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Nationalrätin Therese Schlesinger: Die Frauen in der Republik

Wer seit Jahrzehnten Arbeiterinnenversammlungen zu besuchen pflegt, dem muß es auffallen, wie verschieden die heutigen Arbeiterfrauen von denen sind, die wir vor zwanzig und dreißig Jahren in den Versammlungen zusehen bekamen. Bleiche, abgeplagte und vergrämte Frauen gab es ehemals und gibt es heute vielleicht sogar in noch größerer Zahl. Nicht umsonst hat der Krieg Hundertrausenden die Männer und Söhne geraubt und ebenso vielen den Boden ihrer früheren Existenz entzogen. Trotz alledem aber bemerkt man jetzt kaum jemals mehr, an den Frauen das furchtsame und demütige Gehaben, den dumpfen und stumpfen Gesichtsausdruck und den fast erloschenen, hoffnungslosen Blick, die ehemals für die Arbeiterfrauen so charakteristisch waren.

Das Frauengeschlecht von heute ist ein anderes geworden, ein mutigeres, selbstbewußteres und zuversichtlicheres. Dazu hat vieles beigetragen, das sich in den letzten Jahrzehnten ereignet hat. Die sozialdemokratische Aufklärungsarbeit ist bis in die entferntesten Gegenden gedrungen und hat das Denken und Fühlen der proletarischen Männer und Frauen mächtig beeinflußt. Wenn einerseits die Frau gelernt hat, ihre dreifache Belastung als Haushälterin, Mutter, und Arbeiterin nicht mehr als etwas von Gott Gewolltes und Unabänderliches demütig hinzunehmen, sondern als ein Unrecht zu begreifen, gegen das anzukämpfen heilige Pflicht ist, so hat anderseits auch der Arbeiter nach und nach begriffen, daß die Versklavung der Proletarierfrau ein Hemmnis für seine eigene Befreiung bedeutet und daß er gegen sein eigenes Klasseninteresse handelt, wenn er, statt sein Weib zu ermutigen und zu unterstützen, sie als seine Untergebene ansieht und zu der Knechtung, der sie im Betrieb unterworfen ist, auch noch die Knechtung im eigenen Heim hinzufügt.

Die furchtbaren Kriegsjahre, besonders furchtbar für die Frauen und Mütter, haben ohne Zweifel auch sehr viel dazu beigetragen, um die Proletarierinnen der Bevormundung durch ihre Männer und der Unselbstständigkeit den Unternehmern und den Behörden gegenüber zu entziehen. Hunderttausende von Mädchen, Frauen und Mütter mußten damals lernen, eigene Entschlüsse zu fassen und selbstständig zu handeln, mußten ihre eigenen Interessen und die ihrer Kinder wahrnehmen, ohne sich dabei durch Ratschläge oder Gebote ihrer Väter, Männer und Brüder leiten zu lassen. Und dabei hat es sich gezeigt, daß die Frauen nicht nur sehr wohl imstande sind, ihre eigenen Angelegenheiten zu ordnen, sondern daß sie auch im Wirtschaftsleben die Männer bis zu einem hohen Grade ersetzen, daß sie verantwortungsvolle Posten bekleiden und Aufgaben erfüllen können, zu deren Lösung man sie vorher niemals als befähigt angesehen hat – und wenn das Eindringen der Frauen in alle Berufe, in denen es während des Krieges an Männern gefehlt hat, für die Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten auch nicht gerade Segen bedeutete, sondern die Gesundheit vieler Frauen empfindlich schädigte, so haben doch die Erfahrungen jener harten Zeit mit dem Vorurteil von der Minderwertigkeit der Frauenleistungen wesentlich aufgeräumt.

Daß die Frauen imstande waren, auf wichtigen Arbeitsgebieten die Männer zu ersetzen und zugleich Hausfrauen- und Mutterpflichten zu erfüllen, die ihnen durch die Kriegsnot auch noch sehr erschwert waren, das mußte auch den verstocktesten Frauenverächter bekehren und was noch viel, viel wichtiger ist, es mußte auch die allerbescheidenste Frau endlich zu dem Bewußtsein bringen, daß sie es nicht nötig habe, fürderhin sich bevormunden und geringschätzen zu lassen.

