzt und mit ihrem Fuß rhythmisch die Küsse begleitet, wenn Vater Bolero den Kopf mit dem wehenden Haupthaar in seine Halskrause schneckengleich einziehen kann (zwei Beispiele für beliebig viele), so ist der tänzerische Ausdruck dem bewegten Bühnenbild bis ins Letzte angepaßt: eine Klappe öffnet sich und das Zimmer verwandelt sich in ein Schiff, zwei Schiffsluken werden plötzlich zu Fenstern des Hauses – hier ist die Technik so sublimiert, so ganz und gar nicht Apparat, daß sie dienend mitspielt.

            Tairoff fand bereits deutsche Nachahmer. Von Berthold Viertels „Kaufmann von Venedig“-Inszenierung, die aus „Giroflé-Girofla“ den Kopfputz übernahm, bis zu Kieslers „Raumbühne“ und Karlheinz Martins „Franziska“-Aufführung stets äußerlich oder mißverstanden. Vorbild ist Alexander Wesnins Bühnenmodell zu Tairoffs Inszenierung des Mannes der Donnerstag war. Aber es ist ein Irrtum, wenn man aus dieser Bühnenkonstruktion ein Prinzip macht. Tairoffs Bühnenarchitektur zu „Sechs Detektivs suchen einen Anarchisten“ (wie Chestertons bekannter Roman bei Tairoff heißen könnte) ist aus dem Stücke selbst hergeleitet; gleichsam ein Einheitsbühnenbild, das die Atmosphäre der Großstadt wiedergibt, die Vision Großstadt. Nur durch das Inbeziehungsetzen der Spieler zu Raum und Musik bekommt diese Bühnenkonstruktion ihre Berechtigung. Flimmernde Lichtreklame und gehetzte Zeitungsrufer – die Straße. Kämpfende Autohupen – die Verfolgung, während gleichzeitig eine schräge Markise sich senkt und mit Tisch und Stühlen ein Teil der Bühne zum Kaffeehaus wird. Stets variiert bis zur Schlußsteigerung, wenn das Zeitungsblatt den Königsmord verkündet.

            Häufig rankt Tairoff seine Einfälle spielerisch um ein Nichts. Aber er versteht es auch, sie für dramaturgische Regie produktiv zu machen. Er proklamiert die zeitungebundene, voraussetzungslose Schauspielkunst. Aber er macht sie zur Wegbereiterin eines neugeborenen Dramas. Das ist nicht der unbeträchtlichste Teil von Alexander Tairoffs theatralischer Sendung.

In: Die Bühne, Nr. 31/1925, S. 14f.