Hugo Glaser: Die Kaiserin der Liebe

Hugo Glaser: Die Kaiserin der Liebe (Über A. J. Koenig: Der heilige Palast) (1922)

Der griechische Geschichtschreiber Prokopius von Cäsaren gibt in seinen Memorien ein geradezu er­schreckendes Bild von der Lasterhaftigkeit der Kaiserin Theodora, die an der Seite Justinians, des oströmischen Kaisers, in Byzanz herrschte. Die jüngere Geschichtsforschung, die zur Beurteilung dieser Zeit, des sechsten Jahrhunderts, auch andre Quellen kennt als die Erinnerungen eines von Haß erfüllten Geheim­schreibers, ist geneigt, den Charakter dieser Kaiserin milder zu beurteilen und von den Übertreibungen Prokops sich loszusagen. Jedoch man begreift, daß sie, deren Laufbahn zweifellos in Zirkustheatern und in jenen Häusern, an denen farbige Laternen die Gäste lockten, Stationen machte, auch nach ihrer Thron­besteigung die Vergangenheit der Hetäre nicht völlig vergessen konnte. Aber historisch beglaubigt ist auch, daß sie nicht nur die zur Augusta erhobene Geliebte Justinians war, sondern auch als Herrscherin auf einem Thron saß, den ihre Klugheit und ihr Mut in schweren Tagen zu stützen verstand. Damals zum Beispiel, als der // berühmte Nika-Aufstand das oströmische Kaisertum zu vernichten drohte, der Kaiser und seine Berater zu ver­zweifeln schienen und sie, die Kaiserin, die An­ordnungen zur Unterdrückung der Revolution klar und zielbewußt, grausam und mutig gab.

Es ist klar, daß in dieser Frau die hervorragendsten Eigenschaften, im Guten und im Bösen, vereinigt sein mußten. Es gab auch andre schöne Mädchen in der Hafengasse, sie aber wurde Kaiserin. Den Roman dieses Lebens künstlerisch zu verwerten, die großen Erlebnisse phantasievoll auszugestalten, hat jetzt eine Wiener Schriftstellerin unternommen (Alma Johanna Koenig, Der heilige Palast. Rikola-Verlag, Wien 1922). Und um es gleich zu sagen: das Ergebnis ist ein Roman von so spannendem Inhalt, von einer derartigen Farbenglut, von solch glänzenden Schilderungen, daß er den besten Romanen, die die Verfallszeit einer alten Kultur zum Gegenstand wählten, beigezählt werden muß. Künstlerisch werden hier die Sternchen zusammen­getragen, aus denen das Mosaikbild besteht, und die die Geschichte nicht bot, werden durch die Phantasie ersetzt, die in alle Kühnheiten der justinianischen Epoche einzudringen vermag. Wo die historische Überlieferung versagt, setzt die Dichtung ein; gibt jene die Wirkungen, so vereint diese die Ursachen, die vielen Ursachen, die aus dem kleinen Zirkusmädchen die große Kaiserin machten, die Kaiserin der Liebe.

Auf der Schwelle des Zirkus Konstantinus fand man das weggelegte Kind mit dem amethystenen Doppel­kreuz über dem Hemdchen. Der ganze Zirkus strömte zu­sammen, um das Kind zu sehen, und man gab ihm den Namen Theodora, da es ja doch ein Geschenk Gottes war. Und dort, wo sie auch ihr Leben empfangen hatte, zwischen Käfigen und Tieren, wuchs sie auf und atmete den Geruch der Löwen und Tiger ein. Sie war noch lange ein Kind, als sie zum erstenmal in die Arena trat und tanzend vor der klatschenden Menge die Schleier zerriß, die ihren kleinen Körper verhüllten. Der Bischof Vigilius, der sie damals sah, sagte es gleich: „Dieser Käfer da wird einmal die größte Dirne von Byzanz.“ Die Zirkusspiele gingen indessen weiter. In Pantomimen, die von den Heroinen der Griechen und von den Mysterien der Bibel die Stoffe nahmen, tanzte sie das Spiel der Liebe und ließ den erblühenden Garten ihres Körpers im Dichte der Arena leuchten. Aber eine Unmut, die sich nie verlor, und ein Stolz ihrer Schönheit, die nicht zu übertreffen war, stellte ihre Leistungen hoch über die der andern Zirkusdirnen. Daran konnte auch Prokop nichts ändern, der sich veranlaßt sah, sicherlich nur über höheren Auftrag, gegen die Ver­wendung biblischer Motive bei solchen Zirkusdarbietungen einen scharfen Erlaß zu richten. Unterdes war Theodora herangereist, und den Lustgreisen der Kinderjahre folgte die Legion der Liebhaber: Hekebolos, der Kaufmann, der wie ein Sieger aussah, viel­leicht der einzige, der von ihr geliebt wurde, Krieger und Sieger, die wie Kaufleute handelten, Matrosen und Sklaven, bis wieder eine neue Welle des Lebens Theodora aus den Niederungen emportrug und sie zur Freundin des Griechen Agathon machte. Ein neues Dasein begann, das Leben einer Hetäre, der nichts versagt wurde. Antonina wird ihre Freundin, die Ge­liebte des Feldherrn Belisar, und vielleicht wurde auf diesem Wege die Beziehung zu Justinian hergestellt, ihrem späteren Gemahl.

