Arnolt Bronnen: Triumph des Motors. Kurzgeschichte einer Form

Arnolt Bronnen: Triumph des Motors. Kurzgeschichte einer Form (1929)

Wir haben uns an das Auto akklimatisiert, der Inhalt: ,Auto‘ ist eine Selbstverständlichkeit für uns gewor­den. Wie aber empfinden wir die Form? Wir sahen Versuche, die verschwanden, Möglichkeiten, die erst angedeutet wurden; sind wir überzeugt, daß das Auto so aussieht, wie es aussehen muß? Oder muß es so aussehen, wie es aussieht? Im Anfang war die Sänfte. Der Mann, der gehen wollte, ohne zu gehen — und der also in jenen finsteren Zeiten zum minde­sten ein König sein mußte —, nahm sich zwei oder auch vier Männer, gab ihnen Balken in die Hände und setzte sich darauf. Dann gingen die Männer, und er ging mit. Da er aber ein König war, so ergaben sich einige Formfehler; denn selbst, wenn er auf Balken saß, war er kleiner als ein gehender Mann. Man baute also ihm und seiner Würde ein Dach und rettete so das Bild des erhabenen Königs: ein großes Gehäuse in der Mitte, flankiert von den kleineren Trabanten, die es be­wegten.

Wenn dann späterhin auch das Pferd die Männer ersetzte, so blieb das Prinzip: wichtig zunächst war das ruhende Ele­ment, mochte es nun König oder Edelmann sein; es blieb formal betont; der bewegende Teil, Mann oder Roß, war nur zu Zwecken des bewegten da; man schmückte ihn — wenn es hoch ging —, ohne ihn zu erhöhen.

In den Jahrtausenden menschlicher Bewegungstechnik, welche dem Auto vorausgingen, hat sich an diesen Grund­sätzen nur wenig geändert. Es waren Gründe rein prak­tischer Natur, wenn zum Beispiel die Fahrer der Post­kutschen höher gesetzt wurden als die Insassen; obwohl hier bereits die Demokratisierung dieses Fahrzeugs mitsprechen mußte. Oder, wenn bei den königlichen Kaleschen die hintenauf stehenden Lakaien über das Wagengehäuse hinwegsahen, so lag das wohl an der langsam wachsenden Notwendigkeit, // das Leben der Insassen vor etwaigen aufsässigen Anschlä­gen besser schützen zu können. Im großen und ganzen kamen die Menschen an das Auto heran mit dem Gedanken, das Wichtigste am Gefährt sei der Mensch, Schönheit und Zweck des Gefährts sei der Mensch, Form des Gefährts sei der Mensch.

Allerdings war, und das be­schleunigte die Entwicklung des Kraftgefährts so erheb­lich, im Eisenbahnbau be­reits eine erhebliche Bresche in dieses anthropozentrische System geschlagen worden. Schon in den siebziger Jahren hatte die Lokomotive be­gonnen, den in ihr und auf ihr thronenden Menschen langsam in sich aufzusaugen, der bescheiden vor dem er­höhten Führerstand dahin­schleichende Dampfkessel hatte angefangen, sich aufzu­blähen, die Maschine hatte begonnen, sich selbst zu be­tonen. Doch lag den ersten Autobauherren durchaus der frevle Ge­danke fern, bei der Konstruktion eines „exklusiven“ Gefährts, wie sie sich das Automobil dachten, an eine so plebejische Sache sich anzulehnen, wie es die Eisenbahn war. Sondern sie kamen von der feudalen Kutsche und blieben ihr treu. Daß dieses erste Autogefährt, so um 1890 herum in Deutschland gezeugt, keine Pferde vor sich hatte, war gewissermaßen ein Manko; daß es von selbst lief, mehr eine Kuriosität; und daß es diese Kuriosität infolge der Anwesenheit einer Maschine besaß, war ein Geburtsfehler, den der Konstrukteur gewissermaßen diskret ver­schwieg. Die Maschine war zwar da; aber man schämte sich ihrer.

