Siegfried Schmitz: Upton Sinclair: Jimmie Higgins

S. S.[chmitz]: Upton Sinclair: Jimmie Higgins (1920)

Jimmie Higgins, das ist das sozialistische Individuum, entstanden aus dem brodelnden Chaos des amerikanischen Kapitalismus, das Menschengebilde, das nie ein anderes Erlebnis hatte als Internationalismus und das im Kriege sein kleines Schicksal vollenden muß, in den amerikanischen Nationalmilitarismus hineinzugeraten, da sein Internationalismus die schwersten Enttäuschungen erlebt. Jimmie Higgins, das ist die Verkörperung der namenlosen Proletariermasse, welche gläubig ist, und deren Glaube durch die Schuld des Dogmas, an das sie glauben, zum Märtyrertum wird. Jimmie Higgins, das ist die Arbeitsmaschine, mit dem Fünkchen Menschheitstum, das jeder Kreatur gegeben ist, das Wesen, welches in der Stärke seinen Glauben an die reine Kraft des Sozialismus seine Seele findet, allen politischen Dogmen, Kompromissen und Irrwegen der Macht zu Trotz. Diese Geschichte von Jimmie Higgins, welche die tragische Schuld einer Bewegung darstellt, die berufen ist, das Menschlichste aus den Arbeitsmaschinen herauszuholen, und sie doch in den unmenschlichen Krieg geschleudert hat, diese Geschichte von Jimmie Higgins, der unvergänglich ist, weil das Menschliche im Menschen unvergänglich ist, diese Geschichte von Jimmie Higgins, dem kleinesten Sozialisten, welcher eigentlich der wahre große Sozialist ist, hat ein Sozialist, der wirklich Dichter ist, mit den einfachsten, zwingendsten Mitteln zu einem Schicksalsbuch der sozialistischen Bewegung gestaltet. Upton Sinclair hat hier im Namen des Menschentums die ehrliche sozialistische Abrechnung gehalten. Die Abrechnung wird in der Welt noch einmal von der Menschheit selbst gehalten werden. Das Buch, in seiner Konzeption und in der Herausholung der größten Menschlichkeiten aus dem kleinsten Wesen an Martin Andersen-Nexö in seinem herrlichen Pelle, der Eroberer gemahnend, gehört zu dem Stärksten, was in dieser Zeit der Literatur geschaffen wurde. Dem Verlag gebührt Dank, daß er die deutsche Übertragung vornehmen ließ. Das Buch soll gelesen werden; es ist keine Unterhaltungslektüre.

In: Wiener Morgenzeitung, 25.7.1920, S. 7.