F. Th. Csokor: Ferdinand Bruckners neues Drama

F. Th. Csokor: Ferdinand Bruckners neues Drama. (1933)

Aus Zürich wird uns geschrieben: Wie nahe, wie auf­wühlend nahe uns der Hintergrund von Ferdinand Bruckners neuem Drama Rassen steht, das bewies der ungestüme Beifall, der sich im Schauspielhaus nach dem Stück vehement entlud. Und das, obgleich in den drei Akten manches mehr meditierende Auseinandersetzung als mitreißende Handlung ist, obgleich Bruckner selbst — mit seinen Worten — den Begriff „Rasse“ als zugleich „unannehmbar und unabsetzbar“ dis­kutieren will.

Dazu wählt er die jüngste Vergangenheit in einer kleinen westdeutschen Universitätsstadt, den März 1933. Noch lodert die weiße Flamme Friedrich Hölderlins aus den jungen Studenten, unter denen bereits Meinungen gären, die sie später von einander absondern und bis in die engsten Beziehungen zwischen Mensch und Mensch den kalten Scheidungsschnitt führen. Diese Konfrontation eines welt­umspannenden Kosmopolitentums mit den akuten Symptomen einer neuen Idee macht Bruckners Stück die Objektivität, die es anstrebt, so schwer, denn unwillkürlich setzt es die Fieber­kurve eines Volkes, das eben seine Form wechselt (dahingestellt ob zum Besseren oder Schlechteren), damit zum Dauerzustand ein. Auch fehlt auf der Gegenfront jener jüdische Typus — es gibt ihn —, der mit dem stumpfsten seiner Gegner im gleichen Querschnitt liegt, und gerade ein solcher wäre in seiner Wandlung unter der Stichflamme des allgemeinen Um­schwunges, die ihn zu einer neuen Haltung oder zum Bekenntnis nötigte, sehr wichtig gewesen.

Also wird das Thema bei Bruckner vom Titel weg mehr zu dem ewig unausrottbaren Klassenkampf der Nervensysteme hin verschoben, der den Roheren biologisch wider den Zar­teren stachelt, jenseits von Gesinnung und Rasse. Die dramatische Gleichgewichtsstörung, die sich daraus ergibt, geht in der erregenden Zwangsläufigkeit verloren, in der Schicksale junger Leute gegeneinander geworfen werden. Ins Er­schütternde wächst darin die Gestalt des Juden Siegelmann, der der öffentlichen Ächtung verfällt, und seines Gegen­spielers, des jungen Carlanner dem „das neue Wesen“ das Herz spaltet. Die Vision Christi überschattet sie schließlich beide barmherzig.

Die Uraufführung war ein ganz großer Abend des tapferen Züricher Schauspielhauses und seines Leiters Ferdinand Rieser samt seiner ausgezeichneten Schauspielerschaft. Gustav Hartung besorgt die Regie; dank ihrer liebreichen Eindringlichkeit wird das Mündungsfeuer der dramatischen Antithesen dieser Schlacht im Dunkeln besonders deutlich. Die Studentin, von der sich Carlanner zu Beginn der Handlung aus Rassegründen trennt, um ihr dann als Todgeweihter wieder zu begegnen, verkörpert Sibylle Binder voll der trancehaften Verlorenheit eines Menschen, dem keine Fahnen den schmerzhaft klaren Blick benehmen können. Nachtwandlerisch ist auch Ernst Ginsberg neben ihr; wie er während der Verhaftung mit seinem Gott redet — das wird nicht nur dichterisch zum Siedepunkt des Stückes.

Emil Stöhr und Josef Zechell sind die jungen Studenten, die zu gegensätzlichen Ergebnissen geführt, dennoch Brüder im Herzen bleiben, ewige Gegner jenes Rosloh, dem Wolf v. Beneckendorff alle triebhafte Schärfe eines Fanatikers ein­schmiedet der seine Idee mehr fühlt als begreift. Einen Fa­brikanten, der sich mit Herz und Firma zu Deutschland rechnet, zeichnet Erwin Kaiser tragikomisch in dem vergeblichen Wunsch nach Anonymität seiner Rasse.

Daß hier kein auf Aktualität zielender Spekulant, sondern ein sich schwerblütig auseinandersetzender Mensch durch das Stück spürbar wurde, das half vor allem, den Erfolg zu einem einhelligen zu machen.

In: Neues Wiener Tagblatt, 6.12.1933, S. 9.