Walther Rode: Alte Reiche, neue Reiche (1923)

Walther Rode: Alte Reiche, neue Reiche.

             Da erscheint, niemand weiß woher, in einer fremden Stadt ein Mann, der sich eine Herrschaftswohnung mietet, ein glänzendes Bureau in einer Hauptstraße. Um ihn herum entsteht sofort Rummel und Geschäft; er verdient viel und gibt noch viel mehr aus. Eines Tages aber verschwindet der Mann ebenso plötzlich wie er gekommen ist, dem Schlittenfahrer vergleichbar, der in finsterer Nacht unter Geklingel, Pferdeschnauben und Scheinwerfern heranbraust und schon wieder vom Dunkel verschlungen ward. Ein Kobold kurzer Frist, der Menschen und Dinge durcheinander bringt, um dann spurlos unterzugehen.

             Seiner Unternehmung gebricht es an der Dauer, an jenem Willen zur Dauer, durch den allein erst den Existenzen des bürgerlichen Lebens Greifbarkeit, Echtheit, Persönlichkeit zukommt. Das Auftreten des Schlittenfahrers ist die Kontrasterscheinung zu den Gründungen für die ganz lange, Generationen umfassende Dauer. Der Schlittenfahrer kommt und geht, der gediegene Reiche ist tief verwurzelt. Namentlich bei schwerer See, in Zeiten des Krieges, des politischen Umsturzes, der allgemeinen Revolution muß seine Gründung die Überlebenskraft ihrer Anlage erweisen. Der Chef angesammelten Gutes, der auf zähes Leben gestellten Vermögensindividualität, ein Kapitän langer Fahrt, muß im Sturm eine Technik der Verteidigung anwenden, deren Eintagsvermögen, meistens selbst Kinder des Sturms, keineswegs bedürfen. Die der Person dienende Habe wird vom trauernden Reichtum auf Halbmast gesetzt, damit sie weniger lustig wimple im Äther des Klassenneides; eingezogen werden die Insignien überragender Größer: Dienerschaften, Rösser, Spielplätze. Ein emsiges Verstecken, Verschieben, Vertauschen hebt an, die kinetische Energie des Reichtums in geeigneten Kraftstationen der einstiger Wiederentfaltung zu reservieren.

             Heute kriechen sie wieder aus ihren Verstecken hervor, die soliden, auf Dauer berechneten Reichtümer. Bene vivebit, qui bene latuit. Der Sturm der empörten Volksseele scheint sich gelegt zu haben, die Geldleute sind wieder frech geworden. Wieder benützen sie den Schlafwagen, geben sich Rendezvous in Palermo, haben sie ihre Spazierritte im Prater aufgenommen. Nicht länger müssen sie dem lauten Genuß des Reichtums entsagen.

             Was sich in den ersten Jahren nach dem Umsturz breit gemacht hat, war die Totenparade der Schlittenfahrer. Sie hat dem zeitlichen Verschwinden des wirklichen Reichtums die Mauer gemacht. Während die harten Gulden irgendwo, entmaterialisiert, der Goldwerdung harrten, die reichen Leute von echtem Schrot und Korn nirgends zu sehen waren, zerstob unter Lärm und Gestank die Hauptsumme dessen, was der Schleichhandel mit Salvarsan oder mit Romanowrubeln eingebracht. Was aber in dieser Zeit für längere Dauer errafft wurde, für Generationen: der Raub des Ahnherrn, ist unter Vernichtung des Tatbestandes in die Erscheinung getreten, hat also schon bei seinem ersten Entkeimen die Verleugnungstaktik in schwerer Zeit eingeschlagen. Der Ahnherr hat in seinem Koffer holländische Gulden verstaut; den Weg aus seinem Kabinett in der Novarragasse ins Trocadero jedoch niemals gefunden.

             Als das erwachte Proletariat über seine Verhältnisse lebte, das geängstigte Bürgertum unter seinen Verhältnissen, der Reichtum in eine Art Winterschlaf versunken war, da gab nur frische, nur kurzlebige Beute den Mut, sich zur Schau zu stellen. Ja, in der Exhibition allein war ihr Leben. Bewaffnet mit dem guten Gewissen des Raubtieres rasten Kriegs- und Umsturzgewinner herum in ihren Kraftwagen und ersteigerten kreischend und vor aller Welt Paläste und Kunstwerke. Ihres baldigen Hingangs gewiß, mußten diese Lemuren ihre Umlaufsgeschwindigkeit, ihre Allgegenwart ins Unerträgliche steigern, so daß sie mit der Drehkrankheit behaftet schienen. Ihr Auftreten hat so fatal, so aufdringlich gewirkt, weil ihre Wirklichkeit im umgekehrten Verhältnis zu eben jener Aufdringlichkeit stand, in der allein sich ihr Eintagsdasein ausleben konnte. Die Pilotenfische, die Begleitfische des Haifisches, die sich in der Sekunde einverleiben, was der Haifisch nicht in seine Klappe hineinzwingen kann, wußten im innersten, daß ihnen ihr Raub nicht streitig gemacht werden konnte. Sie brauchten daher die Empfindlichkeiten der Zuschauer nicht zu schonen. Zu ihrem Bild gehörte der Konsum, der sofortige Konsum, der Konsum unter den exekutiven Blicken der Ausgeschlossenen.

             Wer waren sie, die den Schwarm der plötzlichen Reichen von gestern und vorgestern gebildet haben, die den bösartigsten Klassenhaß trotzten, wo sind sie heute? Der Spuk hat sich verzogen wie ein Fiebertraum. Das Hexengold aus Luftgeschäften, Diebstählen und Differenzgewinnen ist im Rachen von Cagnotte und Prostitution verschwunden. Wer mit Betrug beginnt, muß durch Betrug umkommen. Hier verfuhr der Kehrbesen der historischen Vergeltung nach dem Grundsatz: Contre galicien, galicien et demi.

In: Die Stunde, 25.4.1923, S. 3.