Die lange Dauer und das schmähliche Ende des Krieges haben die Unvernunft der alten Herrschaftsordnung nur allzu klar erwiesen, einer Ordnung, in der die bürgerlichen Klassen und innerhalb dieser wieder nur die Männer ausschlaggebend waren. Darum verlieh der Umsturz den Proletariat und den Frauen einen gewaltigen Machtzuwachs. Diese beiden Faktoren hatten sich als Kriegsgegner bewährt und hatten als Kriegsopfer gelitten. Die Bedeutung, die sie dadurch errangen, kommt in der Verfassung unserer Republik zum Ausdruck und ganz besonders in dem uneingeschränkten Wahlrecht für beide Geschlechter und der Aufhebung aller Gesetze, durch welche die Frauen wirtschaftlich und rechtlich benachteiligt wurden.

[…]

Noch wissen freilich nicht alle arbeitenden Frauen von ihrer neu errungenen Machtstellung und von den ihnen zuerkannten Rechten, den richtigen Gebrauch zu machen, aber jede fühlt doch instinktiv, daß sie aufgehört hat, ein wesenloses Objekt der Ausbeutung und Knechtung zu sein. Mit diesem neu erwachten Selbstbewußtsein der Frauen müssen auch die bürgerlichen Parteien zählen, sie, die bis zum Umsturz die wütendsten Bekämpfer aller Frauenrechte waren. Das Frauenwahlrecht mußte dem Bürgertum von der Sozialdemokratie gewaltsam aufgezwungen werden, heute aber hoffen gerade die bürgerlichen Parteien mit Hilfe der Frauenstimmen im Wahlkampf zu siegen. Diese Rechnung der Arbeiterfeinde kann und darf nicht stimmen. Die große Masse der arbeitenden Frauen muß und wird sich am Wahltag erinnern, wem sie die Hebung ihrer rechtlichen und sozialen Stellung einzig zu verdanken hat.

In: Arbeiterinnen-Zeitung, 1923, Nr. 10, S. 2/3.

Jacques Hannak: „Mutterschaftszwang.“

            In die von Parteileidenschaften, Hunger und Bitternis geschwängerte Atmosphäre unseres Gesellschaftslebens ist ein neues Schlagwort geschleudert worden, das an sich allein schon den Ton der Gehässigkeit zu charakterisieren vermag, mit dem ein jedenfalls sehr ernstes Problem von allgemeiner Kulturbedeutung behandelt wird. Hieß es vordem „Gebärstreik“ und bezeichnete damit immerhin die mehr subjektive, aktive Seite der Frage, so gibt uns das Wort „Mutterschaftszwang“ von vornherein den Begriff passiver, objektiver Einreihung in ein hoffnungsloses System mechanischer Notwendigkeiten.

            So tritt man an ein Problem nicht heran, welches wie nur irgendein ganz großes Problem geeignet sein soll, uns den Sinn alles Lebens zu erschließen. Leidenschaftslose Beharrlichkeit allein kann erwarten, die spröde Materie zu meistern.

            Die Schwierigkeit, vor der wir stehen, ergibt sich daraus, daß sich die Grundtatsachen des volkswirtschaftlichen Lebens mit Grundtatsachen des Seelenlebens kreuzen; der ökonomische Mensch gerät in Widerspruch mit dem psychischen Menschen, das Sein widerstreitet dem Bewußtsein, das Reich der Notwendigkeit fesselt das Reich der Frauen. Es sind zwei Sphären, die sich gegenseitig ausschließen, [der] Fehler der ganzen Betrachtungsweise bestand bisher darin, [von] der einen Schnittfläche auf die andere Sprünge zu machen, um je nach Bedarf, Idee und Erscheinung ineinander krempelnd, eines mit dem anderen „widerlegen“ zu können.

