Oskar Maurus Fontana: Vertrustung der Wiener Theater

Oskar Maurus Fontana: Vertrustung der Wiener Theater (1921)

Sicher, daß die heutige Form des Theaters eine absterbende ist, daß wir ihre Agonie mitmachen, in der allerdings Jahrzehnte wie Augenblicke zählen. Ebenso sicher, daß keine neue Theaterform bisher erschien, die Dauer hatte oder umfassend war. Eine jede beschränkte sich auf einen Teil, auf einen Ausschnitt des großen Fragenkreises: wie bringe ich das Theater und die Allgemeinheit zusammen.

             In Wien versucht man jetzt die primitivste Lösung, die oberflächlichste, man will verschiedene Theater zu einem Trust der Kapitale verbinden, dann kämen automatisch goldene Zeiten für die Geldgeber, das Publikum, die Schauspieler, die Textmacher. Bisher blieb die Vorbereitung zum Trust unterirdisch, aber man hört die Arbeit vieler Maulwürfe, denn es sind mehrere Konsortien tätig. Auswärtiges Kapital, inländische Millionen sollen Operette und Schauspiel zusammenschließen, die Staatstheater umfassen, so daß schließlich als letzte Einzelgänger das Deutsche Volkstheater, das Bürger-Theater und das Carl-Theater übrig blieben. Vielleicht liegen auch die im Bereiche der Trustpläne, vielleicht geraten noch einige Theater mehr als die genannten aus dem Bereich, sicher aber ist, daß von mehreren Seiten die Vereinigung einiger Wiener Bühnen versucht wird und daß die verschiedenen Konsortien die Absicht zeigen, sich ihrerseits wieder zu vereinigen und so die Vertrustung der Wiener Theater herbeizuführen.

             Wenn das gelänge, so wäre es das Ende der Wiener Theater, so wäre seine Automatisierung vollzogen. Das Schauspiel würde vollends zum Anhängsel des Exportartikels „Wiener Operette“ und als weniger einträglich und immer mehr weniger einträglich (da es durch den Mangel an Pflege ganz verwahrloste), nur des Prestiges wegen vielleicht noch das Burgtheater gehalten. Die Umwandlung der Schauspielhäuser in große Kinos ergäbe sich ganz von selbst, ähnlich wie es jetzt mit den Zirkusgebäuden geschehen ist und geschieht. Was das Wiener Theaterleben brauchte, um zu erstarken, um über seine Enge hinauszuwachsen, ist Antrieb, ist Wettbewerb, ist Begeisterung. Die geringen letzten Spuren davon, die sich noch in einigen Wiener Theatermenschen gerettet haben, gingen bei der Vertrustung ohne Erbarmen zum Teufel. Wer es nicht glaubt, ist reif zum Verwaltungsrat im Wiener Theatertrust.

             Nun wird immer gesagt, alle die Wiener Kapitalisten, die den Trust wollen und fördern, tun es nur aus Idealismus, sie wollen kein Geld verdienen, sie wollen der Kunst helfen. Aber einem Ertrinkenden kann nur einer helfen, der sich selber in den Strom wirft, nicht einer, der nicht einmal am Ufer steht, sondern mit dem Fernrohr aus seinem kilometerweit entfernten Fenster den Vorgang beobachtet. Ich nehme an, sie alle sind Idealisten, der Mensch ist gut // und ich bin nicht böswillig. Aber in ihnen lebt – und das ist das Unglück – ein falscher Idealismus, ein Goldschnittidealismus, aber kein Idealismus, der aus einer Idee, der aus dem Geist kommt. Daher, aus ihrer Beziehungslosigkeit zum Theater, zur Kunst stammt ihre Hilflosigkeit, ihre Ratlosigkeit in Personenfragen. Die hat es fertig gebracht, daß bereits ein Theater, die Volksoper, künstlerisch allen Wert verloren hat, durch die Unbeständigkeit ihres ersten Vertrauensmannes, des Herrn Weingartner, mit dem dieses oder ein anderes Konsortium die beiden Staatstheater pachten wollte und uns herrlichen Zeiten entgegenzuführen versprach und sehr ungehalten war, als die „Republikaner“ darauf nicht eingingen. Und dieselbe Unkenntnis der Realität zeigten die realen Geldmänner bei der Wahl ihres zweiten Vertrauensmannes, Herrn Rainer Simons, der jetzt beide Staatstheater pachten wollte und uns versprach, was Wilhelm II. 1914 versprach, der aber die Volksoper nur zu einer Festung machen konnte, daß Sänger, Kapellmeister, Bühnenarbeiter ihm den Eintritt ins Theater verwehren, und mit ihm nicht einmal der heimgekehrte Weingartner etwas zu tun haben wollte. Dieser zweimalige Zusammenbruch sollte als Beispiel allen genügen, wohin es führt, wenn nur das Kapital allein in Theaterdingen entscheidet: zum Ruin der Schaubühne. Was der Volksoper geschah, droht allen Wiener Theatern, droht allen Trusten ernster (Nichtoperetten-)Theater: Niedergang der Kunst und Aufstieg des Defizits. Niemals noch war die Volksoper wirtschaftlich so herunter, ging ihr Abgang in die Millionen wie jetzt, da die Geldmänner sie retten wollten.

