Eugen Hoeflich: Literatur

Eugen Hoeflich: Literatur (1918)

            Als ich sah, daß aus diesem Kriege doch nicht das das Schreiben hindernde Schamgefühl, das dem letzten Erkennen der eigenen Relativität entfließt, geboren wurde, zog ich mich gerne und leichten Herzens von den Kreisen der „Talentierten“ vollends zurück, ging weg, und nahm mir vor, nichts zu lesen und das Theater zu meiden. Ich versuchte zu übersehen, was ich nicht mit mir in Verbindung bringen wollte. Diese neuen Monate, die ich fern aller Literatur und ihrer Mache an der Grenze der Wüste verbracht habe, gaben meinem Entschlusse Recht, denn ich erkannte, dem Leben näher als je, daß nichts berechtigt ist, zu sein, das seine Existenz auf künstliche Affekte stellt, denen nie und nimmer Taten entbluten können. – Vielleicht bin ich zu unliterarisch, daß mir im Anfang nicht das Wort, sondern die Tat war, daß ich als Kind den Mond wollte oder den Tod des Hundes, der mich anbellte und mich weigerte, Surrogate für Mond und Tod entgegen zu nehmen. So kann ich es auch nicht über mich bringen das Hantieren mit Unsicherheiten, Gefühlchen und unklarer Sehnsucht als Literatur zu werten, wo verschlagene Erotik oder aller Grandiosität bare Ruhmsucht Hintergrund ist. Ich sah, daß die der Dichtung notwendige Ekstase nichts anderes ist als Hysterie im ekstatischen Gewande, Assimilationsfähigkeit und Werten der Konjunktur. Nun erkenne ich die ungeheure Distanz, die die Literatur dieser Tage von Kunst einnimmt, von dem gewissen Gesetzen unterworfenen Ausdrucke eines formenden Willens.

            Literatur darf nicht außerhalb des Lebens stehen, sie muß ein ehrliches inneres Parteinehmen sein, subjektiv bis ins Letzte – Objektivität ist ja unmenschlich –; Literatur muß Forderung sein, Wille, Ekstase und Weg.

            Als ich unten in der Wüste den Entschluß faßte, mich gegen die Götter meines Volkes zu stellen, um dem alten Gott der Wüste, dem Gott der Tat, den Tempel wieder zu bereiten, glomm in mir die Erkenntnis des Lebens auf und ich erfaßte was mir europäische Kultur zu erfassen verwehrt hatte: die Unbedingtheit des Lebens und aller seiner Äußerungen, die Bahn und die Forderung, das Ziel und die Tiefe, den Weg der lodernden Inbrunst, aktives Fordern im Wunsche der Tat, die aus dem Herzen quillt; der Konzentration der Gefühle zum heischenden Wunsche entschwand sich mir das Erkennen der steten Bewegung nach einem Ziele, die feind ist der Trägheit des Herzens und des Gehirns, und ich glaube nun, daß das nur lebenswert ist, was Fließen ist, aktives Fließen, aktiver Wille, Forderung, die zwingt und durch Innerliches erzwungen wird.

            Wenn ich mich auch nicht als Europäer fühle, sicher meines asiatischen Blutes, dem der große Geist Asiens stets Ziel des Suchens war, trotzdem ich auf dem Wege meines Volkes mein Absolutes gefunden habe, auf dem Wege, dem die endgültige Richtung nach dem Asien der Propheten und Juda makabis, dem Asien der wirklichen Liebe und des ehrlichen Hasses, der großen und konsequenten Gefühle zu geben mir Pflicht ist, trotzdem bin ich der deutschen Literatur zu dankbar, um es nicht als unerträglich zu empfinden, daß sie, trotz vieler Mätzchen im Hafen der stillen bürgerlichen Herzensträgheit vermodert. Mein Wunsch für sie ist: Schreie, Toben, menschliche Frohheit, die den Tod mit dem Leben überwindet, Entschlüsse, Leben, Leben und weniger Proklamationen des Wortes. Solche Dichter wünsche ich Deutschland.

            Dazu aber glaub ich müssen erst Menschen kommen, die nicht Begeisterung mit Ekstase und nicht Wünschen mit Wollen verwechseln.

In: Das Flugblatt. Hg. von Oskar M. Fontana und Alfons Wallis, H. 3/März 1918, S. 12