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Georg Bittner: Die „Wiener Rote Garde“. Eine Gründung der Prager Kaffeehausliteraten (1918)

                Herr Egon Erwin Kisch, gebürtig aus Prag – nicht umsonst bisher das „Schmockkästchen“ Böhmens genannt – vor dem Kriege Feuilletonist des „Berliner Tageblattes“, Verfasser des mehr pornographischen als erotischen Romans Der Mädchenhirt, rückte zu Beginn des Krieges ein, war ein tapferer und guter Soldat (wie man dem jungen Manne denn überhaupt zubilligen muß, daß er in allem, was er tut, durchaus ehrlich, wenn auch vielleicht etwas unklare Absichten hat) und wurde nach längerem Frontdienste als Oberleutnant dem Kriegspressequartier zugeteilt. Hier scheint nun Herr Kisch von einem Drange erfaßt worden zu sein, der beim Literaten begreiflich ist und in diesem Falle nur deshalb sehr getadelt werden muß, weil Herr Kisch beschloß, diesem Drange in seiner Eigenschaft als Offizier und, wie er behauptet, Sozialrevolutionär zu frönen. Herr Kisch liest nämlich seinen Namen außerordentlich gern in der Zeitung. Bei der Gründung der „Roten Garde“ lagen ihm sicherlich alle selbstischen und gar unlauteren Absichten ferne und er folgte damit nur dem unklaren und phantastischen Drange seiner jugendlichen Literatenphantasie. Im Kriegspressequartier, das in der letzten Zeit zum Zwecke der Abfassung patriotischer Propagandaschriften eine Reihe von jüngeren federgewandten Leuten an sich gezogen hat, fand nun Kisch einige Gesinnungsgenossen, die ihn bei den Vorarbeiten und bei der Propaganda für die „Rote Garde“ unterstützten.

            Da ist vor allem Herr Franz Werfel, Sohn eines Kommerzialrates, auch aus Prag, auch Sozialrevolutionär, auch Literat. Während des Krieges hielt er sich längere Zeit auf Kosten des österreichisch-ungarischen Armeeoberkommandos in der Schweiz auf, um dort österreichische Propaganda zu betreiben. Jetzt ist er, wie gesagt, Revolutionär, und wenn er es auch schon damals war, als er in der Schweiz auf militärische Kosten lebte, dürfte man ihm billig den Vorwurf machen, daß er dieser Art der militärischen Dienstleistung jede andere hätte vorziehen müssen. Gewiß hätte ihn niemand davon abgehalten.

            Damit ist aber die Runde der geistigen Väter der Wiener „Roten Garde“ noch nicht vollkommen geschildert. Zu ihnen gehörte auch der ebenfalls im k.u.k. Kriegspressequartier eingeteilte Schriftsteller Franz Blei. Er gehörte in seiner Jugend ganz kurze Zeit der sozialdemokratischen Partei an. In den langen Jahren, die seither verflossen sind, hat er mannigfache Wandlungen durchgemacht. Unter anderem gab er eine pornographische Zeitschrift Der Amethyst heraus. Zu Beginn des Krieges gründete er in Berlin mit dem Gelde eines dortigen Finanzmannes eine Zeitschrift Der Kleiderkasten, welche die Abschaffung der Pariser Mode propagierte, und sich natürlich heftig gegen alles wagte, was nicht deutsch war bis ins Mark. Dieser deutschnationalen Periode des Herrn Franz Blei folgte eine katholische, als er zum Militärdienst nach Wien eingezogen wurde. Er kam hier in die Umgebung eines bekannten Finanzmannes, als dessen Sekretär er längere Zeit lebte und der ihm auch, obwohl selbst keineswegs katholisch, die finanziellen Mittel zur Gründung der katholischen Zeitschrift Summa zur Verfügung stellte. Nebenbei wirkte die ganze Familie Bleis eine Zeitlang auf ärarische // Kosten bei den Aufnahmen für einen militärischen Propagandafilm mit.

            Der vierte in diesem Bunde ist Herr Kühtreiber, der sich in seiner Eigenschaft als expressionistischer Maler und Schriftsteller Paris von Gütersloh nennt.  

            Das Werk dieser einigermaßen gemischten Gesellschaft ist also die Wiener „Rote Garde“, die, wie aus dem Berichte der Arbeiter-Zeitung hervorging, am Tage der Proklamierung der Republik die Schießerei vor dem Parlament verschuldet hat. Daß sie in dieser Form gegründet werden konnte, muß als ein schwerer Fehler der sozialdemokratischen Parteileitung bezeichnet werden. Dieser wurde wiederholt und nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß Oberleutnant Kisch, wenn auch von bestem Willen beseelt, doch sicherlich nicht die Persönlichkeit sei, der man es zutrauen dürfe, daß sie im gegebenen Falle eine Schar radikalst gesinnter Männer in der Hand behalten werde. Kurze Zeit lang schien man darum in der Parteileitung der Bildung der „Roten Garde“ auch ablehnend gegenüber zu stehen, von der einzig richtigen Ansicht ausgehend, daß eine derartige Institution innerhalb einer Volkswehr überflüssig sei. Leider ließ man sich dann aber von der Versicherung der besonnenen Elemente, die auch in der „Roten Garde“ sicherlich in nicht geringer Zahl vertreten sind, es handle sich nur um die Bildung eines Musterbataillons, überreden. Der Unterstaatssekretär Dr. Deutsch glaubte dieser Versicherung leider so sehr, daß er der „Roten Garde“ am kritischen Tage sogar die Bewachung des Parlaments überantwortete. Natürlich bekamen dort rasch, wie immer, die unklaren und unbesonnenen Elemente die Oberhand, die glaubten, sich mit einem Handstreich der Herrschaft über die gesamte übrige Bevölkerung bemächtigen zu können.

            Es ist kein Zweifel, daß die sozialdemokratische Parteileitung das, was sich vor dem Parlament und im Redaktionsgebäude der „Neuen Freie Presse“ zugetragen hat, auf das Entschiedenste mißbilligt. Schon deshalb, weil es ja unser aller gemeinsame Pflicht ist, die Umgestaltung des Staates in Ruhe und aus eigener Kraft zu vollziehen und den Ententetruppen keinerlei Anlaß zur Besetzung Wiens zu bieten. Man darf aber die Wahrung solch ungeheurer Staatsinteressen nicht den Fähigkeiten einiger unklarer oder nicht vertrauenswürdiger Köpfe aus der Kaffeehausliteratur überlassen. Dessen dürfte sich die sozialdemokratische Parteileitung bewußt geworden sein und wird jetzt hoffentlich nicht daran zweifeln, wie sie gegen die literarische „Rote Garde“ vorzugehen hat.

In: Neues 8-Uhr-Blatt, 16.11.1918, S. 1-2.