Soyfer, Jura
geb. als Jurij Soyfer am 8.12.1912 in Charkow, Russland (Charkiv, Ukraine) – gest. am 15./16.2.1939 im KZ Buchenwald; Schriftsteller
Ps.: Fritz Feder, Walter West, Norbert Noll
Aus einer russ. Industriellenfamilie stammend, die nach der Oktoberrevolution nach Österreich flüchtete, wuchs S. bis 1923 in Baden und danach in Wien auf. Dort besuchte er das Realgymnasium Hagenmüllergasse und trat 1927 dem Verband sozialistischer Mittelschüler bei. Früh wandte sich S. dem Theater zu und wurde 1927 Mitglied des 1926 begr. Politischen Kabaretts der Sozialdemokratischen Partei (SDAP). Daneben interessierte er sich für (austro)marxist. Kritik, veröffentlichte in der Zs. Der Schulkampf und in der programmatisch ausgerichteten, mit Robert Ehrenzweig u. Karl Sobel gemeins. redigierten Zs. Die Politische Bühne. Darin kamen Beiträge zum Thema Kunst u. Agitation bzw. zur Feiergestaltung, Revue-Texte, u.a. von Willy Miksch, Ehrenzweig und Viktor Gruenbaum sowie von S. selbst, zum Abdruck. 1930 legte S. den mit Menschen der Landstraße den ersten feuilletonist.-analyt. Prosatext vor, der sein Debüt in der Arbeiter-Zeitung bildete. 1931 folgte als Reaktion auf Ernst Fischer u. seinen Essay Krise der Jugend S.s. Antworttext Verzweiflung der Jugend, 1932 die als Zeittheater ausgewiesene Revue Christbaum der Menschheit. Nach bestandener Matura besuchte S. an der Univ. Wien bis 1935 Vorlesungen aus Germanistik und Geschichte. Ab Jänner 1932 erschienen Gedichte bzw. Zeitstrophen regelmäßig in der AZ u. kommentierten die polit. Entwicklungen. Insbes. die Reportage Deutschland 1932, Ergebnis einer Deutschlandreise, zeigte S.s. Talent und Befähigung zu treffender u. zugespitzter polit. Analyse an. Neben diesen Analysen legte S. auch Beiträge zum Verhältnis von Kunst u. Propaganda, Faschismus u. Widerstand vor u. bezog dabei avantgardist. Techniken ebenso ein wie solche aus der Trad. des (Wiener) Volkstheaters, die bereits die frühen Arbeiten für das Kabarett u. die ab 1935 entstehenden sog. Mittelstücke kennzeichneten. Nach der Niederschlagung des Februaraufstandes 1934, dem Verbot der SDAP u. der Zerschlagung ihrer kulturell-künstlerischen u. publizist. Institutionen schloß sich S. der illegalen KPÖ an, ohne jedoch Funktionen zu übernehmen. Diesen zentralen Einschnitt in seiner Biographie, zugleich einer in der kulturellen u. politischen Österreichs insgesamt, arbeitete er im Fragment gebliebenen Roman So starb eine Partei auf. Über Vermittlung von Bil Spira konnte S. 1935-37 Reportagen, Skizzen und kurze Essays im Sonntag, der Wochenendbeilage des Wiener Tag veröffentlichen u. in der Kleinkunstszene Fuß fassen, um 1936-37 v.a. für das ABC, das von Leon Askin geleitet wurde, (Mittel)Stücke wie Der Weltuntergang, Astoria, Der Lechner Edi schaut ins Paradies oder Vineta zu verfassen. Diese Stücke stellen den austrofaschistischen Schwindelstaat ebenso bloß wie die aufziehende Gefahr der Ent-Solidarisierung durch den Nationalsozialismus. Kennzeichnend für sie ist ferner die Verwendung von avantgard. Techniken (der Überzeichnung und Verfremdung) und der Einsatz von songartigen Liedern, die jeweils das Grundanliegen der Stücke, die Entwicklung konkreter, operativer Utopien unterstützen, z.B. der Telegraphen-Chanson oder das Lied des einfachen Menschen. 1937 folgt u.a. Broadway-Melodie 1492, aber S. verfasst auch wichtige literaturkrit. Essays, die seine ästhet. Originalität zwischen J. Nestroy, K. Kraus, Ö.v. Horváth u. B. Brecht bezeugen. Im Nov. 1937 wird S. wegen Verdachts progagandist. Arbeit für die verbotene KPÖ verhaftet. Mitte Februar 1938 entlassen, bereitete er sich auf die Emigration vor; er wurde jedoch am 13. März 1938 beim Versuch, in die Schweiz zu flüchten, aufgegriffen, in das Gefängnis von Feldkirch eingesperrt u. am 23. 6.1938 ins KZ Dachau verbracht, wo er noch das Dachaulied verfasste. Von dort wurde er im Herbst 1938 ins KZ Buchenwald überstellt, wo er sich mit Typhus infizierte und infolge der Lagerbedingungen verstarb. Die Entlassungspapiere waren schon unterzeichnet u. ein Affidavit für die USA lag vor.
Werke (Auswahl)
Vom Paradies zum Weltuntergang. Hg. von O. Taussig (1947); Das Gesamtwerk (1980; 2. Aufl. in 4 Bdn 2002); Sturmzeit. Briefe 1931-1939 (1991); Jura Soyfer Edition (4 Bde, 2012) Übersetzungen in über 30 Sprachen.
Quellen und Dokumente
Eintrag auf JSG: Jura Soyfer online;
Menschen der Landstraße. In: AZ, 7.11.1930, S. 9, Deutschland erwache!/Das Lied der Ordnung. In: AZ, 3.7.1932, S.17, Ein Sonntag in Deutschland. In: AZ, 14.7.1932, S. 7.
YouTube: Lied des einfachen Menschen, Dachaulied
Literatur
P. Langmann: Sozialismus und Literatur. J. Soyfer (1986); H. Jarka: Jura Soyfergeb. als Jurij Soyfer am 8.12.1912 in Charkow, Russland (Charkiv, Ukraine) – gest. am 15./16.2.1939 im KZ Bu... (1987); G. Scheit: Theater und revolutionärer Humanismus (1988); H. Arlt, K. Kaiser, G. Scheit (Hgg.): Die Welt des J. S. (1991); H. Arlt/F. Cambi (Hgg.) Lachen und J. Soyfer (1995); D. Daviau (ed.): Jura Soyfer and His Time (1995); J. Doll: Theater im Roten Wien (1997); I. Reisner: Kabarett als Werkstatt des Theaters. Literarische Kleinkunst in Wien vor dem Zweiten Weltkrieg. (2004); H. Arlt (Hg.): Die Lebendigkeit Jura Soyfers (2008); H. Dorowin, A. Tinterri (Hgg.): Il poeta della Vienna Rossa. Jura Soyfer 1912-1939 (2014)
Jura Soyfer Gesellschaft, Verzeichnis der J.S.-Symposien bis 2009, J. Holzner: J. Soyfer. In: Neue Deutsche Biografie, Eintrag bei ÖBL: hier; Herbert Arlt: Alte Texte in neuen Kontexten. In: Wiener Zeitung, 30.11.2012; Eintrag von St. Braese in: A. B. Kilcher (Hg.): Lexikon Deutsch-jüdischer Literatur. Stuttgart-Weimar 2. Aufl. 2012, S. 474-475.
(PHK)