Lajos Kassák: An die Künstler dieser aller Länder! (1920)

Lajos Kassák: An die Künstler dieser aller Länder!

Die in ihren Gedanken unverstandenen, in ihren Handlungen allein handelnden Künstler einer Klasse, die sich zum Menschentum erlösen will, rufen wir mit brüderlichen Worten an. Höret uns! Aus unseren Stimmen empören sich blutfarbene Frage- und Rufzeichen und was sich davon zum Sinn verdichtet, ist unser unwandelbarer Glaube an die ewige Revolution. Für uns gibt es nur ein Gesetz: Ein fortwährendes Vorwärtsdrängen im großen Leben, alles andere wäre ein Verkriechen vor dem feigen Selbst oder ein entsagungsvolles Warten auf den Tod. Und wir fürchten uns nicht vor uns und wollen nicht auf unser Leben verzichten. Unser Leben ist die Revolution, unsere Revolution ist das heiligste Bekenntnis zur Liebe.

1920 sind wir bereits über das romantische Emporsehnen hinausgewachsen, mit allen blutenden Wurzeln sind wir zum Absoluten herausgerissen worden, wir haben ein Recht auf das gestenlose Wort.

Wir haben das Leben erkannt, in uns ist das Gesetz.

Wir haben keine Wurzeln in der Vergangenheit, keine Zügel, die in die Zukunft führen.

Unser einziger Weltruf ist das unserem Leben entströmende Blut: Mensch, wo bist du?

Das Wesen der neuen Kunst ist das Aufspüren der tragischen Gegenwart und ihr Aufleuchten in der kreißenden Zeit. Die Bestimmung des neuen Künstlers ist das Zu-sich-Erwecken der Menschheit, [die] einerseits der Dummheit der Unterdrückten, andererseits der Krämerspekulation der Herrschenden verfallen ist.

Also keine individuelle Verklärung und keine Massenkunst im Sinne der Volkstribunen. Darüber müssen wir uns im klaren sein. Denn nur durch diese Erkenntnis führt der Weg zur Wahrheit der Gegenwart, zur einzigen Wahrheit, zum Leben, zu mir, zu dir, zur Einheit.

Das ist unsere Forderung sowohl an die Schöpfer, wir auch an die Empfänger der Kunst. Und dadurch machen wir mit einem Handgriff den Gebenden und den Nehmenden gleich. Denn wie einst die Bedienenden und die Bedienten verschwinden werden, sollen auch die Verklärten und die Erniedrigten verschwinden. Die Parole heißt: Der Mensch. Und wir sind Menschen in unserer Kunst und wie wir in der der Vergangenheit nicht die Diener der Bourgeoisie waren, wollen wir auch in der Zukunft keiner Klasse dienen, – auch dann nicht, wenn diese Klasse „Proletariat“ heißt. Wir glauben, daß die Dienstbarkeit für irgendeine Klasse nur eine neue Variante der heutigen sklavenhaften Gesellschaftsform vorbereitet. Wir wollen keiner neuen Klasse an die Stelle // der alten Klasse emporhelfen. Wir verkünden im Gegensatz zu jeder Klassenherrschaft die siegreiche menschliche Gemeinschaft, im Gegensatz zu jeder Staatsmoral die kollektive Ethik. Und von da aus strahlt die Wärme und der Glanz unserer Bruderworte. Unsere Wege führen in das Reich der Brüderlichkeit und unsere Fahne ruft die Verkündigung der Tat aus. Nicht die des Hasses, sondern die der Erlösung.

Nur diese kann die gerechte Stimme des Heute sein.

Brüder! Wenn wir von historischem Boden euch Signale zurufen, dann suchen wir in euch zu Revolutionen mit Streitäxten bewaffneter Vernichter und Baumeister mit erhellten Köpfen. Wir werben aus den von Bitternissen überschäumenden Massen die Pioniere des befreienden Gedankens. Aus diesen Massen, die noch immer nichts als ihren Magen werten, und an welchen wieder alle gute Hoffnung zu zerschellen scheint. Die Energien des sich empörenden Proletariats sind für Leben und Tod an das Geleise gebunden und über der bremsenden Welt erschallen die Glocken der Todesstunde.

Klar sollen die Sehenden sehen!

Die Revolution kann nicht zur Lösung einer einzigen Frage, eines einzigen Motivs dienen. Die die Revolution ist nicht ein Mittel zur Eroberung des Lebens: die Revolution ist das Ziel selbst: Das Leben.