            Der Tatbestand ist: dem Naturgesetz der Fortpflanzung und Vermehrung wird durch nationalökonomische Gesetze Einhalt getan. Da die Natur uns nicht auf die Lust zu verzichten gestattet, so richtet sich die Reagenz des nationalökonomischen Gesetzes nur auf die Folgen der Lust und schränkt nicht die Geschlechtlichkeit, sondern nur die Geburtenziffer ein. Der Klassenstaat aber, der nicht nur seine unterdrückten Klassen wirtschaftlich ausbeutet, sondern sie auch dazu verhalten will, ihm immer neue Generationen für neue Ausbeutung aus ihrer ausgemergelten Kraft heraus zu schaffen, also obendrein noch selber für die Verewigung ihrer Ausbeutung und Knechtschaft zu sorgen, der Klassenstaat, aus dessen Wesen das nationalökonomische Gesetz der Geburtenabnahme erfließt, erzwingt zugleich dem Widersinn eines papiernen Machtgesetzes von gegenteiliger Bedeutung Geltung, wonach die Unvermeidlichkeit des ökonomischen Gesetzes durch Strafsanktionen aufgehoben und beseitigt, das Gesetz mechanischer Kräfte also durch das bloße Menschenwort: „Ich will“ und just nur dadurch und schon dadurch in das Gegenteil gewendet werden soll. Wahrlich, der Kampf Don Quichottes mit den Windmühlen. Aber noch mehr: hier erhält sich uns das absolut Unethische dieses Kampfes, dieses vermessenen Endgegenstemmens individuellen Wollens einer einzelnen herrschenden Menschenklasse gegen die Windmühlen des sozialen Naturgesetzes. Der Klassenstaat ist notwendig als eine Erscheinungsform der Geschichte der Gesellschaft, eine Erscheinungsform, ohne welche sich der Entwicklungsgedanke der menschlichen Kultur historisch gar nicht denken ließe. Der Klassenstaat ist auch nicht eine Erscheinungsform, die sich durch Utopien, Idealisten, Prediger und Menschheitsapostel einfach sofort in die klassenlose Gesellschaft des Sozialismus wegbekehren ließe, sondern er ist auch in dem Sinne eine notwendige Erscheinungsform, als er erst aus sich selbst heraus jene Elemente voll ausreifen lassen muß, die ihn schließlich überwinden und kraft der Entwicklung wie von selber in die erlösende Gesellschaftsordnung der Zukunft hinüberleiten. Nicht also die Existenz des Klassenstaates ist das Unethische, sondern erst jeder Versuch der Verewigung dieser Existenz, jeder Versuch, dem ewigen Werden das absolute Sein des gerade Bestehenden abtrotzen zu wollen. Das Trägheitsgesetz ist das Substantielle des Klassenstaates, und das ist das Unmoralische an ihm, weil es ihn notwendig in Widerspruch und Widersinn treibt und also auch alsbald logisch ins Unrecht setzt.

            Solchen Widerspruch und Widersinn entdecken wir an der Struktur des kapitalistischen Klassenstaates auch in seiner Stellung zum Mutterschaftsproblem. Und zwar noch in einem viel tieferen Sinn als im eben angeführten. Das Problem der Mutterschaft aufstellen, heißt ein anderes Problem, das dem der Mutterschaft zugrunde liegt, vorwegnehmen, und dies andere Problem ist das Problem des Weibes, das Problem der Geschlechter. Das ist so selbstverständlich wie nur irgend etwas. Nicht so selbstverständlich aber ist es der kapitalistischen Produktionsära. Denn diese denkt an die Produktion, nicht an den Produzenten, an die Maschine, nicht an den Menschen, an die Geburt, nicht an die Gebärende, an das Objekt, nicht an das Subjekt. So wird ihr denn auch das Mutterschaftsproblem nur eine quantitative, mechanisch-ökonomische Sorge, nur ein Rechenexempel, nur ein Mittel zum Zweck, und sie hat nur Zeit, sich um [?] umzuschauen, aber nicht um die – Mutter. Daher erfließt ihr die [Qual/Radikal]ität des Mutterschaftsproblems nicht aus dem Verhältnis der Geschlechter, sondern aus dem Verhältnis von Lohn[arbeit] und Kapital. Freilich, die Frage: Mann-Weib ruht mit [Ueber]ewicht nicht auf dem juristischen Boden etwa der Frage, ob [Gleich]stellung oder Ueber- und Unterordnung von Mann und Weib, was schließlich auch noch die kapitalistische Gesellschaftsordnung irgendwie lösen könnte, sondern auf dem ethisch-sozialen Boden der Möglichkeit, Mann und Weib als Mann und Weib, ungetrübt durch wirtschaftliche und soziale Nöten, voll ausleben zu lassen. Das freilich kann uns nur der Sozialismus bringen. Weil aber diese Voraussetzung in der heutigen Gesellschaftsform fehlt und die Frau in gleicher Weise als Weib wie als Mutter nur im Dienste einer bloßen Warefunktion steht, kann die heutige Gesellschaftsform gar nicht grundsätzlich ethisch-kritisch zur Frage der Mutterschaft Stellung nehmen und begnügt sich denn auch mit der konstruktiven Dogmatik einer konventionellen Moral, eines Systems von Pflichten, die dem Beharrungsvermögen der herrschenden Klassen in der heutigen Gesellschaft Rechnung tragen sollen, aber, wie wir ausführten, eben dadurch mit dem Weltgesetz des Werdens in Konflikt geraten und an diesem Widerspruch zerschellen müssen.