Das Elektromobil verdankt überhaupt seine ganze und verpfuschte Existenz die­ser Scham vor der Maschine. Ich er­innere mich noch aus meiner Jugendzeit jener schwarzen und läppischen Gefährte, die als ungeheuer vornehm galten, weil man ihre Maschinerie nicht sah. Sie lie­fen gespenstisch, langsam und lautlos durch die Straßen, versuchten noch einmal ein Prinzip zu retten, das die Ma­schine, indem sie sich ihrer bediente, ver­achtete; sie endeten, mit Recht, als unbe­liebte Bahnhofsdroschken.

Mit der Maschine aber ging es wie mit den kleinen Kindern; man hatte sie auf die Welt gesetzt, nun waren sie da, und es kam der Moment, wo sie, unerwartet, oft  unerwünscht, ein eigenes Leben entfalteten. Die Maschine wuchs. Man sieht, wie das Baby, klein und gebrechlich, vor den mächtigen Kasten gespannt wird, der den gewaltigen Herrscher der Wagen und Maschinen, den Menschen, trug. Schon die Form dieses Wagens ist absichtlich degradierend für den Motor; er ist wie der Nacken eines Sklaven, über den der König auf seinen Thron steigt.

Unter — formalen — Entbehrungen wuchs das Kind Auto­motor heran. Allmählich lief es zur Höhe der offenen Karos­serie auf, die ihrerseits von ihrem Hochmut abließ; sicherlich nicht infolge einer innerlichen Besserung, sondern weil sie den mit der Geschwindigkeit quadratisch wachsenden Staub fürchtete. Sie finden in den Jahren vor dem Kriege eine Art stabilisierter Form mit allen Kennzeichen einer Pubertät: eckiger Knochenbau, schlechtsitzendes, schlotterndes Karos­seriegewand, gebückte Haltung, ein wenig Minderwertigkeits­komplex; dabei liefen diese unebenen Dinger 1903 schon über die Hundertstundenkilometergrenze, 1914 erreichten sie 170 Kilometer.

Erst nach 1920 beginnt der große Umschwung: die Maschine erwacht; die Maschine tritt ihre Herrschaft an. Baute man bis­her den Motor vor die Karosserie, so baute man nunmehr die Karosserie hinter den Motor. Der Motor wird formgebendes Prinzip, er wird Ausdruck der Bewegung. An dem Bild des Roadsters wird das sichtbar, wie selbst ein in der Silhouette überragender Teil wie der Kabrioletteil formal beherrscht wird von dem sich spannenden, gebändigt herrschenden Motorteil. Immerhin befinden wir uns hier noch auf einem Gebiete des Gleichgewichts. Wir erwarten von diesem Roadster keine Rekorde an Schnelligkeit, und er liefert sie auch nicht. Dies ist ein guter, ruhiger, sicherer Wagen, für alle brauchbar, ein // besserer Demokrat, ein Ruhepunkt zwischen zwei Kriegen: Symptom der Epoche.

„Der Rennwagen von heute ist der Tourenwagen von morgen“, sagte Major Se[a]grave. Und dies, sehen Sie, ist auch das Bild von morgen: die rücksichtslose Herrschaft der Ma­schine, die Diktatur. In diesem „Golden Arrow“ ist der Mensch nur Nerv; und auch nur ein Nerv von vielen. Sein Auge, sagt Major Se[a]grave, ist ein Zielfernrohr, sein Hirn ist bereits unfähig, Richtung, gar Ende der Fahrt zu bestimmen; er steigt ein in den Wagen und schießt sich selbst los: in die Gefahr, ins Nichts, ins Unbekannte jedenfalls. Wir sehen es an diesem phantastischen Gebilde klar: der Mensch hat alle Dinge nur begonnen; vollenden wollen sich die Dinge selbst.

Und ihre Vollendung wird den Menschen vernichten.

In: Sport und Bild, Jg. 25, Nr. 7/1929, S. 458-459 u. S. 510.