Berta Zuckerkandl: Eine Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst in Wien

Berta Zuckerkandl: Eine Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst in Wien. (1923)

Eine soeben ins Leben getretene Vereinigung ist seit langen Jahren der Stagnation das erste begrüßenswerte Zeichen wiedererwachter europäischer Gesinnung und neuerstandener nationaler Pflichtbesinnung. Denn solche Polarität der Ziele zeichnet jede echte, wahre Förderung bildender Kunst aus. Sie muß ihre Aufgabe darin erblicken, durch die Heranziehung aller bedeutenden Erscheinungen, die jenseits der vaterländischen Grenzen wirken, jene Atmosphäre zu schaffen, die für die eigenen nationalen Kräfte erlösend, bestätigend und wegweisend in Wirkung treten kann.

             Diesmal sind es nicht Künstler, die Ludwig Hevesi’s seinerzeit über den Eingang zur Sezession gemeißelten Worte zur Tat werden lassen wollen: „Der Zeit ihre Kunst – der Kunst ihre Freiheit!“ Es sind Männer, die als Diener der Kunst, oder als ihre Förderer, sich auf eine Aufgabe besonnen haben, die in früheren Zeiten zu den stolzesten Pflichten der Kulturträger gehörten. Die beiden Direktoren der großen Kunstinstitute: der Direktor der Österreichischen Galerie, Dr. Haberditzl, und der Direktor der Albertina, Dr. Stix, gehören dem Ausschuß der neuen Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst an. Um diese schließt sich ein Kreis bedeutender Sammler und Mäzene, von Kunstgelehrten und anderen aktiv mit Kunstinteressen verknüpften Persönlichkeiten. Kein Künstler jedoch wird in die Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst aufgenommen. Diese lehnt jede aktive Vereinsbeteiligung seitens der Künstler ab. (Mit Zustimmung aller die Neugründung wirklich begrüßender Künstler.) Weil der Verein ja ausschließlich idealen Interessen der Kunst, losgelöst von jeder wirtschaftlichen Kunstpolitik dienen will. Jedes Parteiwesen, das unausweichlich sonst wuchern würde, soll dadurch vermieden werden. Ohne Rücksicht auf kaufmännische Notwendigkeiten ohne jeden wirtschaftlich orientierten Zwang: frei von den Fesseln, welche im allgemeinen jetzt die Künstlervereinigungen zu Sklaven des Marktes machen, soll nach dem Willen der neuerstandenen Kämpfer die um ihre Entwicklungsmöglichkeiten schwer ringende Zeitkunst Schutz und Pflege finden.

             Es gilt also wieder einmal durch Konzentrierung williger geistiger Kräfte der Verdorfung Wiens entgegenzutreten. Als das Dringlichste erscheinen den neuen Förderern neuer Kunst vorerst zwei Dinge. Diese sind: Wien endlich wieder Gelegenheit zu bieten, mit europäischer Kunst in Kontakt zu treten. Und innig verwebt damit ist die zweite Aufgabe: der energische Versuch, eigene Talente, das Streben der Wahrhaften im Lande zu suchen, zu finden und ungestörter Entwicklung zuzuführen, so wie dies in Zeiten jedes intensiven Mäzenatentums das künstlerische Profil einer Epoche stolz, eigenartig und dennoch demütig gestaltete. Hier denkt die G. Z. F. M. K. eine neue, für Kunstliebende und Künstler gleich erzieherische Methode einzuführen. Nämlich, sie wird, um jungen Künstlern, die entweder dem Stil der Zeit allzu genialisch vorauseilen (wie es einst bei Kokoschka der Fall war), oder für jene Schaffenden, die für den starken Inhalt ihres Ausdruckswillens die erlösende Form erst allmählich zu finden imstande sind, folgendes in Szene zu setzen. Um dem brutalen Mißverstehen oder der Laien Ungeduld sowie der öffentlichen Aburteilung die Produktion noch unklar Strebender zu entziehen, werden geschlossene, dem allgemeinen Publikum nicht zugängliche Ausstellungen geplant, die allein nur den Vereinsmitgliedern zugänglich sein werden. Auf diese Weise ist dem jungen Künstler eine Atmosphäre geschaffen, in der er furchtlos an sich arbeiten kann.