Der junge Kaiser mag auch sonst von der berückend schönen Hetäre gehört haben. In einer Szene, die an dramatischen Effekten nicht zu überbieten ist, schildert Alma Koenig das erste Zusammentreffen Justinians mit Theodora. Er verlangte, was auch die andern Männer begehrten, und sie verlangte von ihm, wie stets von jedem, alles, was er zu geben habe, nur daß es diesmal eine Kaiserkrone war. Und in derselben Nacht erfolgte die Komödie der Trauung, die aus ihr eine Kaiserin machte, „die gottgesandte und unantastbare Kaiserin…“. In dem heiligen Palast, in der fürst­lichen Siedlung, die zehntausend Menschen beherbergte, wurde sie nun Herrin. Sie war die geborne Herrscherin, und die neue Rolle fiel ihr nicht schwer. Sie wurde die Beraterin in allen Regierungssachen, sie ließ den Nika-Aufstand unterdrücken, sie pflegte den schwerkranken Kaiser auf das aufopferungsvollste, wußte sie doch, daß sein Sterben auch ihren Tod bedeuten müßte. Groß war die Zahl ihrer Feinde: Prokop, der Geheimschreiber, Narses, der Feldherr, das ganze Volk. Und viele liebten sie. So wie früher. Bloß, daß die Liebhaber kein zweitesmal kamen; der Dolch eines Sklaven sorgte für die Verschwiegenheit der Beschenkten…. Grauenvoll war das Ende dieser Kaiserin. Der Wahnsinn tobte in ihr, und aus den Halluzinationen der vom Irrsinn Gequälten drohte gräßlich der Lerchenkops eines getöteten Liebhabers, des letzten, der im Sterben ihr verkündet hatte, er werde wiederkommen, immer wiederkommen.

In diesem Roman, der so reich an prächtig gezeichneten Nebenfiguren ist, ist der Kaiser an zweite Stelle gerückt. Eiseskälte umgibt ihn, Aszetentum und kühlste Diplomatie macht aus ihm eine Persönlichkeit wie aus einer viel, viel späteren, der Renaissancezeit. Er war aber doch auch etwas mehr als der Gatte der Theodora. In Justinian schätzt man den Begründer des Corpus juris, der Gesetzessammlung, die für viele Jahr­hunderte die Grundlage aller Rechtsprechung wurde. Seine Regierung wurde auch bedeutend durch die Zahl der glänzenden Bauten, die er hatte ausführen lassen. In sechs Jahren emsiger Tätigkeit vollendeten zehntausend Arbeiter die Kirche der heiligen Sophia, die jetzt die Hauptmoschee ist. Aber zu der vielfältigen Liebe der Kaiserin stehen diese Taten Justinians in keiner Be­ziehung, und es ist das Recht des Dichters, die Stoffe der Geschichte frei zu gestalten. Auch die Theodora des Romans ist nicht die Theodora der Geschichte. Die Er­innerungen Prokops beeinflussen ihre Wertung, und wenn Prokop von seiner Kaiserin wirklich so gestraft wurde, wie es in dem Roman der Alma Koenig geschildert wird, dann begreift man den Haß, den der Geschichtsschreiber gegen Theodora hegte und der ihn später veranlaßt, ihr in seinen Denkwürdigkeiten das Zeugnis abzugeben, daß sie an Sittenlosigkeit nicht mehr zu übertreffen war. Aber es handelt sich, wie bei allen Romanen, die man als historische oder als kultur­geschichtliche wertet, auch hier nicht darum, die Grenzen zwischen geschichtlicher Ueberlieferung und phantasie­voller Ergänzung zu ziehen. Interessanter wäre die Frage, warum in Romanen aus der Römerzeit immer wieder nur die Epoche des Niederganges geschildert wird, die Zeit, in der die Fäulnis des Reiches, des Westens wie des Ostens, Zustände schuf, aus deren Sumpf eine Theodora eigentlich doch nur als groß­artige Blüte hervorwachsen konnte. Aber die ganze vor­christliche Zeit römischen Heldentums mit ihren so großen Menschen und bedeutsamen Taten hat zuweilen Tragödiendichtern, nie aber zu einem großen Werk einem Romanschriftsteller Interesse geboten. Vielleicht hängt dies mit den Neigungen der Dichter zusammen — oder noch mehr mit denen jener, die ihre Bücher lesen.

In: Neues Wiener Tagblatt, 24.5.1922, S. 2-3.