            Eine Moral, die für alle Menschen Geltung haben soll, muß einer solchen Gesellschaftsordnung entspringen, die vom Werkzeug wieder auf den Menschen zurückgeht, die nicht mehr den Menschen als Mittel betrachtet, sondern als alleinigen Zweck, die nicht mehr Menschen in den Dienst von anderen Menschen und alle zusammen in den Dienst ihrer eigenen Einrichtungen und Maschinen stellt, sondern die ganze Menschheit zur Herrin ihrer selbst, zur Herrin ihres freien Willens und zum höchsten Selbstzweck erhebt. Erst eine Zeit, in der alle Menschen leben können, wird Zeit haben, sich um das Tiefste des Menschen zu kümmern, um – ihn selbst! Das sind keine Neuigkeiten, sondern alte Erkenntnisse, aber sie erhalten eine neue Beleuchtung unter dem Gesichtspunkt des Geschlechtsproblems.

            Wir können heute nur durch die Empirie und die induktive Methode Kenntnisse über das „Ursein“ des Verhältnisses Mann-Weib zu gewinnen trachten, ohne daß uns der Gegenbeweis der Deduktion zustatten käme. Denn die Geschlechtsbeziehungen werden heute nicht nur von innen heraus durch metaphysische Substanzen geregelt und gelenkt, sondern von außen her durch die Dynamik der sozialen Ordnung entscheidend umgebogen. Das Reich der Notwendigkeit springt ins Reich der Freiheit, und so wird denn Sozialismus schließlich der religiöse Kampf des Metaphysischen im Menschen, zu sich selbst zu gelangen durch die Ueberwindung der sozialen Fesseln. Die Befriedigung der sozialen, ökonomischen Lebensbedürfnisse muß aufhören, Problem zu sein und muß Selbstverständlichkeit werden, damit endlich der Mensch an sich ausschließliches Problem werde.

            Auch die Idee des Erotischen kann erst zu voller Klarheit in einem Zeitalter gelangen, das die materielle Lebenswohlfahrt des Individuums als naturgegeben voraussetzt und nur die kulturelle Wohlfahrt der Menschheit als Aufgabe weist. Heute können wir uns auch hier nur an die Trübungen der Empirie der Klassengesellschaft halten.

            Was scheidet, unabhängig von jeder sozialen Ordnung, Mann und Weib? Wedekind hat das einmal aphoristisch nicht übel ausgedrückt; der ungeheure Vorteil, den das Weib vor dem Manne voraus habe, sei daß es seinen Körper als Tauschobjekt zu Markte tragen könne, sein ungeheurer Nachteil gegenüber dem Manne, daß es gebären müsse. Schärfer und [konziser] noch hat Otto Weininger den Gedanken gefaßt und als das Essentielle und Funktionale des Weiblichen schlechthin Mutterschaft und Dirnentum bezeichnet. Ob das Wesen des Weibes darin erschöpft ist oder ihm noch andere Funktionen zugehören als die der reinen Geschlechtlichkeit, gehört hier nicht zur Debatte. Soviel ist jedenfalls sicher, daß die Mutter und die Dirne zwei ragende Pole weiblichen Seins bedeuten.