             Die Programmpunkte der neuen Kunstgesellschaft sind vorläufig diese: Eine repräsentative Ausstellung österreichischer Kunst in gedrängter, aber aussagender Auswahl in Wien zu zeigen. Wahrscheinlich als eine deutsch-französisch-russische Ausstellung. Dieser soll dann eine hochqualifizierte kleine internationale Ausstellung folgen.

             Vor allem aber ist als Auftakt der Tätigkeit, die die G.Z.F.M.K. entwickelt, die gestern (Samstag) im Theseus-Tempel eröffnete kleine Ausstellung von einigen Skulpturen und Zeichnungen Anton Hanaks zu betrachten. Denn damit wollte der neue Verein seine Stellung zu Hanak, dem größten deutschen Bildhauer, dem die die Stadt seines Wirkens, dem Wien so viel schuldig geblieben ist, feierlich kundtun. Im Mai wird dann eine umfassende Kokoschka-Ausstellung folgen. Seit zehn Jahren schafft dieser österreichische Künstler, den einst die Klimt-Gruppe trotz des deshalb gegen sie inszenierten Entrüstungssturmes mit seinem Erstlingswerk eingeführt hatte, fort von Wien in Deutschland. Nun hofft die G.Z.F.M.K. die Marksteine dieses zehnjährigen Schaffens vereinigen zu können. Kokoschka ist heute der höchst bezahlte Künstler deutschen Landes und einer der gesuchtesten im Auslande. Es gibt kaum ein Bild von ihm, das sich nicht in Mäzenenbesitz befände. Und es wird schwerfallen, aus Museen und Sammlungen seine Werke zu erhalten.

             Was in Zeiten wie diese jetzt durchlebten die Verwirklichung auch nur eines Teils dieses Programms an Energie und Hingebung verlangt, ist kaum zu werten. Auch an Enttäuschungen wird und kann es bei einer so intensiven Arbeit nicht fehlen. Aber jede Zeit hat das Recht auch auf ihre eigenen, selbst erworbenen, selbst erlebten Enttäuschungen. Auch sie sind produktiv. Denn von jeder Kunstentwicklung gilt das Wort, welches George Clémenceau einst auf die große französische Revolution geprägt hat: „La revolution est un bloc!“. Als ein ganzes muß und soll der Versuch beurteilt werden. Wien wieder zur Stadt wacher Kunst zu erheben. Und die außerordentliche Teilnahme, // welche sich, noch ehe die eigentliche Werbung, die erst jetzt einsetzt, begonnen hat, durch die spontane Anmeldung von zweihundert Mitgliedern kundgibt, zeigt, daß die G.Z.F.M.K. einer tiefen Sehnsucht Form zu geben im Begriffe ist.

             Die äußeren Zeitverhältnisse erscheinen vielleicht ungünstig. Aber gerade an dem Druck, unter dem Wien gegenwärtig steht, entzündet sich die Überzeugung, daß eben nur die Anspannung aller geistigen und künstlerischen Kräfte Wien seine führende Rolle wieder gewinnen kann.

             Nun gilt es vor allem, dies zu begrüßen: Daß die Warte eingerichtet worden ist, von deren Höhe man Kunstland überblickend, die Frage, welche die bildenden Künste seit dem Weltkrieg nicht mehr stellen konnte, entscheidend beantworten wird. Die Frage: Wo halten wir?

             Der Vorstand der Gesellschaft moderner Kunst in Wien besteht aus den Herren Dr. Emil Franck (Vorsitzender), Doktor H. Eißler, W. W. Gartenberg, Regierungsrat Doktor F. M. Haberditzl (Direktor der Österreichischen Galerie), Dr. F. Halle, Dr. K. Rathe, Direktor F. Steinitz, Professor Dr. Alfred Stix (Leiter der Albertina).

In: Neues Wiener Journal, 22.4.1923, S. 4-5.