N.N.: Der derzeitige Stand der internationalen Kulturbundbewegung

N.N.: Der derzeitige Stand der internationalen Kulturbundbewegung. Mitteilungen des Prinzen Karl Rohan. (1925)

Der Generalsekretär der Fédération Internationale des Unions Intellectuelles, Prinz Karl Anton Rohan, hat kürzlich in einer Pressekonferenz nähere Mitteilungen über die bisherige Tätigkeit sowie über das Aktionsprogramm des Kulturbundes gemacht, wie es schon vom kommenden Herbst angefangen in extensiver Weise zur Durchführung gelangen soll. Man erfuhr von den Fortschritten, die die Bewegung fast allen Ländern Europas bereits gemacht hat. Im Italienischen Kulturbund zum Beispiel sitzen Fascisten und Antifascisten friedlich nebeneinander, was in Anbetracht der hochgespannten Gegensätze gerade in diesem Lande höchst bemerkenswert ist. Internationalen Ausdruck fand die Bewegung zum erstenmal in der gründenden Versammlung der Fédération Internationale des Unions Intellectuelles im vergangenen November in Paris, an der bereits zehn Nationen teilnahmen. Ein genau detailliertes Aktionsprogramm legte sowohl die Ziele als auch die Arbeitsmethoden der nationalen Kulturbundorganisationen fest. Im wesentlichen handelt es sich dabei um die Organisierung des internationalen geistigen Austausches, von  Durchreiseerleichterungen, Empfängen Veranstaltung von Vorträgen usw. Auf dem großen

Bankett, das unter dem Vorsitz des jetzigen Ministerpräsidenten Painlevé den Schluß dieses Kongresses bildete, und bei welchem sämtliche Redner in ihrer Sprache begannen, sich selbst übersetzten und Französisch endeten, ereignete es sich zum erstenmal, daß vor einem offiziellen und überparteilichen Frankreich eine deutsche Rede gehört werden konnte. Ja, mehr als das: Als Painlevé dem Vertreter Deutschlands, Kurt Wolfs, das Wort erteilte, brach eine förmliche Applaussalve los. Die menschlich warme Atmosphäre, die dadurch entstand, kennzeichnete auch die darauffolgende Soiree, auf der Deutsche und Franzosen sowie

Angehörige aller möglichen anderen Nationen sich in einer Weise zu einander fanden, als hätte es nie einen Krieg gegeben. Der nächste Internationale Kongreß findet am 2., 3. und 4. November d. J. in Mailand statt.

Dieser raschen internationalen Entwicklung entsprechend war es notwendig auch den Wiener Kulturbund auf eine breitete Grundlage zu stellen. Vor wenigen Tagen erfolgte

die konstituierende Sitzung des erweiterten Gründerausschusses. In der aus diesem Anlasse ausgegebenen Kundgebung heißt es: „Bisher sind in sechs europäischen Hauptstädten Vereinigungen geschaffen worden, die das erschütterte Fundament der gemeinsamen  Voraussetzungen geistigen Lebens wieder aufdecken. In ihrer Zusammenarbeit knüpfen sie an die dauernden geistigen Zusammenhänge Europas an, um sie wieder lebendig zu machen

und weiter zu führen. Der „Kulturbund“ und seine Schwesterorganisationen verfolgen dieses Ziel auf dem allein sicheren Boden der freien Berührung einzelner Persönlichkeiten. Er glaubt, seinen Absichten dadurch am besten zu dienen, — daß er sich bewußt jenseits aller politischen Ziele stellt; er ist sich des zuletzt identischen Wesens und Gehaltes Europas sicher, daß er gerade in der Bejahung und Entfaltung der national selbständigen Ideale den Weg zur Erreichung seines Endzweckes sieht. Nach den Jahren des ersten Aufbaues steht der Kulturbund in Österreich bereits vor den ersten praktischen Erfüllungen seines Gedankens Ein internationaler geistiger Verkehr von hoher und lebendiger Intensität ist organisatorisch vorbereitet Er verlangt nun auch in Wien, wo die Bewegung wurzelt, die Teilnahme und Mitarbeit aller jener, die über allen Gegensätzen nicht eine höhere geistige Gemeinschaft und ihre fruchtbaren Anregungen verlieren wollen.

Auskünfte erteilt das Sekretariat des Kulturbundes, Wien, 6. Bezirk, Linke Wienzeile 4.

In: Neue Freie Presse, 22.6.1925, S. 6.