Hanns Margulies: Frauen schreiben gute Bücher

Hanns Margulies: Frauen schreiben gute Bücher (1934)

Das Mißtrauen gegen schreibende Frauen lebt noch immer, obwohl wir doch in den letzten Jahrzehnten oft und oft Gelegenheit hatten, Bücher, die von Frauen geschrieben wurden, als schön und gut und wertvoll anzuerkennen. Wie unrichtig diese generelle Voreingenommenheit aber ist, soll sich heute wieder erweisen, wo ausschließlich auf Frauenbücher hingewiesen werden wird, die zu lesen ehrlich und ernsthaft angeraten wer­den muß.

Von Hermynia Zur Mühlen war hier vor Monaten schon die Rede. Inzwischen hat sie einen neuen Roman vorgelegt.

Reise durch ein Leben

(Gotthelf-Verlag, Bern), sich und uns zur Feier ihres fünfzigsten Geburtstags. Nun müßte an Lob und Anerkennung alles wiederholt werden, was von ihren früheren Büchern gesagt wurde, wenn nicht die Notwendigkeit bestehen würde, aufzuzeigen, daß Hermynia Zur Mühlen durch ihr Werk die Erbschaft einer der gütigsten und besten Schriftstellerinnen des alten Österreich, der leider und zu Unrecht heute viel zu wenig gelesenen Marie von Ebner-Eschenbach ange­treten hat. Gleich ihr, stammt sie aus jenem Teil der österreichischen Aristokratie, der bewußt mehr Wert auf Geistesadel als auf Namensadel legt, der sich die Auszeichnung der Geburt nicht genügen läßt, sondern sich durch Wissen und Kultur erst eine menschlich gültigere Anerkennung erwirbt.

Und dort, wo Hermynia Zur Mühlen aus ihrem Milieu heraus erzählt, erreicht sie auch die reifste Meisterschaft. Hier berichtet sie von einer kleinen Komtesse, die nach zwei Seiten ans dem ihr gezogenen Kreis ausbricht: durch ihre Freundschaft zu einem Proletariermädchen und durch ihre Liebesheirat zu einem preußischen Juristen. Sie steckt an. An der unüberbrückbaren Gegensätzlichkeit zwischen dem im allerbesten Sinn altösterreichischen Wesen und dem preußischen Kasernenideal zerbricht ihre Ehe und die Freundschaft mit der ehemaligen Schulfreundin verebbt an der trotz aller Bemühungen nicht unüberbrück­baren Divergenz zwischen den Lebensformen und dem Lebensinhalt der beiden Frauen.

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Gina Kaus, auch eine Österreicherin, hat in ihrem neuen Roman:

Die Schwestern Kleh

(Verlag Allert de Lange, Amsterdam), einen gewaltigen Schritt nach vorne ge­macht. Schien es in ihren letzten Büchern, als ob sie ihr unbestritten starkes Erzähler­talent auf letzten Endes zu leichte Art an die Oberflächlichkeit bewegter Erzählungen verschwenden wollte, so beweist ihr neues Buch das gelungene Streben, sich mit den Untiefen und Klippen menschlichen Wesens in aller Ernsthaftigkeit auseinanderzusetzen. Und es ist ihr gelungen. Sie erzählt von den Wegen, die die Töchter einer Wiener Patrizierfamilie gehen müssen und wenn es auch mitunter Abwege sind; Gina Kaus überzeugt uns, daß den Schwestern kein Ausweg offen stand, daß sich ihr Leben, ans eigener Veranlagung und unter dem Zwang des Geschehens so, wie sie berichtet und nicht anders entwickeln muß.

Gina Kaus hat es sich nicht leicht gemacht, aber gerade dadurch erreichte sie, was ihr vor­geschwebt haben mag: keine Unterhaltungsliteratur im schlechten Sinn zu geben, sondern ein Buch, das durch seine innere Wahrhaftig­keit, durch die Zwiespältigkeit der Charaktere packt, fesselt und festhält.

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Christa Winsloe wandelt ein Thema dreifach ab. Als Theaterstück, vor allem aber als Film unter dem Titel: Mädchen in Uniform hat sie Hunderte und Abertausende mit dem Schicksal eines kleinen Mädchens, das in die preußiiche Zucht, wie sie in einem Offizierstöchterinstitut wütet, gerät, gerührt und gepackt. In Romanform gelingt ihr das genau so, vielleicht sogar noch stärker, denn hier kann sie auf ein unnatürliches happy end ver­zichten.