            Wenn wir nun das Mütterliche als das Substantielle des Weiblichen erkannt haben, so gelangen wir erst vollends zu der Würdigung des Sprachungeheuers: „Mutterschaftszwang“. Das Weib wird also zu etwas gezwungen, was es, wenn und weil es Weib ist, ohnedies schon sein soll. Das Weib wird „gezwungen“, es selbst zu sein! Wenn es dazu gezwungen werden muß, so müsse offenbar Hindernisse da sein, die ihm die funktionelle Erfüllung seines ureigentlichen Wesens verwehren. Wir haben diese verwehrenden Hindernisse als das nationalökonomische Gesetz der Ausbeutung kennen gelernt. Der Mechanismus eherner Wirtschaftsgesetze, der zwangsläufige Gang der sozialen Entwicklung, die historischen Kategorien der verschiedenen Formen von Klassenherrschaften gebären aus sich heraus die Widerstände gegen die apriorischen Naturbedingungen der menschlichen Existenz, und da auf diese Naturbedingungen doch nicht einfach verzichtet werden kann, müssen sie auf irgendeinem Wege wieder künstlich „eingeführt“ werden. Die organische Geltung der Natur wird durch den Tort einer überlebten ökonomischen Epoche vergewaltigt und darnach durch einen trägen Mechanismus menschlicher, allzu menschlicher Einrichtungen wieder notdürftig zusammengeflickt. Das Funktionale des Weibes, seine Mutterschaft, wird durch den Prozeß des ökonomischen Ausbeuterverhältnisses beeinträchtigt und durch eben denselben Prozeß der Ausbeutung hernach mechanisch mit „Strafgesetzen“ einfach wieder „angeordnet“. Hier ist der Punkt, wo der Sprung aus der einen Schnittfläche in die andere erfolgt, hier entspringt die Verwirrung, die ratlos vor der „Unmoral“ des sich selbst nicht mehr getreuen Weibes und der ewigen Naturgesetzlichkeit mit armseligen papierenen Normen zu Hilfe zu eilen sich vermißt. Die gemarterte Natur aber läßt sich ihren Weg nicht durch Bürokratien und Strafgesetze weisen, sie sammelt sich in den unterirdischen Kanälen der bedrückten, ausgebeuteten, um ihr Naturrecht betrogenen Massen und vollzieht in den sozialen Revolutionen den Prozeß ihrer Selbstbefreiung.

            Daß es ein Wort wie „Mutterschaftszwang“ gibt, spricht schon das Urteil über die Wirtschaftsepoche, in der wir leben. Ein Weib zwingen, Weib zu sein, das hat der Teufel dem Kapitalismus eingegeben. Was aber für die Arbeiterschaft das Entscheidende ist, ist nicht so sehr die Geltung oder Aufhebung eines Gesetzesparagraphen, als vielmehr die Erkenntnis der Unnatur des ganzen geltenden Gesellschaftssystems, in dem jener Paragraph nur eine symptomatische Erscheinung ist. Im einzelnen Paragraphen die Kulturwidrigkeit des Ganzen der bürgerlichen Ordnung erkenne, im täglichen Kampf ums Einzelne sich nicht bloß als Reformer und Verbesserer des Seienden fühlen, sondern darüber hinaus den revolutionären Enthusiasmus empfangen, daß wir berufen sind, der Menschheit den Weg aus dem Naturwidrigen zum Naturgemäßen zu weisen, dazu ist auch die Erörterung der Frage des „Mutterschaftszwanges“ ein willkommener Anlaß. Das Schicksal dieser einen Strafgesetznorm wird nicht viel an dem allgemeinen Schicksal der Arbeiterklasse ändern, aber die Aufhellung des Klassencharakters dieser Norm die Beleuchtung ihrer Kulturwidrigkeit ist von der belehrendsten Wirksamkeit und verdient daher eine nach allen Seiten hin gründliche Betrachtung.

In: Der Kampf (1919), H. 39, S. 843-846.