Verstehen wir uns: das gegenwärtige Beben bedeutet noch nicht den Beginn einer neuen Welt, vielmehr nur den Abschluß der alten. Es bedeutet nicht das gemeinsame und individuelle Leugnen der Herrschaft, sondern die Eroberung dieser durch Kraftgenossenschaften. Nicht die sinnvolle Überentwicklung der bürgerlich gefärbten Sozialdemokratie, sondern bloß deren Entwicklung zur vollkommenen Form: der terroristischen Sozialdemokratie.

Doch das alles ist immer noch Politik.

Kampf einzelner Parteien um die Macht durch das Bewegen der Massen.

Positionswechsel mit Positionseifersucht.

Doch schon klaffen uns die Perspektiven entgegen!

Die tragischen Individuen, wie verwunschene Engel der Mythologie tragen schon in ihrer Seele und heben wie eine Monstranz über uns die einzig sichere Bürgschaft der Revolution: das aktive Selbstbewußtsein.

Und jetzt ist unsere und eure Zeit gekommen, Brüder, die wir auf der Basis des historischen Materialismus die Seele des Menschen in Brand stecken wollen. Im Gegensatz zu jeder Klassenmoral heben wir jetzt die ewige Stabilität der Ethik ans Licht. Denn sie ist der Sinne aller Kräfte. Die Betonung der materiellen Umgestaltung genügt nicht zur Lösung der menschlichen Lebensmöglichkeiten. Die Massen haben genügend gedarbt, um zu einer Meuterei immer bereit zu sein, dadurch ihr Schicksal momentan zu verbessern; – jetzt heißt es aber, wie vorher noch niemals, die instinktive Meuterei zu einer bewußten Revolution zu vertiefen und zu stabilisieren. Mit der Befreiung der realen Kräfte müssen auch die abstrakten Begriffe umgewertet werden.

Zur gleichen Zeit, in der der belastende Morast abgestreift wird, muß auch das einzige Ziel beleuchtet werden. Denn nur das ewige Vorwärtsgehen kann uns im Kampfe mit dem Augenblick festigen. Denn nur die befreite Seele allein kann den befreiten Körper vor einer neuen Unterjochung schützen.

Brüder, aus deren traurig-fröhlicher Seele das nach dem gleichen Ziele strebende Leben der Wissenschaft, Technik und Politik emporströmt, ihr wißte es so gut wie wir, – es ist nicht anders möglich! Wir wissen, daß es wirtschaftliche Gründe sind, die den ersten Stoß (den Stoß zur Form) der revolutionären Bewegung geben, aber ihre unwandelbaren, dauernden Stützen sind doch die erwachten seelischen Kräfte, das reine einheitliche Bewußtsein. Und jetzt ruft dieses in unserer Seele neugeborene Bewußtsein euch an. Ihr neuen Künstler! Reicht euch im Chaos der Revolution die Hand, auf daß die Harmonie der Revolution als Blut desselben Blutes in uns zusammenklinge. Hinaus über die Klasseninteressen für die universalen Interessen der gesamten Menschheit. Über die Diktatur der Klasse, – für die Diktatur der Idee.

Und weg mit den auf den Fahnen geschriebenen Namen, mit dem Scheinhumanismus und mit dem individuellen Imperialismus!

Kein Stehenbleiben!

Brüder, verbrüdert euch zum Aufbau des neuen Menschen, des kollektiven Individuums!

Denn unter den Fahnen des Kommunismus, des reinsten Glaubens, kann kein anderes Interesse bestehen, als das mächtige Lebensinteresse der Menschheit, von der sowohl Du als ich gleiche Teile sind ein und desselben Stammes!

Die Verwirklichung dieses Interesses unter der Diktatur der Idee kann einzig und allein durch die Revolutionierung der Seelen geschehen.

Diese Revolution kann nur durch moralische und zweckmäßig kulturelle Erziehung des Proletariats als für die Zukunft einzig gesunden Rohmaterials gesichert werden.

Also Kultur! Und wieder Kultur!

Das Proletariat rüttelt unaufhaltsam an der Macht der unterjochten Väter; – unsere Pflicht ist es gegen die Herrschaft der erstgeborenen Brüder den Kampf aufzunehmen.

Nieder mit der mit Menschenblut kalkulierenden Politik! Nieder mit den Talmudisten der Revolution!

Die Logik der Advokaten, der Mechanismus der Administratoren, die langweiligen Reden der Redner reichen bei weitem nicht aus.

Es lebe die gegen jede Tradition kämpfende Revolution! Es lebe das verantwortliche kollektive Individuum! Es lebe die Diktatur der Idee!

Im Namen der ungarischen Aktivisten

Wien, am 15. April 1920.

In: MA, H. 1/1920, S. 2-4.