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Paul Stefan: Gustav Mahler in der Literatur

            Nicht davon soll hier gesprochen werden, daß die Gestalt eines Gustav Mahler in dem Musiker von Wassermanns „Gänsemädchen“ erkannt wurde und daß, nach anderen, sogar der Johann Christoph gewisse Züge Mahlers verraten soll; daß ein Roman „Die vierte Galerie“ den dämonischen Einfluß Mahlers auf eine jüngere Generation schilderte, und daß eines der schönsten lyrisch-hymnischen Gedichte, die Frauen je gelangen, seine fünfte Symphonie nachzugestalten versucht. Auch von den Gedichten Mahlers kann nicht die Rede sein, die er zum größten Teil selber vernichtet hat, und nicht von seinen Briefen, die, ein Schatz von Ausbrüchen und Erleuchtungen, nunmehr, soweit sie sich zunächst dazu eignen, zur Veröffentlichung vorbereitet werden (durch Frau Alma Maria Mahler bei Tal). Was für diese Blätter allein in Betracht kommt, sind die Spuren, die Mahlers Arbeit in den Studien und Schriften von Interpreten und Gegnern gezogen hat.

            Es gab eine Zeit der grenzenlosen Vereinsamung für Mahler, in der er nach einem Hörer, nach einem Menschen schrie. Er fand kaum keinen, und wer ihm auch nur ein wenig Aufmerksamkeit schenkte, persönlich oder schriftlich, wurde von ihm aufs rührendste bedankt. Darum verdienen die Steinitzer, J. B. Foerster, Batka, Seidel, Marschalk und einige andere Musiker und Schriftsteller dieser Jahre mit ihren Versuchen um die früheste Erkenntnis Mahlers noch heute unsere Beachtung. Sie sind die Vorläufer zahlreicher Aufsätze und Betrachtungen besonders von Wiener Kritikern, denen sich allmählich Autoren aller Länder und Sprachen anschlossen. Eine Sammlung von Zeitungsausschnitten über Mahler, die ich seinerzeit begann, wäre heute kaum noch von einem Privaten unterzubringen. Gar manche von diesen Aufsätzen würden es verdienen, aufbewahrt und studiert zu werden; ich erinnere allein an die von Julius Korngold, deren Sammlung verschiedentlich angeregt wurde.

            Sehr bald beschäftigten sich auch Bücher mit Mahler, zunächst kleine Schriften, wie die von Schiedermaier und des Ostpreußen E. O. Nodnagel Studie „Jenseits von Wagner und Liszt“. 1905 begegnet uns ein bekannter Name: Richard Specht gibt in der Broschürensammlung „Moderne Geister“ ein Heftchen über Mahler heraus, das die ersten Daten und ersten Erläuterungen von Werken gab. Drei Jahre später folgte eine (heute gleichfalls vergriffene) polemische Schrift von Paul Stefan: „Gustav Mahlers Erbe“, die die Summe von Mahlers Wiener Opernwirksamkeit zog und ihrem Verfasser außer Zustimmung und Widerspruch auch eine Gegenschrift (von Paul Stauber) zuzog. Abermals zwei Jahre später, 1910, gab Stefan, zum fünfzigsten Geburtstag Mahlers, „Widmungen“ von Zeitgenossen an Gustav Mahler heraus, mit Beiträgen von Gerhart Hauptmann, Bahr, Pfitzner, Bittner, Oskar Fried, Stephan Zweig, Romain Rolland und vielen anderen Künstlern, mit Rodins Mahlerbüste geschmückt; auch dieses Buch ist vergriffen. Zu gleicher Zeit erschein in dem gleichen Münchner Verlag von Reinhard Piper, einem begeisterten Verehrer Mahlers, die erste Biographie dieses Meisters von Paul Stefan, als einführende Studie gedacht. Das Buch ist wiederholt, zuletzt 1920, in immer neuer Gestalt erschienen und 1912 ins Englische übersetzt worden (1913 in Amerika verlegt); eine vorbereitete Übersetzung ins Französische vereitelte der Krieg. Auch die „Chronik der Jahre 1903 – 11“, die Stefan unter dem Titel „Das Grab in Wien“ 1913 erscheinen ließ, schildert nochmals das „Milieu“ der Mahler-Zeit.

            1913 erschien eine eingehende Würdigung des Wesens und der Werke von Specht, zunächst mit vielen Bildern, in den folgenden zahlreichen Auflagen mit bloßem Text; Specht hatte mittlerweile auch die sehr verbreiteten ausgezeichneten Analysen der einzelnen Symphonien verfaßt. An die Bücher von Specht und Stefan reihte sich bald darauf eines von Guido Adler, dem Ordinarius der Musikwissenschaft an der Wiener Universität. Adler, ein Jugendfreund Mahlers, brachte besonders neues biographisches Material bei. Artur Neißer schrieb eine kurze zusammenfassende Arbeit für Reclams Universalbibliothek.

            Abermals neue Ausblicke waren der großen Monographie von Paul Bekker („Gustav Mahlers Symphonien“) zu danken, Erweiterungen des in seiner Schrift „Die Symphonien von Beethoven bis Mahler“ in den Grundsätzen Angedeuteten. Bekkers Buch, im Frühjahr 1921 verlegt, ist vorläufig das jüngste Werk über Mahler. Bruno Walter und Friedrich Loehr, Jugendfreunde Mahlers, bereiten ein neues vor.

            Auch in fremden Sprachen ist über unsern Meister mancherlei gesagt worden, besonders Kluges von William Ritter, einem französischen Schweizer. Gelegentlich des Amsterdamer Mahler-Festes (1920) ist als Programmbuch eine schöne Studie von Doktor C. Rudolf Mengelberg in holländischer Sprache erschienen, nicht das einzige literarische Ergebnis der Mahler-Pflege in Holland: je ein Buch von Herman Rutters und von C. van Wessem beschäftigen sich mit Mahler.

            Bei alledem darf man sich nicht verhehlen, daß für Mahlers Werk und für die Erforschung seines Lebens noch allerhand Arbeit übrigbliebe, und daß insbesondere eine ausführliche Biographie einmal auf nicht geringe Schwierigkeiten treffen wird. Das Material ist groß und weithin verstreut.

            Hoffentlich gelingt die Arbeit des Sammelns dennoch irgendwie, irgendwann, irgendwem.

In: Moderne Welt, H. 7, 1921–22, S. 8-9.