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Renato Mordo: Die Radiobühne

             In der Pantomime und im Film vermag der Schauspieler dramatisches Geschehen durch Körper, Auge und Geste restlos zum Ausdruck zu bringen.

Das geschriebene oder gedruckte Drama vermag durch geistige Vision – die Lektüre – zu wirken.

Ist die Kraft, die Steigerung und der Konflikt eines Dramas in das Wort gelegt, dann ist die Reproduktion lediglich durch Ton, Sprache und Klang berechtigt. So kann ein Drama gleich einem Musikwerk unter Verzicht auf jede optische Darstellung zur künstlichen Gestaltung gebracht werden. Im Gegensatz zu Film und Pantomime.

Demnach ist die Radiobühne berechtigt.

Die Radiobühne hat ebensowenig mit dem Theater zu schaffen, wie etwa ein Sinfoniekonzert oder der Film mit dem Theater gemeinsam haben.

Zunächst bedarf man des Radiodramas. Das gibt es noch nicht. Die Künste vermochten mit der Rapidität technischer Entwicklung nicht Schritt zu halten.

So muß also das vorhandene Drama einer radiodramaturgischen Bearbeitung unterzogen werden.

Hierbei ist große Rigorosität am Platze. Alle Szenen, die lediglich durch einen optisch darzustellenden Vorgang verständlich sind, haben mitleidlos zu fallen. Ebenso Szenen, die durch eine verwirrende Anzahl handelnder Personen eine akustische Unterscheidung unmöglich machen. In solchen Fällen sei vielleicht auch die Eliminierung einzelner Figuren versucht. So muß der // phonetisch wirksame Extrakt des Dramas herausgeschält werden. Sollten durch die Bearbeitung Unklarheiten entstehen, so mag für die Entwicklungszeit der Radiobühne ein erläuternder Einführungstext gesprochen werden.

Die Darstellung eines Dramas auf der Radiobühne müßte durch ein Künstlerensemble erfolgen, wie es heute vielfach noch im Stadium der Entwicklung [ist]. Nicht Schauspieler – ,Hörsprecher‘.

Ein Erblindeter lernt nach Verlust seines Augenlichtes die ungeheure Vielfältigkeit von Ton und Ohr begreifen und so muß eine neue Sprechergeneration die Modulation von Sprache und Klang unterscheiden lernen.

Der Schauspieler ist verwöhnt. Körper, Geste, Maske, Auge, Dekoration, Licht und Farbe sind ihm Requisiten. Die Sprache nur ein Bestandteil seiner Wirksamkeit. Der Radiosprecher muß alle diese Hilfsmittel opfern, all ihre Wirkung seiner Sprache einverleiben. Dazu ist vorerst eine ganz grundlegende Schulung seines Ohres Erfordernis. Er muß neu beginnen: Hören lernen und sich hören lassen. Darauf erst kann die neue Technik von Sprache und Sprecher, von Tonführung und Tongebung aufgebaut werden. Und vor allem: Nur ein Künstler von feinster und präzisester Musikalität kann Radiosprecher sein. Ein Hilfsmittel von allem ist der Radiobühne erlaubt: die musikalische und akustische Untermalung (und nicht eine bloße Melodramatisierung). Ihr sei die Rolle zugeteilt, die im Theater die Beleuchtung inne hat.

Nebst Radiodrama und Radiosprecher ist von Hauptbedeutung der Zuhörer. Auch für diesen ist eine völlige Neueinstellung nötig, um ein lediglich phonetisch wiedergegebenes Drama erfassen und erleben zu können. Die bequeme Aufnahmearbeit des Auge im Theater muß hier durch die schöpferische Einstellung der Phantasie ersetzt werden. Dazu bedarf es einer geistigen Disziplin, die auch geschult sein muß. Aufgabe jeder Radiobühne muß es sein, diese Schule anregend und steigernd zu gestalten. Dann sind die Hauptaufgaben der Radiobühne lösbar: Die Anregung zu einer neuen Epoche des Wortdramas und die Wiedererschaffung einer Sprechkultur.

Die Wiener Radiobühne hat wohl in diesem Sinne schon einen weiten Weg zurückgelegt und darf ein reiches Maß an Fortschritt und Erfolg als ihr Besitztum buchen.

In: Radio Wien Nr. 41 (26.7.-1.8.) 1925, S. 6-7.