Bodenwieser, Gertrud

geb. am 3.2.1890 in Wien – gest. am 10.11.1959 in Sydney; Tänzerin, Choreografin, Tanzlehrerin und Wegbereiterin des Ausdruckstanzes.

Aus: Radio Wien, 10.2.1922, S. 30.

Die Tochter jüdischer Eltern (Theodor und Maria Bondi) wurde von ihrer Gouvernante zu Hause unterrichtet und verfolgte bereits in jungen Jahren ihre Tanzkarriere. Von 1905 bis 1910 erhielt B. klassischen Ballettunterricht bei Carl Godlewski. Inspiriert von Isadora Duncan und Ruth Saint Denis entwickelte sie ab 1910 ihren eingenen Tanzstil. 1917 entschied sie sich für den Künstlernamen Bodenwieser. Am 8. April 1917 hatte sie ihren ersten Soloauftritt im Mozarthaus in Salzburg, an das sie auch in den Folgejahren zurückkehrte. Im Mai 1919 folgte ein Auftritt im Wiener Konzerthaus, von dem sich Publikum und Kritiker begeistert zeigten. Ein Kennzeichen ihrer als Tanzgrotesken firmierenden Darbietungen war u.a. der Versuch, durch den Tanz einen Bezug zur modernen, d.h. expressionistischen und kubistischen Kunst bzw. Malerei herzustellen, so in einem Bericht über ihren Auftritt in den Kammerspielen bei Max Reinhardt in Berlin im Mai 1920 (NFP,10.5.1920, S. 4). Im Juni 1920 heiratete B. den ebenfalls aus einer jüdischen Familie stammenden Theaterregisseur Friedrich J. Rosenthal. Als Lehrerin für Mimik und Tanz war B. von 1921 bis 1938 an der Musikakademie in Wien tätig, von 1922 bis 1939 führte sie auch eine eigene Tanzschule im Wiener Konzerthaus.­

Wer will Frau Wahrheit beherbergen? (Hans Sachs)
Aus: Die Bühne, H. 281 (1930), S. 3.

Mit ihren Arbeiten trat B. alleine und mit ihrer Tanzgruppe in (Stumm)Filmvorführungen, z.B. 1922 als Einbegleitung zum Monumentalfilm Das indische Grabmal, in Theaterstücken und in Bewegungschoreographien sowie in Sprechtheater-Inszenierungen auf, u.a in Franziska 1924, Der brennende Dornbusch (nach Oskar Kokoschka, 1926), Das Mirakel 1927, Die Masken Luzifers 1936. G. B. begleitete ihre Tanzkreationen oft mit programmatischen Reflexionen, die in Zeitschriften wie Die Bühne ab 1925 regelmäßig zum Abdruck kamen, sichtbar z.B im Beitrag Der Tanz des eigenen Ich (1925). Zudem organisierte B. Ensembletourneen durch Europa, 1934 sogar nach Japan. Die Tanzgruppe Bodenwieser (1923-1938) begründete in summa einen eigenen Tanzstil, der maschinelle Bewegungen in künstlerische Form zu übertragen versuchte (Dämon Maschine 1924). Im Rahmen der Schubert-Zentenarfeier 1928 wirkte G.B. mit ihrem Ensemble gemeinsam mit anderen (z.B. Grete Groß, Valerie Katinka) maßgeblich an den Tanzvorführungen mit bis zu 150 Mitwirkenden vor dem Rathaus mit. Auch am Tanzprogramm der Wiener Festwochen 1930-35 war G.B., meist in Kooperation mit G. Groß, nahezu durchgehend vertreten. 1930 choreographierte sie ein Tanzfestspiel nach dem Text Wer will Frau Wahrheit beherbergen? von Hans Sachs im Großen Konzerthaussaal, das auf großen Anklang stieß. 1931 nahm sie mit ihrer Gruppe als Vertreterin Österreichs an der Internationalen Olympiade des weiblichen Sports und des künstlerischen Tanzes in Florenz teil. 1932 unterrichtete sie am Reinhardt Seminar und gab imNovember desselben Jahres ein Gastspiel in Paris. Ab 1933 verschlechterte sich auch in Wien – trotz der Feiern zum 25-jährigen Bestehen des Wiener Kunsttanzes (s. Radio Wien, 10.2.1933, S. 30) – die Arbeitsbedingungen für Tänzerinnen und Tänzer. 1938 emigrierte B. über Kolumbien nach Neuseeland und schließlich nach Australien, wo sie bis zu ihrem Tod lebte. Maßgeblich an der Entwicklung des modernen Balletts in Australien beteiligt, wirkte B. auch dort als einflussreiche Künstlerin und Lehrerin.


Quellen und Dokumente

Gertrud Bodenwieser: Vom wahrhaft neuen Tanz. In: Moderne Welt, Jg. 3 (1922), S. 11.

F.: Das indische Grabmal. In: Die Neue Zeitung, 28.2.1922, S. 4; E. K.: Die Wiener „Franziska“ in Berlin. In: Die Bühne, H. 24 (1925), S. 5; Dr. F. L.: Bodenwieser Kokoschka Strawinsky. In: Die Bühne, H. 69 (1926), S. 9; Dr. M.: Theater und Kunst. Raimundtheater. In: Der Humorist, 24.9.1925, S. 2; Paul Stefan: Händels „Julius Cäsar“ ander Musikakademie. In: Die Bühne, H. 83 (1926), S. 4; Theater- und Kunstnachrichten. In: Neue Freie Presse, 10.05.1920, S. 4; Theater und Kunst. Tanzabend Fräulein Gertrude Bodenwieser. In: Salzburger Chronik für Stadt und Land, 7.4.1917, S. 5; Theater, Kunst und Literatur. In: Salzburger Wacht, 7.10.1920, S. 5; Der Tanz des eigenen Ich. Gertrud Bodenwieser und ihre Schule. In: Die Bühne, H. 17 (1925), S. 34f; Das Künstlerfest der Hochschule für Musik und darstellende Kunst. In: Die Bühne, H. 21 (1925), S. 29; Die Redoute der „Bühne“. In: Die Bühne, H. 60 (1925), S. 5; Die Revolte der Bühne. In: Die Bühne, H. 61 (1926), S. 33. Neun Wienerinnen tanzen in Florenz. In: Neues Wiener Journal, 14.6.1921, S. 12; Gertrud Bodenwieser spricht amDonnerstag, 16. Februar, über den Wiener Kunsttanz. In: Radio Wien, 10.2.1933, S. 28.

Literatur

Marie Cuckson/H. Reitterer: Bodenwieser, Gertrud (1890-1959). In: Australian Dictionary of Biography online; Andrea Harrandt: Bodenwieser (eig.Bondi), Gertrud. In: Oesterreichisches Musiklexikon online; Marina Sassenberg: Gertrud Bodenwieser. In: Jewish Women’sArchive online; Dance Notation Bureau’s (DNB): Demon Machine (1923)by Gertrude Bodenwieser, Tanzvideo online verfügbar.

(MP/PHK)