Das Mädchen Manuela

heißt das Buch, das im Verlag Allert de Lange, Amsterdam, erschienen ist.

Wer noch nicht weiß, was die Kasernen­erziehung preußischen Ungeistes bedeutet der erfährt es aus diesem Buch. (Wie er aus Ernst von Salomons Bericht: Die Kadetten, Rowohlt-Verlag, Berlin, lernen kann, wie aus Knaben Untertanen fabriziert werden.)

Wenn es sich auch dadurch, daß der Inhalt des Romans durch Theater und Film schon bekannt ist, erübrigen mag, von ihm zu be­richten, so muß doch festgestellt werden, daß das Buch zu den lesenswertesten Büchern unserer Tage gehört, und daß Christa Winsloe auch im Roman Menschen in ihrer ganzen Leben­digkeit festzuhalten verstand, so daß sie uns, wie etwa das Fräulein von Bernburg, eine Lehrerin, von nun an als Freundin durch das Leben begleitet.

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Viktoria Wolf, deren erster Roman: Mädchen, wohin? schon berechtigtes Inter­esse erregte, hat sich mit ihrem zweiten Buch:

Eine Frau hat Mut

(wieder bei Paul Zsolnay, Wien) bewiesen. Sie erzählt von dem Leben einer jungen Frau, deren Mann seinen Posten verloren und aus den geordneten angenehmen bürgerlichen Verhältnissen hinabstürzt in das Nichts, nachdem der Versuch, sich auf diesem Absturz noch unterwegs anzuklammern, an der Ablehnung der ihm gemachten kriminellen Vorschläge scheitert.

Wirklich mutig stellt sich die Frau, Tochter eines Generals, dem Leben, wird Verkäuferin in einem Warenhaus und steht den Kampf durch, trotzdem ihr Mann ihn schließlich aufgibt und ein Leben, das ihm immer mehr zur Qual wurde, an dem er nicht mehr teilhaben durfte, von sich wirft.

Sibylle aber ist tapfer für sich und ihr Kind. „Mut und Kraft sind die schönsten Worte, die das Leben kennt,“ sagt sie und damit endet das Buch.

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Seitdem der Zinnen-Verlag, Wien, mit dem wundervollen Buch Die gute Erde die Amerikanerin Pearl S. Buck in die deutsche Literatur eingeführt hat, wetteifert der Ver­lag Paul Zsolnay mit ihm in der Herausgabe ihrer chinesischen Romane. Er publi­ziert zuerst die Fortsetzung der Guten Erde

Söhne,

worauf wieder der Zinnen-Verlag einen Roman herausbrachte

Der junge Revolutionär

und jetzt meldet sich der Verlag Zsolnay mit dem vierten Roman:

                                               Ostwind — Westwind.

Die amerikanische Schriftstellerin, die lange Zeit als Missionärin in China gelebt hat, ist eine der besten Kennerinnen des Reiches der Mitte geworden und hat das Geheimnis dieses uralten Kulturvolkes wirklich mit der Seele erfaßt. Aber ihr ist auch die Gabe zu­teil geworden, ihr Wissen in so anschaulicher und überzeugend schöner Form zu vermitteln, daß sie mit ihren Romanen weitaus mehr zur Kenntnis Chinas und ihrer Menschen beigetragen hat, als zahllose Gelehrte mit dickleibigen Büchern.

Während die ersten drei Romane sich mit dem in sich abgeschlossenen Leben des chinesi­schen Bauern beschäftigen, spiegelt der vierte das Eindringen der amerikanischen Welt in die Abgeschlossenheit jahrtausendalter Tradi­tion wider. Es ist die Lebens- und Liebes­geschichte einer vornehmen Chinesin, die, ganz noch in den alten Sitten erzogen, durch ihren schon in Amerika ausgebildeten Mann in den Zwiespalt der Kulturen gestellt wird und den Kampf zwischen Altem und Neuem, zwischen Jung und Alt, nicht nur selbst erlebt, son­dern auch in dem Schicksal ihres Bruders, der eine Amerikanerin als Frau in die Ge­bundenheit der starren chinesischen Familiengesetze mitbringt, erlebt.

Gefragt, welchem dieser vier Bände der Vorzug gegeben werden soll, ist nur eine Ant­wort möglich: keinem, denn alle vier wollen und sollen gelesen werden.

In: Der Tag, 19.3.1934, S. 4.