             Diese Idealisten wollen nichts bei dem Trust verdienen. Was wahr ist. Aber nicht minder wahr ist, daß sie dabei nicht ihre Hosen und Hemden verlieren wollen, dazu sind sie alle zu tüchtige und gewitzte Geschäftsmänner. Sie werden wissen, daß das Geld seine eigenen Gesetze hat, daß es umgesetzt werden will, daß es nicht liegen kann und daß laufendes Kapital entweder wachsen oder schwinden muß. Es kann nicht gleich bleiben. 50 Millionen, in einen Betrieb investiert, sind in einem Jahr entweder 150 Millionen oder 10 Millionen. Und das heißt, dieser Idealismus muß Geschäfte machen, will er sich nicht, plötzlich am Theater desinteressiert, wieder in seine Banken und Fabriken zurückziehen. Das Ende wäre dann verlorene Kapitalien, verwüstete Theater, „daß noch in zehen Menschenjahren kein Pflanzer auf der Brandstatt ernten soll“.

             Alle die Mittel, die vom Trust als Heilung angepriesen werden, verraten wirklich Unwissende oder sich unwissend Stellende. Verbindung eines Verlags mit einem Theater zum Beispiel – eines dieser Mittel – kann nur bei Stücken rentabel sein, die in einer Serie ausgenützt werden, weil ja der Verlag in dem Aufsaugen der Produktion selbst bei den größten Mitteln, aber besonders bei unserer Valuta beschränkt ist, dem Theaterspielplan nicht genügend Bewegungsfreiheit gibt und die Bühne dadurch festlegt und // in der Folge unmöglich macht – alle derartigen Versuche endeten pleiteartig. Darum ist die Vereinigung von Verlag und Theater nur bei Operetten, Revuepossen oder amerikanischen Sensationsstücken dauerhaft, weil lohnend. Dorthin treibt die drohende Vertrustung der Wiener Theater, wenn sie nicht an den Geburtswehen zugrunde geht.

             Erwägenswert an diesen Plänen bleibt nur, was bei einer Zusammenlegung der Großstadttheaterbetriebe gewonnen würde: die Einheitlichkeit und größte Ausnützung alles Materials, sei es lebend oder tot. Es ist ja sicher eine Verirrung, besonders in unserer verarmten Zeit, wenn in den verschiedenen Depots 30 Klubgarnituren hinträumen, indessen am Abend insgesamt eine gebraucht wird, wenn im Theater A die Ritterrüstungen verstauben, während sie im benachbarten Theater B, das keine Ritterrüstungen hat und sie für ein Drama herstellen lassen muß, gebraucht würden, wenn Sänger und Schauspieler zum Spazierengehen und Neid auf die Kollegen verurteilt sind, weil sie gerade im Repertoire ihres Theaters nicht gebraucht werden. Hier einen Zusammenschluß zu erreichen, scheint mir ein Ziel, weil er das Technische vereinfacht, ausschaltet. Aber es wird nicht den Theatertrusts gelingen, die nur die Macht haben, aber nicht den Geist. Der scheint mir eher in einer Vergenossenschaftlichung der Großstadttheaterbetriebe, in einem System der gegenseitigen Hilfe zu liegen. Das Prinzip der Genossenschaft wird, wie es in der Volkswirtschaft aus seiner Utopie eine sehr greifbare und wertvolle Realität wurde, auch im Theaterwesen die nächst höhere Entwicklung sein. Daß bis dahin das den Rotters ausgelieferte Berlin und das dem Trust verfallende Wien sich noch genügend Kraft zum Aufschwung sichern, sollte die Sorge aller sein, denen Kunst mehr als eine Attrappe, Theater mehr als eine Amüsierhalle ist.

In: Der Merker, H. III (1921), S. 309-311.