Rudolf Jeremias Kreutz: Aktivistische Bücher. Verlag: „Die Schmiede“, Berlin 1924

Rudolf Jeremias Kreutz: Aktivistische Bücher. Verlag: „Die Schmiede“, Berlin 1924 (1924)

Den literarischen Aktivismus der Epoche kennzeichnet tiefe Unzufriedenheit mit ihrem Bürger, der sich durchaus nicht be­kehren läßt. Aus diesem Grunde schafft die Mehrzahl der Bücher, die in die Zeit fragen, rufen, auf sie losschreien, wohl Erkenntnisse, aber keine Proselyten, wohl neue Form, aber keine Neuformung. Es wird fleißig gehämmert, doch nichts glüht auf im Hammerschlag. Die Schmiede arbeiten kalt. Schall und Hall ist einziges Ergebnis, das zerhämmerte Objekt schmiegt und schweißt sich nicht. Es verharrt in seiner Urgegebenheit, erhaben gleichmütig, wenn auch mitunter schmerzlich angerührt. In dieser schmerzlichen Anrührung des erprobten Alten, das durch sie manchmal nur noch liebenswerter wird, oft aber auch seinen Staub und Rost offenbart, liegt, der Kampfwert des aktivistischen Buches.

Iwan Goll, mit dem die Reihe der Schmiede eröffnet sei, kommt geradewegs aus der verödenden Werkstätte des Ex­pressionismus. Er haßt den Beistrich, türmt Zyklopenmauern aus farbigen Worten, die ungebunden zu klingendem Schutt zerbröseln. Man kennt die Technik. Sie hat wenig Freunde unter jenen geworben, die erraten sollen, wie aus Klang und Schutt Sinn wird — den etwaigen Lesern. Der Eiffel­turm heißt der abstrus profilierte Bau, darin der Dichter epische und lyrische Talentproben ausstellt. Eruptiv, phantastisch schleudert er Gedankenfetzen von sich, souverän, leicht, un­bekümmert, spielerisch, wie ein begabter Berauschter lallt. Von Bändigung der quellenden Fülle, von jener grausamen Selbstzucht des dionysisch erhöhten Geistes, die bürgerliche Rückständig­keit Kunst nennt, wird bewußt Abstand genommen. „Zeich­nungen“ von Delaunay und Leger schmücken den Band. Sie lösen in ihren kubistischen Orgasmen heitere Bestürzung aus.

Freudig überrascht hingegen Viktor Wittner durch sein Gedichtbuch Sprung auf die Straße. In ihm verrät sich ein ungemein starkes optisches Gesicht für den Zauber des Alltäglichen aus Großstadt und Landschaft und eine malerische Gewalt des Ausdruckes, der blitzhaft das geschaute Bild übergrellt, es in der Seele unverwischbar fixierend. Gedichte, wie „Die Stadt im Schnee“, „Das Gewitter ist da“, „Winde wachen auf“, sind unvergeßlich in der unübertrefflichen Darstellung des Ablaufes eines Naturgeschehens. Viktor Wittner ist es hier gelungen, die Grenzen des sprachlich Künd­baren glücklich zu erweitern. Auch der Rhythmus der Schnelligkeit, wie ihn „Die Fahrt“ aus der Bilderschau eines rollenden Eisenbahnwagens erfaßt, ist originell in der dichterischen Durchdringung der grandiosen technischen Nüchternheiten unsrer Zeit. Auch Wittner ist „neue Stimme“, wie ein Beurteiler preisend hervorhebt, aber eine, auf die zu horchen lohnt.

Anklage gegen das mechanistische Prinzip der aus­gleichenden irdischen Gerechtigkeit, verkörpert im Walten der Behörde, erhebt Josef Roth in seinem Roman Die

Rebellion. Das Werkzeug, dessen er sich bedient, ist der Kriegskrüppel Andreas Pum, ein armer Teufel und muster­hafter Untertan, der alle Störer der gottgewollten Autorität kurzweg „Heiden“ nennt und innig verabscheut. Trotz solcher Wohlanständigkeit gerät er aber doch ganz schuldlos in einen Konflikt mit der Staatsgewalt; die Räder der Maschine erfassen, zermahlen ihn. Was schließlich als Rest des braven Andreas Pum freigelassen wird, rebelliert innerlich und stirbt als überzeugter „Heide“. Knappe, humorige Ironie durchpulst die Erzählung. Ihre Menschen sind scharf Umrissen und lebens­wahr. Man gewinnt sie lieb, obwohl sie allesamt wenig liebens­würdig sind. In seiner Gestaltungskraft als Epiker zeigt Josef Roth bedeutendes Können, sein Stil hat Kultur, Farbe, leuch­tenden Schliff. Bedauerlich nur, daß die tendenziöse Einstellung des Buches seinem künstlerischen Wert insoweit Abbruch tut, als die innerliche Wahrhaftigkeit dann bewußt verleugnet wird,wenn die Behörde als ein Monstrum von Grausamkeit, Dünkel und Dummheit dem Opfer gegenübertritt. Gar so arg ist es im bürgerlichen Staat jenseits der Romanwelt nicht, der Zukunfts­staat auf Probe aber, den das bolschewistische Rußland dermalen zeigt, hat keinesfalls erwiesen, daß dort, wo alle Macht im souveränen Volke ruht, die Obrigkeit den in ihren Netzen zappelnden Unschuldigen etwa feinfühliger behandelt. „Es ist unten so wie oben und oben so wie unten“, hat der „hohe Ein­geweihte“ Hermes schon vor Jahrtausenden in Altägypten gemeint. Sollte dies bei irdischem Machwerk jemals anders sein können?

Bravouröse Gedanklichkeit, in ein Labyrinth umständlich geschachtelter Sätze verkeilt, bietet Karl Sternheim, heute schon Altmeister in der Kunst, gedanklich tief, aber schwer lesbar zu schreiben, mit seiner biographischen Novelle Gauguin und Van Gogh. Sie spielt im letzten Lebensjahr des großen Holländers und behandelt die Zeit, da die leidenschaftliche Feindfreundschaft zu seinem Antipoden, dem Maler Paul Gauguin, ihn künstlerisch aufpeitscht und körperlich vernichtet oder, genauer, letzter Anstoß zu seiner Vernichtung wird. Zur Seelenkunde Vincent van Goghs, des Nurkünstlers, der sich erschießt, als er erfährt, daß die Ruhmreklame für ihn dröhnend einsetzt, hat Sternheim mit dieser kurzen Veröffentlichung Wesentlichstes beigetragen.

Vier aktivistische Köpfe. Man freut sich immerhin, daß sie Profile zeigen. An Profillosigkeiten, die uns anmutig­ verschwommen beplaudern, herrscht im Dichterwalde ohnedies kein sonderlich fühlbarer Mangel.

In: Neues Wiener Tagblatt, 16.6.1924, S. 26.